Reis muss nicht in der Wüste wachsen
Ägypten will nicht, dass andere Länder dem Nil mehr Wasser entnehmen. Es beansprucht den Löwenanteil des Flusswassers. Doch selbst das dürfte angesichts eines rasanten Bevölkerungswachstums und weiterer Faktoren nicht mehr lange reichen.
Windböen wirbeln heißen Sand auf zwischen schäbigen Lehm- und Betonhäuschen an einer löchrigen Asphaltpiste; magere Rinder und Ziegen ducken sich unter Dattelpalmen; überall im Sand ringsum stecken schwarze Bewässerungsschläuche. Das ist New Nubaria, gelegen im ägyptischen Nildelta, 80 Kilometer vor der Mittelmeerküste. Eine 250.000 Hektar große Wüstenregion, die Ägyptens Regierung Mitte der 80er-Jahre in Ackerland verwandelte – für 200.000 Bauern, die im sogenannten "alten" Land kein Auskommen mehr fanden. Mit über Kanäle hierher geleitetem Nilwasser halten in weiß-graue Galabeias, in traditionelle Gewänder gehüllte Fellachen ihre Erdnüsse am Leben, ihre Bohnen und Orangenbäume. Abdel Aziz, ein massig wirkender Mann mit grauem struppigem Bart, kam 1988 in diese unwirtliche Umgebung – weil ihm das Landwirtschaftsministerium günstig fünf Feddan, zwei Hektar, Land anbot; mit Haus und Beregnungsanlage, abzuzahlen in 30 Jahren. Im Laufe der Jahre jedoch wuchs auf Abdels Land immer weniger, weil es zu tief lag und immer wieder von salzigem Grundwasser überschwemmt wurde. Die Hälfte seines Landes immerhin habe er retten können, sagt der Fellache und zieht ein Büschel reifer Erdnusspflanzen aus dem Sand eines erhöht liegenden Feldes.
"Auf diesem Feld hier baue ich, mit Tröpfchen-Bewässerung, im Sommer Erdnüsse an, im Winter Weizen und Klee. Benutzen kann ich das Feld aber nur, weil ich es vor einigen Jahren massiv höher gelegt habe – mit Sand, den mir ein Nachbar mit einem sehr hoch gelegenen Grundstück verkauft hat. 20.000 Pfund hat mich der Spaß gekostet; mein gesamtes Vieh musste ich dafür verkaufen und mir noch Geld leihen. Heute weiß ich, dass ich mit unterirdischen Entwässerungsrohren sehr viel günstiger gefahren wäre. Davon aber haben mir die Berater des Landwirtschaftsministeriums nichts gesagt – obwohl ich sie mehrfach um Hilfe gebeten habe."
Zugang zu staatlicher Hilfe, meint Abdel Aziz achselzuckend, haben noch am ehesten für den Export produzierende Großinvestoren, die Gemüse in Gewächshäusern ziehen und lange Reihen Orangen-, Pfirsich- und Aprikosenbäume in den Sand von New Nubaria gesetzt haben. Einige dieser Investoren haben Brunnen bis in 140 Meter Tiefe gebohrt und bewässern ihre Wüstenplantagen mit nicht erneuerbarem fossilem Grundwasser. Dessen ungeachtet sind inzwischen 15 Prozent des Wüstenackerlands von New Nubaria nicht mehr nutzbar, weil immer weniger Wasser des Nils im Delta ankommt und deshalb immer mehr salziges Mittelmeerwasser ins Landesinnere Ägyptens dringt, das teils unter dem Meeresspiegel liegt.
Im Kampf um dieses vor allem landwirtschaftlich genutzte Wasser hatte bislang vor allem Ägypten das Sagen, das fast 90 Prozent des Wassers verbraucht. Diesen Löwenanteil am Nilwasser ließ sich Ägypten in etlichen internationalen Verträgen zusichern – mit dem Kaiser von Äthiopien 1906, mit der Kolonialmacht Großbritannien 1929, mit dem Sudan 1959. Die Verträge ließen, indes, die Interessen der Oberanrainer völlig unberücksichtigt – was diese nicht länger hinnehmen wollen. Insbesondere Äthiopien, das 85 Prozent des Nilwassers liefert und wie Ägypten über 80 Millionen Menschen ernähren muss, will die alten Verträge nicht mehr gelten lassen. Im Unterschied zu Ägypten hätten die Äthiopier bis heute erst 15 Prozent ihres landwirtschaftlichen Potenzials ausgeschöpft, sagt in Addis Abeba der äthiopische Regierungsberater Professor Yakob Arsano. Äthiopiens Entschlossenheit, dies zu ändern, dokumentiere der jüngst eingeweihte Beles-Damm am Tanasee. Allein dieser Damm soll 460 Megawatt Strom liefern und 120.000 Hektar Land bewässern.
