Reisereportage

Auf den Spuren der Märchenerzählerin

Gewürzbasar in Istanbul: Das L-förmige Gebäude stammt aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und wurde ursprünglich als Karawanserei erbaut.
Gewürzbasar in Istanbul: Das L-förmige Gebäude stammt aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und wurde ursprünglich als Karawanserei erbaut. © picture alliance / zb
Von Günther Wessel |
Die Deutsche Elsa Sophia von Kamphoevener führte ein abenteuerliches Leben: Sie soll Anfang des 20. Jahrhunderts als Mann verkleidet durch das Osmanische Reich gereist sein und erzählte davon ab 1951 im Süddeutschen Rundfunk. Helge Timmerberg ist ihr nachgereist.
Elsa Sophia von Kamphoevener führte angeblich ein abenteuerliches Leben: Sie soll Anfang des 20. Jahrhunderts als Mann verkleidet durch das Osmanische Reich gereist sein, an Lagerfeuern Märchenerzählern gelauscht und später selbst als ein solcher in Karawansereien gearbeitet haben. In Deutschland erzählte sie ab 1951 im Süddeutschen Rundfunk orientalische Geschichten, die sie später auch in Büchern veröffentlichte.
Elsa Sophia von Kamphoevener ist die Märchentante in Helge Timmerbergs neuem Buch. Der las Anfang der 1980er Jahre ihre Erzählung "Die Perlenkarawane" und war bezaubert – obwohl ihn Volksmärchen eigentlich anöden. Ihn faszinierte auch der Lebenslauf der Autorin, und so plante er gemeinsam mit Freunden ein Drehbuch über sie zu schreiben, für einen Film voller Orientalistik und Märchenmotive. Eine Idee, die ihn nicht mehr losließ.
Reisend und schreibend machte er sich schließlich auf die Suche nach der "Märchentante" und zog los: nach Ägypten, Marokko und in die Türkei. Wie alle Bücher Timmerbergs handelt auch dieses nicht nur von fremden Orten und fremden Menschen, sondern vor allem auch von ihm selbst. Diese Mischung hat ihn berühmt und berüchtigt gemacht und als Reisereporter unverwechselbar: Seine kräftige klare Sprache, sein Grundton, der zwischen Schnoddrigkeit und Großartigkeit changiert und weder Angst vor Gefühlen, ja Kitsch hat, noch vor Angebereien.
Ein Reporter, dem alles zufliegt
Timmerberg ist ein Autor, der sich beispiellos selbst inszeniert. Als Reporter, dem alles zufliegt, als Liebhaber, der noch mit Liebeskummer wunderbar aussieht, als verwegener Reisender und Weltenbummler, der scheinbar angstfrei, abgewrackte Spelunken in Mexiko aufsucht oder die Kasbah von Marrakesch durchstreift. Und der sich als Verlierer oder Verlorener und als Kiffer und Trinker zeigt, allerdings als einer, der meistens weiß, wann er genug hat. Für Helge Timmerberg existiert die Welt nur durch das Selbsterlebte, Selbstgesehene und in der ihm eigenen Sichtweise.
Wenn man das mag, wird man auch mit diesem Buch glänzend unterhalten und lernt sogar noch etwas. Über die Reiselust und die Reiselast, die Schönheiten der Nil-Kaskaden, die Sternennächte über Beduinenzelten, die Absurditäten der deutschen Drogenstrafverfolgung, die Bordelle in Tanger, die Dschinns in der orientalischen Literatur und darüber, wie man mit der Enttäuschung umgeht, wenn man feststellt, dass die bewunderte Märchenerzählerin, die man als Geistesverwandte ansah, ihre Orientreisen leider nur erfunden hat. Dass sie nie auf Pferden Anatolien durchstreifte, weil sie gar nicht reiten kann, und sich in den 1930er Jahren sogar den Nazis andiente. Man lernt, dass die Suche nach ihr eigentlich nur die Suche des Autors nach sich selbst war, dass Biographen brüchig sind und nur Geschichten überdauern.
Schließlich macht Timmerbergs respektloser, zupackender, oft auch selbstironischer Ton auch in diesem Buch ein Ende möglich, dass man kaum einem anderen Autor wegen Kitschverdacht hätte durchgehen lassen: hier die triviale Erkenntnis, dass man seine Träume verliert, sobald sie in Erfüllung gehen.

Helge Timmerberg: Die Märchentante, der Sultan, mein Harem und ich
Malik Verlag, München 2014
252 Seiten, 19,99 Euro

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