Die großen Städtebauprojekte kehren zurück
Die anonyme Trabantenstadt, ein Relikt der Nachkriegszeit? Angesichts der Wohnungsnot wird die Idee wiederbelebt - etwa in München und Wien. Diesmal wollen die Planer alles besser machen - mit ungewissem Erfolg.
Gestatten, ich bin die Seele des Großstädters. Irgendwie mittelalt, Single, viel Arbeit, Wohnung im 3. Stock neben einem schönen Altbau. Ich liebe mein Viertel, die Bars, die Kultur. Ich liebe das Theater ums Eck, auch, wenn ich es eigentlich nie besuche. Ich liebe die kleinen Läden, in denen man alles kaufen kann, nur nichts zu essen. Ich liebe das Urbane. Ich bin die Seele des Großstädters.
Jetzt bauen sie wieder. Draußen, am Stadtrand. Sie müssen bauen, die Stadt platzt aus allen Nähten. Ein riesiges Stück Land haben sie, freies Feld, das letzte seiner Art: München Freiham.
Karcher: "25 Fußballfelder in einer Richtung und zehn Fußballfelder in die andere Richtung. Freiham ist ja mit 20.000 Einwohnern durchaus ein veritables Städtchen in Oberbayern."
Von diesem veritablen Städtchen am Rand von München sieht man noch fast nichts. Nur da, wo die Straßen einmal verlaufen sollen, ist die Erde schon abgeschoben. Der neue Stadtteil, der noch nicht ist, war schon einmal bewohnt - vor ein paar tausend Jahren, und deshalb untersuchen Archäologen jetzt das Gelände.
Kercher: "In diesem Bereich soll das Stadtteilzentrum entstehen, insbesondere auch mit drei Hochpunkten mit 16, 14 und neun Geschossen. Und die Hauptherausforderung ist, die Straße so zu gestalten ..."
Steffen Kercher gibt sich alle Mühe, hier, an der Ausfallstraße auf den Feldern eine imaginäre Stadt entstehen zu lassen: Hochhäuser, Alleen, Radwege und den Stadtplatz vor der "urbanen, städtischen Kulisse", wie Kercher es nennt.
Kercher: "Es helfen tatsächlich drei Meter ..."
Kercher steigt auf einen kleinen Hügel und zeigt nach Norden.
Kercher: "Drei Meter Erhöhung helfen gleich, um das halbe Planungsgebiet zu überachten. Hier sieht man die Aubinger Allee, wie sie Richtung freie Landschaft läuft und beiderseits die Wohngebiete erschließt. Das Herz von Freiham ist ja der Wohnungsbau, wir planen Wohnstraßen, baumbestanden, mit Vorgärten vor den Gebäuden, dann freistehende einzelne Gebäude ..."
Das Grün des weitläufigen Stadtteils
Steffen Kercher ist im Münchner Referat für Stadtplanung zuständig für den Acker am Münchner Stadtrand. Was er hier präsentiert, klingt nicht nur wie der Traum jedes Stadtplaners. Es ist der Traum eines jeden Bürgers, der hier verwirklicht werden soll: Flaneure und Radfahrer sollen das Leben auf den Straßen genießen, und Familien und Rentner sollen die Ruhe und das Grün des weitläufigen Stadtteils schätzen. Das Beste von Stadt und Land, hier werden wir es finden: in Freiham, am westlichen Stadtrand von München.
Tom Sieverts: "Heute wird ja, und das finde ich auch ganz gut, unterschieden zwischen Siedlung und Stadt. Und die Gefahr bei diesen Dingen ist natürlich immer, dass es Großsiedlungen werden und keine Stadtteile, ja."
Tom Sieverts. Emeritierter Professor für Städtebau. Einen großen Teil seines Lebens hat er den Erweiterungen an den Rändern unserer Städte gewidmet, den Großsiedlungen der Nachkriegszeit von Frankfurt über Bremen bis Heidelberg, an die die neuen Pläne für den Stadtrand Münchens erinnern.