"”Nach dem aktuellen Fünf-Jahres-Plan gehört es zu den wichtigsten Aufgaben Äthiopiens, seine Wasserressourcen zu entwickeln. Damit wollen wir zum einen die Nahrungsmittelproduktion unterstützen, die überlebenswichtig ist für uns; zum anderen wollen wir in den nächsten fünf bis zehn Jahren unsere Industrie und vor allem unser Potenzial an Wasserkraft massiv ausbauen.""
Ähnliche Töne sind aus Uganda zu hören, einem Land mit inzwischen 33 Millionen Einwohnern und einem Bevölkerungswachstum von 3,4 Prozent. Um über die neuen Ansprüche der Länder am Oberlauf des Nils zumindest zu diskutieren, beteiligte sich Ägypten 1999 an der sogenannten "Nilbecken-Initiative", NBI, der Flussanrainer. Die NBI bekam die Aufgabe, politisch und wissenschaftlich-technisch, den Boden zu bereiten für eine gemeinsame Nutzung der Nil-Ressourcen. In den folgenden elf Jahren jedoch verschleppte Kairo die Verhandlungen über ein Rahmenabkommen zur Nutzung des Nils. Während die Oberanrainer eine "gerechte Aufteilung der Ressourcen" als Leitprinzip vorschlugen, besteht Ägypten bis heute darauf, dass ihm weiterhin 55,5 Kubikkilometer Nilwasser jährlich garantiert bleiben, jene fast 90 Prozent. Im Mai 2010 schließlich platzte den sieben Oberanrainern der Kragen. Sie verabschiedeten das Rahmenabkommen in ihrer Version. Ägypten und Sudan reagierten mit massiven Drohungen – bis hin zu lautem Säbelrasseln.
Kairo, das Hochhaus des halbstaatlichen "Al-Ahram-Zentrums für strategische Studien", umgeben von verstopften Stadtautobahnen. Im elften Stock des Zentrums verteidigt Präsidentenberater Hany Raslan energisch die Position seines Landes. Die Situation der Flussoase Ägypten – einst Kornkammer des römischen Reiches, heute größter Weizenimporteur – spitze sich kontinuierlich zu.
"”Pro Person stehen den Ägyptern derzeit 760 Kubikmeter Wasser zur Verfügung – während es, nach Einschätzung der Vereinten Nationen, tausend Kubikmeter sein müssten, um alle Grundbedürfnisse zu erfüllen. 2017 werden wir nur noch 580 Kubikmeter Wasser pro Person haben; das heißt, Ägypten wird zusehends zu einem wasserarmen Land. Insbesondere deshalb können wir das neue Rahmenabkommen nicht unterzeichnen. Denn das garantiert Ägypten nicht, wie ältere Verträge, eine feste Wassermenge.""
In New Nubaria wollte, auf seinem nutzlosen Wüstenacker, der Tagelöhner Abdel Chatr nicht über Nilverträge und Politik reden. Der Besucher möge sich an Hajid Gnedi wenden, den Pachtherrn seines Bruders im nahen Bezirk Behera.
Hajid Gnedi ist ein Hüne mit einem gepflegten grauen Vollbart unter der gewaltigen Hakennase. Gewandet in eine schneeweiße Galabeia, wirkt er wie ein orientalischer Stammesherr aus einem Karl-May-Roman. Auf der mit Teppichen ausgelegten Terrasse seines stattlichen Hauses aus ineinander verschachtelten Wohnräumen, Ställen und Getreidespeichern ist fast nur die dröhnende Stimme des Großbauern zu hören – während eine Schar Nachbarn und Untergebener devot lauscht. Beim Land Hajid Gnedis handelt es sich nicht um Wüstensand, sondern um extrem fruchtbares Schwemmland, das der Fluss über Jahrzehntausende aus den Bergen Äthiopiens ins Nil-Delta gespült hat. Stolz deutet Hajid auf ein nahes Feld, wo ein Pächter und zwei Kinder den schwarzen Boden eines Baumwollfeldes pflügen.
"”Ich habe meine 20 Feddan, knapp fünf Hektar, Ackerland an acht Fellachen verpachtet. Die bauen für mich sommers Baumwolle, Reis und Mais an; winters Zuckerrüben, Klee und Weizen. Alle Produktionsmittel außer der Arbeit stelle ich und bekomme dafür drei Viertel der Ernte. So weit, so gut. Zurzeit aber beklagt sich jeden Tag einer meiner Pächter über die Wasserbehörde. Die leitet jetzt nur noch vier Tage hintereinander Wasser in unsere Kanäle – und dann sechs Tage nichts. Das hält insbesondere der Reis, der alle drei Tage frisches Wasser braucht, nicht aus. Mehrmals habe ich deshalb schon Theater gemacht bei der Behörde. Aber die stellen sich stur. Ich solle doch auf den Anbau von Reis verzichten, sagen sie; auf das einzige Produkt, an dem ich noch einigermaßen verdiene.""
