"Reich-Ranicki ist ohne die Gruppe 47 gar nicht vorstellbar"
Die Rolle des Kritikers hat der Literaturexperte Helmut Böttiger als "deutsche Spezialität" bezeichnet. "Es war eine Kritikerriege, die sich dann plötzlich als Kritiker auch offensiv positionierten", sagte Böttiger über die Geschichte der "Gruppe 47". Auch öffentliche Lesungen von Autoren gebe es als Ritual nur in Deutschland. "Das hat die Gruppe 47 erfunden", ergänzte Böttiger, selbst Kritiker.
Liane von Billerbeck: Im Studio ist jetzt der Literaturkritiker Helmut Böttiger. Mit ihm wollen wir über die erste deutsche Literatur-Nationalmannschaft sprechen. Das ist eine Formulierung von ihm, die "Gruppe 47", 60 Jahre nach ihrer Gründung. Helmut Böttiger, wie kam es eigentlich zu dem Namen?
Helmut Böttiger: Der Name ist reiner Zufall. Es wurde ja schon gesagt, dass man gar nicht ahnte, dass das zu einer literarischen Institution werden würde. Die Nachkriegsgeneration hat sich 1947 getroffen, um sich selbst zu verständigen, was man eigentlich will, wer man eigentlich ist. Man war jung und völlig unbekannt.
Und es sollte überhaupt keine feste Vereinigung daraus entstehen. Und weil dieses Treffen am Bannwaldsee in Füssen im September 1947 so erfolgreich war, die zehn, zwölf Leute, die daran teilnahmen, die meisten kennt man heute gar nicht mehr, die fanden das so toll, dass man miteinander sprach, dass man sich Texte gegenseitig vorlas und darüber diskutierte, dass man das einfach fortsetzen wollte.
Und irgendeiner hat dann gesagt, komm Hans-Werner Richter, wir brauchen doch dafür dann auch einen Namen, wenn wir uns öfters treffen. Und Hans-Werner Richter wollte keinen Namen, er wollte keine festen Strukturen, er wollte ein Werkstattgespräch, völlig losgelöst von Institutionen, Organisationen. Und dann haben sie sich darauf geeinigt, dann nennen wir es einfach "Gruppe 47", das ist so neutral wie nur irgend möglich.
Billerbeck: Wie wurde man denn nun "Mitglied" der "Gruppe 47", musste man vorgeschlagen werden, konnte man sich bewerben?
Böttiger: Man wurde Mitglied dadurch, dass Hans-Werner Richter eine Postkarte an einen schickte und dort eine Einladung zu einem Treffen aussprach. Die fanden am Anfang zweimal im Jahr statt, aber dann, in der großen Erfolgszeit ab Ende der 50er Jahre, nur einmal im Jahr an drei Tagen. Und Mitglied war, wer dafür eingeladen wurde per Postkarte.
Billerbeck: So einfach geht das. Was verband denn nun die Gründer der "Gruppe 47"?
Böttiger: 1947 waren das junge, unbekannte Leute, die meistens aus dem deutschen Schützengraben kamen, wie Günter Grass jetzt ja sehr durch die Medien gegangen ist als SS-Mitglied Ende 1944. Das waren die 16-, 17-Jährigen meistens, die in den letzten Kriegsjahren eben eingezogen worden waren und dann nach 1945 nach einer neuen Identität suchten.
Sie fühlen sich als Opfer in erster Linie dieses Kriegs, in den sie hineingezwängt wurden, und nicht als Angehörige der Nation, die den Krieg angefangen hat. Sie fühlten sich als Opfer und wollten sich selbst verständigen. Und wuchsen dann dadurch in die Adenauer-Gesellschaft hinein, wo sie sich auch als Opfer fühlten, weil die alten Nazi-Chargen ja noch in den Institutionen saßen. So entwickelte sich eine politische Aktivität, eine Art Opposition in der Adenauer-Gesellschaft.
Billerbeck: Nun ist das ja eine große Gruppe von Leuten, die normalerweise zu Hause sitzen und am Schreibtisch etwas vor sich hin produzieren. Und dann treffen die aufeinander, das riecht doch geradezu nach Konflikt.