Sieverts: "Die Kritik kommt durch die Erfahrung, die wir mit diesen Großsiedlungen gemacht haben, die wir alle in dieser Schärfe nicht vorausgesehen haben. Das war eine Zeit, in der wir die Großsiedlungen konzipiert haben - ich sage wir, weil das meine Generation eigentlich gewesen ist und die Generation vor mir – hatten noch ein sehr positivistisch-optimistisches Weltbild. Wir meinten, dass, wenn man gute Häuser und gute Wohnungen baut, dann macht man auch gute Menschen. Und das hat sich dann sehr bald herausgestellt, dass das nicht der Fall ist."
Es waren sozialistische Ideale, nach denen die Stadtplaner ab den 50er-Jahren bauten. Sie planten die Trabantenstädte nach Maßgaben, die aktueller nicht sein könnten – und die heute wieder in den bunten Werbeprospekten der Stadtentwicklungsbüros auftauchen: "Urban" sollten sie sein, dennoch ruhig, gesund, mit viel Grün. Vom Gastarbeiter bis zum Angehörigen der oberen Mittelschicht sollten die Stadtteile für jeden da sein.
"... jetzt zeige ich Ihnen den Block, wo ich im Sandkasten war. Die Häuser werden nach und nach modernisiert ..."
Edith Schroth kennt die Trabantenstadt seit ihrer Kindheit. Seit mehr als einem halben Jahrhundert lebt sie in Nürnberg Langwasser, einer Stadt am Rande der Stadt, geplant für 40.000 Menschen. Russenghetto. Betonklötze, sagen die, die nicht hier wohnen und wahrscheinlich noch nie hier waren. Edith Schroth sagt sowas nicht.
"Das ist die Wohnanlage Elementa ..."
Es ist nicht leicht, Edith Schroth dazu zu bringen, einem die Orte zu zeigen, die für das Image der Trabantenstadt verantwortlich sind. Lieber schwärmt die 63-Jährige davon, wie angenehm und ruhig sie hier lebt, in der Siedlung Elementa, in ihrer Modellwohnung mit verschiebbaren Wänden - eine dieser abgefahrenen Architektenideen aus den 70er-Jahren.
Schroth: "Die Gestaltung war vor Anfang an ... ich hab immer wen, der mir die Blumen gießt ... Hallo!"
Doch dann führt Schroth auf die andere Seite Langwassers, in den Westen, in das Baugebiet U. Die Eintrittspforte: ein kleines, etwas heruntergekommenes Ladenzentrum mit russischem Supermarkt, Friseur, zwei Spielhallen und Leerstand.
Schroth: "Wenn ich da jetzt so reinschaue, das hat keinen Charakter. Hört sich jetzt dumm an, aber kann man so sagen, glaube ich. Wenn ich mir vorstelle, ein kleines Kind überlegt sich: Hm, welcher Block ist jetzt meiner? In welche Haustür muss ich rein?"
Langwasser ist der Prototyp vieler Trabantenstädte, ein Experimentierlabor der Stadtplaner, in dem sich alles findet: kleine Siedlungen mit gepflegten Einfamilien-Bungalows, gleichförmige Mehrfamilien-Reihenhäuser, aus deren Vorgärten Blütenstauden in Gelb, Violett und Rot auf die Gehsteige quellen, und architektonische Kuriositäten wie Edith Schroths Siedlung Elementa. Aber es gibt dort eben auch die gesichtslosen Betonklötze, die die Stadterweiterungen von Mannheim bis Hamburg prägen. Sie waren eine Antwort auf den großen Bedarf an bezahlbaren und akzeptabel ausgestatteten Wohnungen. Sie sollten aber auch eine Antwort darauf sein, dass die Menschen die Stadt wieder zu schätzen lernten. "Urbanität durch Dichte" nannten die weisen Planer das, und meinten damit die Verdichtung in der Vertikalen: die von weitläufigen Rasenflächen umringten Wohntürme der Schlafstadt.
