Die anhaltende Migration aus Guatemala, Honduras und El Salvador ist zum Schreckgespenst für die USA geworden. Dabei sind die Fluchtursachen seit Jahrzehnten die gleichen. In ihrem Mittelamerika-Schwerpunkt berichtet die "Weltzeit" über die aktuelle Lage, schildert Einzelschicksale und beleuchtet historische Entwicklungen und Abhängigkeiten. Hier die weiteren Sendungen:
Von Guatemala Richtung USA – Keine Ankunft, keine Wiederkehr
Dauerkrise in Honduras – Korruption, Kokain und Klimawandel
US-Politik in Mittelamerika – Außer Spesen nichts gewesen
Mit Bitcoins gegen Ungleichheit
25:45 Minuten
In El Salvador kontrollieren einige Familien das ganze Land, so wie in Kolonialzeiten. Der Rest lebt in Armut, fürchtet sich vor der Gewalt der Mara-Banden. Dass Präsident Nayib Bukele auf Bitcoin als Zahlungsmittel setzt, ist höchst umstritten.
Eduardo Barahona arbeitet als Clown. Wenn er Grimassen schneidet mit seinem großen Mund, den buschigen Augenbrauen, mit der obligatorischen roten Plastiknase und seinem knallgelben Hemd mit den dicken Knöpfen, dann lachen seine Gegenüber schon, bevor er überhaupt den ersten Spruch gerissen hat.
Auch ohne Verkleidung wirkt der attraktive junge Mann mit den großen, leuchtenden Augen und einnehmendem Wesen wie eine unerschütterliche Frohnatur. Selbst, wenn er von seiner Geschichte erzählt, seiner Jugend in den Barrios, den ärmeren Vierteln von El Salvadors Hauptstadt San Salvador - und wie das mit der Bandenkriminalität über die Jahre immer schlimmer wurde.
"Ich habe das Haus mit zwei Bandenmitgliedern geteilt, einer war von der Mara Salvatrucha, einer von der Mara 18. Das war lustig, wir hatten einen der ganz wenigen Farbfernseher im Barrio. Die Banden wurden damals noch nicht als Gefahr angesehen! Die hatten ihre Rivalitäten, die haben sie aber noch mittels Breakdance ausgefochten", erzählt er.
"Meine Mitbewohner haben zusammen Telenovelas geschaut, da haben sie sich auch heftig gestritten, aber am nächsten Tag saßen sie wieder brav zusammen vor dem Fernseher. Ich hätte damals wirklich nicht gedacht, dass das mit den Maras so ernst werden würde."
Jeder hundertste Einwohner ist bei Mara-Banden
Es wurde nicht nur ernst, sondern lebensgefährlich. 2015 stellte das kleine mittelamerikanische Land einen schockierenden Weltrekord auf: 105 Morde pro hunderttausend Einwohner im Jahr. Im Fokus: die Jugendbanden. Großflächig tätowierte junge Männer terrorisierten Stadtviertel und Dörfer. Maras heißen diese Banden, die bekanntesten heißen Mara Salvatrucha und Mara 18.
Entstanden sind die Banden in den Auswanderergettos von Los Angeles, durch Abschiebungen sind sie nach El Salvador gekommen und dann schnell gewachsen. Rund 65.000 Mitglieder sollen die Maras heute haben, das wäre etwa jeder hundertste Einwohner des Landes.
Wo nur eine Bande herrscht, werden Drogen verkauft, es wird großflächig Schutzgeld erpresst und Familien, die nicht mitziehen, werden eingeschüchtert. Dort, wo es Gebietskämpfe gibt, gibt es auch Tote. Nicht nur unter den Maras, sondern auch viele Unbeteiligte haben in den Bandenkriegen ihr Leben gelassen.
Eduardo erinnert sich an den ersten Überfall, den er erlebt hat. "Ich war mal wieder joggen. Da hat mich ein Typ angehalten und meinen Personalausweis verlangt. Ein Motorrad stoppte neben mir und es kamen mehr Typen dazu. Die sind über mich hergefallen, das ging alles sehr schnell, ich dachte, ich sterbe jetzt", erinnert er sich.
