"Regulierung macht uns das eigentlich kaputt"
Stephan Urbach, Netzaktivist und Mitglied der Piratenpartei, befürchtet, dass Netzzensur zunehmen würde, wenn es eine internationale Regulierungsbehörde in Sachen Internet gebe. "Wildwuchs" sei positiv fürs Netz, sagte Urbach anlässlich des ITU-Gipfels in Dubai.
Katrin Heise: Stephan Urbach macht Politik bei der Piratenpartei und hat als Mitglied der Telecomix, einem Zusammenschluss von Netzaktivisten, die in Ägypten und Syrien geholfen haben, das Internet trotz staatlicher Abschaltung aufrechtzuerhalten, dort hat er mitgemacht.
Er hat Sorge, dass Netzzensur zunehmen würde, wenn es, wie in Dubai diskutiert, eine internationale Regulierungsbehörde in Sachen Internet gebe. Herr Urbach, ich grüße Sie ganz herzlich, schön, dass Sie unser Gast sind!
Stephan Urbach: Hallo!
Heise: Warum befürchten Sie von einer zentralen Internetkontrollstelle, angesiedelt zum Beispiel bei der UNO, derart drastische Folgen?
Urbach: Wenn wir uns angucken, wie die ITU in den letzten Jahren noch bei Telegrafenmasten angefangen reguliert hat, nämlich mit Grenzübertritten, dass dann Gebühren fällig werden, und auch, wenn wir uns die Anträge angucken, die vorliegen, um was es eigentlich genau geht – es geht eigentlich darum, dass vor allem Daten an den Grenzen abgefangen werden dürfen.
Die Russen möchten gerne, dass E-Mails, die durch Russland durchlaufen, gelesen werden dürfen von den Russen. Das ist problematisch alles, also momentan ist das Netz dezentral, es kann jeder dran teilnehmen, es kann eigentlich fast jeder Mensch, wenn er halt technisch in der Lage ist dazu, Dienste anbieten, und Regulierung macht uns das eigentlich kaputt.
Also dieser Wildwuchs, den wir ja kennen momentan, der sehr positiv fürs Netz ist, der würde halt eingeschränkt werden, und vor allem würden wir plötzlich Regeln bekommen unter Umständen, welche Daten in welches Land gelangen dürfen und welche nicht. Und das ist alles nicht schön.
Heise: Gleichzeitig könnte ich mir vorstellen, dass gerade die Macht, ausgeübt in Einzelstaaten, ja auch durch eine zwischenstaatliche oder supranationale Regulierungsbehörde vielleicht eingeschränkt werden könnte, denn da haben dann ja andere auch noch mitzureden.
Urbach: Ja, das klingt erst mal auf den ersten Blick so, ist aber nicht der Punkt. Der Iran hat einen Antrag gestellt, dass so was wie die Abschaltung des Netzes nach außen hin, dass das auch vollkommen folgerechtlich okay geht. Wir haben mittlerweile Bestrebung von vielen Staaten, wir hatten das sogar in der EU gehabt, das Netz nach außen hin abzuschotten, aus der jeweiligen Legislatur heraus, und das ist natürlich auch ein Problem.
Heise: Aus Sicherheitsgründen wahrscheinlich, wird dann wieder angeführt. Wenn wir uns die Realität anschauen, auch ohne - wie Sie sagen - Zentralisierung der Regulierung, es kommt ja zu Abschaltungen, eben von nationalen Netzen wie beispielsweise in Syrien oder auch Ägypten, wo Sie versucht haben mit den Telecomix, den Zugang zum Netz für User weiter zu erhalten. Wie funktioniert so was, wenn ein Netz national abgeschaltet wird, wie können Leute sich trotzdem im Internet bewegen?
Urbach: Also in Ägypten haben wir das mit der Technologie der 80er-Jahre gemacht, mit Modems. Wir haben einfach Modemeinwahlserver in Europa und weltweit aufgestellt und haben die Nummern nach Ägypten gefaxt, weil das Telefon hat noch funktioniert. Und dann konnten die Ägypterinnen und Ägypter mit ihren Modems sich auf diesen Rechnern einwählen, da hatte man Internet gehabt - halt sehr langsames, aber sie hatten welches.