Für die neuen Gesetze, die wasserintensiven Reisanbau einschränken, macht der Großbauer nicht seine Regierung verantwortlich, sondern Oberanrainer des Nils wie Äthiopien und Uganda. Die zweigten schon jetzt viel mehr Wasser vom Nil ab, als ihnen zustehe.
"”Wäre ich Präsident Ägyptens, würde ich Ländern wie Äthiopien und Uganda nicht erlauben, uns zu erpressen, uns um unser Wasser zu berauben und die Bürger Ägyptens immer mehr leiden zu lassen. Ägypten hat seit ewigen Zeiten verbriefte Rechte auf das Wasser des Nils. Und wir hängen völlig ab von diesem Wasser, die Äthiopier und Ugander aber haben zusätzlich jede Menge Regen.""
Tatsächlich stößt Ägypten immer schmerzhafter an Grenzen, seine wachsende Bevölkerung zu ernähren – sagen auch ausländische Experten wie Paul Weber von der "Deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit", GTZ, die die Regierung in Bewässerungsfragen berät. Die Produktivität der ägyptischen Landwirtschaft, die schon heute zu den effizientesten der Welt zählt, ist kaum noch zu steigern, sagt Weber. Aber verschwenden die Ägypter nicht eine Menge Wasser, indem sie, zum Beispiel, regelmäßig ihre Felder überfluten? Da müsse man genau hinschauen, meint der Experte.
"Wenn die Felder in genau dem richtigen Ausmaß überflutet werden, wie es die Pflanzen brauchen, dann ist das keineswegs eine Verschwendung, sondern es ist einfach eine Art der traditionellen Bewässerung. Die kann sehr hohe Wirkungsgrade erreichen, die durchaus mit modernen Bewässerungsverfahren mithalten können. Und die so hohe Effizienz, die hier herrscht, erklärt sich daraus, dass die Leute eben eine jahrhundertelange, wenn nicht Jahrtausende alte Erfahrung in der Landwirtschaft mit Bewässerung haben."
Mit der Bewässerung der das Wasser gut haltenden Schwemmböden am Nil. Dieses alte Ackerland jedoch schrumpft zusehends, weil die Ägypter immer mehr Flächen zubauen. Sie müssen deshalb auf immer mehr neuem Land, auf sandigen Wüstenböden, Landwirtschaft betreiben – auf Böden, die kein Wasser halten können. Hier, meint Paul Weber, seien Überflutung und die noch viel praktizierte Beregnung fehl am Platze; sie müssten ersetzt werden durch sogenannte Tröpfchenbewässerung. Wasser sparen können ägyptische Bauern nicht zuletzt, erklärt der Bewässerungsexperte, indem sie durstige durch weniger durstige Kulturen ersetzen. Reis muss nicht in der Wüste wachsen; und auch ...
"Zuckerrohr zur Herstellung von Zucker ist eine sehr Wasser verbrauchende Kultur. Und die könnte man einschränken zugunsten von, beispielsweise, Zuckerrüben im nördlichen Delta, was zurzeit in Ägypten gerade geschieht – weil die eben im Winter wachsen, mit geringerer Transpiration und geringerem Wasserverbrauch, und eben dann entsprechende Zuckermengen auch bringen."
Ägypten bemüht sich, stößt allmählich jedoch an kaum mehr verrückbare Grenzen des Wassersparens: Erstens, nämlich, müssen sämtliche landwirtschaftlich genutzten Wüsten- wie Schwemmböden, damit sie fruchtbar zu bleiben, regelmäßig durchspült werden – um sie von in Bewässerungswasser und Dünger enthaltenem Salz zu befreien. Zweitens büßt Ägypten heute dafür, dass der Nil seit dem Bau des Assuan-Staudamms in den 60er-Jahren kein äthiopisches Schwemmland mehr in sein Delta trägt. Das vorhandene Land sinkt deshalb immer mehr ab, es kompaktiert – ein natürlicher Prozess, der jedoch immer größere Regionen des Deltas unter den Meeresspiegel sinken lässt. Immer mehr Salzwasser drängt folglich ins Delta; es muss mit immer höherem Süßwasserdruck zurückgehalten werden; und dazu bedarf es des Anbaus viel Wasser verbrauchender Kulturen wie Reis. Drittens schließlich muss die rapide zunehmende Wasserverschmutzung in Ägypten zumindest ein wenig verdünnt werden. Rückstände aus immer heftigerem Dünger- und Pestizideinsatz sowie die Abwässer von allein 20 Millionen Menschen im Großraum Kairo fließen meist ungeklärt zurück in den Nil; sie belasten das Wasser im Nil-Delta inzwischen so stark, dass dort Lebererkrankungen stark zunehmen und die Lebenserwartung sinkt.