"Sie haben mich die Treppen tief rein in die Siedlung geschleppt. Irgendwann habe ich mich losgerissen und bin durchs halbe Barrio gerannt, die mir auf den Fersen, bis ich in einen Abwasserkanal gesprungen bin. Da habe ich mich versteckt und gewartet, bis die Luft rein war. Ich hatte totale Angst, habe aber mein Leben im Barrio normal weitergelebt. Das war das erste Mal."
"Der Staat treibt Menschen in diese Welt der Banden"
Es folgten weitere Male. Überfälle, Drohungen, Diebstähle. Mehrfach musste Eduardo wegziehen, hat oft bei Freunden auf dem Sofa und einige Male auf der Straße geschlafen. Schließlich hat er mit viel Glück eine bezahlbare Wohnung in einem anderen Viertel gefunden.
Aber auch hier gab es die gleichen Probleme. Eduardo ist nicht auf die schiefe Bahn geraten, ist nie Mitglied einer Gang geworden, so wie seine ehemaligen Mitbewohner und wie so viele andere Jugendliche in den Barrios. Seine Arbeit als Clown hat ihm Halt gegeben.
Als Kind sei er schon hyperaktiv gewesen, erzählt er, habe seine überbordende Energie in Rollen ausgelebt, Verkleidungen kreiert, geschauspielert, jongliert. Damit ließ sich sogar Geld verdienen: Zunächst an Verkehrskreuzungen, wo er Autofahrer gegen eine Spende einen Moment zum Lachen gebracht hat. Später und nach diversen Kursen folgten besser bezahlte Vorstellungen und Workshops.
"Der Clown hat mich vor dem Absturz bewahrt. Ich habe Jobs in Gemeindezentren bekommen und mit Kindern gearbeitet, da waren auch Kinder von Bandenmitgliedern dabei! Mit Kindern der Leute also, die mich aus meinem Haus vertrieben haben. Das hat wirklich was bewirkt: Ein Vater kam zu mir und bedankte sich mit Tränen in den Augen: Er wolle nicht, dass seine Kinder so enden wie er! Das hat mich sehr berührt", erzählt Eduardo.
"Und es hat mir geholfen, meine eigenen Erfahrungen zu verarbeiten und zu heilen. Natürlich habe ich die Banden gehasst. Aber dann wurde mir klar: Das ist auch nur eine Folge dessen, was der Staat und die Mächtigen mit der Gesellschaft machen. Der Staat nimmt dir so viele Chancen. Er treibt viele Menschen fast in diese Welt der Banden."
Trotzdem bleibt die Frage: Wieso gibt so große Gewalt in so einem kleinen Land?
Carlos sitzt wegen dreifachen Mordes eine Strafe von 81 Jahren im Hochsicherheitsgefängnis Ciudad Barrios ab. Der kahlgeschorene 40-Jährige gab der ARD vor drei Jahren ein Interview. Schon damals war er so etwas wie der Alterspräsident im Knast.
"Die jungen Leute schließen sich den Maras an, weil der Staat keine Mittel für sie hat. Er gibt nichts für ihre Bildung aus. Viele sehen in der Bande die Möglichkeit, sich Kleidung und Schuhe zu kaufen, leben zu können", sagt er.
"In unserem Land gehen die Kinder lieber arbeiten als zur Schule, um ihre Familien zu unterstützen. Wer sich einer Bande anschließt, kann sein Geld viel leichter verdienen. Denn unsere Banden kontrollieren die Viertel und wer mitmacht, kann auch mitentscheiden."
Seit 1992 dominieren zwei Parteien das Land
Die Gewalt in El Salvador lässt sich nicht nur durch die Maras erklären. Die Gründe liegen viel weiter zurück, glaubt die soziale Aktivistin und Feministin Morena Herrera.
"Unsere gesamte Geschichte ist durch eine fortwährende Konfrontation gekennzeichnet: Der Reichtum des Landes konzentriert sich in den Händen von ganz wenigen. Auf der anderen Seite steht eine Gesellschaft, die in weiten Teilen verarmt ist", erklärt sie.
"Der Mangel an echten Alternativen vor allem für junge Menschen hat in den letzten Jahren zu skandalösen Gewalttaten geführt. Hier herrschen der Neoliberalismus, eine patriarchalische Kultur und ein extremer Individualismus. So konnten Morde, auch Frauenmorde, also Femizide, derartig zunehmen. Gewalt wurde zur Normalität, sogar innerhalb von Familien.
