"Reisen zu den Ursprüngen der Menschheit" (6)

Wer war der "Homo rudolfensis"?

In der Ausstellung "ROOTS / Wurzeln der Menschheit" laufen zwei jugendliche Besucher am Donnerstag (06.07.2006) im Rheinischen LandesMuseum in Bonn an einer Plakatwand vorbei, die den Evolutionsverlauf zum Homo Sapiens beschreibt.
Der aufrechte Gang markiert den Beginn der Menschwerdung © picture alliance / dpa / Jörg Carstensen
Friedemann Schrenk im Gespräch mit Korbinian Frenzel |
Der in Malawi entdeckte "Homo rudolfensis" war der erste Angehörige der Gattung Mensch. Er benutzte bereits Werkzeuge, sagt der Paläoanthropologe Friedemann Schrenk. Man wisse inzwischen auch, dass die Menschwerdung stark mit Umweltveränderungen verbunden gewesen sei.
Es war eine Sensation, als der Paläoanthropologe Friedemann Schrenk zusammen mit seinem Team im August 1991 bei einer Grabung in Malawi den bezahnten Unterkiefer eines rund 2,4 Millionen Jahre alten Hominiden gefunden hatte – das Fossil wurde dann in der Fachwelt als "Homo rudolfensis" eingeordnet.
Dieser "Homo rudolfensis" sei der erste Angehörige der Gattung Mensch gewesen, sagte Friedemann Schrenk im Deutschlandradio Kultur:
"Und das Besondere war damals eigentlich das Alter dieses Fundes. Denn bis dahin war die Gattung 'homo' vielleicht zwei Millionen Jahre alt. Dann wurde sie plötzlich eine halbe Million Jahre älter. Und dieser Erst-Angehörige der Gattung Mensch hat bereits Werkzeuge benutzt. Das ist eigentlich in der Definition der Gattung 'Homo' eingeschlossen."

Geschichte der Menschwerdung geht fast 7 Millionen Jahre zurück

Im Mittelpunkt von Schrenks Forschungsarbeit steht die Frage, wie der "Homo sapiens" entstanden ist. Diese Fragestellung habe sich seit dem Fund in Malawi deutlich verändert, meinte der Forscher. Es gehe dabei auch um die Frage, wann die Menschwerdung überhaupt begonnen habe:
"Inzwischen geht diese ganze Geschichte fast sieben Millionen Jahre zurück. Also der Beginn der Menschwerdung ist ja nicht das große Gehirn, sondern der aufrechte Gang. Heute wissen wir, dass der aufrechte Gang, also dieses dauernde zweibeinige Gehen bereits vor fast sieben Millionen Jahren entstanden ist. Das ist eine große Erweiterung der Erkenntnis."

Einflüsse von Kima- und Umweltveränderungen

Inzwischen wisse man auch, dass die Hauptereignisse der Menschwerdung immer mit Klimaveränderungen einher gegangen seien. So sei der Beginn des aufrechten Gangs eine Folge des Rückgangs des tropischen Regenwalds in Afrika gewesen:
"Die Gesamtgeschichte der Menschwerdung hat sich insofern stark verändert. Wir gucken heute nicht mehr nur: Was passiert mit dem Menschen, sondern was passiert mit der Umwelt? Und da können wir direkte Zusammenhänge feststellen."

Das Interview im Wortlaut:

