Regisseurin: Schlingensiefs Idee vom Operndorf war ein Traum

Sibylle Dahrendorf im Gespräch mit Klaus Pokatzky |
Christoph Schlingensief wollte mit einem Operndorf in Afrika eine kulturelle Begegnungsstätte schaffen. In ihrem Film erzählt Sibylle Dahrendorf nun die Geschichte des Projekts - und wie die Menschen in Burkina Faso darauf reagiert haben.
Klaus Pokatzky: Hier werde ich 80, sagt Christoph Schlingensief in dem Film "Knistern der Zeit" von Sibylle Dahrendorf. Und er sagt das auf dem platten Land nicht weit von Ouagadougou, der Hauptstadt des westafrikanischen Burkina Faso, da, wo sein Operndorf entstehen soll. Er wurde dann nur 49 Jahre alt und ist wenige Monate nach der feierlichen Grundsteinlegung im August 2010 gestorben. Von 2009 bis 2011 hat Sibylle Dahrendorf in Burkina Faso ihren biografischen Film über Christoph Schlingensief gedreht. Tobias Wenzel über "Knistern der Zeit".

Beitrag

Tobias Wenzel über den Film "Knistern der Zeit" von Sibylle Dahrendorf, die ich nun im Studio begrüßen darf. Herzlich Willkommen!

Sibylle Dahrendorf: Danke, dass ich da sein darf!

Pokatzky: Frau Dahrendorf, wer oder was knistert denn bei dieser Vision von Christoph Schlingensief?

Dahrendorf: Da knistert vieles, und das finde ich auch immer schwer, in der Kürze zusammenzufassen. Um beim Operndorf zu bleiben und bei den Erfahrungen, die wir mit ihm in Burkina Faso gemacht haben, hat das ganze Projekt geknistert, die Zeit hat geknistert, und das Land hat geknistert, die Töne haben geknistert, die Bilder haben geknistert, und allen voran Christoph Schlingensief.

Pokatzky: Gleich zu Beginn wird ja ganz deutlich gesagt, auf welches Wagnis er sich da eingelassen hat: kein Wasser, kein Strom, kein Internet, also fast das blanke Nichts. Woher hat Christoph Schlingensief diese unglaubliche Zuversicht genommen, dass das alles trotzdem schon wird?

Dahrendorf: Ich glaube, dass das was damit zu tun hat ... oder ich kann ja nur darüber sprechen, was ich sehe oder an was ich mich wie erinnere. Ich kann schwer über die Intentionen von ihm sprechen, aber wie ich das erlebt habe, war das ein derartiges Projekt zu schaffen dort, wo gar nichts ist, also wo man sich erst mal etwas vorstellen muss. Also aus der reinen Vorstellungskraft her etwas herauszuspinnen im guten Sinne, Fantasiefreude an den Tag zu legen, das zu koppeln mit einer unglaublichen Energie, um etwas zu schaffen.

Pokatzky: Haben ihn die Menschen in Ouagadougou denn auch für so einen Spinner gehalten, oder war er gleich so der sympathische Visionär, der ihnen Arbeit beschafft und später dann auch noch eine Schule für die Kinder?

Dahrendorf: Ich glaube nicht, dass Christoph Schlingensief als Spinner betrachtet wurde in Burkina Faso, ganz im Gegenteil, sondern ich glaube, dass das was damit zu tun hat, was ich eben meinte, dass jemand da ist mit einer Energie, mit einer Idee, meinetwegen kann man diese Idee auch als Vision oder als Traum bezeichnen, dadurch aber etwas anzusprechen, nämlich wiederum auf Energie zu treffen, und das erzeugt neue Energie.

Und die Menschen in Burkina Faso, die – zumindest die, die ich kennengelernt habe, die ja auch Teil des Filmes sind, sind ja viele Menschen auch integriert in den Film, die um das Operndorf herum leben, oder die den Weg mit für das Operndorf geebnet haben in Burkina Faso – die haben alle sehr freundschaftlich, kollegial und enthusiastisch auf die Idee des Operndorfes reagiert.

Pokatzky: Aber es gab vielleicht doch mal Phasen, wo das Ganze zu platzen drohte, weil Schlingensiefs Krankheit – sein Dämon, wie er das ja immer genannt hat – wieder einmal dazwischen kam oder es andere Probleme gab, die drohten, einen Strich durch die Rechnung zu machen?

Dahrendorf: Ich glaube nicht, dass das Ding drohte zu platzen. Ich glaube, um auf das Knistern und auf die Zeit zu kommen, dass das Thema Zeit das Problem war. Und wenn ich mich selber befrage oder wir uns selber befragen, was wir tun würden, wenn wir merken würden, uns läuft die Zeit davon, dann ist es verständlich, dass man mit Ungeduld reagiert.

Pokatzky: Wie sehr nahe war denn die Krankheit, der Krebs, also der mögliche nahe Tod von Christoph Schlingensief, immer anwesend bei diesem Projekt – dem Operndorf – und Ihrem Projekt – dem Film? Er hat ja unentwegt Anspielungen darauf gemacht, in fast jeder Rede. Hatten Sie selber da auch nicht dauernd Angst, es könnte bald soweit sein, oder haben Sie an das Wunder glauben wollen, bei all der Vitalität, die er dann ja auch wieder ausgestrahlt hat?

Dahrendorf: Ja, das ist sehr komplex. Ich habe am Anfang natürlich gedacht, eine Geschichte erzählen zu können, um mit den Worten von Christoph da jetzt vielleicht kurz zu reden oder sie zu zitieren, eine Geschichte, die erzählt, dass Kunst heilen kann, so wie er das damals bei der Rede seiner Grundsteinlegung sagte.

Pokatzky: Hier werde ich 80.