Heise: Und zwar von ihren Staaten unabhängiges, von ihren Providern.
Urbach: Genau, von ihren Providern, weil das ging ja über unsere Provider im Endeffekt.
Heise: Sie mussten sie natürlich damit erst mal konfrontieren, Sie mussten ja erst mal Ansprechpartner finden. Ist es nicht diese Hilfe, die Sie da gegeben haben, hätte die nicht auch in falsche Hände geraten können, also beispielsweise auch die Zensurbehörden auf Lücken aufmerksam machen können?
Urbach: Das war ein Risiko, das wir bewusst eingegangen sind. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass das Regime dadurch auch mitbekommen hat, was wir tun. Unsere Einwahlnummern waren zum Beispiel aus Libyen gesperrt, aus Libyen konnte man diese Nummern nicht benutzen, aber ich halte den positiven Effekt, nämlich das Menschen wieder Online gehen können, für überwiegend gegenüber dem Risiko, dass auch Überwachungsbehörden zum Beispiel diese Nummern hätten benutzen können, da ja erst mal das unter unserer Kontrolle war – wir wussten, was wir tun –, und wir zumindest wussten, wenn jetzt gerade einer diese Leitungen benutzt, kann halt niemand anderes diese Leitungen benutzen, das wird nur schwer mit Überwachen oder Abhören sein. Das sind wir bewusst eingegangen, dieses Risiko.
Heise: Also in der Diskussion war es durchaus?
Urbach: Ja.
Heise: Sie haben also diese Hilfeleistung sozusagen gemacht von hier aus, eben unter bewusster Inkaufnahme der Gefahren, die da eventuell auch lauern. Auf welcher gesetzlicher Grundlage oder gegen welche gesetzliche Grundlage haben Sie da eigentlich gehandelt?
Urbach: Es gibt ...
Heise: Also weil wir ja vorher über eben Regulierungsmaßnahmen, eventuelle, gesprochen haben.
Urbach: Ja, es gibt keine gesetzliche Grundlage für das, was wir getan haben. Im Endeffekt haben wir einen Dienst angeboten, um es mal ganz klar zu sagen. Die ITU-Anträge sehen halt vor, wenn sie abgestimmt werden, ...
Heise: Jetzt in Dubai?
Urbach: ... in Dubai, dass das, was wir getan haben, ein Problem darstellt. Also momentan entscheiden wir als europäische Aktivisten, dass das nicht okay ist, wenn Syrien das Netz überwacht und arbeiten dagegen, und das ist erst mal okay. Wenn die Beschlüsse in Dubai durchkommen, wovon ja auch schon die ersten durchgegangen sind, dann sind wir an dem Punkt, wo das, was dort passiert, nämlich mit der Überwachung und der Zensur und auch dem Abschalten, völkerrechtlich legitimiert ist.
Und dann müsste das Land, in dem ich lebe, handeln und mich davon abhalten, so etwas zu tun. Ob das passieren wird, ist natürlich eine völlig andere Frage wieder. Aber erst mal ist es halt völkerrechtlich legitimiert, und das ist so ... ja, nein. Also eigentlich müssten wir - wir haben auf der einen Seite das Recht auf Internet in der UNO deklamiert bekommen, und auf der anderen Seite jetzt das Recht des Staates, es abzuschalten - es passt nicht zusammen.
Heise: Die Diskussion läuft ja noch. Stephan Urbach, Netzaktivist und Mitglied der Piratenpartei, zu hören im Deutschlandradio Kultur. Herr Urbach, mich interessieren noch andere Möglichkeiten, die es gibt, sich vor Netzabschaltungen zu schützen. In Berlin, in Wien, aber auch in anderen Großstädten meistens, gibt es sogenannte freie, offene Netze, Mesh-Netze, die sich der Kontrolle entziehen, weil quasi die Provider, die man abschalten könnte, ersetzt werden, indem jeder Nutzer sozusagen mit jedem kommuniziert. Ist so ein Netz beispielsweise auch in autoritären Staaten einsetzbar?
