"Reisen zu den Ursprüngen der Menschheit" (2)

Das Bindeglied zu unseren primitiven Vorfahren

"Homo naledi": Die Knochenfunde in der Rising Star Höhle.
"Homo naledi": Die Knochenfunde in der Rising Star Höhle. © picture alliance / dpa / John Hawks / University Of Wisco
Von Steffen Sturn · 08.08.2016
Forscher sind elektrisiert seit dem Fund von Homo Naledi in der Rising-Star-Höhle nördlich von Johannesburg. Homo Naledi könnte das fehlende Bindeglied sein zwischen unseren primitiven Vorfahren und dem modernen Menschen. Ein Besuch in der Wiege der Menschheit.
Menschenknochen – schon ein bisschen makaber. Aber Leute wie Professor Lee Berger tanzen vor Glück, wenn sie welche finden. Vorausgesetzt sie sind alt. Richtig alt. Berger hat auch schon einige entdeckt. Unsere URURURUR-Großeltern sozusagen. Und dann inspizieren Berger und sein 9-jähriger Sohn Mathews diese Rising-Star-Höhle nördlich von Johannesburg. Der Sohn zwängt sich durch einen engen Spalt und – ist weg.
Lee Berger: "Es verging ziemlich viel Zeit. Und dann höre ich, wie jemand nach oben stürzt. Und Mathew erscheint mit seiner Lampe und seinem Helm – grinsend. 'Und?', frage ich und er schaut mich an und sagt: 'Daddy, es ist so schön. Meine Hände haben drei Minuten lang gezittert, bevor ich überhaupt ein Foto machen konnte'."

Wissenschaft ist elektrisiert

1500 Knochen, unberührt, vielleicht schon seit Jahrmillionen. Knochen von mindestens fünfzehn menschenähnlichen Wesen: Kinder, Erwachsene, Alte. Paläontologe Professor Friedemann Schrenk vom Senckenberg Institut Frankfurt erzählt mir, wie dieser Fund ihn und seine Kollegen elektrisiert hat. Ein weiterer Beleg gegen die uralte These, dass der moderne Mensch aus Europa kommt.
Jetzt dreht Lee Berger auf. Zum ersten Mal in der Wissenschaftsgeschichte werden weltweit sehr dünne Wissenschaftler gesucht. Sie müssen durch eine achtzehn Zentimeter schmale Felsspalte passen. Dieses extra magere Special-Team steigt ab, scannt zunächst einmal alles, fotografiert und bringt die Knochen nach oben. Die werden nun systematisch analysiert. Berger holt dazu weltweit Paläontologen nach Südafrika. Zum Beispiel Professor Cach Thackmorton von der Lincoln-University in Tennessy. Er untersucht Hände, Gelenke und Füße von Homo Naledi.
Cach Thackmorton: "Homo Naledi hat die Füße so benutzt wie wir, aber die Hüftbewegung war anders."

Von weitem wie ein moderner Mensch

Naledi war ungefähr 1,50 Meter klein und 40 bis 50 Kilo schwer. Seine Knie sind dünn und die Schienbeinknochen haben auffallende Beulen.
Thackmorton: "Wahrscheinlich waren dort Muskeln aktiv, die das Knie stabilisieren sollten. Das war eine Kreatur, die von weitem aussah wie ein moderner Mensch. Aber aus der Nähe hättest du gesehen, dass die Schultern sehr schmal sind, die Hüfte dafür breiter und der Kopf sehr, sehr klein und schmal."
Naledis Heimat ist also unsere "Wiege der Menschheit". Ein weites, staubiges, sonnenverbranntes Hügelland. Der berühmteste Sightseeing-Point ist zweifellos die Sterkfontein-Höhle. In kleinen Gruppen geht es tief unter die Erde. 40 Kilometer Gesamtlänge hat das Höhlensystem mit seinen Seen und Flüssen. Zutritt verboten für Leute mit Asthma und Klaustrophobie. Aber das Interesse ist enorm. Viele wollen wissen, welche Werkzeuge die Frühmenschen hatten und wie sie sich im Laufe der Evolution veränderten.
Sein Sohn Aziniu aber sagt ganz ehrlich, dass ihm nicht so ganz klar ist, was das soll mit der Höhle. Er hätte lieber was über das Weltall erfahren. Aber naja, Vater hat halt Höhle befohlen. Knochen und Werkzeuge liegen hier schon lange nicht mehr. Dafür hängen noch immer monströse Stalaktiten von der Decke. Und an einigen Stellen glitzert die Starkfontein-Höhle wie mit Diamanten geschmückt.
Da werden die Leute ganz ehrfürchtig. Und auch der deutsche Maler Jochen Weise, zufällig mit in der Gruppe, sagt einfach nur: "Klasse!"
Professor Lee Burger präsentiert den Schädel des Homo Naledi auf einer Pressekonferenz in Johannesburg
Professor Lee Burger präsentiert den Schädel des Homo Naledi auf einer Pressekonferenz in Johannesburg© picture alliance / dpa / Shiraaz Mohamed

Hirn in Orangengröße

Doktor Robert Broom findet hier in den 30er Jahren zum ersten Mal einen Frühmenschen. Aber wie passt Homo Naledi in diese Verwandtschaft? Und wie intelligent war Homo Naledi? Sein Hirn erreicht grade mal Orangengröße. Aber die Beine sind lang und damit modern. Und: Wie alt ist er?
Diese eine Millionen Dollar-Frage könnte bald geklärt sein. Die einfache Formel: Je jünger, desto intelligenter. Professor Thackmorton sieht als Hauptproblem die fehlende Vergleichsbasis. Es gibt keine versteinerten Tiere oder Pflanzen in der Höhle, keine primitiven Werkzeuge. Sie ist fast klinisch sauber. Es könnte aber sein, meint Professor Lee Berger, dass Homo Naledi hier bestattet worden ist. Die Skelette liegen geordnet und sind komplett.
Berger: "Das unterscheidet uns vom Tierreich: Die Erkenntnis unserer Sterblichkeit. Und dass wir große Anstrengungen unternehmen, die Körper von Freunden, Verwandten und Fremden zu verbergen. Wir haben nun eine Spezies getroffen, die das auch konnte. Und das ist etwas ganz Außergewöhnliches."
Es wäre wirklich eine Sensation. Denn dann wüssten wir genauer, von welcher afrikanischen Verwandtschaft wir nun tatsächlich abstammen.

Wie und wo hat sich die Menschheit entwickelt, wer waren unsere Vorfahren und wie haben sie gelebt? - Diesen Fragen gehen wir nach in unserer Sommerreihe "Reisen zu den Ursprüngen der Menschheit".

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