Wie und wo hat sich die Menschheit entwickelt, wer waren unsere Vorfahren und wie haben sie gelebt? - Diesen Fragen gehen wir nach in unserer Sommerreihe "Reisen zu den Ursprüngen der Menschheit".
"Zum Großteil stammen unsere Gene aus Afrika"
Die genetische Spurensuche der Wissenschaft führt zu eindeutigen Erkenntnissen: Wir Europäer sind ein afrikanischer Stamm, sagt der Direktor des Max Planck Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena, Johannes Krause. Wanderbewegungen bestimmen die Geschichte.
Erst vor rund 40.000 Jahren wanderten die Menschen nach Europa ein und verdrängten die Neandertaler, sagt der Direktor des Max Planck Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena, Johannes Krause, im Deutschlandradio Kultur. "Zum Großteil stammen unsere Gene tatsächlich aus Afrika", sagt der Leiter der Abteilung für Archeogenetik über die Ergebnisse der genetische Spurensuche der Wissenschaft. Es habe eine "out of Africa"-Bewegung gegeben, die vor rund 40.000 Jahren stattgefunden habe und die die Menschen nach Europa, Asien, Australien und später sogar nach Amerika gebracht hat.
Einwanderung aus dem Nahen Osten
"Es hat auch im weiteren Verlauf der Menschheitsgeschichte immer wieder Auswanderungen aus verschiedenen Regionen gegeben", sagt Krause. "Mobilität ist eigentlich ein Teil der Menschheitsgeschichte." Es habe große Bewegungen, beispielsweise zum Ende der Eiszeit gegeben. So sei es vor etwa 14.000 Jahren eine Einwanderung aus dem Nahen Osten nach Europa gekommen. Deshalb hätten sich die dort lebenden Jäger und Sammler kräftig genetisch vermischt. Vor 8000 bis 9000 Jahren habe es eine weitere große Einwanderung aus dem Nahen Osten gegeben. "Damals kam der Ackerbau und die Viehzucht auf." In den nächsten tausend Jahren sei fast die gesamte Bevölkerung Europas von diesen Neuankömmlingen aus dem Neuen Osten ersetzt, die Ackerbau und Viehzucht mitgebracht hatten. "Solche Kapitel hat es immer wieder in der Menschheitsgeschichte gegeben", sagt Krause.
Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Mit Johannes Krause, er ist Direktor am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena, und er leitet dort die Abteilung Archäogenetik. Ich grüße Sie, guten Morgen!
Johannes Krause: Guten Morgen!
Frenzel: Herr Krause, Sie sind auf Spurensuche gegangen mit Ihrem Team, auf eine genetische Spurensuche. Kann man das so sagen, sind wir Europäer alle die Kinder einer großen prähistorischen Flüchtlings- oder zumindest Wanderungswelle?
Krause: Tja, davon müssen wir natürlich ausgehen, weil natürlich Europa nicht immer die Heimat der Menschen war, sondern die Menschen selbst, der moderne Mensch, Homo sapiens, dort vor wahrscheinlich ungefähr 40.000 Jahren eingewandert ist und die Neandertaler, das heißt die Urmenschen, die dort zuvor gelebt haben, hauptsächlich verdrängt hat, vielleicht ein bisschen sich auch mit diesen genetisch vermischt hat, aber zum Großteil stammen unsere Gene tatsächlich aus Afrika, aus dieser Out-of-Africa-Bewegung, die vor ungefähr vielleicht 40.000 Jahren stattgefunden hat und die dann die Menschen nach Europa, Asien, Australien und später sogar nach Amerika gebracht hat.
Frenzel: Das heißt, wenn wir jetzt auf die vielen Flüchtlinge aus dem Nahen Osten und auch aus Afrika treffen, die uns gekommen sind, dann treffen wir eigentlich auf alte Bekannte?
Krause: Das auf alle Fälle, weil es hat auch im weiteren Verlauf der Menschheitsgeschichte immer wieder Auswanderungen aus verschiedenen Regionen gegeben. Das heißt, Mobilität ist eigentlich ein Teil der Menschheitsgeschichte. Wir sehen große Bewegungen beispielsweise am Ende der letzten Eiszeit. Wir haben vor Kurzem festgestellt, dass es vor ungefähr 14.000 Jahren zu einer Einwanderung aus dem Nahen Osten nach Europa kam, das heißt, die Jäger und Sammler, die vor 14.000 Jahren dort gelebt haben, haben sich dort kräftig genetisch vermischt mit einer Bevölkerung, die wahrscheinlich aus dem Nahen Osten oder zumindest aus einer Region stammt, die im direkten Zusammenhang mit den Menschen steht, die heute im Nahen Osten wohnen.
