Regisseurin Elfi Mikesch über "Fieber"

Was wir mit Bildern machen und Bilder mit uns

Die österreichisch-deutsche Fotografin, Kamerafrau und Filmregisseurin Elfi Mikesch, im Studio von Deutschlandradio Kultur
Die österreichisch-deutsche Fotografin, Kamerafrau und Filmregisseurin Elfi Mikesch, im Studio von Deutschlandradio Kultur © Deutschlandradio / Annette Bräunlein
Elfi Mikesch im Gespräch mit Susanne Burg |
Im neuen, autobiografischen Film "Fieber" von Elfi Mikesch spürt eine Fotografin ihrem Vaterverhältnis nach, der einst Fremdenlegionär in Nordafrika war - und ihr ein Fotobuch hinterlassen hat. Was machen Bilder mit uns, das beschreibt die Regisseurin als ihre zentrale Frage.
Susanne Burg: Elfi Mikesch ist Dokumentar- und Experimentalfilmerin, Fotografin und Kamerafrau. Sie ist in gut einem Dutzend eigenen Filmen immer wieder Wagnisse eingegangen, was die Themen angingen und auch die Machart und hat als enge Weggefährtin von Monika Treut, Rosa von Praunheim und Werner Schroeter seit den 70er-Jahren als Kamerafrau auch deren Bildwelten mitgestaltet. Und jetzt ist sie hier bei "Vollbild", herzlich willkommen, Elfi Mikesch!
Elfi Mikesch: Ich grüße Sie!
Burg: Ihr neuer Film heißt "Fieber". Er lief 2014 auf der Berlinale, kommt jetzt ins Kino. Und darin spielt Eva Mattes eine Fotografin, die ihrer Kindheit 1952 nachspürt und auch ihrem Verhältnis zu ihrem Vater, der einst Fremdenlegionär in Nordafrika war. Ganz zentral ist ein Fotobuch des Vaters, das bei ihr eine Fülle an Bilderreisen auslöst, an Assoziationen. Die Fotos, die Sie benutzt haben, sind tatsächliche Fotos, also von Ihnen, Frau Mikesch.
Mikesch: Ja, das sind die Bilder, die mein Vater mitgebracht hat aus Nordafrika und dem Libanon. Weil, er war, wie Sie sagten, Fremdenlegionär und er hat viel fotografiert und diese Bilder in Alben geheftet. Und das ist das Erbstück. Und diese Bilderwelt hat mich tatsächlich begleitet als Kind, fasziniert. Ich hatte eine große Sehnsucht, dorthin zu reisen, und hatte dann das Glück, mit 24 das erste Mal tatsächlich auf Reisen zu gehen, und habe dann auch einen Film gemacht in Marokko, "Marocain". Die Geschichte hat mich tatsächlich verfolgt, so als wären diese Bilder eingebrannt in mir, im Herzen, aber auch im Gedächtnis, im Gehirn oder Nachdenklichkeit. Denn warum sind diese Bilder entstanden?
Burg: Also, das heißt, auch wenn der Film selber jetzt nicht autobiografisch ist, ist der Impuls, ihn zu machen, doch ein autobiografischer?
Mikesch: Ja, es ist der Hintergrund, der mich sehr beschäftigt Zeit meines Lebens, ich möchte sagen: verfolgt. Ich habe reichlich spät damit angefangen, weil natürlich auch zum Teil sehr erschreckende Fragen sich mir gestellt haben: Wie weit ist mein Vater involviert in Handlungen, die eben der Krieg mit sich bringt, wie weit ist das Töten aktuell und was ist das Fremde? Das ist sehr entscheidend. Das kam natürlich viel später und heute ist es so brennend, weil ich denke: Die Konsequenzen, die teilweise aus diesem Hintergrund entstanden sind, damit haben wir heute zu tun.
Burg: Bleiben wir vielleicht einen Augenblick noch bei diesen Bilderwelten: Franziska, die Protagonistin, die geht auf eine Reise nach Novi Sad in Serbien, wo ihr Vater – gespielt von Martin Wuttke – immer mit ihr hin wollte. Und während sie dann so am Ende des Filmes im Zug sitzt, da fragt sie sich schließlich dieses:
O-Ton Film: Warum mache ich diese Reise durch die Bilder meiner Kindheit? Ich dachte, ich sei ihnen auf der Spur. Ist es nicht umgekehrt? Sind nicht sie es, die mir auf der Spur sind?
Burg: Franziska im Film "Fieber". Elfi Mikesch, die Fragen, die sie hier stellt: Wie sehr kann man hinter die Bilder gucken, Erklärungen finden, wie sehr prägen einen auch Bilder?

