Wie und wo hat sich die Menschheit entwickelt, wer waren unsere Vorfahren und wie haben sie gelebt? - Diesen Fragen gehen wir nach in unserer Sommerreihe "Reisen zu den Ursprüngen der Menschheit".
Wo sich Neandertaler und Homo Sapiens vereinigten
Vor acht Jahren wurde die Höhle am Rande des Dorfes Manot im Norden Israels entdeckt. Seither laufen die Ausgrabungen und heute steht fest: Manot ist einer der bedeutsamsten Orte zur Rekonstruktion der Geschichte der Menschheit.
Israel Hershkovitz blinzelt in die Sonne, die tief über den bewaldeten Hügeln steht. Hier hat er mit den anderen israelischen Wissenschaftlern sein Lager aufgeschlagen, gleich neben dem Eingang zur Höhle von Manot. Ein paar grüne Container für die Werkzeuge, dazu einfache Arbeitstische, die aus Brettern zusammengenagelt sind. Auf ihnen werden die Fundstücke aus der Höhle gesäubert und verpackt. Der drahtige, grauhaarige Mann lässt den Blick über die Landschaft schweifen, in Gedanken ist er in einer Zeit, die zehntausende von Jahren zurückliegt.
Immer wieder, so erzählt der Anthropologe, malt er sich aus, wie die Begegnung damals wohl abgelaufen ist. Als sie sich vielleicht genau hier, vor der Höhle von Manot, erstmals über den Weg gelaufen sind. Der Homo Sapiens und der Neandertaler.
Israel Hershkovitz: "Die Menschen von Manot kommen also eines Tages aus ihrer Höhle, vielleicht, weil sie auf die Hirschjagd gehen wollen. Und da steht dann ein Neandertaler. Bis zu diesem Moment hatten sie geglaubt, sie seien die einzigen Menschen auf der Welt. Ich kann mir gut die überraschten Gesichter vorstellen. Nicht nur, dass da noch andere Menschen sind. Die sehen auch ganz anders aus!"
Unsere DNA besteht aus vier Prozent Neandertaler-Genen
Dass sich diese Begegnung genau hier, vor dem Eingang zur Manot-Höhle abgespielt hat, das kann Israel Hershkovitz natürlich nicht beschwören. Aber er ist felsenfest davon überzeugt, dass es irgendwo hier in dieser Gegend geschehen sein muss. Und er ist auch absolut sicher, dass es hier war, wo Neandertaler und Homo Sapiens gemeinsame Kinder gezeugt haben. Und dass dies der Grund ist, warum die DNA eines jeden modernen Menschen zu etwa vier Prozent aus Neandertaler-Genen besteht.
"Hier in der Höhle von Manot hat der Homo Sapiens gelebt. 40 Kilometer in die Richtung liegt aber eine Höhle, in der zur selben Zeit Neandertaler gelebt haben. Und 70 Kilometer nach Süden liegt eine weitere Neandertaler-Höhle. Also beide Spezies haben hier über lange Zeit gemeinsam gelebt. Und mehr noch: Israel ist die einzige Region, in der beide nachweislich über so lange Zeit gemeinsam gelebt haben."
Weshalb es hier und nicht irgendwo anders zur Vermischung der beiden Spezies gekommen sein muss. Das ist einer der Gründe, warum die Höhle von Manot im Norden Israels, nicht weit von der Grenze zum Libanon, zu den wichtigsten Orten auf der Landkarte der Geschichte der Menschheit zählt.
Den anderen Grund kennt Omry Barzilai. Der Archäologe, der gemeinsam mit Hershkovitz die Ausgrabungen leitet, geht vom Plateau vor einer Felswand durch eine Stahltür in die Höhle. Nach wenigen Schritten steht er in einer Art Halle, vielleicht 30 Meter im Durchmesser, deren hinteres Ende steil in die Dunkelheit abfällt.
Omry Barzilai: "Das hier war so etwas wie das Wohnzimmer der Steinzeitmenschen. Hier sind sie ihren Alltagsbeschäftigungen nachgegangen, haben Feuer gemacht, gekocht, Wild zerlegt und Steinwerkzeuge oder Schmuck aus Knochen hergestellt."
Und hier haben sie im Boden im Laufe der Jahrtausende, in denen Menschen die Höhle bewohnt haben, ihre Spuren hinterlassen. Bis vor etwa 30.000 Jahren ein Erdbeben den Eingang verschüttete und das Innere konservierte. Den Müll, die Knochen, die Werkzeuge, die Schmuckstücke, die sich heute im meterdicken Sediment der Höhle finden. Insgesamt neun Feuerstellen hat Barzilai freigelegt. Sie markieren jenen Bereich der Höhle, in dem sich die Bewohner den größten Teil der Zeit aufgehalten haben.
Jeder Krümel wird inspiziert
Weiter hinten, dort, wo die Höhle steil nach unten abfällt, ändert sich die Spurenlage. Dort haben die Ausgräber menschliche Knochen gefunden. Eine Begräbnisstätte? Wir wissen es nicht, sagt Omry Barzilai, und macht sich über einen glitschigen Pfad auf den Weg nach unten. Die Luft ist stickig und feucht. An verschiedenen Stellen tragen Studenten im Licht von Scheinwerfern den Boden ab. Millimeter um Millimeter, mit Pinseln und kleinen Kellen. Jeden Krümel schleppen sie in Eimern zu den Arbeitstischen vor der Höhle. Auf halbem Weg zum Höhlengrund macht Omry Barzilai halt und deutet in eine Nische.
"Die Leute, die 2008 als erste in die Höhle eingestiegen sind, haben hier den Schädel entdeckt. Der lag hier auf dem Felsen wie auf einem Präsentierteller. Wir wissen nicht, wie er da hingekommen ist. Vielleicht haben ihn Menschen dort abgelegt, vielleicht haben ihn Hyänen dorthin geschleppt, vielleicht ist er von oben herabgerutscht, wir wissen es einfach nicht."
Trotzdem: Der Schädel, der genau genommen nur ein Fragment, eine Schädeldecke ist, birgt eine Sensation. In den letzten zehn Jahren hat die Genforschung nämlich bahnbrechende Theorien über die Entstehung der Menschheit aufgestellt. Eine davon besagt, dass die moderne Menschheit auf eine einzelne, zahlenmäßig sehr kleine Gruppe von Vorfahren zurückzuführen ist, die sich im Laufe der Evolution durchgesetzt hat, während alle anderen Gruppen von Menschen ausgestorben sind. Eine Theorie, die aber bislang nie durch einen Fossilienfund untermauert werden konnte. Bis jetzt. Bis zur Entdeckung des Schädels von Manot, der wegen bestimmter Merkmale seiner Form von einem Mitglied jener Kern-Menschengruppe stammen muss, von der alle modernen Menschen abstammen.
"Israel ist das Land der Wunder"
"Wenn der Schädel hier auf dem Tisch liegen würde, dann würde ich sagen: Das ist der Vorfahre aller Menschen auf der ganzen Welt und das ist doch wirklich staunenswert. Der Schädel ist das einzige Überbleibsel, das bislang entdeckt worden ist von einem Mitglied dieser Kern-Menschheit, von der alle modernen Menschen abstammen", sagt Professor Hershkovitz.
Am Ende seiner Forscherträume ist er damit aber längst noch nicht. Er will noch mehr rausfinden über die Menschen, die damals in Manot gelebt haben.
"Ich würde alles dafür geben, wenn ich rausfinden könnte, wie sie ausgesehen haben. Aber das geht nicht ohne Gesichtsknochen. Aber Israel ist ja das Land der Wunder. Wir leben hier förmlich von Wundern. Und deshalb werden wir auch das noch herausfinden."