Reise in die Vergangenheit
Eine Ausstellung in der Kunsthalle Bremen zeigt das Frühwerk des Künstlers Marcel Odenbach sowie bislang unveröffentlichte Werke und Entwürfe. Viele Themen, die ihn schon als jungen Künstler beschäftigt haben, spielen noch heute eine Rolle in seinen Werken: Rassismus und die deutsche Geschichte.
"Ich glaube, es braucht immer ein bisschen Zeit, also mindestens 30 Jahre, dass man bereit ist, sozusagen diese Jugendsünden wieder anzusehen.",
sagt Marcel Odenbach, dem es offenbar am Anfang doch ein wenig mulmig dabei zumute war, dieses frühe, dieses sehr frühe Material seiner mittlerweile drei Jahrzehnte währenden Künstlerkarriere wiederzusehen. Obwohl keine grandiosen Gemälde zu sehen sind, hat diese Ausstellung etwas spektakuläres. An den Wänden im Erdgeschoss der Bremer Kunsthalle ziehen sich meterlang schmale Bahnen von Din A 4 Papieren entlang.
Handbeschrieben mit kräftiger blauer Jungenschönschrift, sehr sorgfältig gemacht, dazwischen Kritzelzeichnungen, Collagen von gefundenen Texten, Skizzen für Szenen und Performances, lauter zumeist nie ausgeführte Ideen und Pläne, die Odenbach zwischen seinem 23. und 31. Lebensjahr angefertigt hat. Dazwischen auf kleinen Monitoren recht frühe Videos aus einer Zeit, in der diese Technik von Museen noch nicht als Kunst betrachtet wurde. Insofern relativieren sich auch für Odenbach die "Jugendsünden".
Odenbach: "Ich weiß gar nicht, ob es so sehr Sünden sind, weil ich habe die Arbeiten am Montag das erste Mal - viele oft nach 30 Jahren das erste Mal - wiedergesehen. Und es hat mir sehr viel Spaß gemacht, ich hab sehr viel lachen müssen, ich hab eigentlich mehr lachen müssen, als dass es mir peinlich war, mir hat's auch viel Spaß gemacht!
Es ist interessant zu sehen, wie sich nicht nur die Themen verändert haben, es ist aber auch interessant zu sehen, man kann es im Grunde genommen schon am Papier sehen, und eigentlich das, was ich damals gemacht habe vor 32 Jahren, nämlich die Papiere mit Tesafilm zusammengeklebt habe, das zeigt, wie weiter sich sozusagen der Umgang mit meiner Kunst entwickelt hat, denn plötzlich gibt's Restauratoren, die sagen: Nein, das ist ja schrecklich, dass da Tesafilm dran ist. Da hab ich natürlich als 23jähriger nie dran gedacht an so was, das ist ganz klar."
Marcel Odenbach, 1953 in Köln geboren, war in den Siebzigerjahren schlichtweg einer der ersten in Deutschland, die sich durchgängig, um nicht zu sagen obsessiv künstlerisch mit dem Medium Video beschäftigt haben. Das frühe, so unschuldig experimentell wirkende Material, das die Bremer Kunsthalle hier ausbreitet, bietet einen direkten Einblick sozusagen in die Urenergie, die ersten Themen, die bis heute in seinem Werk eine Rolle spielen, denn diese frühen Kollagen waren...
"... formal und auch inhaltlich sehr stark geprägt dadurch, dass ich nie auf einer Kunstakademie war, dass ich Architektur, Semiotik und Kunstgeschichte studiert hab, was nicht definitiv die Form beeinflusst hat, deswegen ist mir auch voriges Jahr der Titel 'Pläne' eingefallen, das sieht man schon am Papier, das Transparentpapier ist sozusagen das Werkzeug damals des Architekten gewesen. Aber ich glaube auch, dass thematisch die Fragestellung: 'Was ist öffentlicher Raum, was ist Architektur, was ist Staat, wie ist die Verantwortung des Staates?' schon eine große Rolle bei mir gespielt haben."
Das waren in den Siebzigerjahren natürlich ohnehin sehr populäre Themen. Odenbach bezeichnet sich als Kind der Nach-68er. Der Deutsche Herbst habe ihn damals fasziniert und bewirkt, dass er sich immer stärker für das "Deutsche Thema", die Verarbeitung der Nazizeit, interessiert hat. Wulf Herzogenrath, heute Direktor der Bremer Kunsthalle, hat dieses Interesse fast von Anfang an mit Neugier verfolgt und nach Kräften gefördert, sozusagen als Alternativprogramm zu den deutschen Malerfürsten Anselm Kiefer oder Jörg Immendorff.
