Doktor im Gepäck
Immer mehr ältere Menschen wollen auf anspruchsvolle Reiseziele nicht verzichten. Damit sie im Krankheitsfall gut versorgt sind, lassen sie sich von einem Arzt begleiten. Reisearzt Josef Lutz war mit 16 Senioren in Südamerika unterwegs.
"So, jetzt stelle ich die um die Ecke, alle in Reih und Glied. Alle die Hose runter, zack, zack, zack. Und dann ist die Sache erledigt."
Die Reise beginnt mit einer Heparinspritze - in den verlängerten Rücken. Verabreicht nicht etwa in einer ärztlichen Praxis sondern am Abflugsteig des Frankfurter Flughafens. Josef Lutz dirigiert seine Reisegäste in eine Ecke hinter dem Schalter - ein Hauch von Privatsphäre und ein wenig Sichtschutz sollen schon sein.
Lutz ist Arzt, allerdings im Ruhestand. Auf seiner Visitenkarte firmiert er als Traveldoc, als Reisearzt. Drei Spritzen noch, dann sind alle aus der Gruppe gegen die Reisethrombose gefeit. 18 Personen zählt seine Gruppe: Frauen und Männer, Paare und Einzelpersonen, die meisten jenseits der 60. Die ersten gehen schon an Bord.
Reiseziele in mehr als 3.000 Metern Höhe
16 Tage, vier südamerikanische Länder und Höhen von bis zu 4.400 Metern: die Inka-Ruinen von Machu Picchu in Peru, La Paz in Bolivien, Tango in Buenos Aires, die Iguazú-Wasserfälle im Dreiländereck von Argentinien, Brasilien und Paraguay und zum Abschluss Rio de Janeiro.
Die Traum-Reise ist allerdings nicht ohne: Sechs der 16 Tage wird die Gruppe in Höhen verbringen, in denen man in Europa nicht einmal Ski läuft, auf mehr als 3.000 Metern, mit dem 4.338 Meter hohen Bergpass Abra La Raya als Dach der Reise.
"Wir haben hier in der Gruppe, ohne dass ich Namen nenne: einen insulinpflichtigen Diabetiker, zwei Asthmatiker, einen Patienten mit drei Bypässen, einen mit zwei Stents. Und wenn wir die Reise noch ein bisschen abwarten, je höher wir kommen, umso mehr Krankheiten kommen zutage, die kenne ich schon alle."
Die meisten haben ihm vorher ihre Krankenakten geschickt, damit der Traveldoc weiß, was auf ihn zukommen könnte.
"Es wird immer in meiner Erinnerung bleiben"
Nach einem Zwischenstopp in Perus Hauptstadt Lima ist die Gruppe in Cusco gelandet. Die Stadt liegt auf 3.400 Höhenmetern. Alle japsen, nur Marianne nicht, eine durchtrainierte Frau mit dunkelroten Haaren.
Im Bus geht es durchs Valle Sagrado, das heilige Tal der Inkas. Bergab. Erst in das Bergdorf Ollantaytambo, weiter mit dem Zug nach Aguascalientes auf "nur" noch 2.000 Höhenmetern und dann mit einem Shuttlebus hinauf zum Eingang von Machu Picchu. Vor dort geht es zu Fuß weiter. Steil führt der Weg bergauf, über Steintreppen mit unangenehm hohen Stufen. Die Gruppe zerfällt. Heinz und Ingrid lassen es langsam angehen, Josef Lutz bleibt bei ihnen. Marianne schreitet voran, erreicht als erste die Aussichtsplattform oberhalb der Ruine:
"Phänomenal. Das ist phänomenal, das kann man schon sagen. So gewaltig hatte ich
mir das nicht vorgestellt."
mir das nicht vorgestellt."
Julia stimmt mit ein:
"Wirklich sensationell, ein Erlebnis. Ich bin froh und stolz, dass ich es gemacht hab, es wird immer in meiner Erinnerung bleiben."
Der Blick ist in der Tat gigantisch: Auf einem Hochplateau, umgeben von Felsen, die wie Nadeln in den Himmel ragen, thronen die Überreste einer aus Quadersteinen errichteten Stadt.
Migräneanfälle und Sauerstoffmangel
Im Bus von Cusco nach Puno am Titicacasee: der erste Notfall. Der Traveldoc eilt nach hinten im Bus.
"Jetzt haben wir einen Migräne-Anfall, eine schwere Art von Migräne, migraine accompagné, mit Halbseitenlähmung, Brechreiz und Erbrechen, da kommt der richtige Anfall dann massiv."
Ausgerechnet Julia hat es erwischt, die jüngste. Wie ein Häufchen Elend kauert sie in ihrem Sitz. kreidebleich, die Augen verdreht. Dazu hat sie sich auch noch einen Magen-Darm-Infekt eingefangen. Vier Tage wird sie damit zu kämpfen haben.
Immer höher geht es hinauf, bis auf 4.338 Metern. Die meisten wirken angeschlagen, nur Marianne ist fit wie eh und je. Heinz, ein Rentner aus München, tapst aus dem Bus. Der Reisearzt schickt ihn zurück und kontrolliert den Sauerstoffpartialdruck. 55 - ab an die Sauerstofflasche. Nach zehn Minuten an der Sauerstoffflasche kommt Heinz auf einen Wert von 95. Seine Frau Ingrid liegt nur bei 66.
"Nichts für Weicheier"
Weiter nach La Paz - auf 3.600 Höhenmeter. Der Traveldoc ist im Dauereinsatz, Tag und Nacht. Er verabreicht Imodium, behandelt einen Kreislaufkollaps, verordnet Sauerstoff. Bis es ihn selbst erwischt. Aber darüber redet Josef Lutz nicht gerne. Er ist ein wenig, um es mit seinen eigenen Worten zu sagen: indolent - schmerzunempfindlich.
In Buenos Aires sind alle froh, wieder auf Meereshöhe zu sein. Von dort geht es zu den Iguazú-Wasserfällen und schließlich nach Rio de Janeiro. Hoch oben über der Stadt, bei der Christusstatue auf dem Corcovado zieht Margarete ein Resumée:
"Sehr abwechslungsreich, aber nichts für Weicheier."
Nur Josef Lutz, der Traveldoc, wirkt noch etwas angespannt.
"Tief durchatmen kann ich erst in Frankfurt am Baggage Claim, wenn ich sie alle verabschiedet habe und weiß, den Rest schaffen sie auch allein."
Zum Abschluss ein Gruppenfoto. Alle stellen sich auf. Der Traveldoc setzt den Hut ab und breitet die Arme aus. Die Wolkendecke bricht auf. Hinter der Gruppe taucht der Cristo aus dem Nebel auf, erst schemenhaft, dann immer klarer. Was für ein Bild! nd jetzt. Bitte lächeln.