Urbach: Es gibt bereits die ersten Mesh-Netze in autoritären Staaten, ich weiß von den ersten Mesh-Netzen im Gazastreifen zum Beispiel - das ist im Endeffekt erst mal, was Netz betrifft, autoritär, ohne es weiter zu bewerten –, es gibt Mesh-Netze in Kasachstan, zum Beispiel, die halt zumindest lokal ein Netz aufbauen, sodass in Dörfern, in Städten, in Stadtteilen da zumindest eine Vernetzung stattfinden kann.
Entfernung über mehrere Städte hinweg ist theoretisch möglich, wird aber einfach noch nicht wirklich gemacht. Es ist halt immer noch, dass ich die Fähigkeit haben muss, meine Hardware so umzuprogrammieren, also neue Software draufzuspielen, die dieses Feature des Meshens unterstützt, und das ist halt noch nicht standardmäßig in den Routern drinnen, leider.
Heise: Man braucht ja auch beispielsweise Antennen oder so was. Das ist ja auch durchaus etwas, was auffällig ist, wogegen autoritäre Staaten vorgehen können.
Urbach: Ja, wenn ich über größere Entfernung funken möchte, brauche ich Antennen, ansonsten reichen die Antennen des Routers im Regelfall, um zum Beispiel mit einem Nachbar-Router zu verbinden und dadurch eine große Netzwolke entstehen zu lassen.
Heise: Und je größer die Wolke ist, desto mehr kann sie sich dann immer weiter vergrößern und sich eben der staatlichen Kontrolle sozusagen entziehen.
Urbach: Und vor allem, wenn ein Knoten wegfällt, ist das Netz nicht kaputt.
Heise: Das heißt also nicht unbedingt, ein freies Netz braucht eine freie Gesellschaft, sondern theoretisch gibt es die Möglichkeit schon, in nicht freien Gesellschaften.
Urbach: Ja, also ein freies Netz braucht vor allem mutige Menschen, die es bauen. Und die Hardware zum Beispiel, mit der es funktioniert, die wir also getestet wissen, dass sie funktioniert, ist in Ägypten verboten. Es gibt in Ägypten Regulierung für Funk-Hardware, und die meisten Router, auf denen Freifunk-Software läuft, oder diese Mesh-Software, die sind halt einfach verboten in Ägypten, und zwar schon seit Jahren. Also das ist jetzt auch nicht neu, das hat halt noch keiner geändert. Das Gesetz ist halt noch gültig.
Heise: Ja, und da würde man dann wieder innerhalb des Landes an Gesetzesgrenzen stoßen. Die USA unterstützen diese sogenannten Mesh-Netze, sie nennen das Ganze "Internet im Koffer", und so ein Koffer enthält dann eben tatsächlich eine Antenne, CDs, Handy, Laptop, damit kann man dann eben Netz aufbauen. Finden Sie so was sinnvoll, also so eine staatliche Unterstützung durch die USA?
Urbach: Ich finde es sinnvoll, dass es ein Projekt gibt, das Netz - sagen wir mal - in einen Koffer packt, und wo man dann das aufklappt und das sich dann halt verbindet mit anderen Koffern. Ich halte es für problematisch, dass es gerade die USA machen, denn die USA sind mit die, die auch ganz stark regulieren wollen das Netz.
Und es ist ja gebaut worden für Afghanistan, und es ist halt von Geheimdiensten entwickelt worden, vom Militär. Ich würde diesem Produkt nicht trauen, wenn ich in Afghanistan wäre, denn ich weiß nicht, welche Hintertüren da eingebaut worden sind.
Heise: Sie haben vorhin von der Haltung der EU gesprochen. Wie ist die Haltung der EU zu diesen Mesh-Netzen? Da gibt es ja auch Gelder.
Urbach: Da gibt es Forschungsgelder, es gibt Fördergelder, und auch da ist die EU nicht stringent in ihrem Handeln. Auf der einen Seite halt wollen sie solche Netze gefördert wissen, und auf der anderen Seite wird aber auch offen drüber diskutiert, ein Schengen-Internet zu bauen. Also das ist alles, das passt immer nicht zusammen - und halt Vorratsdatenspeicherungsdirektive, die nach wie vor gültig ist, was im Mesh-Netz überhaupt nicht möglich wäre, für zentrale Behörden, so was zu machen. Also das passt nicht, das ist nicht stringent, das passt nicht zusammen.