Nicht nur harmlose Bilder, auch solche der Gewalt

Mikesch: Ich stelle die Frage: Was machen die Bilder mit uns, was machen wir mit den Bildern? Und die Franzi, die stellt als Kind diese Frage, was machen die Bilder mit mir? Sie bedeckt sich in ihrem Zimmer mit den Fotografien, die sie von ihrem Vater hat, wie in einem Traum, und dann werden diese Bilder lebendig. Das heißt, sie ergreifen auch Besitz von ihr und es sind ja nicht nur harmlose Bilder, es sind Bilder auch der Gewalt. Nicht nur dass der Vater auch ein sehr jähzorniger, impulsiver Mensch ist, der traumatisiert aus diesen Kriegsereignissen oder Kolonialereignissen zurückkommt, und die Familie trägt dann diese Geschichte, diese Schatten des Krieges, würde ich sagen. Und das ist eine endlose Spirale. Und das Kind oder die Kinder überhaupt, da stellt sich für mich die Frage: Was haben diese Kinder für ein Erbe?
Burg: Wie leben diese Traumata der Eltern eigentlich dann in der Kindergeneration fort?
Mikesch: Ja, deshalb ist der Film … Der hat ja einen Namen, "Fieber", und das ist tatsächlich ein Hitzezustand, der wie in einer Krankheit dann eine Abwehr des Körpers ist. Und wie können wir mit diesen Ausnahmezuständen fertig werden, wie wird Franzi fertig mit dem Ausnahmezustand des Vaters?
Sie befragt die Fotos wie ein Orakel, weil, sie bekommt ja von den Eltern nur sehr unzureichende Antworten. Es wird ja ausgewichen. Und ein Motiv in dem Film ist das Schweigen innerhalb der Familie. Das war ja noch viel stärker damals, in den 50er-Jahren wurde ja geschwiegen. Später, 68, tauchten die elementaren Fragen auf, was habt ihr gemacht, ja, wir wussten nichts davon, wir wissen nichts vom Krieg, wir wissen nichts von diesen Gräueln. Und die Kinder fragen. Und das ist unsere Chance, dass wir auf diese Fragen eingehen. Das heißt, wir fragen uns selbst.
Burg: Sie selbst sind ja auch Fotografin und Sie arbeiten in dem Film ja viel mit Fotografien, aber gleichzeitig haben Sie auch Bewegtbild. Inwieweit unterscheiden sich Geschichten, also die Geschichten, die Bilder erzählen, wenn es um Fotografie geht und wenn es um Bewegtbild geht? Weil Sie ja im Film auch nicht wirklich eine Geschichte erzählen, sondern sehr assoziativ vorgehen.
Mikesch: Das ist eine sehr schöne Frage, denn sie hilft uns mit unseren Erinnerungen. Mir ist das immer sehr wichtig, einen Film zu fotografieren und nicht nur jetzt eine filmische Geschichte daraus zu machen. Ich besinne mich immer auf die Zelle. Und das ist die Fotografie, das einzelne Bild. Was erzählt uns das einzelne Bild?
Und heute, wo jeder … Also, wir haben Milliarden von Bildern, umgeben uns praktisch in einem Paralleluniversum aus Bildern, und was macht das mit uns? Und wir überantworten uns den Bildern und schicken die rum und das ist unsere Freundschaft. Wir brauchen diese Bilder wie Sauerstoff. Und ich finde das sehr erstaunlich. Und bei Franzi, diesem Kind, das sich dann mit einzelnen Bildern auseinandersetzt und die Fragen stellt … Und das ist die Essenz, ich denke, das ist auch unsere Chance, dass wir die einzelnen Bilder befragen.