Unterm Strich zeichnet sich, bei gleich bleibender Wassermenge pro Jahr, ein beispielloser wirtschaftlicher Niedergang Ägyptens ab: Das Land, in dem immer noch ein Drittel der Bevölkerung von der Landwirtschaft lebt, gibt schon heute acht Milliarden Euro jährlich für Agrarimporte aus – einen großen Teil seiner Exporterlöse. Ein Land, das mit seinem extrem niedrigen Bildungsniveau und verbreitetem Inschallah-Fatalismus kaum fähig scheint, zwei sich bedrohlich auftürmende, existenzielle Herausforderungen zu meistern: den Wassermangel und das Bevölkerungswachstum von fast zwei Prozent jährlich. Ägypten schlittert wohl unausweichlich in die weitere Verelendung.
"So sehe ich das, absolut. Wir haben 1,6 Millionen Menschen mehr jedes Jahr. Keine Regierung, kein Programm, keine internationale Zusammenarbeit kann so viele Arbeitsplätze schaffen außerhalb der traditionellen Bereiche wie Landwirtschaft, dass sämtliche Jugendliche in Arbeit und Brot kommen. Und es gärt hier ganz gewaltig unter der Oberfläche – bei den frustrierten und enttäuschten jungen Männern vor allem, die nicht die Chance bekommen, soviel Geld zu verdienen, dass sie wenigstens heiraten können, eine Wohnung kaufen für ihre Familie."
Ägyptens widersprüchliche Politik angesichts dieses Niedergangs ist geprägt von den Machtverhältnissen im Lande und in der Region: Die Regierung baut, außerhalb Kairos, neue Satellitenstädte für Reiche mit sündhaft Wasser verbrauchenden Pools und Golfplätzen; sie verordnet zugleich den Bauern immer neue Wassersparmaßnahmen. Kairo droht, publikumswirksam, den Oberanrainern des Nils und weiß doch, dass es bei einem Krieg ums Wasser nur verlieren würde. Dem Bevölkerungswachstum, das die Verfügbarkeit von Wasser am stärksten mindert, begegnet Ägyptens Regierung nur halbherzig; sie schickt lieber Millionen Männer als ungelernte Wanderarbeiter in andere arabische Staaten und erwägt, Millionen Fellachen umzusiedeln – in den politisch wie wirtschaftlich von Ägypten abhängigen Sudan.
Mit den künftigen Herrschern des ab 2011 wohl unabhängigen Südsudan schließlich plant die Regierung Mubarak ein gigantisches Bauprojekt: Man will endlich den sogenannten Jonglei-Kanal verwirklichen. Dieser Kanal soll den Sudd trockenlegen – jenes im Westen des Südsudans gelegene größte Sumpfgebiet der Erde, gespeist vor allem aus dem Weißen Nil. Im Sudd verdunsten jährlich über zehn Kubikkilometer Nilwasser – Wasser, das der Jonglei-Kanal den Ägyptern bescheren würde; mit unabsehbaren ökologischen Folgen allerdings: für gewaltige Herden wilder Tiere und Hunderttausende Menschen, für das Klima in ganz Ostafrika. Den Bau eines solchen Kanals würde wohl keine westliche Bank finanzieren, was aber den Ägyptern wenig Kopfzerbrechen bereitet – sagt der prominente Journalist Gamal Nkrumah, Sohn des ghanaischen Staatsgründers Kwame Nkrumah und einer Ägypterin.
"Der Westen ist nicht der einzige potenzielle Finanzier solcher Projekte. Es gibt asiatische Länder, die politische und ökologische Bedenken nicht so stark gewichten. Die Chinesen, zum Beispiel, haben im eigenen Land ihren weltweit kritisierten Drei-Schluchten-Damm realisiert. Auch die Technologie muss nicht aus dem Westen kommen. Etliche asiatische Länder – namentlich China, Japan und Indien – zeigen großes Interesse daran, hier mit afrikanischen Entwicklungsländern zusammenzuarbeiten. Kurz, es gibt solide Alternativen zu westlicher Finanzierung und westlichem Know-how."
An Tausenden Bewässerungskanälen im Nildelta bangen derweil Millionen ägyptische Bauernfamilien um die Zukunft ihrer Wasserversorgung. Wenige der Bauern kennen sich aus in den Windungen der Nilpolitik; vor allem für die Frauen zählt allein die Zukunft ihrer Kinder. Sakia Ismail, zum Beispiel, die Frau des Pachtherrn Hajid Gnedi, schenkt ihren Söhnen Flachbild-Fernseher und Computer, schickt sie zum Studium nach Kairo – und träumt bisweilen doch von früher.