Herzogenrath: "Dieses 'Deutsche Thema' hat er verändert, ähnlich parallel wie bei Kiefer ja auch in den Achtzigerjahren er von Deutschland weitergeht zu Babylonien und Mesopotamien und, und, und: documenta 87. Und Marcel Odenbach eben auch etwas früher schon, Ende der Siebzigerjahre, fängt es ja an, dass dann dieses Thema Rassismus übertragen wird auf afrikanische Themen, sein Interesse an Ruanda, seit 15 Jahren fährt er hin, macht Workshops... "
Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen zwei hochinteressante Werke. Zum einen aus der Anfangszeit eine 22 Meter lange Papierkollage mit dem schönen Titel: "Die Befreiung von meinen Gedanken", die eine Art künstlerisches Tagebuch darstellt. 1976 wickelte sich Odenbach dann bei einer Performance in dieses Band ein zu zerriss es dabei - sinnbildlich für die Befreiung aus der Ich-Einsamkeit durch die Kunst, wie Odenbach es nennt.
Die zweite prägende Arbeit hier ist die großformatige vierfache Videoprojektion "Ach wie gut, dass niemand weiß... " aus dem Jahr 1999, eines von Odenbachs Hauptwerken, in der er vorgefundenes Filmmaterial zur deutschen Geschichte, etwa die Erschießung Benno Ohnesorgs, mit dem Attentat auf Martin Luther King zu einer Filmkollage der Menschenrechte vereint, unterlegt vom dumpfen Stampfen eines Sportlers, der monoton auf einer Stelle auf- und abspringt.
Odenbach: "Ich war immer sehr fasziniert vom Sammeln, sei es von Büchern, Papieren, Videobändern, Ausschnitten aus dem Fernsehen, Zeitschriften, ich schnippele wie Gerhard Richter Bilder aus den Zeitungen aus und mache da draus Kollagen, also das Sammeln hat bei mir eine große Rolle gespielt und das Verarbeiten und das In-den-anderen-Kontext-Stellen von vorgefundenen Materialien, war bei mir immer sehr wichtig"
Wie bei nur wenigen anderen Gegenwartskünstlern verschränken sich das Persönliche und Politische bei Odenbach in einem Akt unmittelbarer Anteilnahme, die nie "gutmenschlich", aufgesetzt wirkt. Eher wie eine ständige Selbstbefragung. Sie begann, wie vielleicht bei vielen, in den jungen Jahren. Odenbach hat sie - offenkundig - immer weiter intensiviert.
Service:
Die Ausstellung "Marcel Odenbach - Das im Entwischen Erwischte. Pläne 1975-1983. Video" ist bis zum 8. Juni 2008 in der Kunsthalle Bremen zu sehen.
sagt Marcel Odenbach, dem es offenbar am Anfang doch ein wenig mulmig dabei zumute war, dieses frühe, dieses sehr frühe Material seiner mittlerweile drei Jahrzehnte währenden Künstlerkarriere wiederzusehen. Obwohl keine grandiosen Gemälde zu sehen sind, hat diese Ausstellung etwas spektakuläres. An den Wänden im Erdgeschoss der Bremer Kunsthalle ziehen sich meterlang schmale Bahnen von Din A 4 Papieren entlang.
Handbeschrieben mit kräftiger blauer Jungenschönschrift, sehr sorgfältig gemacht, dazwischen Kritzelzeichnungen, Collagen von gefundenen Texten, Skizzen für Szenen und Performances, lauter zumeist nie ausgeführte Ideen und Pläne, die Odenbach zwischen seinem 23. und 31. Lebensjahr angefertigt hat. Dazwischen auf kleinen Monitoren recht frühe Videos aus einer Zeit, in der diese Technik von Museen noch nicht als Kunst betrachtet wurde. Insofern relativieren sich auch für Odenbach die "Jugendsünden".
Odenbach: "Ich weiß gar nicht, ob es so sehr Sünden sind, weil ich habe die Arbeiten am Montag das erste Mal - viele oft nach 30 Jahren das erste Mal - wiedergesehen. Und es hat mir sehr viel Spaß gemacht, ich hab sehr viel lachen müssen, ich hab eigentlich mehr lachen müssen, als dass es mir peinlich war, mir hat's auch viel Spaß gemacht!
Es ist interessant zu sehen, wie sich nicht nur die Themen verändert haben, es ist aber auch interessant zu sehen, man kann es im Grunde genommen schon am Papier sehen, und eigentlich das, was ich damals gemacht habe vor 32 Jahren, nämlich die Papiere mit Tesafilm zusammengeklebt habe, das zeigt, wie weiter sich sozusagen der Umgang mit meiner Kunst entwickelt hat, denn plötzlich gibt's Restauratoren, die sagen: Nein, das ist ja schrecklich, dass da Tesafilm dran ist. Da hab ich natürlich als 23jähriger nie dran gedacht an so was, das ist ganz klar."
Marcel Odenbach, 1953 in Köln geboren, war in den Siebzigerjahren schlichtweg einer der ersten in Deutschland, die sich durchgängig, um nicht zu sagen obsessiv künstlerisch mit dem Medium Video beschäftigt haben. Das frühe, so unschuldig experimentell wirkende Material, das die Bremer Kunsthalle hier ausbreitet, bietet einen direkten Einblick sozusagen in die Urenergie, die ersten Themen, die bis heute in seinem Werk eine Rolle spielen, denn diese frühen Kollagen waren...
"... formal und auch inhaltlich sehr stark geprägt dadurch, dass ich nie auf einer Kunstakademie war, dass ich Architektur, Semiotik und Kunstgeschichte studiert hab, was nicht definitiv die Form beeinflusst hat, deswegen ist mir auch voriges Jahr der Titel 'Pläne' eingefallen, das sieht man schon am Papier, das Transparentpapier ist sozusagen das Werkzeug damals des Architekten gewesen. Aber ich glaube auch, dass thematisch die Fragestellung: 'Was ist öffentlicher Raum, was ist Architektur, was ist Staat, wie ist die Verantwortung des Staates?' schon eine große Rolle bei mir gespielt haben."
Das waren in den Siebzigerjahren natürlich ohnehin sehr populäre Themen. Odenbach bezeichnet sich als Kind der Nach-68er. Der Deutsche Herbst habe ihn damals fasziniert und bewirkt, dass er sich immer stärker für das "Deutsche Thema", die Verarbeitung der Nazizeit, interessiert hat. Wulf Herzogenrath, heute Direktor der Bremer Kunsthalle, hat dieses Interesse fast von Anfang an mit Neugier verfolgt und nach Kräften gefördert, sozusagen als Alternativprogramm zu den deutschen Malerfürsten Anselm Kiefer oder Jörg Immendorff.
Herzogenrath: "Dieses 'Deutsche Thema' hat er verändert, ähnlich parallel wie bei Kiefer ja auch in den Achtzigerjahren er von Deutschland weitergeht zu Babylonien und Mesopotamien und, und, und: documenta 87. Und Marcel Odenbach eben auch etwas früher schon, Ende der Siebzigerjahre, fängt es ja an, dass dann dieses Thema Rassismus übertragen wird auf afrikanische Themen, sein Interesse an Ruanda, seit 15 Jahren fährt er hin, macht Workshops... "
Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen zwei hochinteressante Werke. Zum einen aus der Anfangszeit eine 22 Meter lange Papierkollage mit dem schönen Titel: "Die Befreiung von meinen Gedanken", die eine Art künstlerisches Tagebuch darstellt. 1976 wickelte sich Odenbach dann bei einer Performance in dieses Band ein zu zerriss es dabei - sinnbildlich für die Befreiung aus der Ich-Einsamkeit durch die Kunst, wie Odenbach es nennt.
Die zweite prägende Arbeit hier ist die großformatige vierfache Videoprojektion "Ach wie gut, dass niemand weiß... " aus dem Jahr 1999, eines von Odenbachs Hauptwerken, in der er vorgefundenes Filmmaterial zur deutschen Geschichte, etwa die Erschießung Benno Ohnesorgs, mit dem Attentat auf Martin Luther King zu einer Filmkollage der Menschenrechte vereint, unterlegt vom dumpfen Stampfen eines Sportlers, der monoton auf einer Stelle auf- und abspringt.
Odenbach: "Ich war immer sehr fasziniert vom Sammeln, sei es von Büchern, Papieren, Videobändern, Ausschnitten aus dem Fernsehen, Zeitschriften, ich schnippele wie Gerhard Richter Bilder aus den Zeitungen aus und mache da draus Kollagen, also das Sammeln hat bei mir eine große Rolle gespielt und das Verarbeiten und das In-den-anderen-Kontext-Stellen von vorgefundenen Materialien, war bei mir immer sehr wichtig"
Wie bei nur wenigen anderen Gegenwartskünstlern verschränken sich das Persönliche und Politische bei Odenbach in einem Akt unmittelbarer Anteilnahme, die nie "gutmenschlich", aufgesetzt wirkt. Eher wie eine ständige Selbstbefragung. Sie begann, wie vielleicht bei vielen, in den jungen Jahren. Odenbach hat sie - offenkundig - immer weiter intensiviert.
Service:
Die Ausstellung "Marcel Odenbach - Das im Entwischen Erwischte. Pläne 1975-1983. Video" ist bis zum 8. Juni 2008 in der Kunsthalle Bremen zu sehen.