"Wenn es nach den Griechen gegangen wäre, wäre es bösartiger"
"Highway to Hellas" von Aron Lehmann erzählt die Geschichte eines deutschen Bürokraten auf Kontrollbesuch in Griechenland - eine Komödie über deutsche und griechische Klischees. Und in Sachen Bösartigkeit musste er als deutscher Regisseur die griechischstämmigen Beteiligten bremsen.
Patrick Wellinski: Wie sind Sie zu diesem Stoff gekommen?
Aron Lehmann: Ich bin zu diesem Buch gekommen über Arnd Schimkat, der hat den "Kohlaas", das war mein erster Langfilm, mein Abschlussfilm an der Filmhochschule Potsdam Babelsberg - 2013 war der im Kino -, und der hat den auf einem Festival gesehen. Ich kannte diesen Mann nicht, aber nach dem Screening rannte jemand Richtung Bühne, wo ich gerade das Zuschauergespräch hatte, auf mich zu und brüllte immer wieder: Du musst mein Buch verfilmen, du musst mein Buch verfilmen! Ich dachte, wer ist das? Und wenn man Arnd mal gesehen hat, der ist so zwei Meter fünf groß und wirklich ein Strich, und da rannte eben dieser lange Schlacks auf mich zu, zeigte mit dem Finger auf mich und schrie immer wieder "du musst mein Buch verfilmen"; und das war der Anfang.
Wellinski: Das ist ja ungewöhnlich, so kommt man selten zu einem Projekt, glaube ich! Dann haben Sie das Buch also bekommen und gelesen und fanden es sofort verfilmbar und gut und wenn ja, warum?
Lehmann: Was mich angesprochen hat bei dem Buch, war der Humor. Und was mir gefallen hat, war die Motivation, dieser zwei Autoren. Also was einfach den beiden wahnsinnig am Herzen lag - das sind beides wirklich Griechenliebhaber, ich würde sagen, fast Fetischisten. Moses bezeichnet sich selbst ja als Bayer und Grieche. Ich habe ihm angeboten, dass er einen deutschen Touristen spielen darf. Das hat er abgelehnt, also entweder spielt er einen bayerischen Touristen oder einen Griechen, aber er will keinen Deutschen spielen!
Genau, und die zwei, seit kleinster Kindheit, fahren die mehrmals im Jahr nach Griechenland, Arnd hat dort auch ein Haus. Und die haben gesagt, wir müssen was tun gegen diese Boulevardpropaganda, die da betrieben wird. Wir müssen da einfach ein Gewicht reinschmeißen, das auch diese Leute erreichen kann, die sich sonst diese Presse reinziehen. Wir müssen da was reinwerfen, was lustig ist und was eben auch eine breite Masse erreichen kann. Und da ist die Komödie nun mal immer eine Chance. Die wollten einfach diese Sache wieder beruhigen und mal wieder auf eine menschliche und emotionale Ebene bringen. Und da haben sie mich gehabt in diesem Moment. Ich hatte in dem Buch schon einige Sachen, wo ich gesagt habe, hört zu, das würde ich gerne anders machen. Die Tragödie in der Geschichte fehlte mir noch. Ich wollte da noch mehr tragische Elemente.
Wellinski: Auch sehr griechisch übrigens, die Tragödie.
Lehmann: Ja, absolut, absolut! Ich bin eh der Überzeugung, jede gute Komödie basiert auf einer Tragödie. Das war für mich tatsächlich ein Luxusfall, weil Arnd so überzeugt war, dass ich der richtige Regisseur scheinbar für dieses Buch bin, dass er gesagt hat, hör zu, hier ist unser Buch, du darfst es umschreiben, wie du willst. So war das auch mit den Produzenten: Die Produzenten haben gesagt, okay, hör zu, du darfst das umschreiben, und wenn uns das gefällt, kriegst du die Regie. Und das hat alles funktioniert.
"Ich muss mich als deutscher Regisseur später in Deutschland dafür verantworten"
Wellinski: Was ist denn Ihr Verhältnis zu Griechenland? Das Verhältnis der beiden Autoren haben wir ja jetzt schon gehört.
Lehmann: Ja, diese Frage habe ich mir auch gestellt. Es gibt zwei Faktoren, die für mich entscheidend waren: Der eine war Adam Bousdoukos, dass ich immer wusste, ich will unbedingt Adam Bousdoukos haben. Und Adam war für mich der wichtigste Ansprechpartner bei dem Buch, dass ich bei Adam immer nachprüfen konnte, kann man das machen, geht das zu weit, bleibt es auf einer fairen Ebene. Ich wollte auch nicht, dass der Film zu brav ist. Unser Deutscher ist ja wirklich so ein unattraktiver Klemmi.
Wellinski: Ein Spießbürger.