Korbinian Frenzel: Mit Friedemann Schrenck, Professor an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main und Chefpaläoanthropologe bei der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung. Guten Morgen!
Friedemann Schrenck: Guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Sie haben mit Ihrem Team 1991 in Malawi den Homo rudolfensis gefunden, eine Sensation damals, der älteste Fund der Kategorie Homo bis dato. Was war das denn für ein Zeitgenosse, der Homo rudolfensis?
Schrenck: Homo rudolfensis, wie Sie schon sagen, war der erste Angehörige der Gattung Mensch, und das Besondere war damals eigentlich das Alter dieses Fundes. Denn bis dahin war die Gattung Homo vielleicht zwei Millionen Jahre alt, dann wurde sie plötzlich eine halbe Million Jahre älter. Und dieser Erstangehörige der Gattung Mensch hat bereits Werkzeuge benutzt – das ist eigentlich in der Definition der Gattung Homo eingeschlossen – und hat praktisch einen Teil der Nahrungsverarbeitung praktisch aus dem Körper herausverlegt, nämlich indem diese hartfaserige, hartschalige Nahrung, die es damals hauptsächlich gab aufgrund von Klimaveränderungen, eben nicht mehr mit den Zähnen nur kleingekaut wurde, sondern auch praktisch unterstützt durch Werkzeuge bearbeitet wurde.

Errungenschaft des aufrechten Gangs

Frenzel: Das klingt nach einer schönen Beschreibung, wie Sie das so darstellen, heute für uns ganz normale Vorgänge. Im Mittelpunkt Ihrer Arbeit steht ja die Frage, wie sind wir, der Homo sapiens, entstanden. Wie hat sich denn die Antwort auf diese Frage seit 1991, seit diesem Fund in Malawi verändert?
Schrenck: Also eigentlich auf zwei Gebieten, nämlich erstens mal bei der Frage, wann begann überhaupt die Menschwerdung. Also inzwischen geht diese ganze Geschichte fast sieben Millionen Jahre zurück. Also der Beginn der Menschwerdung ist ja nicht das große Gehirn, sondern der aufrechte Gang. Heute wissen wir, dass der aufrechte Gang, also dieses dauernde zweibeinige Gehen, eine Voraussetzung war für die Benutzung der Hände später, dass das bereits vor fast sieben Millionen Jahren entstanden ist. Also das ist eine große Erweiterung der Erkenntnis, denn man dachte früher, das hat vielleicht vor zwei Millionen Jahren angefangen, vor drei Millionen, vor vier, und jetzt geht es sieben Millionen Jahre zurück.
Das ist der eine Punkt, und der zweite Punkt ist, dass wir inzwischen davon ausgehen, dass die Hauptereignisse eigentlich in dieser Menschwerdung immer mit Ereignissen mit Klimaveränderungen einhergingen, also sowohl der Beginn des aufrechten Gangs, kann man jetzt zeigen, dass das also eine Folge ist des Rückgangs des tropischen Regenwalds in Afrika, als auch der Beginn der Kultur, auch das hat mit Umweltveränderungen zu tun. Also diese Gesamtgeschichte der Menschwerdung hat sich insofern stark verändert, als wir heute nicht mehr nur gucken, was passiert mit dem Menschen, sondern auch was passiert mit der Umwelt und da direkte Zusammenhänge feststellen können.

Kriminalistische Analysen der Paläontologen

Frenzel: Wie gucken Sie denn? Gilt für die Erforschung unserer frühen Menschheitsgeschichte, was wir mittlerweile aus jedem guten Krimi kennen, seit der DNA-Analyse sehen wir auf einmal sehr viel genauer zurück in die Vergangenheit?
Schrenck: Na gut, also wir haben natürlich auch neue Methoden, das ist klar. Wir können zum Beispiel durch Computertomografie in den Knochen reinschauen. Wir haben neue Analysemethoden, aber was wir eben immer noch nicht haben, ist, praktisch ganze ehemalige Lebewesen. Wir haben ja nur Knochen und Zähne. Das sind also nur Fragmente dieser ehemaligen Menschen, und die interpretieren sich auch nicht selber, das heißt, es ist immer abhängig von unserem Weltbild.
Die kriminalistische Analyse, will ich mal so sagen, der Paläontologie verfeinert sich natürlich durch Methoden, aber was uns eigentlich am meisten weiterhilft, sind neue Funde, und die sind in den letzten 20 Jahren reichlich gemacht worden. Auch deswegen, weil natürlich die politischen Verhältnisse in viele afrikanischen Ländern sich stark verbessert haben und man da jetzt überall forschen kann, wo man eben früher nicht forschen konnte.

