Reisen zu den Ursprüngen der Menschheit (9)

Kunstwerke aus der Steinzeit

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Die Archäologen Nicholas Conard und Stephanie Kölbl vor dem Schaukasten der Venus von Schelklingen © picture alliance/dpa/Stefan Puchner
Nicholas J. Conard im Gespräch mit Korbinian Frenzel |
Der Fund der Venus von Schelklingen vor ein paar Jahren war eine Sensation. Mittlerweile hat der Archäologe Nicholas J. Conard noch etliche weitere Kunstwerke aus unserer Urgeschichte auf der Schwäbischen Alb ausgegraben. Bald könnte die Ausgrabungsstätte Weltkulturerbe-Status erlangen.
Der Hohe Fels bei Schelklingen auf der schwäbischen Alb besteht aus einer großen Felshalle. Wann immer in den letzten Jahren über archäologische Sensationsfunde berichtet wurden, stammten sie entweder vom Hohen Fels, aus dem Geißenklösterle aus dem Blaubeurer Urdonautal oder aus den Höhlen des etwas nördlicheren Lonetals.
Ein Archäologe hält die Venus von Schelklingen, eine ca. 40.000 Jahre Kleinst-Skulptur, die auf der Schwäbischen Alb in der Felshalle gefunden wurde, in Händen.
Die Venus von Schelklingen, gefunden auf der Schwäbischen Alb.© picture alliance/dpa/Marijan Murat
"Hier wurden die ältesten Kunstwerke der Welt gefunden", schwärmt Nicholas Conard, Professor und Direktor der Abteilung Ältere Urgeschichte und Quartärökologie der Universität Tübingen. 40.000 Jahre alte Kunst-Funde wie die aus Mammutknochen geschnitzten Pferdeköpfe oder Löwenmenschen, vor allem aber die Venus von Schelklingen, die Conard entdeckte, entzücken Archäologen und archäologie-begeisterte Laien.

Aushängeschild für den Archäologiestandort Deutschland

Conard und seine Kollegen graben seit 20 Jahren in verschiedenen Räumen und Schichten. In den älteren Grabungsschichten aus der Neandertaler-Zeit sei die Ausbeute vergleichsweise gering. "Wiederum in den Schichten der frühen modernen Menschen vor 40.000 Jahren da gräbt man und man hat so viel Material, man weiß gar nicht, was man zuerst einmessen soll." Solche Funde seien ein Aushängeschild für Deutschland – der Ort sollte deshalb Weltkulturerbe-Status erlangen. Im Sommer 2017 könnte es soweit sein.
Conard hält es für wahrscheinlich, dass es immer wieder Begegnungen zwischen Neandertalern und modernen Menschen gegeben hat. Dabei sei offenbar nicht nur gekämpft worden, sondern hier und da "auch der Funke übergesprungen". Anders ist kaum zu erklären, warum etwa zwei Prozent unseres heutigen Erbguts vom Neandertaler stammen.

Das Interview im Wortlaut:

Korbinian Frenzel: Heute mit Nicholas Conard, Professor für Archäologie in Tübingen. Der Deutsch-Amerikaner ist einer der renommiertesten Erforscher der frühen Menschheitsgeschichte. Guten Morgen, ich grüße Sie!
Nicholas Conard: Guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Herr Conard, Ihr Name ist verbunden mit einem Sensationsfund vor einigen Jahren. Die Venus von Schelklingen. Erzählen Sie uns, was haben Sie da gefunden?
Conard: Ja, das ist eine Darstellung von einer Frau. Das Spannende ist – gut, man kann viel sagen, eine Frau ohne Kopf, aber sehr klar dargestellte Geschlechtsmerkmale, die etwa 40.000 Jahre alt ist, die sogenannte Venus von Schelklingen, diese Frauenfigur, und damit die älteste Darstellung überhaupt, figürliche Darstellung, die es in der Menschheitsgeschichte gibt, die bislang gefunden wurde.
Frenzel: Die Venus, die Sie gefunden haben, haben Sie auf der Schwäbischen Alb gefunden, genau genommen ist es der Hohe Fels, eben an diesem Ort, an dem Sie und viele andere Archäologen viel Zeit verbringen. Ist diese Felshalle so etwas wie das Brennglas, durch die wir unser Leben vor vielen Tausend Jahren sehen können?