Dieser Ort sollte die Stadt der Zukunft werden. Grün, urban, voller Leben und Angebote für die Menschen. Die Seele des Großstädters, ja, ich sollte hier zuhause sein. Und jetzt erfüllt mich eine merkwürdige Befremdung: Dieses Grün mit schönen Bäumen und Kinderspielplätzen, die ruhige Idylle zwischen den 16-stöckigen Riesenspielzeugen, die Stichstraßen, auf denen kaum Autos und Menschen unterwegs sind. Es ist nicht Dorf, aber es ist auch nicht Stadt. Irgendetwas fehlt.
Tom Sieverts: "Es gibt ein Phänomen, über das ich mein Lebtag jetzt nachdenke, dass sie eigentlich keine städtebaulichen Räume bilden. Sondern diese Strukturen sind Stadtlandschaften, wenn man so will, aber auch nicht wirklich. Die Freiflächen zwischen den einzelnen - meistens – Zeilenbauten, es gibt ja keine geschlossenen Blöcke, bilden keine überzeugenden städtebaulichen Räume."
Die Stadt zerfällt in ihre Elemente: Straße, Grün und Hochhaus, hier bilden sie keine Einheit mehr.
Sieverts: "Ich frage mich auch: Warum haben wir damals eigentlich keine geschlossenen städtebaulichen Räume gebaut? Das war tiefgreifende Ideologie damals. Ein Grund ist wahrscheinlich, dass bei den Nazis der grobe Klassizismus mit seinen Achsen und seinen Hofbildungen die vorherrschende Form des Regimes gewesen ist und jeder, der in der Richtung etwas arbeitete und eine Symmetrie aufbaute, galt als versteckter Faschist."
Eine Stadt braucht enge, unbequeme Straßen
Die Mischung zwischen der Stadt mit ihren hohen Häusern und dem Land mit seinen weitläufigen, grünen Flächen, die man den Menschen bieten wollte, funktionierte nicht. Das städtische Leben, es formierte sich nicht auf den weiten Grünflächen, in der künstlichen, sterilen Idylle zwischen verspielt angeordneten Häuserblöcken. Es klingt absurd, aber eine Stadt braucht die engen, unbequemen Straßen, die klar definierten Linien des städtischen Raumes.
Kercher: "Die Ziele sind ja relativ gleich geblieben, aber die konkrete Ausgestaltung soll eine andere sein ..."
Heute, in München Freiham, will Steffen Kercher das besser machen.
Kercher: "Wir wollen die Strukturen anbieten, die die Menschen wertschätzen. Das heißt: Stadträume, Straßen und Wege, die räumlich gefasst sind, die beispielsweise einen Straßenraum haben, und vom Straßenraum sehe ich ein Gebäude, das hat einen menschlichen Maßstab und eine individuelle Architektur."
Was Steffen Kercher erzählt, klingt vielversprechend. Und trotzdem, der laminierte Plan auf seinem Tisch im Münchner Referat für Stadtplanung erinnert an das, was auch schon die bestehenden Trabantenstädte ausmacht: lockere Bebauung, ruhige Nebenstraßen, dazwischen ganz viel Grün.
Kercher: "Ich glaube, der Eindruck täuscht, weil wir die Pläne verkleinern und im Vergleich zu anderen Projekten wirken die Häuser kleiner. Aber wir haben hier durchaus Hausgrößen und Strukturen, die deutlich über das hinausgehen, was man beispielsweise auch in klassischen Stadterweiterungen der 70er-Jahre an baulicher Dichte gebaut hat. Wir sind hier teilweise sehr nah an gründerzeitlichen Strukturdichten dran."