Böttiger: Das war dann in den späteren Jahren zwar, aber am Anfang war dieser Zusammenhalt sehr stark, diese gemeinsamen Erfahrungen - Heinz Friedrich, der spätere dtv-Verleger hat gesagt, wir waren hinausgespieen worden als 17-, 18-Jährige und mussten uns selber finden. - Und diese gemeinsame Lanzer-Erfahrung, die trug die ersten Jahre sehr stark. Und das ist gleichzeitig auch etwas Problematisches, weil der junge Paul Celan kam 1953 zur "Gruppe 47" und wurde überhaupt nicht verstanden, weil er natürlich ganz andere Erfahrungen hatte als diese Lanzer-Generation.
Aber dieses Selbstverständnis, dass man gemeinsam im Krieg war als Jungen und völlig unschuldig in die Zeitgeschichte hineinkatapultiert wurde, das trug eine Zeit lang, und es trug auch die gemeinsame Opposition gegen die Restauration unter Adenauer. Erst in den 60er Jahren und vor allem im Vorfeld der 68er-Bewegung kam es zu Konflikten, weil natürlich eine neue Generation nachrückte.
Und es ist eine große Leistung, wenn man das im Rückblick sieht, dass das immerhin 20 Jahre lang so ging, nach diesen Anfängen 1947, dass die nächste Generation und auch die übernächste Generation da integriert werden konnte. Und erst im Vorfeld der 68er-Bewegung, als die Bundesrepublik tatsächlich ein anderer Staat wurde und Adenauer abgelöst wurde atmosphärisch, da musste zwangsläufig auch diese Gruppe zerbrechen.
Billerbeck: Ulrike Meinhof, habe ich gelesen, hat ja der "Gruppe 47" Elitenbildung vorgeworfen, also genau in diesem Vorfeld der 68er-Bewegung. Wie sind die damit umgegangen mit dieser Kritik?
Böttiger: Nun, Hans-Werner Richter war eigentlich immer ein redlicher Sozialdemokrat, vor allem ein Funktionär, ein Organisator. Er war weniger ein Schriftsteller, obwohl er sich am Anfang darin versucht hat, aber seine Romane hatten eigentlichen keinen großen Erfolg. Er war ein Organisator, der gesellschaftliche Dinge im Blickfeld hatte.
Und diese sozialdemokratische, moralische Grundhaltung prägte die Gruppe, und das war für die Schriftsteller in der Adenauer-Zeit tatsächlich ein Konsens. Dann brach etwas auf in den 60er-Jahren, die junge Generation konnte mit diesem reformistischen, moralischen, sozialdemokratischen Modell nicht richtig umgehen. Und man hat ja später diese Revoluzzerhaftigkeit auch sehr belächelt. Aber die 20-Jährigen Mitte der 60er Jahre konnten mit diesen Leuten, die vom Krieg geprägt waren und doch sehr moralisch waren, nichts anfangen, ein typischer Generationenkonflikt.
Und da gibt es auch durchaus sehr richtige Sätze von Günter Grass im Vorfeld der 68er-Bewegung, dass er das schon eher als eine revoluzzerhafte Jugendbewegung auch eingeschätzt hat. Da kann man lange drüber diskutieren. Jedenfalls da brach dann ein Generationenkonflikt auf. Die Spannungen wurden dann politisch ausgetragen, nicht literarisch.
Billerbeck: Grass hat sich ja sehr für Willy Brandt und für die SPD engagiert. Wie ist das gespiegelt worden in der "Gruppe 47"?
Böttiger: Hans-Werner Richter, der große Zusammenführer dieser ganzen Schriftsteller, der war eindeutig auf dieser politischen Ebene, und Grass war mehr oder weniger sein Schüler. Grass hat sehr viel von Hans-Werner Richter gelernt, auch in Bezug auf seine spätere Schriftstellerkarriere, dass man gezielt die Öffentlichkeit einsetzen muss, gezielt auf die Medien zugehen muss.
Das ist alles die Schule der "Gruppe 47". Und diese gemeinsame Haltung entwickelte sich auch in der Solidarität mit Willy Brandt und der Sozialdemokratie gegen den CDU-Staat unter Adenauer. Das war natürlich eine absolute Verbindung und - es wurde ja jetzt schon öfters gesagt - 1968 trug dieser Konsens nicht mehr. Aber die "Gruppe 47" kann man von ihren Gründervätern und von ihrer beherrschenden Generation durchaus als eine Gruppierung bezeichnen, die sehr nahe bei Willy Brandt war und ihn im Zweifelsfall natürlich immer gewählt hat.
Billerbeck: Das, was Sie erzählt haben, so der Versuch, auch in den Medien bekannt zu werden, klingt ein bisschen so, als hätten die die Event-Kultur, die dem Literaturbetrieb heutzutage vorgeworfen wird, quasi erfunden.
Böttiger: Das kann man so sagen. Die Kritik in der "Gruppe 47" ist etwas ganz Spezielles. Das ist auch eine Form, die es so nur in der Bundesrepublik gegeben hat durch die "Gruppe 47", diese Rolle des Kritikers, die von Hans-Werner Richter gar nicht gewollt wurde, es sollte ein Gespräch unter Schriftstellern sein. Aber es war unvermeidlich, da man mit den Medien zusammenarbeiten wollte, dass die Kritiker plötzlich auftauchten.
Und es war eine Kritikerriege, die sich dann plötzlich als Kritiker auch offensiv positionierten. Und diese Profilierung des Kritikers ist eine deutsche Spezialität. Auch die Form der öffentlichen Lesungen, die gibt es, das weiß man gar nicht, so allgemein eigentlich nur in Deutschland, dass das ein Ritual ist, Lesungen des Schriftstellers gegen Honorar, Lesereisen und diese Diskussion mit Kritikern. Das hat die "Gruppe 47" erfunden. Und jemand wie Reich-Ranicki ist ohne die "Gruppe 47" gar nicht vorstellbar.
Billerbeck: Günter Grass hat es ja noch mal versucht mit so einer Gruppe, er nannte die "Lübeck 05", also die ist im Jahr 2005 gegründet. Frage an Sie: Wäre eine solche Gruppe mit einem solchen Einfluss wie die "Gruppe 47" heute noch denkbar?
Böttiger: Das ist unter den jetzigen aktuellen Bedingungen natürlich gar nicht mehr möglich. Damals genügte es, dreimal drei Tage im Jahr zusammenzukommen, um die literarische Öffentlichkeit zu symbolisieren. Heute ist der Literaturbetrieb absolut ausdifferenziert. Viele Tagungen, Preise, Events - da ist diese Zentrierung auf die einzige monopolitische Bedeutung gar nicht mehr denkbar.
Billerbeck: Die erste deutsche Literatur-Nationalmannschaft, die "Gruppe 47" wurde vor 60 Jahren gegründet. Wir sprachen darüber mit dem Literaturkritiker Helmut Böttiger. Ich danke Ihnen.
Helmut Böttiger: Der Name ist reiner Zufall. Es wurde ja schon gesagt, dass man gar nicht ahnte, dass das zu einer literarischen Institution werden würde. Die Nachkriegsgeneration hat sich 1947 getroffen, um sich selbst zu verständigen, was man eigentlich will, wer man eigentlich ist. Man war jung und völlig unbekannt.
Und es sollte überhaupt keine feste Vereinigung daraus entstehen. Und weil dieses Treffen am Bannwaldsee in Füssen im September 1947 so erfolgreich war, die zehn, zwölf Leute, die daran teilnahmen, die meisten kennt man heute gar nicht mehr, die fanden das so toll, dass man miteinander sprach, dass man sich Texte gegenseitig vorlas und darüber diskutierte, dass man das einfach fortsetzen wollte.
Und irgendeiner hat dann gesagt, komm Hans-Werner Richter, wir brauchen doch dafür dann auch einen Namen, wenn wir uns öfters treffen. Und Hans-Werner Richter wollte keinen Namen, er wollte keine festen Strukturen, er wollte ein Werkstattgespräch, völlig losgelöst von Institutionen, Organisationen. Und dann haben sie sich darauf geeinigt, dann nennen wir es einfach "Gruppe 47", das ist so neutral wie nur irgend möglich.
Billerbeck: Wie wurde man denn nun "Mitglied" der "Gruppe 47", musste man vorgeschlagen werden, konnte man sich bewerben?
