Reinhard Kaiser-Mühlecker: "Fremde Seele, dunkler Wald"
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2016
300 Seiten, 20,00 EUR
Schweigen als verhängnisvolle Kommunikationsform
In "Fremde Seele, dunkler Wald" schildert Reinhard Kaiser-Mühlecker ein archaisch anmutendes Familienszenario über zwei Bauernbrüder, die ihre Konflikte nicht aufzulösen vermögen. Der Roman vermittelt, dass es Strukturen gibt, die zäher sind, als man denkt.
Der Titel scheint in die tiefste Romantik zu weisen, dort, wo im 19. Jahrhundert vor allem in Deutschland Künstler, Bauern und Sinnsucher die Abgründe des Lebens erforschten. Aber Reinhard Kaiser-Mühlecker bezieht sich auf Österreich, und er hat das schon in etlichen Romanen getan.
Seine Sprache speist sich auch durchaus aus früheren Quellen, in seinem Fall ist wohl Adalbert Stifter ein Auslöser gewesen. Aber man merkt doch ziemlich schnell, dass sein Stoff von heute ist: Auf Bauernhöfen in Oberösterreich haben sich Muster und Traditionen gehalten, die man im gegenwartssüchtigen Medienmilieu längst für ausgestorben oder gestrig hält.
Keineswegs idyllisches Landleben
Die Höfe auf dem keineswegs idyllischen flachen Land um Linz, wo die Alpenkette am Horizont auftaucht, sind zwar mittlerweile von Autobahnen umstellt, doch die Familienbindungen und die psychischen Dispositionen ändern sich nicht so schnell, wie man angesichts der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen vermuten würde.
Auch in seinem neuen Roman schildert Kaiser-Mühlecker ein Familienszenario, das archaisch anmutet, aber vielleicht gerade deswegen für heutige Leser einen unerwarteten Sog entfalten kann. Der betreffende Betrieb ist ziemlich heruntergewirtschaftet, das Familienoberhaupt verspekuliert sich regelmäßig, die Großeltern haben sich aufs Altenteil zurückgezogen.
Der jüngere Bruder Jakob hat mehr oder weniger den Hof übernommen, während der ältere Bruder Alexander, dem dies aufgrund der üblichen Erbfolge eigentlich zustände, im Militärdienst ist und nach einem Auslandseinsatz zurückkehrt.
Die weitere Entwicklung der beiden Brüder wird parallel geschildert. Alexander tritt eine Stelle im Ministerium in Wien an, wo er sich in die Frau eines Vorgesetzten verliebt und sich in der Beziehung zu ihr lange Zeit ziemlich aufreibt.
Eine ungeahnte, verwickelte Geschichte
Jakob hingegen versucht, sich als Bauer auf eigene Beine zu stellen, doch der Großvater gibt ihm kein Geld dafür. Seine Freundin wird schwanger, und hinter dieser Schwangerschaft verbirgt sich eine ungeahnte, verwickelte Geschichte, die etwas mit einem rätselhaften Jugendfreund Jakobs zu tun hat.
Wie sein Unbehagen an Ninas Kindbett geschildert wird, seine körperlichen Abwehrreaktionen, ist sehr eindringlich und bereitet die Erkenntnis vor, dass es einen konkreten Grund dafür gibt, von dem Jakob nichts wusste.
Auch sonst sind die Konflikte in diesem Roman mit einer zeitlos wirkenden Wucht beschrieben, was umso gravierender ist, da die Figuren sich kaum ausdrücken können, das Schweigen seit jeher ihre bevorzugte, bewährte und gleichzeitig verhängnisvolle Kommunikationsform ist.
Ein Roman, der aus einer anderen Zeit herüber zu ragen scheint und dennoch vermittelt, dass es Strukturen gibt, die zäher sind, als man denkt. Kaiser-Mühlecker verankert sich in der Literaturgeschichte, nicht in aktuellen Diskursen.