Zusätzlich konnten wir auch zeigen, dass es vor ungefähr 8- bis 9000 Jahren zu einer großen Einwanderung aus dem Nahen Osten nach Europa kam. Damals kam der Ackerbau und die Viehzucht auf, und das kam einher mit einer ganzen Reihe von Menschen. Das heißt, in den ersten paar hundert oder tausend Jahren wurde fast die gesamte Bevölkerung Europas ersetzt von diesen Neuankömmlingen aus dem Nahen Osten, die den Ackerbau und die Viehzucht dort mitgebracht haben. Solche Kapitel hat es immer wieder in der Menschheitsgeschichte gegeben.
Große Einwanderung
Frenzel: Aber das heißt, wenn Sie von diesen Dimensionen sprechen, dann sind das nicht nur ein paar hundert, ein paar tausend gewesen, sondern wirklich so etwas wie eine Masseneinwanderung?
Krause: Es ist sicherlich ein Prozess. Man kann sich das so vorstellen: Menschen, die Ackerbau und Viehzucht betreiben, haben wahrscheinlich zu der Zeit einfach mehr Kinder gehabt, konnten mehr Kinder ernähren und durchbringen in zukünftige Generationen, was dazu geführt hat, dass diese Bevölkerungsgruppen sehr stark angewachsen sind, sich ausgebreitet haben aus dem fruchtbaren Halbmond, das heißt, aus dem heutigen Kleinasien.
Wir sehen zum Beispiel, dass, wenn wir uns einen heutigen Europäer anschauen, dass für die meisten Gruppen, die meisten heutigen Bevölkerungen in Europa ungefähr 50 Prozent aller Gene von diesen Einwanderungen aus dem Nahen Osten vor ungefähr 8000 Jahren abstammen. Das heißt, es muss schon eine ganze große Menge von Menschen gewesen sein, die dort eingewandert sind.
Wenn wir denken, heute haben wir ungefähr eine Milliarde Menschen in Europa. Um ein ähnliches genetisches Signal zu sehen, müssten wir heute noch mal eine Milliarde Menschen dazubekommen, um diese 50 Prozent Ackerbauernherkunft quasi zu generieren. Das heißt, das wäre natürlich eine Masseneinwanderung, aber wir wissen natürlich tatsächlich nicht genau, wie viele Menschen vor 8000 Jahren in Europa gelebt haben.
Frenzel: Können Sie uns denn auch verraten, wie wir damals aussahen?
Krause: Tatsächlich können wir aus diesen alten Skeletten auch den Phänotyp ableiten. Wir haben uns zum Beispiel Gene angeschaut, die für Haarfarbe, Augenfarbe oder Hautfarbe zuständig sind oder beispielsweise für die Fähigkeit, auch im Erwachsenenalter große Mengen von Milch trinken zu können. Also diese berühmte Lactase-Persistenz, die einige Europäer ja aufweisen – ungefähr 50 Prozent der Menschen, die heute in Deutschland leben zum Beispiel –, und dabei haben wir interessanterweise festgestellt, dass die Menschen, die vor mehr als 8000 Jahren in Europa gelebt haben, das heißt diese Ureuropäer, diese Jäger und Sammler, alle dunkle Hautfarbe hatten, interessanterweise aber alle zu dieser Zeit blaue Augen. Also die hatten einen ganz ungewöhnlichen Phänotypen, dunkle Haut, ähnlich wie südlich der Sahara in Afrika heute, aber im Prinzip relativ helle Augen, das heißt grüne oder blaue Augen.
Gleichzeitig konnten sie beispielsweise keine Milch verdauen. Das macht vielleicht auch Sinn, weil sie noch keine Kühe hatten. Was wir dann aber in späteren Zeitperioden sehen, vor ungefähr 5000 Jahren beginnt sich dann die helle Hautfarbe auszubreiten. Das heißt, das typische Merkmal der Europäer, diese helle Haut, die tritt tatsächlich erst vor relativ kurzer Zeit auf, also das heißt, so ungefähr in den letzten 5- bis 6000 Jahren breiten sich diese Gene aus und werden dann in den nächsten paar tausend Jahren, also 5000 bis heute, breiten die sich so weit aus, dass ungefähr 70 bis 100 Prozent aller Europäer diese Gene haben, die für diese helle Hautfarbe kodieren. Das heißt, dieser typische Phänotyp des Europäers ist eigentlich erst wenige tausend Jahre alt, und vor mehr als 8000 Jahren sahen alle Menschen in Europa eher so aus wie heutige Afrikaner. Das gilt im Übrigen auch für die Neandertaler und Denissowa-Menschen und wahrscheinlich auch andere Urmenschen.
Genetische Verschiebung in Zentraleuropa
Frenzel: Also der weiße Europäer, ein zumindest aus historischer Perspektive eher jüngeres Phänomen. Herr Krause, ich würde gerne noch – Sie haben es anfangs gesagt, es gab viele verschiedene Einwanderungs- und Wanderungsbewegungen – auf eine andere eingehen: Vor etwa 5000 Jahren kamen die aus den osteuropäischen Steppen, dem Gebiet des heutigen Südrusslands und der Ukraine Richtung Mitteleuropa. Was lässt sich da heute nachweisen, auch sprachlich und kulturelle Veränderungen?
