Reihe: "Gestalten"

Mal tief ins Trinkglas gucken

Barkeeper-Wettbewerb auf der Fachmesse Gastro in Rostock (Mecklenburg-Vorpommern) am 15.11.2016
Beim Barkeeper-Wettbewerb auf der Fachmesse Gastro in Rostock bekommt jedes Getränk seinen eigenen Look. © picture alliance / dpa / Bernd Wüstneck
Von Anette Schneider |
Viereckige Weingläser, schräge Kelche, Whisky-Gläser mit Eis-Assoziation – unter den Trinkgläsern gibt es nichts, was es nicht gibt. Der Hamburger Spezialist Laurenz Lenffer empfiehlt, es mal mit einem Blind Tasting aus einem schwarzen Glas zu probieren.
"Es kommt sehr darauf an, aus welchem Glas man was für ein Getränk zu sich nimmt. Das hat etwas zu tun mit der Fließgeschwindigkeit des Getränkes, und wie der Inhalt aus dem Glas auf die Zunge kommt. Die Zunge hat ja verschiedene Rezeptoren, also verschiedene Säurezonen."
... sagt Laurenz Lenffer, der in Hamburg ein Fachgeschäft für Tischkultur besitzt und mit seiner Frau Gabi auch selbst Gläser entwickelt. Man muss kein Trink-Spezialist sein, um in Kaufhäusern und Fachläden die wachsende Vielfalt von Gläsern zu registrieren. Neuester Trend bei Weingläsern sind zum Beispiel viereckige oder streng zylindrische Kelche. Die klare Form wirkt nordisch-kühl und sehr edel. Nur was wird da aus der alten Regel, dass sich der Weingeschmack erst in einem bauchigen Kelch entfaltet?
"Die alten Regeln, die bleiben. Die können Sie auch nicht verändern. Ein zylindrisches Glas hat einfach keine spezielle Funktion. Dann ist es nur ein Gefäß. Aber dann ist das ein Thema Design und nicht ein Thema Geschmack."
Alkoholfreier Sekt perlt am 26.02.2016 bei einem Betriebsempfang in Frankfurt am Main (Hessen) in Gläsern.
Der klassische Sektkelch hat sich bewährt. © picture alliance / dpa / Arne Dedert
Form follows Function gilt also auch bei Gläsern nicht immer. So gibt es Weingläser, die mit schrägen Kelch-Rändern zwar witzig aussehen, aber kleckerfreies Trinken zur Herausforderung werden lassen. Andere scheinen schief zu stehen, weil ihre bauchigen Kelche auf seitlich versetzter Standfläche ruhen. Und wieder andere sind durchgängig schwarz gefärbt!
"Ein Blind-Tasting-Glas ist ein schwarzes Glas. Da sehen Sie den Inhalt nicht. Das ist ganz, ganz spannend, weil Sie dann nicht beeinflusst werden, ja? Und einfach die Geschmacksnerven darüber entscheiden, ist es gut oder nicht gut."
Für Whisky-Gläser spielen Designer oft mit Eis-Assoziationen: mal ist das ganze dicke Glas geschliffen wie ein runder Eiskristall. Oder ein zahniger, matter Schliff im verdickten Boden wirkt wie frostiger Raureif. An geschliffenen Teilen lässt sich übrigens die Qualität eines Glases prüfen.
"Knirsch - wenn Sie das hören, - Knirsch - wenn Sie das mit dem Fingernagel einmal machen, diese sogenannte Nagelprobe - dann können Sie erkennen, dass es ein Manufakturglas ist, also mit Hand hergestelltes Glas."
Früher waren Gläser der Elite vorbehalten
Jahrtausende lang tranken Menschen aus Ton- oder Holzgefäßen. Glasgefäße waren von der Antike bis ins 17. Jahrhundert allein der Elite vorbehalten. Erst als im 19. Jahrhundert die industrielle Herstellung möglich wurde, wurden Trinkgläser ein demokratisches Massenprodukt.
Gläser und Teller stehen am 20.07.2016 auf einem Tisch des "Grill Rooms" im Restaurants "Four Seasons" in New York (USA).
Gilt wirklich noch: Für jedes Getränk ein anderes Glas? Eine Tafel in einem der Restaurants des "Four Seasons" in New York (USA).© picture alliance / dpa / Christina Horsten
In seinem Buch "Der Prozess der Zivilisation" stellte der Soziologe Norbert Elias in den 1970er-Jahren die Entwicklung der Tischsitten als zivilisatorische gesellschaftliche Errungenschaft dar. Mittlerweile hat sich dieser Jahrhunderte andauernde Prozess wieder umgekehrt: Obwohl in den 1980er-Jahren die profitträchtige Idee entstand, jedes Getränk brauche seine eigene Glasform, begannen etwa zehn Jahre später immer mehr Menschen in aller Öffentlichkeit aus Dosen und Tetra-Pack zu trinken oder mit den Händen zu Essen. Und...
"Es ist ja Kult geworden, dass wenn man Bier trinkt, Corona-Bier, mit 'ner Limette aus der Flasche trinkt und nicht aus dem Glas."
Dass formschöne Gläser Genuss bereiten können, dass es so etwas gibt wie eine Erziehung zu Schönheit und Geschmack, die auch mit Wertschätzung und Nachhaltigkeit zu tun hat, ist nicht nur angesichts der herrschenden gesellschaftlichen Probleme schwer zu vermitteln.
"Heute werden halt Sets angeboten. Da können Sie heute 100 Gläser, hätte ich fasst gesagt, für 29,90 Euro kaufen, wie Sie Silvesterknaller kaufen können. Und darunter leidet natürlich die Trinkglas-Kultur."
Dabei stellt Laurenz Lenffer klar:
"Ein schönes Glas muss nicht teuer sein. Wenn Sie heute ein schönes Glas haben wollen, fängt das Trinkglas im Bereich 20 Euro an und geht bis 50 Euro. Sie können natürlich auch darüber hinaus Gläser kaufen."
Zwei orange-rote Cocktails schwimmen auf einer Unterlage in einem Swimmingpool.
Schwimmende Cocktails in einem Swimmingpool.© imago/Westend 61
Kelchglas-Reihe mit Medusenhaupt
Der Modedesigner Versace etwa versah eine klassische Kelchglas-Reihe mit Goldrand und einem ins Glas geschliffenen Medusenhaupt. Das ganze wirkt unheimlich bieder - und kostet pro Paar 452 Euro.
Dagegen wirkt das schlichte, schlanke Kelchglas, dass Gabi Lenffer leise auf den Tisch stellt, mit seinem etwa 30 Zentimeter langen und mehrfach gegliederten Stiel nicht nur sehr elegant. Es entpuppt sich auch als vielfältig einsetzbar und damit als nachhaltiger Coup.
"Wir haben schraubbare Gläser gemacht. ... Die gibt es auch in farbig. Und so können Sie halt - Sie hören es ja vielleicht (schraubt) - schrauben und ... auch verschiedene Kelche nehmen."
Stück für Stück lässt sich der vierteilige Stiel verkürzen, bis der Kelch direkt auf dem Fuß sitzt - und noch immer elegant wirkt.
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