Soziale Gerechtigkeit hat sich die SPD in diesem Wahlkampf ganz groß auf die Fahnen geschrieben. Aber auch alle anderen Parteien wollen mit dem Thema punkten und Wähler gewinnen. Wir fragen in unserer Reihe "Ist unsere Gesellschaft wirklich ungerecht?" - und stellen Menschen vor, die eigentlich alles richtig machen, aber dennoch auf keinen grünen Zweig kommen.
Warum sich eine Bauunternehmerin bestraft fühlt
Elisabeth Renner und ihr Mann Michael führen in München ein Bauunternehmen mit rund 70 Mitarbeitern. Sie zahlen Tariflöhne, Steuern, bilden Lehrlinge aus - und fühlen sich ungerecht behandelt.
Es sind fette Jahre in der Münchner Baubranche. An und auf den Baustellen in der Stadt verdienen viele Menschen ihr Brot - nur oft unter widrigsten Bedingungen.
"Also, es klingt jetzt schrecklich, aber ich halt’s für Menschenhandel."
Elisabeth Renner führt selbst ein Bauunternehmen, zusammen mit ihrem Mann Michael in dritter Generation. Die 63-Jährige mit dem herzlichen Lachen weiß, wie es bei manchen ihrer Konkurrenten zugeht: Arbeiter aus Osteuropa schuften in München auf dem Bau - ohne gerechten Lohn, ohne Sozialversicherung und oft ohne Vertrag. Die Masche, die Elisabeth Renner seit über 20 Jahren anprangert, nennt sich Subunternehmen.
"Die haben eben keine eigenen gewerblichen Mitarbeiter mehr oder eine geringe Anzahl. Und bedienen sich halt ausschließlich der Subunternehmer, die hier ja seit 20 Jahren am Markt sind – zunehmend natürlich osteuropäische Subunternehmer. Es gibt mit Sicherheit auch da vernünftige und gute Firmen, aber das Gros bewegt sich im Graubereich und der Zoll ist ja komplett überfordert, diese ganzen Firmen zu kontrollieren. Insofern ist da ein großer Spielraum, der mit Sicherheit ausgenutzt wird."
Tausende Osteuropäer arbeiten auf Münchner Baustellen, meist zu einem Bruchteil des Tariflohns, ohne Sozialversicherung oder gleich als Scheinselbständige.
"Normalerweise sollte das nicht unterstützt werden, so wie es im Augenblick ist, sondern untersagt werden."
Doch gerade die öffentlichen Bauträger wie Gemeinden oder der Freistaat fördern das Lohndumping, in dem sie ihre Aufträge an die billigsten Anbieter vergeben. Mittelständische Firmen, die anständig bezahlen, können da nicht mithalten und gehen leer aus. Denn billig bauen geht nur über billige Löhne, sagt Elisabeth Renner.
"Ich meine, Beton, Stahl - die Baustoffe sind in etwa gleich. Wenn ich heute große Unterschiede in den Vergabesummen habe, liegt’s ausschließlich am Lohn. Denn an der Lohnschraube kann ich drehen, und Subunternehmer sind natürlich wesentlich günstiger als wir, die wir ja von Haus aus hohe Lohnkosten haben, hohe Lohnnebenkosten mit der Berufsgenossenschaft, mit der Sozialkasse liegt eine Arbeitsstunde im Schnitt bei 48 Euro. Der Subunternehmer wird etwa bei der Hälfte oder noch weiter darunter liegen."
Geringe Erfolgsquote bei öffentlichen Aufträgen
Entsprechend gering war auch die Erfolgsquote der Baufirma Renner in den letzten Jahrzehnten, wenn sie sich um öffentliche Aufträge beworben hat.
"Bis auf ein zwei Baustellen, die wir bekommen haben ohne Erfolg - also für den Papierkorb kalkuliert. Mittlerweile haben wir das eingestellt, für die öffentliche Hand zu kalkulieren."
Zum Glück halten private Bauträger dem Unternehmen die Treue, die Auftragsbücher sind bis weit ins kommende Jahr gefüllt. Die Politik dagegen kümmert sich nicht um das Problem der Mittelständler, klagt Elisabeth Renner:
Zum Glück halten private Bauträger dem Unternehmen die Treue, die Auftragsbücher sind bis weit ins kommende Jahr gefüllt. Die Politik dagegen kümmert sich nicht um das Problem der Mittelständler, klagt Elisabeth Renner:
"Ich habe ja schon 1996 an den damaligen Oberbürgermeister Ude geschrieben - da hat sich das so entwickelt, dass wir noch relativ viel für öffentliche Baumaßnahmen kalkuliert haben und eigentlich festgestellt haben, dass wir mindestens 20 Prozent zu teuer waren. Und dann habe ich ihm eben geschrieben, ob das im Sinne des Steuerzahlers und des Bürgers ist, wenn Firmen, die sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze schaffen, die Lehrlinge ausbilden, die in München viel Gewerbesteuer zahlen, dann im Grunde genommen diskriminiert werden und nicht mehr zum Zug kommen. Das Einzige, was ich als Antwort erhalten hab: Ich soll’s weiter versuchen, irgendwann werden wir Glück haben."
Für das Problem des Lohndumpings auf dem Bau interessiert sich die Politik bis heute nicht. Ungerecht sei das – für die Arbeiter und für die Unternehmer sagt Elisabeth Renner. Und diese Erfahrung wird auch ihre Entscheidung bei der Bundestagswahl beeinflussen.
"Ich habe natürlich meine Linie, das können Sie sich denken. Es gibt sicherlich Dinge, die einem weniger entgegenkommen, in den Wahlprogrammen. Im Großen und Ganzen ist aber meine Entscheidung schon klar."