Krause: Wir können hier spekulieren. Wir sehen eine weitere Einwanderung nicht nur aus dem Nahen Osten, sondern auch aus der Steppe aus Zentralasien. Das ist eine Bewegung, die vor ungefähr 5000 bis 4500 vor heute stattfindet, das heißt am Beginn der Bronzezeit. Dort kommt es zu einer massiven genetischen Verschiebung in Zentraleuropa und sogar reicht diese bis nach Zentralasien und ins Altai-Gebirge. Dort breitet sich eine Population aus der Steppe in Südrussland wahrscheinlich aus, und genetisch sehen wir, dass die Menschen, die Ackerbau vorher betrieben haben, durch diese neue genetische Komponente, durch diese Menschen dort ersetzt werden. Diese Steppenkomponente findet sich später in den nächsten paar tausend Jahren in allen Populationen in Europa, das heißt, heute, egal, ob ich nach Norwegen gehe, nach Spanien gehe oder nach Südeuropa – alle heutigen Europäer zeigen auch diese Komponente aus der Steppe, die dort vor 5000 Jahren nach Europa kommt.
Je nachdem, wo man ist – in Estland sind es ungefähr 50 Prozent der Gene der Menschen dort, in Spanien vielleicht nur ungefähr 10 bis 15 Prozent in Deutschland ungefähr 20 Prozent stammen aus dieser Steppenmigration. Da kann man sich natürlich vorstellen, dass mit dieser Migration wahrscheinlich auch Kultur und eventuell auch vielleicht Tiere und Sprachen nach Europa kamen. Da könnte man argumentieren, zu dieser Zeit breitet sich Rad und Wagen aus. Das Pferd wird domestiziert, auch das tritt dann vermehrt in Zentraleuropa auf und eventuell auch – und da kann man natürlich jetzt auch wieder spekulieren – kommen vielleicht auch Sprachen mit nach Europa.
Es gibt verschiedene Hypothesen über den Ursprung beispielsweise der indoeuropäischen Sprachen, und es wird spekuliert, ob diese aus der Steppe kam oder ob diese aus dem Nahen Osten mit den frühen Ackerbauern kam. Für uns deutet im Moment viel darauf hin, dass tatsächlich aus der Steppe, mit dieser großen Steppenmigration auch die indoeuropäischen Sprachen nach Europa kamen, weil es im Prinzip die genetischen Daten mehr unterstützen würde als beispielsweise diese Migration der Ackerbauern.
Natürlich weiß man aus den Genen nicht, was jemand gesprochen hat, aber man kann zumindest hier die Stammbäume der Sprachen mit den im Prinzip genetischen Signaturen übereinanderlegen und dann sehen, ob wir da Gemeinsamkeiten finden, und da passt es im Prinzip auch ganz gut, dass sich zu dieser Zeit die Sprachen nach Europa ausgebreitet haben, die heute ja auch einen Großteil von Europa und anderen Teilen der Welt gesprochen werden.
Wir sind alle Afrikaner
Frenzel: Wenn Sie all das sehen, all diese Wanderungen, Vermischungen und so weiter – muss man dann nicht zu dem Schluss kommen, diese Unterscheidungen afrikanisch, europäisch, asiatisch sind eigentlich alle in hohem Maße konstruiert, am Ende sind wir alle einfach nur Menschen?
Krause: Keine Frage, also für Europäer und Asiaten könnte ich es gar nicht – ich rede deswegen häufig auch von eurasischen Populationen. Im Geographieunterricht fiel es mir schwer, die Grenze zwischen Europa und Asien zu sehen, und das wird sicherlich jedem schwerfallen. Natürlich, wenn es Inseln gibt wie Australien oder Amerika oder zum Teil auch Afrika, obwohl es natürlich dort eine Verbindung gibt, dann gibt es mehr genetische Isolation, was natürlich zu einem gewissen phänotypischen Unterschied führt, den wir auch wahrscheinlich wahrnehmen, nur wir sind natürlich alles Menschen.
Tatsächlich müssen wir sogar sagen, dass die Menschen außerhalb Afrikas genetisch gesehen Afrikaner sind, weil wir sind näher verwandt mit bestimmten Afrikanern als diese Afrikaner mit anderen Afrikanern sind, weil wir ja vor Kurzem erst aus Afrika ausgewandert sind. Insofern sind wir eigentlich ein afrikanischer Stamm. Bis vor 10.000 Jahren sahen wir sogar phänotypisch noch aus wie heutige Afrikaner und sind sozusagen nur ein kleiner Ast im Stammbaum der Menschen. Die dicken Äste befinden sich allerdings alle in Afrika. Also insofern müssten wir eigentlich sagen, dass wir alle Afrikaner sind, das wäre eigentlich die richtige Antwort, denke ich, auf diese Frage
Frenzel: Johannes Krause, Direktor am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.