Wie und wo hat sich die Menschheit entwickelt, wer waren unsere Vorfahren und wie haben sie gelebt? - Diesen Fragen gehen wir nach in unserer Sommerreihe "Reisen zu den Ursprüngen der Menschheit".
Schatzsuche unter grünen Wiesen
Im Gebirgszug Sierra de Atapuerca in Nordspanien liegen unter den grünen Wiesen Höhlen, in denen Überreste von Menschen gefunden wurden, die vor 100.000 Jahren lebten. Auch heute finden dort noch Ausgrabungsarbeiten statt.
Es ist ein Knochenjob. In jeder Hinsicht. Zwölf Menschen knien über der staubigen Erde. Sie sieben Sand, hämmern an Steinen und schaufeln Erde beiseite. Die Sonne brennt schon jetzt und es ist erst 10 Uhr morgens. Isabel Caceres von der Universität Tarragona leitet die Ausgrabung:
"Wir haben die ganze Fläche mit Nägeln und Fäden in Quadratmeter aufgeteilt. So können wir wie auf einem Schachbrett genau bestimmen, in welchem Planquadrat man sich befindet. Hier vorne ist das Gestein sehr locker, da kommt man mit einem kleinen Hammer voran. Dort ist es härter, da hilft dann manchmal nur noch der Elektrohammer. Das wirst Du gleich hören."
Aber natürlich ist da die immer die Angst, dass so ein Elektrohammer irgendetwas zerstören könnte. Dass ein kleiner Knochen oder ein Schädelfragment versehentlich vernichtet wird. Ana Isabel Ortega vom Nationalen Wissenschaftszentrum:
"Diese Angst ist ja ganz normal. Wir wissen ja nicht, was es hier mit dem Boden auf sich hat. Aber man muss manchmal einfach mutig sein, denn wir müssen vorwärtskommen."
Arbeit im Schneckentempo
Es ist eine Arbeit im Schneckentempo. Sechs Wochen lang graben die Wissenschaftler hier. Sechs Wochen, die ein Jahr Arbeit im Labor bedeuten. Denn die Funde müssen analysiert und katalogisiert werden. Doch Atapuerca hat die Mühen der Forscher schon oft belohnt. Gerade hier an diesem Ausgrabungsabschnitt, der sich "Galerie" nennt. Cristina Cuesta von der Stiftung Atapuerca:
"Sie wurde entdeckt, als hier Anfang des 20. Jahrhunderts die Strecke für eine Grubenbahn gebaut wurde. Sie haben einen Spalt in den Hügel gegraben, wie als wäre er ein Tortenstück. Und dabei fanden sie die Höhle der Galerie."
Erst Jahre später erforschten Wissenschaftler die Höhle. Sie fanden Steinwerkzeuge und Tierfossilien. Und Überreste einer Gruppe von Menschen, die vor rund 350.000 Jahren gelebt hat. Die Menschen hatten die Höhle als Speisesaal genutzt.
Cristina Cuesta: "Ein Teil der Höhlendecke war eingestürzt. Da war also eine Öffnung, die aber wahrscheinlich von Pflanzen überwachsen war. Und so fielen viele Pflanzenfresser einfach durch das Loch in die Höhle. Es war wie eine natürliche Falle."
Bissspuren an den Knochen zeigen, dass die Tiere verspeist wurden, von Fleischfressern wie Bären und Löwen und auch von Menschen. Die "Galerie" ist nur eine von mehreren Ausgrabungsstätten in der Sierra de Atapuerca. Vor sechzehn Jahren wurde das Areal zum UNO-Welterbe erklärt.
Paläontologe Andreu Ollé:
Paläontologe Andreu Ollé:
"Es gibt hier mehrere Ausgrabungen aus verschiedenen Epochen. Alle sind sie reich an Fossilien, die aus verschiedenen Zeitaltern stammen und einen unterschiedlichen Hintergrund haben. In der einen Höhle finden wir zum Beispiel menschliche Überreste. Die erzählen uns etwas über die Körper der Menschen damals. In einer anderen Höhle erfahren wir durch bestimmte Funde, wie diese Menschen gelebt haben. Wir können also die Ausgrabungsstätten in Beziehung zueinander setzen und so die Menschen und ihre Kultur erforschen, wie nirgendwo sonst in Europa."
Überreste von Fleischfressern
Mit ihren Höhlen, ihrer reichhaltigen Natur und ihrer Lage an zwei Flüssen war die Sierra ein ideales Siedlungsgebiet. Andreu Ollé gräbt heute mit 25 Studenten in der sogenannten Gran Dolina, einer der Ausgrabungen:
"Wir suchen nach Überresten von Menschen, die sich damals im Eingangsbereich einer Höhle aufhielten. Wir wissen, dass diese Höhle damals von Menschen bewohnt wurde. Bisher haben wir aber vor allem Überreste von Fleischfressern gefunden – etwa von Löwen und Wölfen. Außerdem haben wir Zähne von Säbelzahntigern entdeckt."
Atapuerca ist ein Paradies für die spanischen Paläontologen. Lange hatten die Wissenschaftler ein Schattendasein gefristet. Atapuerca war als Ausgrabungsort höchstens in Fachkreisen bekannt. Mit einem Fund wurde alles anders, im Jahr 1992.
"Das ist Miguelón, der am vollständigsten erhaltene fossile Schädel der Welt. Wir schätzen ihn auf rund 450.000 Jahre."
Sagt Santiago Paniego vom Museum für Menschliche Evolution in Burgos. Man merkt ihm die Ehrfurcht an, wenn er auf Miguelóns Schädel blickt, der in einem dunklen Raum sanft beleuchtet wird. Es war dieser Schädel, der Atapuerca auf die Titelseiten der Weltpresse brachte. Miguelón war ein Vertreter des Homo Heidelbergensis. Träfe man ihn heute auf der Straße, würde man wohl einen Schrecken bekommen: Die Augenhöhlen liegen weit auseinander. Die Stirn ist niedrig, die Nase und Unterkiefer treten stärker hervor als bei einem Menschen von heute.
Mit 35 eher alt
Santiago Paniego: "Miguelón war für die damaligen Verhältnisse kein junger Mann. Er starb mit etwa 35. Die Todesursache haben wir mit fast hundertprozentiger Sicherheit geklärt. Sie hängt mit diesem Zahn zusammen."
Der Zahn hatte sich entzündet und eine schwere Infektion ausgelöst, an der Miguelón letztlich starb. Hier im Museum von Burgos sind die spektakulärsten Funde von Atapuerca ausgestellt. Und zwar meist im Original. So sind hier auch die Reste des "Homo Antecessor" zu sehen, einer Menschenart, die vor rund 900.000 Jahren gelebt haben soll. Und die hier in Atapuerca erstmals entdeckt wurde. Santiago Paniego:
"Als diese menschlichen Überreste 1994 gefunden wurden, waren sie die ältesten Europas. Mittlerweile wurden in Atapuerca noch ältere entdeckt."
Niemand weiß, welche Geheimnisse die Sierra de Atapuerca noch birgt. Vielleicht wartet im Sand der Sierra noch die eine oder andere Sensation. Doch schon jetzt ist Atapuerca eine der fruchtbarsten Wiegen der Menschheit.