Die Gründerzeit ist also das Vorbild, diese fünfstöckigen Altbauten, die in unseren Städten heute so beliebt sind. Lange Zeit waren diese Viertel Problembezirke: überfüllte Wohnungen, keine Duschen, die Toiletten im Hausflur. Die Lösung für diese Probleme sahen die Stadtplaner in den modernen, sauberen Wohnungen der Trabantenstadt.
Wohnungen, Büros, Bars
Aber die Gründerzeitbauten erwiesen sich als erstaunlich flexibel. Heute finden wir darin große Wohnungen, schöne Büros, kleine Bars und nette Geschäfte: eben die Vielfalt, die unsere mitteleuropäische Stadt so attraktiv macht. Den Wohnlandschaften der Trabantenstadt fehlt diese Wandlungsfähigkeit. Ihre Wohnungen? Serielle Architektur, alles gleich. Ihre Erdgeschosse? Hauseingänge, Briefkästen, Vorgärten.
Sieverts: "Das ist ein Grundgesetz von lebendiger Stadt: Dass lebendige Stadt immer in einem Nebeneinander, in einer Gleichzeitigkeit von Alt und Neu besteht. Wenn Sie diese Fotos sehen von 1900-Quartieren, dann steht da mal ein Block, dann da mal ein Block, man sieht diese Brandmauern, dann dauert es manchmal zehn oder 15 Jahre, bis der nächste daneben kommt. Dann werden Dinge wieder alt, die werden abgerissen und dann entsteht etwas Neues. So entsteht normale Stadt."
Sieverts nennt das die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, dieses Nebeneinander von Architektur, Verfall und verschiedenen Lebensentwürfen der Menschen.
Christoph Elsässer: "Man erliegt der Versuchung, das wird alles mit einem Baustil überzogen, von einem Genius, einem genialen Erfinder bedacht, und dann in einem Duktus die nächsten 15 bis 20 Jahre auch ausgeführt. Eine Stadt muss eigentlich auch schwache Gebäude haben können."
Christoph Elsässer, Planungsbüro West 8 in Rotterdam. Sein Team hat den Rahmenplan für Freiham mitentworfen, der jetzt auf dem Schreibtisch der Münchner Stadtplaner liegt.
Elsässer: "Wenn Sie sich eine Stadt anschauen, auch München, gibt es immer wieder Gebäude, von denen man sagt, naja, das ist höchstens mittelwertig. Aber viele Gebäude hintereinander machen gemeinsam die Stadt. Das bedeutet, dass der Städtebau eigentlich so angelegt sein muss, dass er jegliche Form von Gebäude, egal ob hochwertig oder etwas weniger geglückt oder langweiliger, gemeinsam so nebeneinandersetzt, dass eben doch ein interessantes Bild entstehen kann."
In rund 15 Jahren soll Freiham gebaut sein. Für eine Stadt ist das nicht viel. Den Planern fehlt die Zeit, in der sich dieses Nebeneinander von Alt und Neu, von starken und schwachen Gebäuden entwickeln könnte – und gleichzeitig ein Alt und Neu der Bewohner. Der Stadtplaner Tom Sieverts:
"Das andere große Problem, das wir damals weitgehend unterschätzt hatten, ist das demographische. In diese Siedlungen sind – auch erwünscht – eingezogen junge Familien mit kleinen Kindern. Das war der typische Bewohner der neuen Großsiedlungen. Die Folge ist, dass man zu Anfang überdurchschnittlich viele Kindergärten braucht, dann überdurchschnittlich viele Schulen und zum Schluss überdurchschnittlich viele Altenheime. Auch da entwickeln sich zwangsläufig durch diese Einheitlichkeit und Gleichzeitigkeit demographisch fast unlösbare Probleme."
Es gibt wohl nicht den einen, klaren Fehler, der allen Großsiedlungen gemein ist. Auf die eine oder andere Art betrifft sie aber alle diese Gleichartigkeit ihrer Bewohner. Die Menschen zogen zeitgleich ein, und als ihnen die Wohnungen zu klein wurden, zogen sie zeitgleich wieder aus. Manche Wohnblöcke wurden gezielt mit sozial benachteiligten Familien belegt. Teile der Siedlungen verfielen und wurden zu Ghettos. Das Image der Siedlungen wurde schlechter - und ist es bis heute.
In Nürnberg Langwasser war das eine Folge der Konflikte zwischen den neuen Stadtteilbürgern - großteils Heimatvertriebene - und den Bewohnern des Valka-Flüchtlingslagers, das nach dem Krieg hier entstand.
Schroth: "Der Kern des schlechten Images ist dieses Valka-Lager. Das war sicher ein Punkt, wo es sehr viele Schwierigkeiten gab, weil einfach unter schlimmen Bedingungen 30 Nationen zusammengelebt haben, teilweise 4000 Leute. Dann kam Trabantenstadt und insgesamt ist das Image schon - ein Vorurteil, Image, ja. Langwasser."
Noch 1982 warnte ein Bericht des Bundesministeriums für Städtebau davor, dass Langwasser zu einem sozialen Brennpunkt werden könnte. Die Befürchtungen haben sich nicht bestätigt. Viele Bewohner sind hier geblieben, so wie Edith Schroth. Sie sind gleichzeitig alt geworden in ihrem Langwasser - und das ist erfreulich. Die erwünschte, durchmischte Gesellschaft aus mehreren Generationen aber ist deshalb nicht zustande gekommen: Der Trabant ist einer der am stärksten überalterten Stadtteile Nürnbergs.
Ein alter Paternoster-Aufzug ächzt in den 6. Stock eines Hochhauses über der Münchner Innenstadt. Hier hat Elisabeth Merk ihr Büro. Aus dem Fenster sieht sie die Straßenschluchten, die Autos, das Treiben vor den Geschäften - sie sieht die gewachsene Stadt. Elisabeth Merk ist Stadtbaurätin von München.
Elisabeth Merk: "Freiham ist eine große Planung, die ich von meiner Vorgängerin und meinem Vorvorgänger geerbt habe. Im Prinzip wird seit 52 Jahren an Freiham geplant, und ich bin jetzt vielleicht die Person, die das ins Werk setzen darf."
Merk ist die, die sich am Ende daran messen lassen muss, ob Freiham ein Erfolg wird. Ob die Investoren und Bauträger auch wirklich diese Vielfalt bauen, welche die Planer in schönen, unverbindlichen 3D-Modellen am Computer entworfen haben. Die einfallslose Architektur, die in München in den vergangenen Jahren entstanden ist, macht wenig Hoffnung. Aber Elisabeth Merk hat große Pläne:
"Wir bauen dort natürlich in Größenordnungen Mietwohnungsbau, wir wollen, und dazu gibt es Beschlüsse des Stadtrates, bis zu 40 Prozent für genossenschaftlichen Wohnungsbau zur Verfügung stellen, das gab es beispielsweise so in den 50er-, 60er-Jahren bei diesen großen Siedlungen ja gar nicht, und wir haben auch einen gewissen Anteil an kleinteiligen Strukturen, wo sehr unterschiedliche Akteure, auch Baugemeinschaften, einsteigen können."
Vor allem in die Genossenschaften setzt die Stadtbaurätin offenbar viel Hoffnung. Sie sollen das liefern, was die renditegierigen Investoren bisher versäumt haben: die Vielfalt der Häuser, aber auch die Vielfalt ihrer Bewohner.
Merk: "Das sieht man bei den traditionellen Genossenschaften, die über Stadtteilläden, über betreutes Wohnen im Alter sich dann sehr auch in die Quartiersbildung mit einklinken. Man sieht es bei jüngeren Genossenschaften, die gezeigt haben, dass man auch Themenschwerpunkte bearbeiten kann, also kreatives Wohnen im Quartier, Frauenwohnen, autofreies Wohnen."
Es ist der Versuch, der Stadt eine Geschichte zu geben, ein Gesicht, das sie aus ihrer eigenen Entwicklung noch nicht haben kann. Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, hergestellt durch künstliche Vielfalt. Studenten, junge Familien und Rentner sollen sich hier wohlfühlen, ebenso wie der urbane Single.
Würde ich mich hier wohlfühlen? Die "neuen" Ideen der Planer kommen mir unheimlich bekannt vor. Schon damals in den 70er-Jahren haben sie versucht, Urbanität, dieses abstrakte Gefühl von Stadt, zu erzwingen.
Würde ich mich hier wohlfühlen? Die "neuen" Ideen der Planer kommen mir unheimlich bekannt vor. Schon damals in den 70er-Jahren haben sie versucht, Urbanität, dieses abstrakte Gefühl von Stadt, zu erzwingen.
Häuser mit bunten, verwinkelten Fassaden
Sie haben gefeierte Architekten bestellt, die Häuser mit bunten, verwinkelten Fassaden gebaut haben. Damit ich mich nicht langweile. Sie haben kleine Häuschen mit beheizten Treppen für Senioren gebaut. Der demographischen Mischung wegen. Sie haben Ladenzentren gebaut, mit Restaurants und Bänken zum Sitzen, damit ich das Treiben auf der Straße genießen kann. Von Nürnberg Langwasser bis Köln-Chorweiler: Eine Stadt wurde daraus nie.
Eine Trabantenstadt der Zukunft kann man schon heute besuchen. 500 Kilometer Richtung Osten von dem Acker, der einmal München Freiham sein wird.
Noch vor ein paar Jahren war hier nichts: nur eine U-Bahn ins nirgendwo, das flache Land hinter den Einfamilienhäusern der Wiener Vorstadt. Jetzt ist es immer noch da, das freie Feld, auf dem die Krähen weiden. Aber dahinter erhebt sich ein Komplex aus Häusern, glitzernd, kompakt und unwirklich.
U-Bahn-Ansage: Seestadt. Umsteigen zu 84A, 88A, 88B.
Die Seestadt Aspern, eines der größten Stadterweiterungsprojekte Europas.
U-Bahn: Wir sind am Ziel. Bitte steigen Sie aus. Auf Wiedersehen!
Es ist ein Wiedersehen mit denselben Versprechen, die schon die Planer in München gemacht haben. Urbanität, das städtische Leben, die Vielfalt und das Grün.
Hier werden sie vertreten von Claudia Nutz, Vorstand der Planungsgesellschaft Wien 3420 AG.
Hier werden sie vertreten von Claudia Nutz, Vorstand der Planungsgesellschaft Wien 3420 AG.
Claudia Nutz: "Das sind einfach die Grundwerte, die es vor 30 Jahren genauso gegeben hat wie jetzt. Und das ist natürlich eine sehr legitime Frage von Ihnen: Was davon ist wirklich notwendige Qualität und was davon entspricht dem Zeitgeist. Wir für Aspern glauben halt, dass einer dieser Kernaspekte für den Erfolg darin liegt, dass man die Dinge wieder stärker durchmischt, also dieses weg von monofunktionalen Strukturen und von der Optimierung einzelner Gebäude in Wohnmaschinen, in Büromaschinen, sondern dass man wieder robuster wird und wieder Häuser baut und nicht mehr Wohnobjekte baut und nicht Büroobjekte baut. Das halten wir für essentiell."
Aspern wird eine Stadt für 20.000 Einwohner. Irgendwann mal. Wenn alles nach Plan läuft, 2030. Dazu sollen hier 20.000 Arbeitsplätze entstehen, nicht nur im Gewerbegebiet im Südosten, sondern mittendrin, in diesen "robusten" Häusern, die alles können sollen: Wohnung, