Tierversuche im Nationalsozialismus
KZ-Haft im Namen des Tierschutzes
Im November 1933 wurden Tierversuche von der NS-Regierung im Reichstierschutzgesetz streng reglementiert und unter Strafe gestellt. Doch was nach Tierliebe klingt, war vor allem ein antisemitisch motivierter Angriff auf die Wissenschaft.
„Ich habe deshalb für Preußen das sofortige Verbot jeder Vivisektion ausgesprochen und unter Strafe gestellt, das heißt zunächst unter die Strafe, in das Konzentrationslager abgeführt zu werden, bis das Gesetz selbst strenge Strafen hierfür aussprechen kann.“ So Hermann Göring, damals unter anderem preußischer Ministerpräsident, in einer Rundfunkansprache im August 1933.
Was Göring mit Vivisektionen meint, sind Versuche an lebenden Tieren. Er droht also mit Lagerhaft im Namen des Tierschutzes. Der spielte für die Nazis scheinbar eine große Rolle.
Was Göring mit Vivisektionen meint, sind Versuche an lebenden Tieren. Er droht also mit Lagerhaft im Namen des Tierschutzes. Der spielte für die Nazis scheinbar eine große Rolle.
Am 24. November 1933 schließlich wird das Reichstierschutzgesetz verabschiedet, „in dem, so wird es gesagt, zum ersten Mal die Tiere um ihrer selbst willen geschützt wurden“, erklärt Jan Mohnhaupt, Journalist und Autor des Buches „Tiere im Nationalsozialismus“.
Tierschutz als moralische Pflicht
Das Reichstierschutzgesetz verschiebt die Begründung für Tierschutz tatsächlich erheblich:
„Vorher gab es einige Gesetze in deutschen Teilstaaten, wonach das Quälen von Tieren dann verboten war, wenn es öffentliches Ärgernis erregen würde.“
„Vorher gab es einige Gesetze in deutschen Teilstaaten, wonach das Quälen von Tieren dann verboten war, wenn es öffentliches Ärgernis erregen würde.“
Tiere werden stattdessen nun als leidensfähige Wesen betrachtet. Ihr Schutz wird als moralische Pflicht formuliert. Nutz- oder Haustieren soll kein Schmerz zugefügt werden. Und Tierversuche werden streng reglementiert. Sind die Nazis also Vorreiter des modernen Tierschutzes?
Nein, sagt Jan Mohnhaupt. Tierschutz sei „kein Trend, den die neu erfunden haben, es gab schon diese Bewegung und Tendenzen in der Bevölkerung. Beispielsweise der Welttierschutztag am 4. Oktober. Der wurde von einem jüdischen Hundeforscher, Heinrich Zimmermann, gegründet. Der hat diesen Vorschlag schon in der 1920er-Jahren aufgebracht.“
Die meisten Tierschutzverbände standen rechts
Zimmermann ist später in einem KZ ermordet worden. Haben die Nazis also die gedankliche Vorarbeit derjenigen gestohlen, die sie später verfolgten?
Martin Fritz Brumme, Historiker für Human- und Veterinärmedizin, betont: Schon seit Ende des 19. Jahrhunderts gab es diverse Tierschutzverbände.
„Wesentlich zu wissen ist: Diese Tierschutzverbände befanden sich zu einem absolut überwiegenden Anteil auf dem rechten, rechtsradikalen, völkischen, antisemitischen Flügel.“
Dieser Tierschutz baut einen Gegensatz auf, an den die Nazis leicht anknüpfen können. Auf der einen Seite steht eine urwüchsige Naturverbundenheit und Tierliebe, stellt Mohnhaupt fest:
„Die Nazis haben sich ja selber immer auch gern als Wölfe gesehen, als Wolfsrudel, das zusammen jagt. Und da war es dann, die Tiere als Teil dieser gesamten Welt zu sehen, in den Augen der Nazis dann schon fortschrittlich.“
Ein antisemitischer Angriff auf die Wissenschaft
Auf der anderen Seite steht die „künstliche“ Zivilisation, die Tiere wie Dinge behandelt und opfert für eine Idee des Fortschritts. Angegriffen wurde insbesondere die Wissenschaft, sagt Jasmin Köhler, die an der HU Berlin zu Tieren in der Literatur forscht und lehrt:
„Gemeint sind hier insbesondere die Biologie und die Medizin, bei der in Universitäten und Forschungslaboren in grausamer, heimtückischer, niederträchtiger Weise Versuchstiere gequält werden. Und diese Figur des der Natur völlig entfremdeten Wissenschaftlers, der in seinem Labor Experimente am lebenden Tier durchführt, war – und dies schon ab ungefähr 1880 – klar antisemitisch konnotiert.“
Es passt also ins Bild, dass die NSDAP bereits vor 1933 ein Verbot von Tierversuchen im Reichstag anregt – und quasi sofort nach der Machtübertragung das betäubungslose Schlachten verbietet:
„Ein konkretes Mittel, um sehr gezielt in jüdisches Leben einzugreifen oder jüdisches Leben zu stören. Man könnte sich ja unter Tierschutzanliegen sehr viel Verschiedenes vorstellen, aber hier betraf es wirklich genau zwei Bereiche, nämlich den wissenschaftlichen Tierversuch und das Schächten von Schlachttieren", erklärt Jasmin Köhler.
Das "gesunde Volksempfinden" als Begründung
Argumentiert wird vor allem mit einem als natürlich behaupteten „gesunden Volksempfinden“ – so wie etwa im antisemitischen Hetzfilm „Der ewige Jude“:
„Die jüdischen Gesetzesbücher haben für Überlegungen, die aus der germanischen Achtung und Liebe zum Tiere stammen, keinen Sinn. Sie verbieten sogar, den Qualen des sterbenden Tieres vorzeitig ein Ende zu machen.“
Gefördert durch die Lobbyarbeit der NSDAP und rechter Tierschutzverbände wird der Tierschutz ein „populäres Thema, ein konsensfähiges Anliegen, das die Nationalsozialisten zu propagandistischen Zwecken nutzen konnten und das zur Selbstdarstellung des Regimes im In- wie Ausland geeignet war.“
Und damit zur Festigung der eigenen Herrschaft. Diese Rechnung geht auf, sagt Jan Mohnhaupt: „Es gab sehr positive Berichte darüber, dass die Nazis dieses Reichstierschutzgesetz erlassen haben. Und kurz darauf hat Hitler auch einen Orden von einer Stiftung aus den USA verliehen bekommen.“
Reichsjägermeister Göring war gegen Tierversuche
Dabei schafft der Tierschutz der Nazis auch einen Rahmen für erlaubtes Töten, erklärt Jasmin Köhler. Zur Ernährung etwa oder zur Gewinnung von Pelzen und Leder. Der entschiedene Tierversuchsgegner Göring ist beispielsweise auch Reichsjägermeister. Er lässt sich gern über erlegten Elchen fotografieren:
„In dieser heroischen, männlichen, aber auch naturverbundenen Pose des Jägers. Und das ist eben eine Form des richtigen Tötens, des edlen Tötens. Und demgegenüber wurden andere Formen, etwa in Laboren, als niedriger Beweggrund ausgeschlossen.“
Aber die NS-Behörden behalten sich selbst das Recht vor, solche Versuche doch zu erlauben. Und das taten sie – etwa zur Erforschung von Krankheiten, zur Entwicklung von Pestiziden und nicht zuletzt für sogenannte kriegswichtige Zwecke.
Alles Lebendige hierarchisch ordnen
Das Gesetz diente den Nazis aber nicht nur zur Ordnung des Tötens. Auch alles Lebendige wollten sie ordnen in höheres Leben und minderwertiges.
„Durch die nationalsozialistische Tierschutzgesetzgebung genießt das Tier – ebenso wie der Mensch – wegen seiner Zugehörigkeit zur völkischen Gemeinschaft einen seiner Bedeutung entsprechenden Schutz“, zitiert Martin Brumme aus dem Fachblatt der deutschen Tierärzte von 1937.
Gemeint sind zwar alle Tiere. Das Reichstierschutzgesetz benennt aber vor allem beliebte oder nützliche Tiere: Hunde, Katzen, Pferde und Schweine etwa.
Die sogenannten Rassegesetze schlossen Jüdinnen und Juden explizit aus dieser „Lebensgemeinschaft“ aus. An ihnen wurde bedenkenlos experimentiert, sie wurden ermordet – genau wie andere sogenannte „Volksschädlinge“: Sinti und Roma, politische Gegner, Menschen mit Behinderung oder Homosexuelle.
Auch heute noch gilt für Jasmin Köhler: „Hierarchische Mensch-Mensch-Verhältnisse lassen sich über Bezüge auf Tiere essentialisieren, legitimieren, als natürlich darstellen. Es gibt Raubtiere, es gibt gejagte Tiere. Es gibt edle Tiere. Was ist ein König, was ist ein Schädling? Löwe, Küchenschabe.“