Der Reichstag in Berlin
Das Reichstagsgebäude in Berlin: Für den Historiker Tilmann Bendikowski ist es die Herzkammer der Demokratie, der man in Deutschland mehr Respekt, Leidenschaft und vielleicht sogar Liebe entgegenbringen sollte. © Getty Images / Westend61 / Westend61
Ein politisches Symbol im Wandel der Zeit

Vor 90 Jahren stand der Reichstag nach einem Brandanschlag in Flammen. Danach war er Ruine, Inszenierungsort für den Sieg der Roten Armee, Hintergrund für Konzerte und später Symbol der neuen "Berliner Republik".
Seit seiner Errichtung war der Berliner Reichstag nicht nur Parlamentsgebäude, sondern wurde auch für politische Proklamationen und sogar als Kunstwerk benutzt. Wir zeigen wichtige Stationen in der Geschichte des Reichstags.
Ein vom Kaiser ungeliebtes Haus der deutschen Demokratie
Obwohl er das deutsche Parlament beherbergen soll, spielen die Parlamentarier 1884 bei der Grundsteinlegung des Reichstags nur eine untergeordnete Rolle. Bei der feierlichen Fertigstellung nach zehn Jahren Bauzeit ist es wieder der Kaiser, der im Mittelpunkt steht, diesmal nur ein anderer als zu Baubeginn.

Das Reichstagsgebäude in Berlin von Paul Wallot in einer Zeichnung von 1895.© Getty Images / Bildagentur-online
Am Tag nach der Einweihung nimmt das Parlament seine Arbeit auf. Die Inschrift „Dem deutschen Volke“ gefällt Kaiser Wilhelm II. aber nicht, erst 1916 gibt er seinen Widerstand auf, so dass die Inschrift erscheinen kann.
Weimarer Republik: Bühne für die Revolution und dann verwaist
Der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann ruft hier am 9. November 1918 vom Westbalkon des Reichstags die Republik aus. Später ist das Gebäude zeitweise verwaist, weil das Parlament wegen der Spannungen in Berlin nach Weimar umzieht.

"Das Alte und Morsche ist zusammengebrochen. Es lebe das Neue! Es lebe die deutsche Republik!" Mit diesen Worten ruft der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann am 9. November 1918 vor dem Reichstag die Republik aus. © HUM Images / Universal Images Grou / HUM Images
Reichstagsbrand und symbolträchtige Ruine
In der Nacht vom 27.2. auf den 28.2.1933 brennt der Reichstag. Der radikale Kommunist Marinus van der Lubbe wird festgenommen. Er gesteht die Tat und wird hingerichtet.
Die Nazis nutzen den Brandanschlag, um die Grundrechte außer Kraft zu setzen und ihre politischen Gegner zu verfolgen,
sagt der Historiker Tilman Bendikowski
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Gleich am Folgetag wird die "Verordnung zum Schutz von Volk und Staat" erlassen. Die ist nach Ansicht von Bendikowski neben dem Ermächtigungsgesetz "eine der beiden Säulen der rechtlichen Aushebelung der restlichen Weimarer Republik und der Demokratie."

Das Reichstagsgebäude steht am 27. Februar 1933 in Flammen.© Getty Images / Universal History Archive
Nach dem Brand bleibt der Reichstag als ungenutzte Ruine stehen. Trotzdem hat er noch hohen Symbolwert für die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs heranrückende Sowjetarmee: Er wurde als Eroberungsziel ausgegeben noch vor dem Brandenburger Tor. Als Sowjetsoldaten die Rote Fahne auf dem Reichstag hissen, ist das auch ein Symbol für das Ende des Krieges.

Die Rote Fahne wird 1945 auf dem Berliner Reichstag gehisst. Da bei der Einnahme der Stadt am 30. April 1945 aber kein Kameramann dabei war, wurde die Szene am 2. Mai nachgestellt© picture-alliance / dpa / tass
Bühne für Rockkonzerte an der deutsch-deutschen Grenze
Nach dem Krieg steht der Reichstag direkt an der Grenze zwischen Ost und West. Der Bereich wirkt wie ein Niemandsland. Nach dem Mauerbau verläuft hinter dem Reichstag die Berliner Mauer. Er wird so zum Symbol für die deutsche Teilung.

Eines der großen Rockkonzerte vor dem ungenutzten Reichstagsgebäude gab die Band Barclay James Harvest am 30. August 1980© imago / ZUMA / Keystone
Im Jahr 1980 wird er zur Kulisse eines Rockkonzerts: Die britische Band Barclay James Harvest gibt hier ein Konzert. 1987 trat David Bowie zusammen mit den Eurythmics und Genesis bei einer Art Festival hier auf.

Der englische Sänger David Bowie (r) während seines Konzertes am 06. Juni 1987 vor dem Reichstag© picture alliance / Chris_Hoffmann / Chris Hoffmann
Der verhüllte Reichstag – Das Parlament als Kunstobjekt
1995 wird der Reichstag zum Kunstobjekt: Christo und Jean-Claude verhüllen den Reichstag. Millionen Besucher schlägt es in den Bann. Und lässt sie auch über die wechselvolle Geschichte des Gebäudes nachdenken

Wrapped Reichstag 1995: Zwei Wochen lang war der von Christo und Jeanne-Claude verhüllte Bau eine magische Attraktion in der Mitte von Berlin.© imago images / Werner Otto
Die Glaskuppel und die Berliner Republik
2009 erhält der Reichstag seine futuristische Kuppel aus Glas und Beton. Die Kuppel wird zum neuen Symbol des Reichstags und zum Publikumsmagneten.

Mit der gläsernen Kuppel des Architekten Norman Foster erhält das Gebäude und mit ihm die "Berliner Republik" 1999 ein neues Wahrzeichen.© Unsplash / hoch3media
Zugleich symbolisiert sie Offenheit und Transparenz, wie der Architekt der Kuppel, Sir Norman Foster feststellt:
Wo sonst in der Welt kann jeder Mann durch diesen Eingang hinter mir, zusammen mit den Abgeordneten auf das Dach gelangen, weiter über die Rampen auf eine Aussichtsplattform gehen und hinein in das Plenum und hinab zu den Parlamentariern schauen?
Ziel von Hass und Verachtung
Die Corona-Pandemie und die daraus resultierenden gesellschaftlichen Verwerfungen führen im August 2020 zu einem Angriff von Querdenkern und Demokratiegegnern auf den Reichstag. 300 Rechtsextreme und Mitläufer stürmen die Treppe vor dem Hauptportal des Reichstags. Drei Polizisten stellen sich ihnen entgegen.

Am 29. August 2020 führte eine Demonstration von Gegnern der Corona-Maßnahmen zu einem von Polizisten abgewehrten Versuch, das Reichstagsgebäude zu stürmen.© picture alliance / NurPhoto / Achille Abboud
Der "Sturm" auf den Reichstag sorgt für Entsetzen und löst eine Debatte über neue Sicherheitsmaßnahmen aus. Die Sicherheitsbeauftragten der Bundestagsfraktionen verständigen sich daraufhin,
die Regeln weiter zu verschärfen
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Quellen: DLF, DKultur, Deutscher Bundestag