"Wir verheiraten demnächst unseren zweiten Sohn – was 150.000 Pfund kostet, 30.000 Euro – für die neue Wohnung, für die Hochzeit und Gold für die Braut. Unser Sohn wird dann als Techniker in der Stadt arbeiten. Wir wollen nicht, dass er Bauer wird wie wir. Das hat keine Zukunft, wenn Du um jeden Tropfen Wasser kämpfen und Dir ständig Sorgen machen musst. – Vor 30 Jahren, wissen Sie, war alles noch ganz anders. Da saß ich abends am Fenster und beobachtete, wie die Büffel, immer im Kreis, die Sakia zogen, das Wasserrad. Nie dachte ich damals daran, dass wir einmal um Wasser aus dem Nil kämpfen müssten."
"Auf diesem Feld hier baue ich, mit Tröpfchen-Bewässerung, im Sommer Erdnüsse an, im Winter Weizen und Klee. Benutzen kann ich das Feld aber nur, weil ich es vor einigen Jahren massiv höher gelegt habe – mit Sand, den mir ein Nachbar mit einem sehr hoch gelegenen Grundstück verkauft hat. 20.000 Pfund hat mich der Spaß gekostet; mein gesamtes Vieh musste ich dafür verkaufen und mir noch Geld leihen. Heute weiß ich, dass ich mit unterirdischen Entwässerungsrohren sehr viel günstiger gefahren wäre. Davon aber haben mir die Berater des Landwirtschaftsministeriums nichts gesagt – obwohl ich sie mehrfach um Hilfe gebeten habe."
Zugang zu staatlicher Hilfe, meint Abdel Aziz achselzuckend, haben noch am ehesten für den Export produzierende Großinvestoren, die Gemüse in Gewächshäusern ziehen und lange Reihen Orangen-, Pfirsich- und Aprikosenbäume in den Sand von New Nubaria gesetzt haben. Einige dieser Investoren haben Brunnen bis in 140 Meter Tiefe gebohrt und bewässern ihre Wüstenplantagen mit nicht erneuerbarem fossilem Grundwasser. Dessen ungeachtet sind inzwischen 15 Prozent des Wüstenackerlands von New Nubaria nicht mehr nutzbar, weil immer weniger Wasser des Nils im Delta ankommt und deshalb immer mehr salziges Mittelmeerwasser ins Landesinnere Ägyptens dringt, das teils unter dem Meeresspiegel liegt.
Im Kampf um dieses vor allem landwirtschaftlich genutzte Wasser hatte bislang vor allem Ägypten das Sagen, das fast 90 Prozent des Wassers verbraucht. Diesen Löwenanteil am Nilwasser ließ sich Ägypten in etlichen internationalen Verträgen zusichern – mit dem Kaiser von Äthiopien 1906, mit der Kolonialmacht Großbritannien 1929, mit dem Sudan 1959. Die Verträge ließen, indes, die Interessen der Oberanrainer völlig unberücksichtigt – was diese nicht länger hinnehmen wollen. Insbesondere Äthiopien, das 85 Prozent des Nilwassers liefert und wie Ägypten über 80 Millionen Menschen ernähren muss, will die alten Verträge nicht mehr gelten lassen. Im Unterschied zu Ägypten hätten die Äthiopier bis heute erst 15 Prozent ihres landwirtschaftlichen Potenzials ausgeschöpft, sagt in Addis Abeba der äthiopische Regierungsberater Professor Yakob Arsano. Äthiopiens Entschlossenheit, dies zu ändern, dokumentiere der jüngst eingeweihte Beles-Damm am Tanasee. Allein dieser Damm soll 460 Megawatt Strom liefern und 120.000 Hektar Land bewässern.
"”Nach dem aktuellen Fünf-Jahres-Plan gehört es zu den wichtigsten Aufgaben Äthiopiens, seine Wasserressourcen zu entwickeln. Damit wollen wir zum einen die Nahrungsmittelproduktion unterstützen, die überlebenswichtig ist für uns; zum anderen wollen wir in den nächsten fünf bis zehn Jahren unsere Industrie und vor allem unser Potenzial an Wasserkraft massiv ausbauen.""