Der Pferdekopf - eine Sensation

Conard: Ja, auf jeden Fall. Wir graben unter meiner Leitung jedes Jahr seit 20 Jahren, und jedes Jahr haben wir hochwertige Ergebnisse, und die Frauenfigurine und vieles mehr haben wir da gefunden, gerade in dieser Zeit. Der Fundsatz ist unglaublich reich, und wir haben teilweise sehr unerwartete Funde gemacht.
Frenzel: Geben Sie uns gern noch ein paar Beispiele. Was haben Sie da gefunden, und was konnten Sie auch daraus lesen?
Conard: Ende der 90er-Jahre fanden wir zum ersten Mal eine Skulptur, einen Pferdekopf. Das war eine Sensation, gemessen an der Zeit damals, weil seit einem Vierteljahrhundert wirklich niemand so was gefunden hat aus dieser Zeit, vor so knapp 40.000 Jahren. In den darauffolgenden Jahren ein Wasservogel, die älteste Vogeldarstellung auf Erden, ein Löwenmensch, ein ganz kleines Stück. Die Stücke sind fast alle aus Mammutelfenbein geschnitzt. Ein Löwenmensch war besonders spannend, weil es belegt, dass es ein Glaubenssystem in dieser Zeit der frühen modernen Menschen gibt, in dem eine Umwandlung zwischen Tier und Mensch, Löwen und Menschen, und vermutlich dann zurück zum Menschen, ein Bestandteil deren Glaubenssystem war.
Und damit stehen wir ganz am Anfang der Religion oder zumindest empirisch nachweisbarer Glaubenssysteme. Ein besonders toller Fund waren die Musikinstrumente. 2008 haben wir eine wunderbar erhaltene Gänsegeierflöte gefunden, Vogelknochen sind sehr günstig für die Flötenherstellung, weil sie hohl sind. Und wir haben auch zwei Belege für Flöten, die aus Elfenbein geschnitzt wurden, und viele, viele andere Funde. Ich könnte ewig lang auflisten, was es alles gibt.

Die Menschen vor 40.000 Jahren waren wie wir heute

Frenzel: Wenn ich das höre, Musikinstrumente im weitesten Sinne Kunst. Heißt das, wir waren damals, also vor ungefähr 40.000 Jahren schon so universelle Wesen auf dieser Erde, dass es nicht allein ums Fressen ging.
Conard: Ja natürlich. Das ist ganz klar. Die Menschen damals waren gleichwertig mit uns. Ich schildere das immer so: Wenn Sie, Herr Frenzel, zurückgehen könnten auf die Schwäbische Alb vor 40.000 Jahren, müssten Sie eine neue Sprache lernen, lernen, wie man Steine schlägt, vielleicht Elfenbein schnitzt, vielleicht Flötenmusik spielt. Aber letztendlich waren die Menschen so wie wir. Die Andersartigkeit wäre vor allem durch die Umweltbedingungen der Eiszeit, dass Sie sich überwiegend mit Pferdefleisch und Rentierfleisch ernähren würden, Kleider aus Fellen tragen würden. Aber prinzipiell waren die Menschen gleich.
Wenn Sie noch früher zurückgehen würden in die Zeit der Neandertaler oder des Homo Heidelbergensis, wissen wir das nicht. Ich vermute, und es gibt auch ziemlich gute Argumente dafür, dass das Leben unter den Neandertalern oder noch früher Homo Heidelbergensis anders war, wo vermutlich wesentlich weniger symbolische Kommunikation im Spiel war.
Frenzel: Es gibt aber auch bei den Neandertalern so etwas wie Schminke, die man gefunden hat, Muscheln zum Schmuck. Unterschätzen wir den guten alten Neandertaler manchmal?
Conard: Sagen wir so: Was mich ein bisschen stört, ist, dass meine Funde sehr oft benutzt werden, um den Neandertaler schlechtzureden. Ich persönlich mache das nicht. Ich habe über Neandertaler promoviert und bin auch sehr ein Anhänger der Neandertaler. Ich würde mich auch freuen, wenn Neandertaler Kunst und Musik produziert hätten. Aber wir haben keine Belege dafür. Ich würde vielmehr sagen, dass die Neandertaler in der Regel in kleinen Gruppen gelebt haben. Stellen Sie sich vor, Sie haben Ihre Familie, ein paar Nachbarn, Onkel, Tanten, Kusinen, ein paar Leute in der Nachbarschaft. Aber man kennt die alle, man kennt die durch Augenkontakt und viele ganz konkrete Verbindungen.
Da braucht man vielleicht nicht so viel symbolische Kommunikationsformen. Und, was man auch sagen kann, Neandertaler haben in der Regel nicht so viel Druck ausgeübt auf ihre Umweltbedingungen. Moderne Menschen kamen in unsere Region, und wir sehen einen sehr deutlichen Anstieg in der Bevölkerungsdichte. Das kann man so sich vorstellen, wenn Sie zum Beispiel heute mit mir in den Hohen Fels gehen, wenn sie mehr in Schichten der Neandertaler gräbt, in unserem Raum, kann man den ganzen Tag graben, und man freut sich, wenn man einen Steinabschlag findet. Wiederum in den Schichten der frühen modernen Menschen, vor 40.000, da gräbt man, und man hat so viel Material, man weiß gar nicht, was man zuerst einmessen soll. Das ist auch mit ein Grund, warum wir hoffentlich, wenn alles gut geht, nächstes Jahr im Sommer Weltkulturerbe-Status haben, weil wir diese Entwicklung sehr gut dokumentieren können.