Böttiger: Man wurde Mitglied dadurch, dass Hans-Werner Richter eine Postkarte an einen schickte und dort eine Einladung zu einem Treffen aussprach. Die fanden am Anfang zweimal im Jahr statt, aber dann, in der großen Erfolgszeit ab Ende der 50er Jahre, nur einmal im Jahr an drei Tagen. Und Mitglied war, wer dafür eingeladen wurde per Postkarte.
Billerbeck: So einfach geht das. Was verband denn nun die Gründer der "Gruppe 47"?
Böttiger: 1947 waren das junge, unbekannte Leute, die meistens aus dem deutschen Schützengraben kamen, wie Günter Grass jetzt ja sehr durch die Medien gegangen ist als SS-Mitglied Ende 1944. Das waren die 16-, 17-Jährigen meistens, die in den letzten Kriegsjahren eben eingezogen worden waren und dann nach 1945 nach einer neuen Identität suchten.
Sie fühlen sich als Opfer in erster Linie dieses Kriegs, in den sie hineingezwängt wurden, und nicht als Angehörige der Nation, die den Krieg angefangen hat. Sie fühlten sich als Opfer und wollten sich selbst verständigen. Und wuchsen dann dadurch in die Adenauer-Gesellschaft hinein, wo sie sich auch als Opfer fühlten, weil die alten Nazi-Chargen ja noch in den Institutionen saßen. So entwickelte sich eine politische Aktivität, eine Art Opposition in der Adenauer-Gesellschaft.
Billerbeck: Nun ist das ja eine große Gruppe von Leuten, die normalerweise zu Hause sitzen und am Schreibtisch etwas vor sich hin produzieren. Und dann treffen die aufeinander, das riecht doch geradezu nach Konflikt.
Böttiger: Das war dann in den späteren Jahren zwar, aber am Anfang war dieser Zusammenhalt sehr stark, diese gemeinsamen Erfahrungen - Heinz Friedrich, der spätere dtv-Verleger hat gesagt, wir waren hinausgespieen worden als 17-, 18-Jährige und mussten uns selber finden. - Und diese gemeinsame Lanzer-Erfahrung, die trug die ersten Jahre sehr stark. Und das ist gleichzeitig auch etwas Problematisches, weil der junge Paul Celan kam 1953 zur "Gruppe 47" und wurde überhaupt nicht verstanden, weil er natürlich ganz andere Erfahrungen hatte als diese Lanzer-Generation.
Aber dieses Selbstverständnis, dass man gemeinsam im Krieg war als Jungen und völlig unschuldig in die Zeitgeschichte hineinkatapultiert wurde, das trug eine Zeit lang, und es trug auch die gemeinsame Opposition gegen die Restauration unter Adenauer. Erst in den 60er Jahren und vor allem im Vorfeld der 68er-Bewegung kam es zu Konflikten, weil natürlich eine neue Generation nachrückte.
Und es ist eine große Leistung, wenn man das im Rückblick sieht, dass das immerhin 20 Jahre lang so ging, nach diesen Anfängen 1947, dass die nächste Generation und auch die übernächste Generation da integriert werden konnte. Und erst im Vorfeld der 68er-Bewegung, als die Bundesrepublik tatsächlich ein anderer Staat wurde und Adenauer abgelöst wurde atmosphärisch, da musste zwangsläufig auch diese Gruppe zerbrechen.
Billerbeck: Ulrike Meinhof, habe ich gelesen, hat ja der "Gruppe 47" Elitenbildung vorgeworfen, also genau in diesem Vorfeld der 68er-Bewegung. Wie sind die damit umgegangen mit dieser Kritik?
Böttiger: Nun, Hans-Werner Richter war eigentlich immer ein redlicher Sozialdemokrat, vor allem ein Funktionär, ein Organisator. Er war weniger ein Schriftsteller, obwohl er sich am Anfang darin versucht hat, aber seine Romane hatten eigentlichen keinen großen Erfolg. Er war ein Organisator, der gesellschaftliche Dinge im Blickfeld hatte.
Und diese sozialdemokratische, moralische Grundhaltung prägte die Gruppe, und das war für die Schriftsteller in der Adenauer-Zeit tatsächlich ein Konsens. Dann brach etwas auf in den 60er-Jahren, die junge Generation konnte mit diesem reformistischen, moralischen, sozialdemokratischen Modell nicht richtig umgehen. Und man hat ja später diese Revoluzzerhaftigkeit auch sehr belächelt. Aber die 20-Jährigen Mitte der 60er Jahre konnten mit diesen Leuten, die vom Krieg geprägt waren und doch sehr moralisch waren, nichts anfangen, ein typischer Generationenkonflikt.