Ähnliche Töne sind aus Uganda zu hören, einem Land mit inzwischen 33 Millionen Einwohnern und einem Bevölkerungswachstum von 3,4 Prozent. Um über die neuen Ansprüche der Länder am Oberlauf des Nils zumindest zu diskutieren, beteiligte sich Ägypten 1999 an der sogenannten "Nilbecken-Initiative", NBI, der Flussanrainer. Die NBI bekam die Aufgabe, politisch und wissenschaftlich-technisch, den Boden zu bereiten für eine gemeinsame Nutzung der Nil-Ressourcen. In den folgenden elf Jahren jedoch verschleppte Kairo die Verhandlungen über ein Rahmenabkommen zur Nutzung des Nils. Während die Oberanrainer eine "gerechte Aufteilung der Ressourcen" als Leitprinzip vorschlugen, besteht Ägypten bis heute darauf, dass ihm weiterhin 55,5 Kubikkilometer Nilwasser jährlich garantiert bleiben, jene fast 90 Prozent. Im Mai 2010 schließlich platzte den sieben Oberanrainern der Kragen. Sie verabschiedeten das Rahmenabkommen in ihrer Version. Ägypten und Sudan reagierten mit massiven Drohungen – bis hin zu lautem Säbelrasseln.
Kairo, das Hochhaus des halbstaatlichen "Al-Ahram-Zentrums für strategische Studien", umgeben von verstopften Stadtautobahnen. Im elften Stock des Zentrums verteidigt Präsidentenberater Hany Raslan energisch die Position seines Landes. Die Situation der Flussoase Ägypten – einst Kornkammer des römischen Reiches, heute größter Weizenimporteur – spitze sich kontinuierlich zu.
"”Pro Person stehen den Ägyptern derzeit 760 Kubikmeter Wasser zur Verfügung – während es, nach Einschätzung der Vereinten Nationen, tausend Kubikmeter sein müssten, um alle Grundbedürfnisse zu erfüllen. 2017 werden wir nur noch 580 Kubikmeter Wasser pro Person haben; das heißt, Ägypten wird zusehends zu einem wasserarmen Land. Insbesondere deshalb können wir das neue Rahmenabkommen nicht unterzeichnen. Denn das garantiert Ägypten nicht, wie ältere Verträge, eine feste Wassermenge.""
In New Nubaria wollte, auf seinem nutzlosen Wüstenacker, der Tagelöhner Abdel Chatr nicht über Nilverträge und Politik reden. Der Besucher möge sich an Hajid Gnedi wenden, den Pachtherrn seines Bruders im nahen Bezirk Behera.
Hajid Gnedi ist ein Hüne mit einem gepflegten grauen Vollbart unter der gewaltigen Hakennase. Gewandet in eine schneeweiße Galabeia, wirkt er wie ein orientalischer Stammesherr aus einem Karl-May-Roman. Auf der mit Teppichen ausgelegten Terrasse seines stattlichen Hauses aus ineinander verschachtelten Wohnräumen, Ställen und Getreidespeichern ist fast nur die dröhnende Stimme des Großbauern zu hören – während eine Schar Nachbarn und Untergebener devot lauscht. Beim Land Hajid Gnedis handelt es sich nicht um Wüstensand, sondern um extrem fruchtbares Schwemmland, das der Fluss über Jahrzehntausende aus den Bergen Äthiopiens ins Nil-Delta gespült hat. Stolz deutet Hajid auf ein nahes Feld, wo ein Pächter und zwei Kinder den schwarzen Boden eines Baumwollfeldes pflügen.
"”Ich habe meine 20 Feddan, knapp fünf Hektar, Ackerland an acht Fellachen verpachtet. Die bauen für mich sommers Baumwolle, Reis und Mais an; winters Zuckerrüben, Klee und Weizen. Alle Produktionsmittel außer der Arbeit stelle ich und bekomme dafür drei Viertel der Ernte. So weit, so gut. Zurzeit aber beklagt sich jeden Tag einer meiner Pächter über die Wasserbehörde. Die leitet jetzt nur noch vier Tage hintereinander Wasser in unsere Kanäle – und dann sechs Tage nichts. Das hält insbesondere der Reis, der alle drei Tage frisches Wasser braucht, nicht aus. Mehrmals habe ich deshalb schon Theater gemacht bei der Behörde. Aber die stellen sich stur. Ich solle doch auf den Anbau von Reis verzichten, sagen sie; auf das einzige Produkt, an dem ich noch einigermaßen verdiene.""
Für die neuen Gesetze, die wasserintensiven Reisanbau einschränken, macht der Großbauer nicht seine Regierung verantwortlich, sondern Oberanrainer des Nils wie Äthiopien und Uganda. Die zweigten schon jetzt viel mehr Wasser vom Nil ab, als ihnen zustehe.
"”Wäre ich Präsident Ägyptens, würde ich Ländern wie Äthiopien und Uganda nicht erlauben, uns zu erpressen, uns um unser Wasser zu berauben und die Bürger Ägyptens immer mehr leiden zu lassen. Ägypten hat seit ewigen Zeiten verbriefte Rechte auf das Wasser des Nils. Und wir hängen völlig ab von diesem Wasser, die Äthiopier und Ugander aber haben zusätzlich jede Menge Regen.""
