Reinhold Messner und die Faszination Bergsteigen

Zurückgeworfen auf das bescheidene Menschentum

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Reinhold Messner sitzt vor einer Fototapete mit schneebedeckten Bergen.
"Wir gehen freiwillig dort hin, wo wir umkommen könnten, um nicht umzukommen", sagt Reinhold Messner über das Bergsteigen. © picture-alliance/ Rainer_Jensen
Von Tobias Wenzel |
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Reinhold Messner hat als erster Mensch alle Achttausender bestiegen und den Mount Everest ohne künstlichen Sauerstoff. In seinem neuen Buch erklärt er, warum es sich gelohnt hat, die ganzen Strapazen auf sich zu nehmen.
Reinhold Messner sitzt im Garten des Schlosses Sigmundskron bei Bozen in Südtirol, das er zum Bergmuseum umgebaut hat. Über der Schlossmauer ist das Panorama der Alpen zu sehen. Ich frage Messner, ob er den Isterberg kennt. Er kennt ihn nicht.
Wie sollte er auch: Der Isterberg liegt in Niedersachsen. Seine Höhe: 68 Meter. Als Kind habe ich nur den Isterberg bestiegen, erzähle ich Messner, damit gleich klar ist, dass er einen Alpinismus-Laien vor sich hat. Wie erklärt Messner einem Menschen vom flachen Land, dass es, wie der Titel seines neuen Buchs suggeriert, reizvoll sein kann, in den Bergen fast umzukommen?
"Die Kunst dabei ist das Überleben. Und das ist eben etwas, was ein Laie oder jemand, der einen Berg bestiegen hat, der hundert Meter hoch ist, ganz schwer verstehen kann: dass wir freiwillig dort hingehen, wo wir umkommen könnten, um nicht umzukommen", antwortet Messner.

Der Respekt für den Berg wächst

Die Gefahr macht Bergsteigern klar, wie vergänglich unser Leben ist. Gleichzeitig wächst der Respekt vorm Berg. Diese Haltung will Messner den folgenden Generationen vermitteln.
Auch in seinem neuen Buch. Das ist eine Geschichte des traditionellen Alpinismus, des Bergsteigens ohne große Hilfsmittel und große Teams, gerade nicht auf abgesteckten Pfaden. Ende des 18. Jahrhunderts war der Berg für Menschen plötzlich nicht mehr nur dekorative Kulisse. Goethe etwa bestieg den Brocken.
Für Reinhold Messner wurde der Berg mehr als Kulisse, als er fünf war. Mit seinen Eltern und einem Bruder verbrachte er zwei Wochen auf einer Alm in den Dolomiten und bestieg einen Dreitausender.
"Beeindruckt hat mich der Moment, als ich zurückkam am Abend auf diese Alm und zum Gipfel hinaufschaute, den ich gerade bestiegen hatte und mir selber nicht glauben wollte, dass ich da oben war, weil jetzt diese Maße durcheinander gekommen waren. Ein Unglaube mir selber gegenüber, dass ich wirklich auf diesen großen, mächtigen Berg gestiegen war. Und das war ein stärkeres Gefühl, als später vom Everest zurückzukommen", erzählt Messner.

Im süßen Nirwana der Lawine

Im Buch berichtet Messner nicht nur von seinen eigenen Erfahrungen, sondern lässt auch andere herausragende Alpinisten selbst zu Wort kommen. Der österreichische Bergsteiger Eugen Guido Lammer etwa beschrieb das Gefühl, das er empfand, als er Ende des 19. Jahrhunderts von einer Lawine mitgerissen wurde, als "schöne Passivität" und "süßes Nirwana".
"Und ich glaube ihm jedes Wort", sagt Messner. "Er stürzt durch die Matterhorn-Westwand an die 400 Meter ab und ist so demoliert, dass er nur mehr kriechen kann und sagt: Das war der schönste Tag seines Lebens."
Im Buch porträtiert Messner auch Catherine Destivelle. An diesem Tag ist die französische Extrem-Bergsteigerin zu Gast auf Schloss Sigmundskron, um einen Alpinisten-Preis entgegenzunehmen. Ein spektakuläres Foto im Buch zeigt sie über einer Felsspalte. Einmal ist sie 35 Meter tief in eine solche Spalte gestürzt, verletzte sich schwer, gab aber das traditionelle Bergsteigen nicht auf. Warum nicht?
"Der Sturz war ja meine Schuld", sagt Destivelle. Wenn ich von einer Lawine überrascht worden wäre, hätte ich vielleicht mit dem Gedanken gespielt aufzuhören. Aber in diesem Fall hat ein Fehler von mir zum Sturz geführt. Wenn Sie eine Straße überqueren, ohne vorher nach links und rechts zu sehen und dann umgefahren werden, dann hindert Sie es ja nicht daran, in Zukunft wieder eine Straße zu überqueren. Das ist das Gleiche."

Große Opfer gebracht

Jeder zweite traditionelle Alpinist sterbe am Berg, sagt Reinhold Messner. Eigentlich sei dieses Extrem-Bergsteigen unverantwortlich mit Blick auf die Familienangehörigen.
"Trotzdem habe ich es getan und ich stehe dazu", sagt Messner. "Mich hat meine Mutter relativ früh entlassen. Wenn ich daran denke, muss ich bewundernd sagen: Wie sie diese Ängste weggesteckt hat, finde ich großartig. Wir sind, 16, ich 18, mein Bruder war ja mein Kletterpartner, in der Früh um vier Uhr losgegangen, Seil, Haken, Mutter hat noch Frühstück gemacht. Und sie wusste am Morgen nie, ob wir am Abend wiederkommen. Aber wir sind lange wiedergekommen, bis eben mein Bruder am Nanga Parbat unter eine Lawine geriet."
Nur ist es das alles wert, die vielen Toten, die körperlichen Verletzungen (Reinhold Messner sind sieben Zehen abgefroren)? Warum fasziniert ihn der traditionelle Alpinismus bis heute?
"Weil ich auf mein ganz bescheidenes Menschentum zurückgeworfen werde", sagt Messner. "Das ist das Wichtigste."

Reinhold Messner: "Zwischen Durchkommen und Umkommen. Die Faszination des Bergsteigens"
Ludwig Buchverlag 2021
304 Seiten, 32 Euro

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