Die Anpassung der Habitat-Typen

Frenzel: Sie wollen neben den Erkenntnissen, die im Erbgut verborgen sind, auch die Lebensumstände und Lebensräume der frühen Menschen verstehen. Sie haben gerade beschrieben die Klimaveränderung. Wie macht man das aus diesem Material, was Sie hier gerade beschrieben haben, diesem begrenzten Material, dass man im Zweifel nur einen Knochen hat?
Schrenck: Na gut, also man hat ja eben nicht nur die Knochen der Vormenschen und Urmenschen und die Zähne. Die hat man übrigens sehr selten. Das sind die geringsten Funde, die man hat, sondern man vor allem auch die Funde der anderen Lebewesen aus dieser Zeit. Also das ist zum Beispiel die Fauna, also die Tiere. Das sind dann Antilopen, Giraffen, Elefanten, Krokodile und so weiter. Also alles, was eben damals zusammen mit den Menschen fossilisiert. Aus der Analyse kann man durchaus schließen, zum Beispiel Antilopen, da gibt es heute sehr viele, also 50 Prozent der Säugetiere in Afrika, der großen Säugetiere, sind Antilopen, und das war damals nicht anders.
Die Antilopen sind zum Beispiel sehr spezifisch an Habitate angepasst, und wenn wir jetzt davon ausgehen, dass diese Anpassung damals auch so war – es gibt keinen Grund anzunehmen, dass es anders war –, dann kann man zum Beispiel bestimmte Habitate, Habitat-Typen, also ob das jetzt ein offenes Gelände war und trocken oder ob es ein geschlossener Busch war und feucht, das kann man rekonstruieren, allein aufgrund der Rekonstruktion der Tierwelt. Wenn man dann noch fossile Pflanzen hat, dann wird es noch besser. Dann kann man durchaus ein Gesamtsystem rekonstruieren, auch auf die Frage hin, welche Nahrungsressourcen standen diesen Menschen zur Verfügung.

"Die Menschheit ist nicht in Amerika entstanden"

Frenzel: Herr Schrenck, Sie haben viel in Afrika gearbeitet, Sie arbeiten viel in Afrika – die Wiege des Homo sapiens, stimmt das eigentlich, dass den meisten Afrikanern das gar nicht bewusst ist, dass der Mensch sich aus Afrika heraus entwickelt hat?
Schrenck: Na gut, das ist leider so. Also wenn ich jetzt in Europa einen Vortrag halte, in Deutschland, und ich sage, die Wiege der Menschheit ist Afrika, da werde ich noch manchmal seltsam angeschaut. Und wenn ich das in Afrika erzähle, werde ich noch seltsamer angeschaut, denn das ist tatsächlich wenig bekannt.
Wenn ich dann erzähle, dass eigentlich der letzte Kontinent, der überhaupt besiedelt wurde, Nordamerika war, dann ist das Unverständnis noch größer, denn viele denken, die Menschheit ist in Amerika entstanden. Da kommt Coca-Cola her, also muss die Menschheit da entstanden sein.
Also ich glaube, dieses Wissen um die Frühphase der Menschheit, das könnte wirklich auch zu einem neuen Geschichtsverständnis in Afrika beitragen. Und deswegen arbeiten wir auch nicht nur wissenschaftlich dort, sondern wir vermitteln auch sehr viel in diesen Ländern.
Frenzel: Sie arbeiten daran, wir versuchen das auch mit dieser Serie in dieser Woche.
Schrenck: Ja, das ist sehr gut!
Frenzel: Friedemann Schrenck, Professor an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Schrenck: Ja, gern geschehen, Herr Frenzel! Tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Wie und wo hat sich die Menschheit entwickelt, wer waren unsere Vorfahren und wie haben sie gelebt? - Diesen Fragen gehen wir nach in unserer Sommerreihe "Reisen zu den Ursprüngen der Menschheit".

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