Nach Jahrzehnten der Herrschaft von Militärdiktaturen und unterdrückter Freiheiten durchlitt El Salvador in den 1980er-Jahren einen blutigen Bürgerkrieg. 1992 kam dann endlich der Friedensschluss. Seither dominierten zwei Parteien die salvadorianische Politik: Die stramm rechte ARENA und die zur Partei gewandelte ehemalige Guerilla FMLN.
Aber aus dem politischen Frieden wurde nie ein sozialer Frieden, sagt die Journalistin Angélica Carmaco, aktuell Präsidentin der salvadorianischen Journalistenvereinigung APES.
Folgen einer "Politik der harten Hand"
"Die Gewalt ist seit dem Ende des Bürgerkrieges das Produkt einer Politik, die sich nie um die Ungleichheit gekümmert hat. Die Banden, der Drogenhandel, all das hat mit der Armut zu tun und damit, dass es keine langfristigen politischen Strategien gegen Armut und Gewalt gab", kritisiert sie.
"Vor allem unter den rechten ARENA-Regierungen gab es nur die Politik der harten Hand, das Militär wurde entgegen der Verfassung immer wieder im Inneren eingesetzt. Der Krieg zwischen Banden und Sicherheitskräften heizte sich dadurch immer weiter an."
Die Angst vor den Banden und die Perspektivlosigkeit in einem Land, in dem fast die Hälfte der Menschen unter der Armutsgrenze leben, all das hat viele aus dem Land getrieben. Fast eineinhalb Millionen Salvadoranerinnen und Salvadoraner sind allein seit Ende des Bürgerkriegs in die USA migriert. Das hat Familien auseinandergerissen, auch auf äußerst tragische Weise.
"Meine Tochter wollte in die USA"
Eine Fahrtstunde nördlich der Hauptstadt San Salvador ist El Salvador ländlich geprägt. Das Dorf San Luís del Carmen ist ein kleines kommerzielles Zentrum für die umliegenden Weiler und Fincas. Es gibt ein paar Geschäfte, aber viel mehr Arbeitsmöglichkeiten gibt es nicht.
Ana María Ramírez Recino verließ San Luís del Carmen und El Salvador am 24. April 2007. Ihr Mutter, Yolanda Rámirez, erinnert sich: "Meine Tochter Ana María wollte in die USA. Mit einem Coyoten, einem Schlepper. Sie ließen sie irgendwo zurück. Sie rief mich noch einmal an, danach haben wir nichts mehr von ihr gehört. Meine Tochter ist nicht tot!, sonst hätten sie mir längst die schreckliche Nachricht überbracht. Ich träume von ihr. Dass sie gefangen gehalten wird und leidet. Sie sagt mir dann: Mama, unternimm etwas!"
Yolanda Ramírez klammert sich an die Hoffnung, dass ihre Tochter noch am Leben ist. Auf ihrer kleinen Veranda klampft sie mit roter Bluse und Cowboyhut auf ihrer Gitarre und stimmt eine traurige, traditionelle Ranchera an.
"Meine Tochter ist ein sehr fröhlicher, zufriedener Mensch. Sie ist nicht geflohen. Sie hatte Talent und studierte. Aber leider bietet unsere Regierung hier in El Salvador den jungen Leuten nicht viel Arbeit. Sie hat nur wenig verdient. Hier in El Salvador muss so viel getan werden."
Die Wahl eines unkonventionellen Präsidenten
Die Gewalt und die Perspektivlosigkeit sind gewichtige Gründe dafür, dass El Salvador Anfang 2019, nach fast 30 Jahren Zweiparteienherrschaft, genug hatte – und einen jungen, unkonventionellen Typ zum Präsidenten wählte. Nayib Bukele, damals gerade 37 Jahre alt, palästinensischer Abstammung, beliebter Hauptstadtbürgermeister.
Schon im ersten Wahlgang wurde er gewählt. Und Bukele beginnt vielversprechend. Er gründet eine internationale Kommission gegen Korruption und Straflosigkeit in El Salvador, kritisiert die linkspopulistischen Regierungen Nicaraguas und Venezuela ebenso wie rechtsautoritäre wie in Honduras. Und er inszeniert sich als derjenige, der endlich El Salvador von den Maras befreit.
