Fahrdienstleiter Wolfgang Ebel
Bis 1984 betrieb die Deutsche Reichsbahn aus der DDR auch die S-Bahn-Strecken in Westberlin, was Wolfgang Ebel zu der Behauptung brachte: Diese mache das eigentlich für das Deutsche Reich – nicht für die Bundesrepublik. © picture alliance / Chris Hoffmann
Der erste selbsternannte "Reichsbürger"
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"Ich bin der amtierende Reichskanzler für das Deutsche Reich", davon war Wolfgang Ebel, Fahrdienstleiter der Deutschen Reichsbahn, überzeugt. Als er 1980 seinen Job verlor, erfand er sich ein Reichsbürgertum - das bis heute in die Szene hineinwirkt.
Man muss sich Wolfgang Gerhard Günter Ebel als vielbeschäftigten Mann vorstellen. Immerhin erklärte er überzeugt, „dass ich der amtierende Reichskanzler für das Deutsche Reich bin“.
Von 1985 an und auch noch 2013, als er mal wieder seine Pläne für Deutschland referierte: „in den Grenzen vom 31. Dezember 1937!“
Die meisten hielten Wolfgang Ebel für einen Spinner, wohl zurecht. Ebel referierte, dass es den Staat Bundesrepublik Deutschland nicht gäbe, dass der Einigungsvertrag von Ost und West nicht gelte und so manch andere krude Theorie.
„Und die russische Regierung wie auch die russische Militärregierung in Berlin spielen mit. Die haben damit kein Problem“, sagte Ebel.
Auch wenn er Weltpolitik plante, seine Wurzeln lagen eher im Kleinen: In Westberlin, in einem schmuddeligen Backsteinbau an einer S-Bahnlinie in Zehlendorf. Ebel war in den 70er-Jahren Fahrdienstleiter bei der Deutschen Reichsbahn, also der Staatsbahn der DDR, die aber auch nach dem Mauerbau bis 1984 noch die S-Bahn in Westberlin betrieb. Aber das Modell funktionierte nicht gut – 1980 streikten die Westberliner Reichsbahner. Der RIAS berichtete.
„Wir müssen also 500 Überstunden leisten. Und es gibt Kollegen, die also 1000 Überstunden im Jahr schon gemacht haben im letzten Jahr“, so die Reichsbahner damals.
Wolfgang Ebel gehörte zu den Rädelsführern des Streiks und wurde entlassen.
„Und da fängt es eigentlich an“, sagt Christoph Schönberger, Professor für Staatsrecht an der Universität Köln. „Denn Ebel wollte das nicht hinnehmen. Ebel sagte, ‚ich bin doch eigentlich ein Beschäftigter des Deutschen Reiches, denn es ist ja die Deutsche Reichsbahn, die da fährt‘. Und mit dieser Auffassung war er juristisch noch nicht mal so auf völlig abwegigen Terrain. Denn nach der westdeutschen juristischen Konstruktion der Zeit sagte man: die Deutsche Reichsbahn der DDR, die macht das eigentlich für das Deutsche Reich. Im Grunde fährt also die S-Bahn durch Westberlin für das Deutsche Reich.“
Erklärung für existenzielle Notlage
Ebel hatte im Alter von 41 Jahren seine sicher geglaubte Arbeit verloren und suchte eine Erklärung - eine Alternative.
„Aus dieser existenziellen Notlage hat Ebel jetzt sozusagen die Wendung ins Reichsbürgertum vollzogen. Er hat dann Mitte der 80er-Jahre eine ‚kommissarische Reichsregierung‘ in Berlin errichtet, und hat eben gesagt, das Deutsche Reich bestehe fort. Aber es ist niemand da, der sozusagen dieses Reich wirklich betreuen kann“, sagt Christoph Schönberger.
„Die Bundesrepublik Deutschland kann das natürlich nicht, die ist illegitim, die Alliierten sind zerstritten, und siehe da, es braucht eine kommissarische Reichsregierung, und in seinem Zehlendorfer Eisenbahn-Häuschen hat er dann gesessen, hat ein Schild ‚kommissarische Reichsregierung‘ angebracht und hat sich dann im Laufe der Zeit weitere Bezeichnungen zugelegt. Er hat auch das Amt des Reichskanzlers versehen und hat dann eben angefangen, diese Position auch gegenüber Behörden und Gerichten durch unendliche Schreiben zu vertreten und damit im Grunde Techniken entwickelt, wie wir sie heute sehr gut aus der Reichsbürger-Szene kennen.“
Ebel verlor unzählige Prozesse
Wolfgang Ebel führte damals unzählige Prozesse, um seinen Beamtenstatus einzuklagen. Als die alle gescheitert waren, erspann er sich in einer Welt voller deutscher Paragraphen und Regelungen der Alliierten eine Scheinwelt.
„Man darf ja nicht unterschätzen, dass diese Reichsbürgerideologie für sich genommen eine hohe Plausibilität hat. Und wenn man psychologische Disposition dafür hat, kann ich mir durchaus vorstellen, dass man dem sich auch annähert“, sagt der Sozialwissenschaftler David Begrich vom Verein „Miteinander“ in Magdeburg.
Und so erzählte Wolfgang Ebel noch über 30 Jahre nach seiner Entlassung: „Die kommunistische gelenkte Reichsbahn wollte mich rausschmeißen! Da haben die Briten auf der Kurfürstendammbrücke gesagt, ‚Kommt nicht in Frage, Sie sind jetzt hier mit von uns dienstverpflichtet! Und sie haben ihre Arbeit als Reichsbahnbeamter fortzuführen. Da können die Deutschen erzählen was sie wollen!‘ Ich stand trotzdem auf der Straße und habe kein Geld gekriegt.“
„Nein, also die Realität ist viel verrückter als das Drehbuch“, sagt Christoph Schönberger. „Und in der Person Ebels ist sozusagen gesteigert worden, auf den Punkt gebracht worden: der Eisenbahner der Reichsbahn, der in Westberlin sitzt und irgendwie glaubt, er sei Beamter des Deutschen Reiches. Da sind alle Widersprüche und Verrücktheiten der deutschen Geschichte in einer Weise gebündelt, die man eben nicht drehbuchmäßig erfinden kann. Das kann nur das Leben selber. Jedenfalls gab es Ebel, und nach ihm haben alle, die nach ihm kamen, in irgendeiner Weise sich auf ihn bezogen, an ihm abgearbeitet, anderen Nuancen gesetzt, insbesondere auch weiter nach in Richtung Rechtsextremismus, aber dieser Raum ist im Grunde durch Ebel eröffnet worden.“