Gab es "Interaktion" mit Neandertalern?

Frenzel: Weiß man denn etwas darüber, ob und wie sich moderner Mensch und Neandertaler begegnet sind? Gab es da so etwas wie Konflikte, Kriege, Kämpfe um die Vorherrschaft?
Conard: Auch da will ich immer betonen, die unterschiedlichen Regionen geben unterschiedliche Hinweise. In unserer Region in Südwestdeutschland haben wir überhaupt keine wirklich nachweisbare Belege für diese Interaktion. Ich persönlich halte es für naheliegend, aber jetzt, unter meiner Leitung, haben wir 20 Jahre intensiv diese Frage erforscht und haben immer noch keine Hinweise darauf. Wir haben immer ein fundfreie Zone zwischen den letzten Neandertaler-Schichten und den letzten Schichten der modernen Menschen. Aber wir wissen durch genetische Untersuchungen ja ungefähr zwei Prozent genetisches Gut der Neandertaler mit uns tragen. Das heißt, es hat hin und wieder gefunkt, und es gab fruchtbaren Nachwuchs. Und außerhalb von Afrika ist es ganz klar, dass Kreuzungen stattfanden.
Frenzel: Herr Conard, eine abschließende Frage: Der Philosoph Giorgio Agamben hat einmal gesagt, man muss Archäologe sein, um die Zukunft zu verstehen. Können Sie diesem Satz etwas abgewinnen? Hat er recht?
Conard: Sagen wir mal so: Zumindest, um zu verstehen, wo wir uns befinden, muss man Archäologe und Paläontologe sein, das auf jeden Fall. Sonst muss man nur die Bibel lesen. Ich habe nichts gegen die Bibel oder andere Bücher, aber natürlich, wenn man Fakten haben will und wissen will, wo man herkommt, haben wir nur die Quellen, die ausgegraben werden. Andere Quellen gibt es nicht. Und ich würde auch argumentieren, nur, wenn wir wissen, wer wir sind und wo wir herkommen, können wir schon mit einer gewissen Glaubhaftigkeit in die Zukunft schauen. Dem würde ich schon weitgehend zustimmen. Natürlich würde ich nicht behaupten, dass man unbedingt die entscheidende politische Entscheidungsfindung bei den Archäologen suchen soll. Ich kenne solche und solche.
Frenzel: Nicholas Conard, Professor am Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologe des Mittelalters in Tübingen. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Conard: Danke, Herr Frenzel!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Wie und wo hat sich die Menschheit entwickelt, wer waren unsere Vorfahren und wie haben sie gelebt? - Diesen Fragen gehen wir nach in unserer Sommerreihe "Reisen zu den Ursprüngen der Menschheit".