Dahrendorf: Ja, das ist nicht die Rede, das ist bei der Ortssuche, weil er sagt ...

Pokatzky: Aber das hat er gesagt: Hier werde ich 80.

Dahrendorf: ... Hier werde ich 80 – genau, das war die Vision, die er hatte. Oder vielleicht muss man die Vision auch haben, wenn man krank ist, weil man ja überleben möchte. Und bei der Rede eben zur Grundsteinlegung fielen Sätze wie: Kunst ist Balsam für die Seele. Kunst kann heilen. Und das war natürlich auch meine oder unsere Vision oder unser Traum vom Filmteam, diese Geschichte zu erzählen, das heißt, den Gedanken der Sterblichkeit oder dass Christoph sterben könnte, während dieses Projekt entsteht, den habe ich zumindest verdrängt.

Den wollte ich in der Arbeit nicht haben, weil ich glaube, dass man das selber nicht aushalten kann, wenn man permanent daran denkt, dass es morgen zu Ende sein könnte, und das erzeugt auch keine positive Energie, sondern die positive Energie, die Christoph einem ja auch vorlegte, war die, dass er etwas schaffen wollte dort mit den Menschen, und wir wollten mit dem Film das einfangen. Und alles andere an Gedanken, dass das morgen vorbei sein könnte, das habe ich mir verboten.

Pokatzky: Sibylle Dahrendorf ist zu Gast beim Deutschlandradio Kultur, die den Film "Knistern der Zeit" über das afrikanische Operndorf von Christoph Schlingensief gedreht hat. Positive Energie, es gibt auch manchmal Aufnahmen, da kommt doch eher negative Energie raus. Es gibt da so eine Stelle, da scheint die Luft wirklich raus zu sein, da ist dieser fantasievolle, tolerante Menschenfreund auf einmal ein leidender Schlingensief und wird zum Antreiber aller ohne jede Geduld. Dieses Scheiß-Afrika, ruft er da und will mit dem Taxi nach Europa zurückfahren. Wie haben Sie diese Situation erlebt?

Dahrendorf: Na ja, das ist ja auch eine Szene, die sozusagen auch in einem Kunstraum, nämlich im Theater entstanden ist. Das ist ja eine Szene aus seinem letzten Stück, Via Intolleranza II, und dieses Stück diente ja auch dazu, sich selber zu befragen, was ist das da, was in Burkina Faso entsteht. Also das ...

Pokatzky: Also war das alles nur gespielt?

Dahrendorf: Na ja, was heißt – das ist ja das, womit Christoph Schlingensief meiner Meinung nach gespielt hat, ist eben die Grenze zwischen Inszenierung und Realität, zwischen Traum und Wirklichkeit. Und natürlich hat er sein eigenes Projekt, was für meine Begriffe auch immer noch ein Kunstprojekt auch ist, natürlich auch im Theater wiederum befragt, obwohl es in der Realität schon Wirklichkeit wurde, und das ist ja dieses Spiel mit Grenzen, was er ja früher auch schon auf die Spitze getrieben hat.

Pokatzky: Wie viel Möglichkeit hatte Christoph Schlingensief, dass er neben dem Projekt noch persönlichen Kontakt zu den Menschen in Burkina Faso bekommen hat? Da ist eine Szene im Film, ein alter Mann zu sehen, der sagt: Ich habe ja nur einen Tag lang Gespräche mit Christoph Schlingensief führen können, aber dabei ist mehr geredet worden, als ich zum Beispiel jemals mit meinem Vater sprechen konnte. Und nun fehlt ihm der Christoph, und er hofft, ihm bald im Paradies zu begegnen.

Dahrendorf: Dieser ältere Mann ist der Vater von Francis Kéré, dem Architekten des Operndorfes, der ja inzwischen auch verstorben ist, der Vater von Francis Kéré. Das heißt, dieser Satz erfährt natürlich jetzt eine doppelte Bedeutung: Wenn der Papa von Francis Kéré zu uns damals sagte, wenn es ein Paradies gibt, dann glaube ich fest daran, dass ich Christoph dort wieder sehen werde, kann man sich jetzt vorstellen, was im Paradies passiert.

Pokatzky: Was passiert mit dem Operndorf? Wird es eine Vollendung geben, auch ohne den Motor Schlingensief, steht eines Tages das ganze Operndorf?

Dahrendorf: Also, der Begriff der Vollendung, über den müsste man separat diskutieren, weil was heißt hier in dem Kontext des Projektes Operndorfsvollendung. Was klar ist, dass Aino Laberenz, Christoph Schlingensiefs Frau, das Projekt nach seinem Tod sehr respektvoll vorangetrieben hat, wiederum eine unglaubliche Energie in dieses Projekt legt oder auch gelegt hat und weiterlegen wird.

Das heißt, die Schuleröffnung hat im Oktober 2011 stattgefunden, das war das Ende unserer Dreharbeiten. Aino Laberenz ist weiterhin mit dem Architekten Francis Kéré dabei, die Krankenstation zu bauen – da sind die Fundamente jetzt gegossen, wenn ich richtig informiert bin –, das wird sozusagen das Ende der Bauphase zwei dann sein. In diesem Jahr soll das Ziel sein, eben diese Krankenstation auch fertigzustellen, und dann kommt im nächsten Jahr, wenn Sie so wollen, die Vollendung mit dem Theater.

Pokatzky: sagt Sibylle Dahrendorf, die den Film "Knistern der Zeit" über Christoph Schlingensief und seinen Lebenstraum vom Operndorf in Westafrika gedreht hat. Der Film ist ab Donnerstag in unseren Kinos. Vielen Dank, Frau Dahrendorf!

Dahrendorf: Ich bedanke mich auch!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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