Heise: Versuche, die Netzzensur zu umgehen, und Versuche, diese Versuche wieder zu umgehen – Stephan Urbach, Netzaktivist und Mitglied der Piratenpartei, vielen Dank für Ihren Besuch hier!
Urbach: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Er hat Sorge, dass Netzzensur zunehmen würde, wenn es, wie in Dubai diskutiert, eine internationale Regulierungsbehörde in Sachen Internet gebe. Herr Urbach, ich grüße Sie ganz herzlich, schön, dass Sie unser Gast sind!
Stephan Urbach: Hallo!
Heise: Warum befürchten Sie von einer zentralen Internetkontrollstelle, angesiedelt zum Beispiel bei der UNO, derart drastische Folgen?
Urbach: Wenn wir uns angucken, wie die ITU in den letzten Jahren noch bei Telegrafenmasten angefangen reguliert hat, nämlich mit Grenzübertritten, dass dann Gebühren fällig werden, und auch, wenn wir uns die Anträge angucken, die vorliegen, um was es eigentlich genau geht – es geht eigentlich darum, dass vor allem Daten an den Grenzen abgefangen werden dürfen.
Die Russen möchten gerne, dass E-Mails, die durch Russland durchlaufen, gelesen werden dürfen von den Russen. Das ist problematisch alles, also momentan ist das Netz dezentral, es kann jeder dran teilnehmen, es kann eigentlich fast jeder Mensch, wenn er halt technisch in der Lage ist dazu, Dienste anbieten, und Regulierung macht uns das eigentlich kaputt.
Also dieser Wildwuchs, den wir ja kennen momentan, der sehr positiv fürs Netz ist, der würde halt eingeschränkt werden, und vor allem würden wir plötzlich Regeln bekommen unter Umständen, welche Daten in welches Land gelangen dürfen und welche nicht. Und das ist alles nicht schön.
Heise: Gleichzeitig könnte ich mir vorstellen, dass gerade die Macht, ausgeübt in Einzelstaaten, ja auch durch eine zwischenstaatliche oder supranationale Regulierungsbehörde vielleicht eingeschränkt werden könnte, denn da haben dann ja andere auch noch mitzureden.
Urbach: Ja, das klingt erst mal auf den ersten Blick so, ist aber nicht der Punkt. Der Iran hat einen Antrag gestellt, dass so was wie die Abschaltung des Netzes nach außen hin, dass das auch vollkommen folgerechtlich okay geht. Wir haben mittlerweile Bestrebung von vielen Staaten, wir hatten das sogar in der EU gehabt, das Netz nach außen hin abzuschotten, aus der jeweiligen Legislatur heraus, und das ist natürlich auch ein Problem.
Heise: Aus Sicherheitsgründen wahrscheinlich, wird dann wieder angeführt. Wenn wir uns die Realität anschauen, auch ohne - wie Sie sagen - Zentralisierung der Regulierung, es kommt ja zu Abschaltungen, eben von nationalen Netzen wie beispielsweise in Syrien oder auch Ägypten, wo Sie versucht haben mit den Telecomix, den Zugang zum Netz für User weiter zu erhalten. Wie funktioniert so was, wenn ein Netz national abgeschaltet wird, wie können Leute sich trotzdem im Internet bewegen?
Urbach: Also in Ägypten haben wir das mit der Technologie der 80er-Jahre gemacht, mit Modems. Wir haben einfach Modemeinwahlserver in Europa und weltweit aufgestellt und haben die Nummern nach Ägypten gefaxt, weil das Telefon hat noch funktioniert. Und dann konnten die Ägypterinnen und Ägypter mit ihren Modems sich auf diesen Rechnern einwählen, da hatte man Internet gehabt - halt sehr langsames, aber sie hatten welches.
Heise: Und zwar von ihren Staaten unabhängiges, von ihren Providern.
Urbach: Genau, von ihren Providern, weil das ging ja über unsere Provider im Endeffekt.