"Hört auf zu morden. Wenn nicht, kommt ihr alle in ein Loch. Und dann will ich keine Beschwerden hören! Dann sehr ihr keinen Sonnenstrahl mehr. Wir sind bereit, die Gefängnisse in Rehabilitationszentren zu verwandeln, wie es die Verfassung ja auch vorsieht", sagt er.
"Aber nur, wenn ihr aufhört zu morden! Ich werde nicht zulassen, dass wir wieder Mordraten wie während der letzten Regierung erleben."
Überbelegte Gefängnisse, sichere Flaniermeilen
In der Wahl seiner Mittel ist Bukele nicht zimperlich. Seit Mai 2020 werden Maras unterschiedlicher Gruppen in denselben Zellen untergebracht, die mit 90 Menschen dreifach überbelegt sind.
Der Fernsehkanal Telemundo sendet im Mai 2020 aus dem Hochsicherheitsgefängnis Ciudad Barrios. "Auf exklusive Einladung", steht in der Bauchbinde, es könnte dort auch stehen: "Wir sind Teil einer Inszenierung". Man sieht eng zusammenhockende Männer kahlköpfig mit Tätowierungen. Sie haben keine Kommunikation mit der Außenwelt.
Menschenrechtsorganisationen kritisieren diese Politik der Regierung Bukele: Polizisten haben eine Lizenz zum Töten, verfeindeten Kriminellen werden auf engstem Raum zusammengepfercht, auch in Pandemiezeiten, und der Präsident führt, so die Gerüchte, womöglich Geheimverhandlungen mit dem organisierten Verbrechen. Für viele Mara-geplagte Menschen draußen ist all das nebensächlich. Hauptsache, die Gewalt geht zurück.
Im einstmals hoch gefährlichen historischen Zentrum von San Salvador flanieren heute wieder Familien auf den Plätzen um die Kathedrale und das Nationaltheater, Musikanten spielen, Straßenkünstler unterhalten ihr Publikum, es gibt Essbuden, Eisstände und öffentliche Veranstaltungen.
Das ist ein großer Erfolg des ehemaligen Hauptstadtbürgermeisters und heutigen Präsidenten Nayib Bukele. Und der Grundstein für seinen Sieg bei den Präsidentschaftswahlen Anfang 2019.
Der 48 Jahre alte Familienvater Christián Ramírez hat Bukele gewählt, weil er von der linken FMLN schwer enttäuscht ist. Als Sozialarbeiter hatte er unter der FMLN im Gesundheitsministerium gearbeitet, sein Vertrag wurde irgendwann aber nicht mehr verlängert, sagt er. Heute fährt er als Einzelunternehmer Essen aus. Und er engagiert sich bei Nuevas Ideas, der Partei Bukeles, die im März bei den Parlamentswahlen knapp an der Zweidrittelmehrheit vorbeigeschrammt ist.
"Du hattest ständig Angst um deine Familie – so viel Angst, dass wir einen Mörder freundlich grüßten, statt die Polizei zu rufen. Seit 30 Jahren hat sich hier nichts verändert. Deswegen gab es diese massive Unterstützung von Nuevas Ideas und Bukele", erzählt er.
"Es hat sich etwas verändert, verkrustete Strukturen wurden aufgerissen, die Gewalt geht zurück, es gibt Unterstützung für die Armen, der Mindestlohn wird angehoben. Es gibt endlich die dringenden, tief greifenden Veränderungen."
Droht eine erneute Diktatur?
Bukele regiert autoritär. Er geht rabiat mit der kritischen Presse um, nutzt die Kommunikationskanäle seiner Partei, aber auch der öffentlichen Institutionen für Eigenlob. Und: Mit dem Argument, die Institutionen von der Diktatur der korrupten Altparteien zu befreien, hat er den Oberstaatsanwalt und den obersten Richter ausgetauscht.
Damit bricht er mit der Gewaltenteilung. Kritiker sehen darin mehr als nur autoritäre Züge, unter Bukele könnte sich El Salvador zurück in eine Diktatur verwandeln.
Auch Clown Eduardo Barahona hat schon schlechte Erfahrungen unter Bukele gemacht. Barahona arbeitet heute in der Umweltorganisation UNES, die Bukele ebenfalls äußerst kritisch gegenübersteht. Er schreibt pointierte Texte und ist humorvoller Einheizer bei Demonstrationen.
