Zensur in Japan: E-Magazin gegen die Schere im Kopf
Subkultur, Exzentriker und schräge Orte. Das sind die Lieblingsthemen des Publizisten Tsuzuki Kyoichi. Weil die Medien seine Geschichten immer seltener abnahmen, gründete er das E-Magazin "Roadsiders". Hier finden die Leser Geschichten, die sonst nirgends publiziert würden.
Das Nadiff ist eine der angesagtesten Galerien für zeitgenössische Kunst in Tokyo. Gerade wurde eine Ausstellung eröffnet, kuratiert von Tsuzuki Kyoichi. Er zeigt dort die Hüte des Boshi Ojisan, der mit 60 Jahren anfing, sich seltsame Hüte zu basteln und damit in der Öffentlichkeit aufzutreten. Tsuzuki Kyoichi hat ihn entdeckt und bekannt gemacht!
Nicht nur ihn: Auch Haruki Murakami. Gemeinsam reisten Kyoichi und Murakami in den 80er-Jahren für die japanische Zeitschrift "Brutus" durch Deutschland und Japan. Tsuzuki Kyoichi ist seit 35 Jahren Publizist, hat Kultbücher veröffentlicht und kennt die geheimsten Orte und exzentrischsten Menschen Japans.
Doch vor knapp vier Jahren musste er feststellen, dass sich seine Geschichten nicht mehr so gut an Magazine verkauften. Das wurmte ihn. Er wollte sich die Freiheit erlauben, über das zu schreiben, was ihm wichtig war: Outsider Art, Subkultur, Exzentriker und schräge Orte. Dinge, die er entdeckt, bevor sie zum Mainstream werden.
"Die Situation war sehr frustrierend für mich. Es gab nur einen Weg: Ich musste selbst eine mediale Form gründen, für die ich schrieb. Eine eigene Zeitschrift zu machen wäre zu teuer geworden, so viel Geld besitze ich ja gar nicht. Das ist ein fettes Geschäft. Aber ein E-Magazin, das kostet nichts, außer dem Server. Und was das Volumen und den Inhalt betrifft, da kann ich reinpacken, was und so viel ich will."
"Mit dem Geld berechne ich mein Budget und ziehe los"
2009 gründete der heute fast 60-jährige "Roadsiders", das seitdem jeden Mittwochmorgen in der Mailbox der Subscriber landet. 1200 Abonnenten hat das Heft schon, von denen jeder knapp acht Euro im Monat bezahlt.
"Mehr wäre noch besser, aber die sind ja nicht nur Abonnenten, sondern auch Unterstützer meiner Arbeit. Denn mit dem Geld, das sie mir geben, berechne ich mein Budget, ziehe los und fange die Geschichten ein, die mir über den Weg laufen. Ich bringe diese Geschichten zurück nach Tokyo, zu meinen Lesern und irgendwie ist es ein wenig so, wie eigenes Gemüse anbauen und es an meine Freunde zu verkaufen."
Kraftvolle Stimme im stark zensierten japanischen Zeitschriftenmarkt
Über Twitter und Facebook kann Tsuzuki Kyoichi sofort sehen, welche Geschichten gut laufen und welche nicht und darauf reagieren. Seine bisher beliebteste Geschichte handelte von einer jungen Mutter, die mit ihrem sechs Monate alten Baby im Schlepptau eine 70-jährige Prostituierte besuchte. Ohne Scham erzählte diese offen und frei über ihr Leben. Ein kraftvolle Geschichte, die so im stark zensierten japanischen Zeitschriftenmarkt nie publiziert worden wäre. Denn in Japan halten die Distributoren die Macht auf dem Zeitschriftenmarkt. Gefällt einem Distributor ein Blatt nicht mehr, bietet er es nicht mehr zum Verkauf an.
"Viele Zeitschriften werden nicht in Buchhandlungen verkauft, sondern in Convenient Stores. Und diese haben eine strengere Auffassung von Zensur. Entscheidet sich eine Kette also gegen ein Magazin, dann war es das. Das ist das Ende."