Heise: Sie mussten sie natürlich damit erst mal konfrontieren, Sie mussten ja erst mal Ansprechpartner finden. Ist es nicht diese Hilfe, die Sie da gegeben haben, hätte die nicht auch in falsche Hände geraten können, also beispielsweise auch die Zensurbehörden auf Lücken aufmerksam machen können?
Urbach: Das war ein Risiko, das wir bewusst eingegangen sind. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass das Regime dadurch auch mitbekommen hat, was wir tun. Unsere Einwahlnummern waren zum Beispiel aus Libyen gesperrt, aus Libyen konnte man diese Nummern nicht benutzen, aber ich halte den positiven Effekt, nämlich das Menschen wieder Online gehen können, für überwiegend gegenüber dem Risiko, dass auch Überwachungsbehörden zum Beispiel diese Nummern hätten benutzen können, da ja erst mal das unter unserer Kontrolle war – wir wussten, was wir tun –, und wir zumindest wussten, wenn jetzt gerade einer diese Leitungen benutzt, kann halt niemand anderes diese Leitungen benutzen, das wird nur schwer mit Überwachen oder Abhören sein. Das sind wir bewusst eingegangen, dieses Risiko.
Heise: Also in der Diskussion war es durchaus?
Urbach: Ja.
Heise: Sie haben also diese Hilfeleistung sozusagen gemacht von hier aus, eben unter bewusster Inkaufnahme der Gefahren, die da eventuell auch lauern. Auf welcher gesetzlicher Grundlage oder gegen welche gesetzliche Grundlage haben Sie da eigentlich gehandelt?
Urbach: Es gibt ...
Heise: Also weil wir ja vorher über eben Regulierungsmaßnahmen, eventuelle, gesprochen haben.
Urbach: Ja, es gibt keine gesetzliche Grundlage für das, was wir getan haben. Im Endeffekt haben wir einen Dienst angeboten, um es mal ganz klar zu sagen. Die ITU-Anträge sehen halt vor, wenn sie abgestimmt werden, ...
Heise: Jetzt in Dubai?
Urbach: ... in Dubai, dass das, was wir getan haben, ein Problem darstellt. Also momentan entscheiden wir als europäische Aktivisten, dass das nicht okay ist, wenn Syrien das Netz überwacht und arbeiten dagegen, und das ist erst mal okay. Wenn die Beschlüsse in Dubai durchkommen, wovon ja auch schon die ersten durchgegangen sind, dann sind wir an dem Punkt, wo das, was dort passiert, nämlich mit der Überwachung und der Zensur und auch dem Abschalten, völkerrechtlich legitimiert ist.
Und dann müsste das Land, in dem ich lebe, handeln und mich davon abhalten, so etwas zu tun. Ob das passieren wird, ist natürlich eine völlig andere Frage wieder. Aber erst mal ist es halt völkerrechtlich legitimiert, und das ist so ... ja, nein. Also eigentlich müssten wir - wir haben auf der einen Seite das Recht auf Internet in der UNO deklamiert bekommen, und auf der anderen Seite jetzt das Recht des Staates, es abzuschalten - es passt nicht zusammen.
Heise: Die Diskussion läuft ja noch. Stephan Urbach, Netzaktivist und Mitglied der Piratenpartei, zu hören im Deutschlandradio Kultur. Herr Urbach, mich interessieren noch andere Möglichkeiten, die es gibt, sich vor Netzabschaltungen zu schützen. In Berlin, in Wien, aber auch in anderen Großstädten meistens, gibt es sogenannte freie, offene Netze, Mesh-Netze, die sich der Kontrolle entziehen, weil quasi die Provider, die man abschalten könnte, ersetzt werden, indem jeder Nutzer sozusagen mit jedem kommuniziert. Ist so ein Netz beispielsweise auch in autoritären Staaten einsetzbar?
Urbach: Es gibt bereits die ersten Mesh-Netze in autoritären Staaten, ich weiß von den ersten Mesh-Netzen im Gazastreifen zum Beispiel - das ist im Endeffekt erst mal, was Netz betrifft, autoritär, ohne es weiter zu bewerten –, es gibt Mesh-Netze in Kasachstan, zum Beispiel, die halt zumindest lokal ein Netz aufbauen, sodass in Dörfern, in Städten, in Stadtteilen da zumindest eine Vernetzung stattfinden kann.
