Reinhard Mehring: Carl Schmitt, Denker im Widerstreit: Werk - Wirkung - Aktualität
Verlag Karl Alber, Freiburg 2017
412 Seiten, 39,00 Euro
Von Hitler zu Mao
Was bleibt von Carl Schmitt? Reinhard Mehrings Buch "Denker im Widerstreit" gibt Antworten, die vor allem jene verstören werden, die Schmitt lediglich rechts verorten. Wohltuend: der Verzicht auf einen aufgeregt-alarmistischen Ton.
Wie ist es um die Aktualität des Staatsrechtlers und Zeitkritikers Carl Schmitt bestellt? Das Denken des ehemaligen "Kronjuristen" des Dritten Reichs scheint besonders in rechtsintellektuellen Zirkeln wieder en vogue, wird dort dem liberalen Verfassungsstaat doch eben jene "Zahnlosigkeit" attestiert, die Schmitt bereits in der Weimarer Republik monierte. Auch dessen forsche Formulierung "Die Ausnahme ist interessanter als der Normalfall; das Normale beweist nichts, die Ausnahme beweist alles" bestätigt jene, die das vermeintlich träge Deutschland erneut ungewappnet am Rande des Zerfalls sehen und das Parlament als "unechte Fassade" wahrnehmen.
Der in Heidelberg lehrende Politikwissenschaftler Reinhard Mehring hat in seinem neuen Buch "Carl Schmitt: Denker im Widerstreit" nun "Werk-Wirkung-Aktualität" untersucht und sich mit den zahlreichen Facetten Schmittschen Denkens auseinandergesetzt. Mehring, der seit vielen Jahren zu Carl Schmitt (1888-1985) forscht, hält in diesen Texten wohltuend Abstand zum aufgeregt-alarmistischen Ton, dessen sich sowohl Schmitt-Adepten wie auch dessen Verächter häufig befleißigen.
Mehring geht penibel und nüchtern vor
Denn was bleibt wirklich von jenem Mann, der einst im autoritären Hindenburg den "Hüter der Verfassung" zu erkennen meinte, dann Hitler im Zuge des Röhm-Putschs mit dem berühmt-berüchtigten "Der Führer schützt das Recht" exkulpierte, ehe er schließlich von allen Verfassungsfragen absah und den Antisemitismus des Dritten Reichs als dessen raison d´être bejubelte? Penibel und nüchtern analysiert der Wissenschaftler Mehring die zahlreichen Schmittschen Schriften - und kommt zu einem verblüffenden, doch logischen Resümee über die Aktualität eines "Großraumdenkers", der zeitlebens die Universalität der Menschenrechte als "liberale Augenwischerei" ablehnte und lediglich in Freund-Feind-Kategorien dachte:
"Als Apologet des Weimarer Präsidialsystems wurde Schmitt zu einem Cheftheoretiker autoritärer und autokratischer Systeme ... Heute gehörte er wohl zu den 'Putinverstehern'."
Diese aber, wie jeder Zuschauer der TV-Talkshows weiß, finden sich gewiss nicht nur in der AfD, sondern auch in der Linkspartei und der SPD, wo man den erzrechten Sound von "gewachsenen Kulturräumen", die ein starker Staat schützen müsse, nur allzu oft unkritisch nachbetet.
Hingegen wäre Schmitts Faible für Strukturen und Entscheidungsträger durchaus Erkenntnis fördernd zu diskutieren:
"Wahrscheinlich hätte er sich für die Europäisierungsmotoren des Europäischen Gerichtshofs und der Europäischen Zentralbank interessiert und nach dem gegenwärtigen Ort und Träger der Souveränität gefragt."
Andererseits hatte Schmitt bis zu seinem Tod weder für die deutsche Teilung noch für den europäischen Einigungungsprozess Interesse aufgebracht - wohl aber 1963 in seiner Schrift "Die Theorie des Partisanen" ausgerechnet China als eine Art Alternative aufscheinen lassen:
"Der Text evozierte das maoistische China als Großraum und Verfassungsalternative gegen die 'moderne Einheit' der Welt."
Derrida attestierte Schmitt "Wachsamkeit und Wagemut"
Von den Massenmördern Hitler und Mao hin zu jener frühen Form kulturalistisch argumentierender "Globalisierungskritik", die heute in linken wie auch in rechten Kreisen Anklang findet: Es ist wahrlich etwas Trübes um Carl Schmitts fortgesetzte Aktualität. Ob man im Falle dieses Denkers tatsächlich von "Wachsamkeit und Wagemut" sprechen kann, wie es Jaques Derrida tat?
Indessen wohl kein Zufall, dass um das Jahr 1968 linke Intellektuelle wie der Hegel-Forscher Alexandre Kojéve und die APO-Theoretiker Hans-Jürgen Krahl und Johannes Agnoli positiv auf Schmitts Partisanen-Theorie Bezug nahmen, während nach dem 11. September 2001 vor allem in konservativen Kreisen gefordert wurde, Schmitts Denken in Freund-Feind-Kategorien zu revitalisieren.
Auch die Tatsache, dass dessen Parlamentarismus-Kritik - aufbauend auf Jean-Jaques Rosseaus Vorstellung eines volenté générale, der nicht verfälscht werden dürfe - mittlerweile in verschiedenen politischen Lagern rezipiert wird, beweist vor allem eines: Das fortgesetzte Spekulieren auf eine vermeintlich direkte, jedoch illiberale, da politisch-ethnisch homogene Demokratie ist wohl Schmitts giftigstes Erbe.
Umso wichtiger ein Buch, das trotz guter Lesbarkeit nicht als schnellgeschriebene Streitschrift daher kommt, sondern das Resultat profunder Untersuchungen und Text-Rezeptionen ist.