Fassade mit Knick in der Optik
Sichtbeton, der sich anfühlt wie Samt, Wohnhäuser, die aussehen, wie Kunstgalerien: Das Atelier ST geht mit seiner Architektur ungewöhnliche Wege - und hat dafür zahlreichen Preise gewonnen.
"Der Traum war eigentlich, dass man von jedem Zimmer das Wasser sieht."
Susan Kunze steht in ihrem künftigen Wohnzimmer. Draußen schimmert eisig der Groß Glienicker See. Drinnen ist es mollig warm, denn der Rohbau muss trocknen. In seiner Konstruktion ähnelt der Pavillon am Uferhang einer Minitaturausgabe von Mies van der Rohes Neuer Nationalgalerie.
"Es ist faktisch ein Haus ohne Außenwände, wie ein Sandwich, es gibt nur tragende Wände aus Beton und rundherum ist nur Glas. Und wenn die Sonne scheint, sieht es wunderschön aus. Die ganzen Wände sind lichtdurchflutet und auch abends, wenn im Haus Licht brennt, sieht es nach draußen sehr warm aus."
Der Clou des Hauses ist die mehrfach geknickte Fensterfront zur Wasserseite. Reizvoll widersprechen sich optischer Eindruck und haptisches Erleben. Die Innenwände aus hellgrauem Sichtbeton fühlen sich samtweich an. Das vliesgedämmte Profilbauglas an den drei Landseiten ist warm wie Haut. Der ungewöhnliche Einsatz von herkömmlichen Materialien zählt zu den Markenzeichen des Atelier ST. Die Architekten Silvia Schellenberg-Thaut und Sebastian Thaut arbeiten in einem Loft in Leipzig. Die beiden haben sich auf einer Baustelle kennengelernt und gemerkt, dass sie harmonieren.
Nicht mehr als drei Wohnhäuser zu stemmen
"Wir fangen eigentlich nie an mit Zeichnungen und großen Modellen, sondern wir sitzen so wie jetzt am Tisch und unterhalten uns über Architektur und legen die verschiedenen Gedanken übereinander. Und wenn es zu einem Nenner kommt, erst dann fangen wir mit Zeichnen an."
Ihr erstes Haus, eine Villa zwischen Obstbäumen in Zwickau, verkleideten die beiden mit Bootssperrholz. Das Zweite, für einen Betonhersteller geplant, gewann als "Maison du Beton" Architektur-Preise. Mehr als drei Wohnhäuser im Jahr kann das sechsköpfige Team allerdings nicht stemmen.
"Und deswegen ist natürlich die andere Schiene, dass dieses Büro das Thema Kunst/Kulturbauten-Sakralbauten/öffentliche Hand betreut. Weil ich natürlich da einen ganz anderen Spielraum habe, es sind größere Projekte, auch mit einem ganz anderen finanziellen Hintergrund."
Das Problem besteht darin, zu öffentlichen Wettbewerben überhaupt zugelassen zu werden. Entweder müssen die Bewerber bereits realisierte Bauten als Referenzen vorweisen. Oder sie können in der Kategorie junge Architekten teilnehmen, dafür darf das Diplom aber nicht länger als sieben Jahre zurückliegen. Auf keinen Fall wollten Silvia Schellenberg-Thaut und Sebastian Thaut ihre Entwürfe als sogenannte U-Boote unter dem Label eines eingesessenen Büros einreichen, wie das in der Branche praktiziert wird. Dieser Zwickmühle, entweder zu viel Erfahrung zu haben oder zu wenig, entkamen sie erst, als ihr Entwurf beim Wettbewerb für das Keltenmuseum am Glauberg den zweiten Preis gewann und in der Fachpresse veröffentlicht wurde.
Ein sehr intensives Projekt
"Das war ein sehr intensives Projekt. Wir haben sogar in der Zeit geheiratet. Wirklich mit Leib und Seele im Job. Das war so ein Projekt, das uns gezeigt hat: Wir sind auf dem richtigen Weg. Plötzlich sind öffentliche Bauherren aus dem Raum Sachsen auf uns aufmerksam geworden. Und dann haben wir sogenannte Testballons bekommen, also Aufträge unter dem Schwellenwert, wo uns das Land getestet hat, wie gut machen die den Auftrag."
Im sächsischen Eibenstock planten die Architekten das Wirtschaftsgebäude für das Forstamt. Mit seiner Fassade aus handgespaltenen Rotzeder-Schindeln wurde der Entwurf mit dem best architect award ausgezeichnet. Gerade baut das Büro das Lutherarchiv in Eisleben um. Zu den Besonderheiten des Atelier ST gehört auch die Gestaltung der Innenräume. In der Polizeistation von Schneeberg sorgt zum Beispiel ein glänzend weißer Tresen für James-Bond-Schwung unter der historischen Holzbalkendecke.
Die Bauherren ziehen mit zwei Koffern ein
"Wir haben das immer so geplant, dass das Möbel nicht ein Beiwerk ist, sondern, dass es dazugehört. Dass es Einbauschränke gibt, die raumhoch sind. Dass die Küche sich integriert. Bestenfalls war es bei dem Maison du Beton, da sind die Bauherren mit zwei Koffern eingezogen. Sie mussten nur die Schränke aufmachen, einräumen und es war gut."
In Groß Glienicke wird die Bauherrin Susan Kunze eigene Möbel mitbringen. Doch für das neue Heim werden sie und ihre beiden Töchter den gemeinsamen Hausstand radikal reduzieren. Weniger ist mehr, lautet ihre Philosophie. Einziges Zugeständnis an die Teenager: ein pink Plüschteppich. Brüche hält der doppelbödige Entwurf des Atelier ST aus. Für Susan Kunze verkörpert das Haus ihre Haltung zum Leben.
"Ich bin halt ein sehr geradliniger Mensch und ich mag es nicht, wenn man kaschiert oder wenn man unehrlich ist oder etwas verbirgt. Also das Haus wurde aus Beton gebaut und da wird nichts gemalert und nichts geklebt, sondern es ist so, wie es entstanden ist, mit Rissen, mit kleinen Fugen, so ist das Leben."