Lehmann: Ja, wirklich. Und die Griechen, die ziehen wir schon auch durch den Kakao. Ich wollte jetzt auch keinen mit Samthandschuhen anfassen. Das Interessante ist, wenn es nach den Griechen gegangen wäre, wäre das Ganze noch wesentlich bösartiger gelaufen. Es ist eher so, dass ich noch mal gesagt habe, Leute, ich muss mich da als deutscher Regisseur später in Deutschland für verantworten, lasst uns den Bürgermeister bitte ein bisschen netter anlegen. Trotzdem durften die Griechen immer spielen, was sie wollten. Wenn sie das Gefühl hatten, das entspricht dem Griechen nicht, da wurde keiner zu gezwungen. Wir haben einen Top-Griechen-Cast für diesen Film gewonnen.
Das war lang ausgeholt jetzt von mir, aber es war der erste Punkt, wo ich gesagt habe, okay, ich habe hier ein paar Leute, die sich wirklich auskennen. Das Herz der Geschichte stimmt, und ich habe Leute, die das beurteilen können, denen ich vertraue, wo ich sage, da kann ich mit einem guten Gefühl den Film machen. Der zweite Punkt ist, dass ich gemerkt habe, das ist ein europäischer Stoff, das ist nicht ein deutsch-griechischer Stoff, das ist ein europäischer Stoff. Auch wenn man jetzt an Paris denkt, die Betroffenheit, die jetzt hier bei uns ist; natürlich, ich sehe das auch kritisch, wenn man jetzt überall die Frankreichfahnen raushängt, sieht man diese Opfer jetzt irgendwie als mehr wert, als die Opfer, die jeden Tag dem ISIS und dem Terror zum Opfer fallen. Aber die Sache ist ganz einfach die: Frankreich ist uns so nahe, es sind einfach Menschen, die uns nahe sind.
Und das ist diese europäische Entwicklung, die das genommen hat, dass wir alle Leute mittlerweile aus Spanien kennen, aus Frankreich kennen. Wenn du mal in die USA fährst oder nach Asien, wenn du wieder in Europa landest, du fühlst dich - egal wo du landest -, du fühlst dich viel mehr zu Hause, auch wenn du die Sprache nicht sprichst, als in den USA oder Japan. Ich glaube schon, dass es dieses europäische, gemeinsame Verständnis und Gefühl und auch Identifikation heutzutage gibt. Ich habe für mich entschlossen, ich als junger Europäer, so wie ich mich identifiziere, darf ich eine europäische Komödie machen über Deutschland und Griechenland. Das habe ich mir so zugestanden.
Wellinski: Das europäische Bild in Ihrem Film, wenn wir das mal wörtlich nehmen, Europa bedeutet da ja, dass man zusammenkommt, dass man aufeinandertrifft. Auf der einen Seite haben wir Jörg Geissner, einen deutschen Spießer, gespielt von Christoph Maria Herbst, der kommt auf diese Insel, soll die Kreditwürdigkeit überprüfen dieser Insel. Auf der anderen Seite haben wir die griechische Inselbevölkerung, aus der sich halt Panos, der Gemischtwarenhändler, der ihn da an die Hand nimmt und ihn auch so ein bisschen an der Nase herumführt. Er selbst ist ja so eine Art Inselplayboy, flirtet sehr gerne mit den ausländischen Touristinnen, vor allem deutschen Touristinnen.
Ich hatte das Gefühl, obwohl die beiden natürlich sehr, sehr unterschiedlich sind – das müssen sie auch sein, sonst können sie ja nicht zueinanderkommen in dem Film –, sind sie es dann im Kern doch nicht. Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen diesen beiden Männern, zwischen Jörg und Panos?
Lehmann: Ich glaube, dass es beides Männer sind, die beide eine Sehnsucht in sich haben, die jeweils der andere irgendwie verkörpert. Das ist das, was ich so mag an diesen beiden Figuren. Dass bei Geissner irgendwo diese Freiheitssehnsucht da ist, die er aber wirklich verklemmt unterdrückt, die also richtig von den Griechen herausgearbeitet werden muss. Und auf der anderen Seite Panos, der eine furchtbare Angst davor hat, Verantwortung zu übernehmen; eben auch dieser uneheliche Sohn, den er auf der Insel hat, den er am langen Arm verhungern lässt, und trotzdem das Bedürfnis hat, diesem Jungen nahe zu sein, aber nicht den Mut hat, Verantwortung zu übernehmen, und da eine Sicherheit und eine Konstante im Leben zu haben. Ich glaube, das sind diese zwei Punkte, wo sich diese zwei Figuren, wo jeder was hat, was der andere sich irgendwo tief in sich drin wünscht, und diese zwei Figuren zueinander kommen können wie so ein Magnet.