Entfernung über mehrere Städte hinweg ist theoretisch möglich, wird aber einfach noch nicht wirklich gemacht. Es ist halt immer noch, dass ich die Fähigkeit haben muss, meine Hardware so umzuprogrammieren, also neue Software draufzuspielen, die dieses Feature des Meshens unterstützt, und das ist halt noch nicht standardmäßig in den Routern drinnen, leider.
Heise: Man braucht ja auch beispielsweise Antennen oder so was. Das ist ja auch durchaus etwas, was auffällig ist, wogegen autoritäre Staaten vorgehen können.
Urbach: Ja, wenn ich über größere Entfernung funken möchte, brauche ich Antennen, ansonsten reichen die Antennen des Routers im Regelfall, um zum Beispiel mit einem Nachbar-Router zu verbinden und dadurch eine große Netzwolke entstehen zu lassen.
Heise: Und je größer die Wolke ist, desto mehr kann sie sich dann immer weiter vergrößern und sich eben der staatlichen Kontrolle sozusagen entziehen.
Urbach: Und vor allem, wenn ein Knoten wegfällt, ist das Netz nicht kaputt.
Heise: Das heißt also nicht unbedingt, ein freies Netz braucht eine freie Gesellschaft, sondern theoretisch gibt es die Möglichkeit schon, in nicht freien Gesellschaften.
Urbach: Ja, also ein freies Netz braucht vor allem mutige Menschen, die es bauen. Und die Hardware zum Beispiel, mit der es funktioniert, die wir also getestet wissen, dass sie funktioniert, ist in Ägypten verboten. Es gibt in Ägypten Regulierung für Funk-Hardware, und die meisten Router, auf denen Freifunk-Software läuft, oder diese Mesh-Software, die sind halt einfach verboten in Ägypten, und zwar schon seit Jahren. Also das ist jetzt auch nicht neu, das hat halt noch keiner geändert. Das Gesetz ist halt noch gültig.
Heise: Ja, und da würde man dann wieder innerhalb des Landes an Gesetzesgrenzen stoßen. Die USA unterstützen diese sogenannten Mesh-Netze, sie nennen das Ganze "Internet im Koffer", und so ein Koffer enthält dann eben tatsächlich eine Antenne, CDs, Handy, Laptop, damit kann man dann eben Netz aufbauen. Finden Sie so was sinnvoll, also so eine staatliche Unterstützung durch die USA?
Urbach: Ich finde es sinnvoll, dass es ein Projekt gibt, das Netz - sagen wir mal - in einen Koffer packt, und wo man dann das aufklappt und das sich dann halt verbindet mit anderen Koffern. Ich halte es für problematisch, dass es gerade die USA machen, denn die USA sind mit die, die auch ganz stark regulieren wollen das Netz.
Und es ist ja gebaut worden für Afghanistan, und es ist halt von Geheimdiensten entwickelt worden, vom Militär. Ich würde diesem Produkt nicht trauen, wenn ich in Afghanistan wäre, denn ich weiß nicht, welche Hintertüren da eingebaut worden sind.
Heise: Sie haben vorhin von der Haltung der EU gesprochen. Wie ist die Haltung der EU zu diesen Mesh-Netzen? Da gibt es ja auch Gelder.
Urbach: Da gibt es Forschungsgelder, es gibt Fördergelder, und auch da ist die EU nicht stringent in ihrem Handeln. Auf der einen Seite halt wollen sie solche Netze gefördert wissen, und auf der anderen Seite wird aber auch offen drüber diskutiert, ein Schengen-Internet zu bauen. Also das ist alles, das passt immer nicht zusammen - und halt Vorratsdatenspeicherungsdirektive, die nach wie vor gültig ist, was im Mesh-Netz überhaupt nicht möglich wäre, für zentrale Behörden, so was zu machen. Also das passt nicht, das ist nicht stringent, das passt nicht zusammen.
Heise: Versuche, die Netzzensur zu umgehen, und Versuche, diese Versuche wieder zu umgehen – Stephan Urbach, Netzaktivist und Mitglied der Piratenpartei, vielen Dank für Ihren Besuch hier!
Urbach: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.