Und da gibt es auch durchaus sehr richtige Sätze von Günter Grass im Vorfeld der 68er-Bewegung, dass er das schon eher als eine revoluzzerhafte Jugendbewegung auch eingeschätzt hat. Da kann man lange drüber diskutieren. Jedenfalls da brach dann ein Generationenkonflikt auf. Die Spannungen wurden dann politisch ausgetragen, nicht literarisch.
Billerbeck: Grass hat sich ja sehr für Willy Brandt und für die SPD engagiert. Wie ist das gespiegelt worden in der "Gruppe 47"?
Böttiger: Hans-Werner Richter, der große Zusammenführer dieser ganzen Schriftsteller, der war eindeutig auf dieser politischen Ebene, und Grass war mehr oder weniger sein Schüler. Grass hat sehr viel von Hans-Werner Richter gelernt, auch in Bezug auf seine spätere Schriftstellerkarriere, dass man gezielt die Öffentlichkeit einsetzen muss, gezielt auf die Medien zugehen muss.
Das ist alles die Schule der "Gruppe 47". Und diese gemeinsame Haltung entwickelte sich auch in der Solidarität mit Willy Brandt und der Sozialdemokratie gegen den CDU-Staat unter Adenauer. Das war natürlich eine absolute Verbindung und - es wurde ja jetzt schon öfters gesagt - 1968 trug dieser Konsens nicht mehr. Aber die "Gruppe 47" kann man von ihren Gründervätern und von ihrer beherrschenden Generation durchaus als eine Gruppierung bezeichnen, die sehr nahe bei Willy Brandt war und ihn im Zweifelsfall natürlich immer gewählt hat.
Billerbeck: Das, was Sie erzählt haben, so der Versuch, auch in den Medien bekannt zu werden, klingt ein bisschen so, als hätten die die Event-Kultur, die dem Literaturbetrieb heutzutage vorgeworfen wird, quasi erfunden.
Böttiger: Das kann man so sagen. Die Kritik in der "Gruppe 47" ist etwas ganz Spezielles. Das ist auch eine Form, die es so nur in der Bundesrepublik gegeben hat durch die "Gruppe 47", diese Rolle des Kritikers, die von Hans-Werner Richter gar nicht gewollt wurde, es sollte ein Gespräch unter Schriftstellern sein. Aber es war unvermeidlich, da man mit den Medien zusammenarbeiten wollte, dass die Kritiker plötzlich auftauchten.
Und es war eine Kritikerriege, die sich dann plötzlich als Kritiker auch offensiv positionierten. Und diese Profilierung des Kritikers ist eine deutsche Spezialität. Auch die Form der öffentlichen Lesungen, die gibt es, das weiß man gar nicht, so allgemein eigentlich nur in Deutschland, dass das ein Ritual ist, Lesungen des Schriftstellers gegen Honorar, Lesereisen und diese Diskussion mit Kritikern. Das hat die "Gruppe 47" erfunden. Und jemand wie Reich-Ranicki ist ohne die "Gruppe 47" gar nicht vorstellbar.
Billerbeck: Günter Grass hat es ja noch mal versucht mit so einer Gruppe, er nannte die "Lübeck 05", also die ist im Jahr 2005 gegründet. Frage an Sie: Wäre eine solche Gruppe mit einem solchen Einfluss wie die "Gruppe 47" heute noch denkbar?
Böttiger: Das ist unter den jetzigen aktuellen Bedingungen natürlich gar nicht mehr möglich. Damals genügte es, dreimal drei Tage im Jahr zusammenzukommen, um die literarische Öffentlichkeit zu symbolisieren. Heute ist der Literaturbetrieb absolut ausdifferenziert. Viele Tagungen, Preise, Events - da ist diese Zentrierung auf die einzige monopolitische Bedeutung gar nicht mehr denkbar.
Billerbeck: Die erste deutsche Literatur-Nationalmannschaft, die "Gruppe 47" wurde vor 60 Jahren gegründet. Wir sprachen darüber mit dem Literaturkritiker Helmut Böttiger. Ich danke Ihnen.