"Ich glaube, dass dieser tragische Clown oder der heldenhafte Narr eine Leidenschaft von mir ist"
Wellinski: Christoph Maria Herbst spielt den Deutschen, den Jörg Geissner, der kriegt auch immer wieder so einen Gag an den Kopf geworfen, so als Running Gag, er sähe aus wie Pep Guardiola. Er ist ein sehr hochtalentierter deutscher Komiker und auch Super-Schauspieler und man kann sich eigentlich keinen anderen vorstellen, der diese Rolle spielt. Hatten Sie schon immer Christoph Maria Herbst im Kopf?
Lehmann: Geissner ist eine Figur mit einem reinen Herzen und das ist Stromberg sicherlich nicht.
Wellinski: Das stimmt.
Lehmann: Es war auf jeden Fall eine Herausforderung, Christoph Maria Herbst als Sympathieträger zu inszenieren, und das hat uns beiden große Freude gemacht. Christoph bekam das Buch, ich hatte dann noch das Riesenglück, dass er "Kohlhaas" gesehen hatte und ein großer Fan von dem Film war. Er hat uns für die DVD auch damals ein Zitat geschickt. So kamen wir zusammen.
Wellinski: Welchen Raum kann dann in so einer Produktion Improvisation annehmen, etwas, was ja der Rhythmusgeber von "Kohlhaas" war, das Improvisierte?
Lehmann: Immer die Schauspieler. Das Improvisieren darf man, glaube ich, nie ganz wegnehmen, selbst wenn es geschriebene Texte gibt. Das heißt ja nicht, dass sie plötzlich anfangen müssen, irgendwo anders hinzurennen. Improvisation ist ja auch, dass man sagt, hör zu, die Einstellung ist hier und dort, und da gucken wir hin. Damit hast du eine Bühne gebaut, die vielleicht ein bisschen kleiner ist, als wenn du mit der Schulter dem Schauspieler hinterherrennen kannst, aber es ist immer noch eine Bühne. Selbst in der nahen Einstellung, dann ist die Bühne winzig klein, aber es ist immer noch eine Bühne. Und in dieser Bühne muss man dem Schauspieler einfach auch die Möglichkeit geben, dass er sich trotzdem frei fühlt.
Wellinski: Das Leichte, die Komödie, das liegt Ihnen, das haben Sie auch schon ein paar Mal gesagt. Das ist eine große Kunst, Komödien zu inszenieren. Das ist so ein Klischee, wo man sagt, Drama, das ist das einzig Wahre. Wollen Sie diesem Ton dann auch – das ist jetzt blöd, in die Zukunft zu gucken –, wollen sie dem auch treu bleiben oder reizt Sie auch der ernste Ton und das seriöse, das ernste Drama?
Lehmann: Lustigerweise finde ich meine Filme ganz ernst.
Wellinski: Sie sind natürlich ernst und trotzdem ist der Ton, mit dem Sie erzählt werden, leicht.
Lehmann: Ja? Ehrlich gesagt reizt mich ja fast alles, muss ich sagen. Also gut, was ich schon gemerkt habe, ohne mir jetzt die Zukunft verbauen zu wollen, aber sowas wie "Transformers" finde ich wahrscheinlich wirklich langweilig, wenn der Film nur am Computer entsteht. Aber ich merke schon, wie gerne ich mit Schauspielern arbeite. Ich mag wahnsinnig gerne diese Figur des tragischen Clowns, das merke ich einfach. Ich merke, dass dies Figur mich wahnsinnig fasziniert, den Narren zum Helden zu machen, das finde ich toll.
Trotzdem gibt es auch Dramen, die ich reizvoll finde. Es gibt ein paar Projekte, wo man mit anderen Produzenten im Gespräch ist, wo man sehr hofft, dass das was wird; und wo man auch einfach gerne mal auf ein anderes Spielfeld treten möchte, einfach um neugierig zu sein und wieder was zu lernen, weil das hört ja als Regisseur tatsächlich nie auf. Ich mache das auch, wenn ich "Highway to Hellas" drehe, das ist ja nicht nur, ich zeige was ich kann, sondern ich gucke mal, was ich noch lernen kann; einfach, um es auszuprobieren und zu gucken, wie ist das eigentlich. Ich glaube, man muss einfach machen und alles Mögliche ausprobieren als Regisseur. Ich würde mich da jetzt ungern zu früh festlegen, aber ich glaube schon, dass dieser tragische Clown oder der heldenhafte Narr eine Leidenschaft von mir ist.
Wellinski: Dabei wünschen wir Ihnen natürlich viel Glück! Aron Lehmann war unser Gast. "Highway to Hellas" heißt sein neuster Film und ist bereits in den deutschen Kinos zu sehen. Vielen Dank für Ihre Zeit!
Lehmann: Vielen Dank für die Einladung!
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