Tatsächlich stößt Ägypten immer schmerzhafter an Grenzen, seine wachsende Bevölkerung zu ernähren – sagen auch ausländische Experten wie Paul Weber von der "Deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit", GTZ, die die Regierung in Bewässerungsfragen berät. Die Produktivität der ägyptischen Landwirtschaft, die schon heute zu den effizientesten der Welt zählt, ist kaum noch zu steigern, sagt Weber. Aber verschwenden die Ägypter nicht eine Menge Wasser, indem sie, zum Beispiel, regelmäßig ihre Felder überfluten? Da müsse man genau hinschauen, meint der Experte.
"Wenn die Felder in genau dem richtigen Ausmaß überflutet werden, wie es die Pflanzen brauchen, dann ist das keineswegs eine Verschwendung, sondern es ist einfach eine Art der traditionellen Bewässerung. Die kann sehr hohe Wirkungsgrade erreichen, die durchaus mit modernen Bewässerungsverfahren mithalten können. Und die so hohe Effizienz, die hier herrscht, erklärt sich daraus, dass die Leute eben eine jahrhundertelange, wenn nicht Jahrtausende alte Erfahrung in der Landwirtschaft mit Bewässerung haben."
Mit der Bewässerung der das Wasser gut haltenden Schwemmböden am Nil. Dieses alte Ackerland jedoch schrumpft zusehends, weil die Ägypter immer mehr Flächen zubauen. Sie müssen deshalb auf immer mehr neuem Land, auf sandigen Wüstenböden, Landwirtschaft betreiben – auf Böden, die kein Wasser halten können. Hier, meint Paul Weber, seien Überflutung und die noch viel praktizierte Beregnung fehl am Platze; sie müssten ersetzt werden durch sogenannte Tröpfchenbewässerung. Wasser sparen können ägyptische Bauern nicht zuletzt, erklärt der Bewässerungsexperte, indem sie durstige durch weniger durstige Kulturen ersetzen. Reis muss nicht in der Wüste wachsen; und auch ...
"Zuckerrohr zur Herstellung von Zucker ist eine sehr Wasser verbrauchende Kultur. Und die könnte man einschränken zugunsten von, beispielsweise, Zuckerrüben im nördlichen Delta, was zurzeit in Ägypten gerade geschieht – weil die eben im Winter wachsen, mit geringerer Transpiration und geringerem Wasserverbrauch, und eben dann entsprechende Zuckermengen auch bringen."
Ägypten bemüht sich, stößt allmählich jedoch an kaum mehr verrückbare Grenzen des Wassersparens: Erstens, nämlich, müssen sämtliche landwirtschaftlich genutzten Wüsten- wie Schwemmböden, damit sie fruchtbar zu bleiben, regelmäßig durchspült werden – um sie von in Bewässerungswasser und Dünger enthaltenem Salz zu befreien. Zweitens büßt Ägypten heute dafür, dass der Nil seit dem Bau des Assuan-Staudamms in den 60er-Jahren kein äthiopisches Schwemmland mehr in sein Delta trägt. Das vorhandene Land sinkt deshalb immer mehr ab, es kompaktiert – ein natürlicher Prozess, der jedoch immer größere Regionen des Deltas unter den Meeresspiegel sinken lässt. Immer mehr Salzwasser drängt folglich ins Delta; es muss mit immer höherem Süßwasserdruck zurückgehalten werden; und dazu bedarf es des Anbaus viel Wasser verbrauchender Kulturen wie Reis. Drittens schließlich muss die rapide zunehmende Wasserverschmutzung in Ägypten zumindest ein wenig verdünnt werden. Rückstände aus immer heftigerem Dünger- und Pestizideinsatz sowie die Abwässer von allein 20 Millionen Menschen im Großraum Kairo fließen meist ungeklärt zurück in den Nil; sie belasten das Wasser im Nil-Delta inzwischen so stark, dass dort Lebererkrankungen stark zunehmen und die Lebenserwartung sinkt.
Unterm Strich zeichnet sich, bei gleich bleibender Wassermenge pro Jahr, ein beispielloser wirtschaftlicher Niedergang Ägyptens ab: Das Land, in dem immer noch ein Drittel der Bevölkerung von der Landwirtschaft lebt, gibt schon heute acht Milliarden Euro jährlich für Agrarimporte aus – einen großen Teil seiner Exporterlöse. Ein Land, das mit seinem extrem niedrigen Bildungsniveau und verbreitetem Inschallah-Fatalismus kaum fähig scheint, zwei sich bedrohlich auftürmende, existenzielle Herausforderungen zu meistern: den Wassermangel und das Bevölkerungswachstum von fast zwei Prozent jährlich. Ägypten schlittert wohl unausweichlich in die weitere Verelendung.
"So sehe ich das, absolut. Wir haben 1,6 Millionen Menschen mehr jedes Jahr. Keine Regierung, kein Programm, keine internationale Zusammenarbeit kann so viele Arbeitsplätze schaffen außerhalb der traditionellen Bereiche wie Landwirtschaft, dass sämtliche Jugendliche in Arbeit und Brot kommen. Und es gärt hier ganz gewaltig unter der Oberfläche – bei den frustrierten und enttäuschten jungen Männern vor allem, die nicht die Chance bekommen, soviel Geld zu verdienen, dass sie wenigstens heiraten können, eine Wohnung kaufen für ihre Familie."
Ägyptens widersprüchliche Politik angesichts dieses Niedergangs ist geprägt von den Machtverhältnissen im Lande und in der Region: Die Regierung baut, außerhalb Kairos, neue Satellitenstädte für Reiche mit sündhaft Wasser verbrauchenden Pools und Golfplätzen; sie verordnet zugleich den Bauern immer neue Wassersparmaßnahmen. Kairo droht, publikumswirksam, den Oberanrainern des Nils und weiß doch, dass es bei einem Krieg ums Wasser nur verlieren würde. Dem Bevölkerungswachstum, das die Verfügbarkeit von Wasser am stärksten mindert, begegnet Ägyptens Regierung nur halbherzig; sie schickt lieber Millionen Männer als ungelernte Wanderarbeiter in andere arabische Staaten und erwägt, Millionen Fellachen umzusiedeln – in den politisch wie wirtschaftlich von Ägypten abhängigen Sudan.
Mit den künftigen Herrschern des ab 2011 wohl unabhängigen Südsudan schließlich plant die Regierung Mubarak ein gigantisches Bauprojekt: Man will endlich den sogenannten Jonglei-Kanal verwirklichen. Dieser Kanal soll den Sudd trockenlegen – jenes im Westen des Südsudans gelegene größte Sumpfgebiet der Erde, gespeist vor allem aus dem Weißen Nil. Im Sudd verdunsten jährlich über zehn Kubikkilometer Nilwasser – Wasser, das der Jonglei-Kanal den Ägyptern bescheren würde; mit unabsehbaren ökologischen Folgen allerdings: für gewaltige Herden wilder Tiere und Hunderttausende Menschen, für das Klima in ganz Ostafrika. Den Bau eines solchen Kanals würde wohl keine westliche Bank finanzieren, was aber den Ägyptern wenig Kopfzerbrechen bereitet – sagt der prominente Journalist Gamal Nkrumah, Sohn des ghanaischen Staatsgründers Kwame Nkrumah und einer Ägypterin.
"Der Westen ist nicht der einzige potenzielle Finanzier solcher Projekte. Es gibt asiatische Länder, die politische und ökologische Bedenken nicht so stark gewichten. Die Chinesen, zum Beispiel, haben im eigenen Land ihren weltweit kritisierten Drei-Schluchten-Damm realisiert. Auch die Technologie muss nicht aus dem Westen kommen. Etliche asiatische Länder – namentlich China, Japan und Indien – zeigen großes Interesse daran, hier mit afrikanischen Entwicklungsländern zusammenzuarbeiten. Kurz, es gibt solide Alternativen zu westlicher Finanzierung und westlichem Know-how."
An Tausenden Bewässerungskanälen im Nildelta bangen derweil Millionen ägyptische Bauernfamilien um die Zukunft ihrer Wasserversorgung. Wenige der Bauern kennen sich aus in den Windungen der Nilpolitik; vor allem für die Frauen zählt allein die Zukunft ihrer Kinder. Sakia Ismail, zum Beispiel, die Frau des Pachtherrn Hajid Gnedi, schenkt ihren Söhnen Flachbild-Fernseher und Computer, schickt sie zum Studium nach Kairo – und träumt bisweilen doch von früher.
"Wir verheiraten demnächst unseren zweiten Sohn – was 150.000 Pfund kostet, 30.000 Euro – für die neue Wohnung, für die Hochzeit und Gold für die Braut. Unser Sohn wird dann als Techniker in der Stadt arbeiten. Wir wollen nicht, dass er Bauer wird wie wir. Das hat keine Zukunft, wenn Du um jeden Tropfen Wasser kämpfen und Dir ständig Sorgen machen musst. – Vor 30 Jahren, wissen Sie, war alles noch ganz anders. Da saß ich abends am Fenster und beobachtete, wie die Büffel, immer im Kreis, die Sakia zogen, das Wasserrad. Nie dachte ich damals daran, dass wir einmal um Wasser aus dem Nil kämpfen müssten."