Im April wurde er verhaftet. Wegen eines Vorfalls vor fünf Jahren, als ihm bei einem der häufigen Überfälle in Stadtbussen seine Kreditkarte geraubt wurde, mit der hinterher Betrug begangen wurde. Drei Wochen saß er im Gefängnis, die ersten Tage zusammengepfercht in einem fensterlosen Raum, genau wie die Bandenmitglieder, die im Fernsehen vorgeführt wurden.
"Aktivismus ist ein Muss"
Nach Protesten im In- und Ausland wurde er nach drei Wochen wieder freigelassen.
"Heute ist die Repression noch viel heftiger, mit dem neuen Präsidenten! Wir sind einen Schritt von Nicaragua entfernt. Wir haben einen Präsidenten, der Besitzer von PR-Firmen ist. Der wusste, wie man sich gut verkauft und gleichzeitig Journalisten und missliebige Stimmen verstummen lässt", sagt er.
"Die Räume werden immer enger. Man muss sagen, dass die Menschen ihn wollen, eben weil er so populär ist. Aber wir machen in Sachen Menschenrechte riesige Rückschritte. Ich glaube, der einzige Weg, wie Menschen ihr Leben, ihre Realität verändern können, ist, auf die Straße zu gehen. Journalismus ist ein Muss, Aktivismus ist ein Muss. Und ja: Lachen ist ein Muss!"
Kritik an plötzlicher Einführung von Bitcoin
Dabei ist El Salvador "ein wunderschönes Land mit viel Potenzial, so groß wie Hessen, mit Stränden und Vulkanen und einer offenen und diversen Bevölkerung", sagt Inés Klissenbauer. Die Mittelamerikareferentin bei Adveniat, dem Lateinamerikahilfswerk der katholischen Kirche hat lange in El Salvador gelebt und sieht die Wurzel des Problems in der extremen sozialen Ungleichheit, die sich seit der spanischen Kolonialzeit verstetigt hat.
"Es gibt im Land nach wie vor eine kleine Gruppe der Oligarchie, die superreich ist, die einen enormen Landbesitz auf sich konzentriert und damit vor allem die Kaffee- und Zuckerproduktion kontrolliert. Die Elite lebt hinter hohen Mauern, sehr gut geschützt", erklärt sie.
"Aber es ist bekannt, dass viele aus dieser elitären Gruppe Verbindungen haben zur Organisierten Kriminalität, also zum Drogenhandel, dass sie Geldwäsche, Steuerhinterziehung und Steuerflucht betreiben."
Auch Präsident Nayib Bukele sieht Inés Klissenbauer kritisch. Ja, er habe die Mordrate im Land drastisch senken können, aber: "Er hat sehr viele neue Probleme geschaffen. Im Moment ist das Land wirklich alarmiert. Er boykottiert jeglichen Widerstand gegen seine Politik, er attackiert und diffamiert Menschenrechtsaktivisten, er schränkt die Pressefreiheit ein und viele Menschen haben Angst, dass das Land mehr und mehr auf eine Diktatur zusteuert."
Nayib Bukele macht immer wieder gerne auf Twitter von sich reden und präsentiert sich mit ungewöhnlichen Maßnahmen der Öffentlichkeit, zuletzt mit einem Faible für Kryptowährungen. Als erstes Land der Welt machte El Salvador im Juni den Bitcoin zu einem offiziellen Zahlungsmittel. Inés Klissenbauer wirft dem Präsidenten Spekulation vor.
"Wir haben gar nicht die Technologie"
"Jetzt hat er auch noch den Bitcoin eingeführt in einer Nacht- und Nebelaktion am Parlament vorbei, und das finden doch viele mindestens zweifelhaft", sagt sie.
"Sie sagen, wir haben ja gar nicht die Technologie, um damit umzugehen. Wir wissen überhaupt nicht, wie das geht. Wie profitiert wirklich die Mehrheit der Bevölkerung von diesem Bitcoin? Gut 70 Prozent der ländlichen Bevölkerung hat gar kein Bankkonto, also gar keinen Zugang zu Finanzgeschäften."
Der Bischof und Befreiungstheologe Oscar Arnulfo Romero, der in El Salvador wegen seines Kampfes für Gerechtigkeit 1980 ermordet wurde, hat bereits damals postuliert, dass El Salvador nur von der Wurzel her verändert werden kann. Dem schließt sich Inés Klissenbauer an.