Mikesch arbeitete als Kamerafrau mit Regisseuren wie Werner Schroeter

Burg: Das ist ja unglaublich, wie vielfältig Sie arbeiten, in Spielfilmen, Dokumentarfilmen, Fotografie und dann natürlich auch Ihre ganze Arbeit als Kamerafrau für ja so unterschiedliche Regisseure wie Werner Schroeter oder Rosa von Praunheim. Inwieweit ist gerade diese Arbeit, wenn Sie als Kamerafrau arbeiten, wo Sie ja dann auch noch mal einen Blick so ein bisschen von außen auf das Arbeiten eines Regisseurs haben, inwieweit ist das wieder auch hilfreich für Sie selbst, wenn Sie als Regisseurin arbeiten, ab und zu mal so einen Blick von außen zu bekommen?
Mikesch: Also, die Kamera ist für mich ja das Auge. Und ich habe das Glück, dann mit so wunderbaren Regisseurinnen oder Regisseuren zu arbeiten, die so gegensätzlich sind und mir im Grunde zeigen, dass es möglich ist, mit Kreativität Gegensätzliches zu verarbeiten. Es sind die Schauspieler auch und die Schauspielerinnen, die mich sehr, sehr faszinieren in ihrer Lebensweise, wo sie immer wieder überleben in verschiedenen Existenzen. Und das ist für uns immer eine Chance, in Geschichten reinzugehen, ob das jetzt Dokumentarfilm ist, Spielfilm oder auch eine Fotografie.
Burg: Sie selbst sind Jahrgang 1940. Wie sehr interessiert Sie denn das, was der Nachwuchs heutzutage so treibt?
Mikesch: Ich kann nur sagen, dass es für mich immer ein Gewinn ist, diese Kommunikation zu bekommen. Ich mache jetzt im Herbst dann wieder mit den Studenten eine Geschichte, wo wir sprechen über Drehorte, zum Beispiel über das Gesicht, was ist ein Gesicht? Oder über die Fotografie, die ja meine Basis ist.
Und dass wir ins Detail gehen können in einer Arbeit und dass wir zum Teil eben wirklich machen können, was wir uns wünschen. Und das wünsche ich ja im Grunde jedem oder jeder, das zu verwirklichen, was der Traum ist, dass sie ihre Spur finden, dass sie ihre Identität finden. Denn genau damit haben wir im Moment äußerst viel zu tun. Was passiert, wenn Sie damit in Konflikt geraten und Ihre Identität nicht verwirklichen können, ausgebremst werden und dann plötzlich auf die bizarrsten und wahnsinnigsten Ideen kommen? Und damit haben wir jetzt zu tun.
Burg: Sie selbst haben ja nun sehr viele verschiedene Preise gewonnen, zum Beispiel den Deutschen Ehren-Kamerapreis als erste Frau, den Friedrich Wilhelm Murnau-Filmpreis, den Teddy Award für künstlerische Lebensleistung. Gibt es einen, der Sie aus heutiger Sicht besonders freut?
Mikesch: Der Teddy.
Burg: Der Teddy, warum?

Mikesch freute sich am meisten über den Teddy-Award

Mikesch: Ach ja, weil, das ist genau dieser Bereich, der so vielschichtig, vielfältig ist und wo eben auch Grenzen überwunden werden, und ein Gebiet ist, was voll ist von Überraschungen und auch Widerstand. Denn es ist immer wieder gefährdet. Und deshalb ist dieser Preis so wichtig. Und kann nicht genug betont werden, dass es dort Filme zu sehen gibt, die Geschichten erzählen, die nicht ganz so bekannt sind, wo es wirklich sehr gefährlich auch ist oder immer gefährdet. Und deshalb ist dieser Preis so wichtig und für mich der wichtigste.
Burg: Sie meinen die, wie man heute sagt: queeren Lebenswelten, die in verschiedenen Ländern, …
Mikesch: Genau, ja.
Burg: … zum Beispiel …
Mikesch: Ja, und wo immer noch sehr leicht etwas kommt, dass es wieder verfolgt wird oder immer noch verfolgt wird. Und in dem Zusammenhang sehe ich auch die Geschichten der Frauen. Das ist wie eine Schiene, die parallel läuft, und da ist auch eine große Überwindung. Und dieser Kampf – ich muss es tatsächlich so sagen – immer wieder um Gerechtigkeit oder gerechtes Sehen, dass die Gleichberechtigung unsere Gesellschaft stabilisiert und dass es nicht darum geht zu trennen, sondern zu verbinden und Möglichkeiten zu finden, dass wir die Sprache finden, dass wir Kommunikation haben und dass nicht wieder Schweigen passiert und nichts gesagt wird und versteckt wird, das sind die Anliegen.
Burg: Sehen Sie das auch als Ihre Aufgabe als Filmemacherin?
Mikesch: Unbedingt.
Burg: Nun kann man erst mal einen Film von Ihnen im Kino sehen, "Fieber". Der läuft am Donnerstag an, herzlichen Dank, Elfi Mikesch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema