„Kein Ziel und keine Ehre, keine Pflicht,
sind's wert dafür zu töten und zu sterben.“
Und etwas später in der dritten Strophe:
„Sie werden nicht in Reih' und Glied marschieren,
nicht durchhalten, nicht kämpfen bis zuletzt,
auf einem gottverlass’nen Feld erfrieren,
während ihr euch in weiche Kissen setzt."
Reinhard Mey zum 80.
Ein Mann und seine Gitarre. Sonst nichts. Doch das genügt Reinhard Meys zahlreichen Fans auf den Konzerten. © imago / Rene Traut
Der Mann über den Wolken
13:25 Minuten
Viele Ohrwürmer hat Reinhard Mey geschrieben, einige wurden Hymnen. Seine Lieder wirken auf stille Art immer auch politisch, ohne plakativ politisch zu sein. Nun wird der Sänger und Musiker 80 Jahre alt.
Wie macht er das bloß immer? Er steht alleine mit seiner Gitarre auf der Bühne und singt seine Lieder. Und anschließend gehen Zehntausende Konzertbesucherinnen und -besuchern beseelt nach Hause.
Seit fast sechs Jahrzehnten lebt Reinhard Mey für seine Musik und füllt immer noch große Konzerthallen. Er schrieb Lieder wie „Über den Wolken“, „Gute Nacht, Freunde“, „Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht“, die für viele zu Hymnen wurden. Letzteres, 1986 entstanden, erfuhr 2020 als Koproduktion mit zahlreichen befreundeten und teils deutlich jüngeren Musikerinnen und Musikern eine Neuauflage und hat nichts von seiner Eindringlichkeit verloren.
Meys Lieder wirken auf stille Art immer auch politisch, ohne plakativ politisch zu sein. Er trat und tritt aber nie wie ein Agitator auf, bezeichnet sich selbst allerdings als Radikalpazifisten und eckt damit auch an – etwa, wenn er sich deutlich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine ausspricht.
"Mikrokosmonaut der Alltagsdinge"
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ nennt ihn ziemlich treffend „Mikrokosmonaut der Alltagsdinge“. Und von denen singt er fast ausschließlich, nicht nur ernst, auch sehr komisch. Unvergessen sein herrlich absurder Song über deutschen Behördenwahnsinn, „Ein Antrag auf Erteilung eines Antragformulars“, der leider auch im Zeitalter der Digitalisierung immer noch sehr aktuell ist.
Reinhard Mey wurde vor 80 Jahren im vom Krieg zerstörten Berlin geboren und wuchs als Sohn eines Juristen und einer Lehrerin auf. „Nie wieder Krieg“ – diese Haltung vermittelten ihm schon früh seine Eltern. Das hat ihn geprägt.
Liebe zu Frankreich
Was ihn ebenfalls prägte, vor allem in der Anfangszeit seiner Karriere: die Liebe zu Frankreich. Er war mehrmals als Austauschschüler dort, startete unter dem Künstlernamen Frédéric Mey in Frankreich seine Karriere als Liedermacher. Seit 1962 vertonte Mey Balladen des spätmittelalterlichen Dichters François Villon.
Nicht nur Meys eigene Generation, auch deutlich Jüngere finden sich in seinen deutschen Liedtexten wieder, vorgetragen im typischen Mey-Duktus. Zu diesen Jüngeren gehört auch der Autor und Literaturwissenschaftler Oliver Kobold, Jahrgang 1970.
Seine Liedtexte sind Klassiker
„Meys Lieder sind Feier des Gelungenen wie Einspruch gegen das Schlechte. Wovon handeln sie? Von der Liebe zwischen Asphalt und Wolken. Von den Widrigkeiten des Alltags. Vom ganzen Leben“, schreibt Kobold. Für ihn sind Meys Songs zeitlos. Die Texte kann man in einem vom Reclam Verlag in seiner Klassikerreihe herausgebrachten Band nachlesen. Und wenn man Zeilen liest wie diese aus „Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht“,
kann man sich gut vorstellen, dass Meys Texte, ähnlich wie bei Bob Dylan, auch ohne Musik funktionieren.
Sehnsuchtshymne "Über den Wolken"
Oliver Kobold hat ein Buch über den Liedermacher verfasst. Auf 100 Seiten blickt er auf die wichtigsten Stationen in Meys langer Karriere, begegnet dessen Weggefährten und zeigt, was seine Lieder, ihre Sprache und Wirkung so unverwechselbar macht.
Kobold fühlt sich zum Teil an Texte aus der Zeit der Weimarer Republik erinnert: eine Mischung aus „Kabarett, Bänkelsang und Hohelied“. Und: Seine Lieder seien immer auch Hoffnungsträger gewesen. Beispiel: „Über den Wolken“.
Oliver Kobold: "Reinhard Mey. 100 Seiten"
Reclam Verlag, 2022
100 Seiten, 10 Euro
Reinhard Mey: "Ich wollte wie Orpheus singen. Lieder und Chansons"
Reclam Verlag, 2022
143 Seiten, 7 Euro
„Das Lied war gar nicht als Hit gedacht und zunächst nicht mal als Single ausgekoppelt, es war einfach ein Track auf einer LP. Aber die Leute haben in dem Lied etwas entdeckt, was sie nicht mehr hergeben wollten.“ Der Song handele nicht wirklich vom Fliegen, sondern von der Sehnsucht danach, sagt Kobold.
„Und auch deshalb – weil es von Sehnsucht – handelt, konnten so viele Menschen etwas damit anfangen. Auch die Menschen in der DDR, wo das Lied nicht gespielt werden durfte, weil es auch eine Freiheitshymne ist – über die Sehnsucht nach der grenzenlosen Freiheit.“
Und vor diesem Hintergrund sei es nicht verwunderlich, dass jeder sein eigenes Leben in den Liedern erkennen könne. Darum auch sei er auch heute noch so populär.
Liebeserklärung von Klaus Hoffmann
Eine große Liebeserklärung an den Kollegen und Freund kommt von Klaus Hoffmann, knapp zehn Jahre jünger als Reinhard Mey. „Er ist ein sehr großer, kleiner, scheuer, liebevoller und fast schon bedenklich optimistischer Mensch“, sagt der Sänger. Doch dieser Optimismus sei „ungemein hilfreich“.
Seine Zeit- und Gesellschaftskritik bringe Mey „eher auf einer Ringelnatz-Ebene“ und erzähle sie auf seine Art. Und stiller als explizit politische Liedermacher wie Hannes Wader oder Wolf Biermann.
"Ich bin so froh, dass der Typ da ist!"
Eine echte Freundschaft im Musikbusiness sei selten – doch genau die verbinde ihn mit Reinhard Mey. Mey war nicht nur Hoffmanns Trauzeuge – er habe ihm auch wichtige Anstöße für seine eigenen Lieder gegeben, erzählt Hoffmann.
Von den Liedermachern alten Schlags seien nur noch wenige übrig. Und auf seinen Freund bezogen: „Wenn Reinhard stirbt, dann zittert die Welt. Wahrhaftig! Denn er ist so ein Goethe in unserem Land.“
Die in Meys Songs transportierte Botschaft von „Glaube, Liebe, Hoffnung“ sei sehr wichtig in dieser Welt. Und er fügt hinzu: „Ich bin so froh, dass der Typ da ist!“
(mkn)