Reise durch das Leben eines guten Freundes

Minutiös präsentiert das Werk "Im Spiegel der See" von John Stape das Leben des britischen Kapitäns und Schriftstellers Joseph Conrad von der Wiege bis zur Bahre. Was die Biographie auszeichnet, das ist ihre hermetische Lückenlosigkeit, ihre Intimität und ihre Menschlichkeit: eine Liebeserklärung an das ewig große Kind Joseph Conrad.
"I am an animal."

22 Mal wurden Bücher von ihm verfilmt; die bekannteste Verfilmung ist sicherlich die des Vietnam-Anti-Kriegsfilms "Apocalypse Now" von Francis Ford Coppola. Die Buchvorlage für diesen Film entstand 1902, "Herz der Finsternis", ihr Autor war der britische Schriftsteller polnischer Herkunft, Joseph Conrad, - vor 150 Jahren, am 3. Dezember 1857 in der Nähe von Kiew geboren als Józef Teodor Konrad Korzeniowski; 1886 wurde er englischer Staatsbürger.

Conrads Bücher gelten als Weltliteratur; oft spielen seine Romane in der Welt der Seefahrt und das höchst authentisch, denn Conrad war, - bevor er zu schreiben begann -, lange als Kapitän von Segelschiffen um die Welt gefahren.

Minutiös präsentiert die Biographie "Im Spiegel der See - Die Leben des Joseph Conrad" des britischen Publizisten, Literaturprofessors und weltweit renommiertesten Conrad-Spezialisten John Stape Conrads Leben von der Wiege bis zur Bahre. Überraschende Outings waren nicht zu erwarten: Conrad war ein "gläserner" Mensch ohne große Laster und Geheimnisse; er hat selbst immer wieder thematisiert, wie überfordert er oft war, schlicht mit ehrlicher Arbeit zu überleben, erst als Seemann und dann Schriftsteller.

Seine Autobiographie beginnt mit dem Satz: "I am an animal". Das heißt: Conrad fühlte sich sein Leben lang wie ein Versuchstier: das polnische Waisenkind, dass plötzlich als Kapitän und Weltautor in einer anderen Sprache seinen Mann stehen musste.

Was die Biographie von John Stape auszeichnet, das ist ihre hermetische Lückenlosigkeit, ihre Intimität und ihre Menschlichkeit: Das ist eine Liebeserklärung an das ewig große Kind Joseph Conrad, der oft privat unfreiwillig komisch sein konnte, zum Beispiel im Umgang mit Telefonen, Autos, Geld und Frauen.

"Im Spiegel der See - Die Leben des Joseph Conrad" ist auf Grund ihrer Detail-Treue eine mächtige Lektüre, die man nur in kleinen Dosen konsumieren kann: ein Buch, von dem man lange etwas hat, -ein Buch für Conrad-Fans und für literatur-historisch Interessierte, -eine brillante Studie des Buchmarktes zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die paradigmatisch die geschäftlichen Aspekte des Schriftstellerdaseins bis ins Kleinste offen legt: da wird wirklich jede Summe genannt. Und der Leser erfährt auch, wie Conrad zum Beispiel seinen Stil teilweise dem Markt anpasste.

Der Grundton der Biographie ist auf den ersten Blick fast unterkühlt englisch zu nennen, dabei aber auch gespickt mit Ironie und schonungslos-kollegialem Witz, wenn Stape zum Beispiel Conrads Roman "Der goldene Pfeil" als den vielleicht "schlechtesten Roman, - der je von einem berühmten Schriftsteller geschrieben wurde"-, bezeichnet. "Im Spiegel der See - Die Leben des Joseph Conrad" zu lesen, ist wie ein lange Reise durch das Leben eines guten Freundes.
Und John Stape gibt in seinem Standardwerk auch Antworten auf die Frage, warum Joseph Conrad bis heute eine derartige Faszination auf die Leser hat: Conrad ist Literatur zwischen Marcel Proust und Robert Louis Stevenson, zwischen Schatzinsel und Postmoderne.

Das ist spannende Unterhaltungsliteratur, die aber auch sehr kritisch sein kann, wenn es um Kapitalismus und Kolonialismus geht, -und eben Literatur mit einem ganz eigenen Stil: Conrad schrieb schließlich nicht in seiner Muttersprache Polnisch sondern in Englisch, was jene faszinierende und unverwechselbare Mischung ergab.


Rezensiert von Lutz Bunk


John Stape, Im Spiegel der See - Die Leben des Joseph Conra
Übersetzt von Eike Schönfeld
marebuchverlag, Hamburg 2007, 543 Seiten, 24,90 Euro
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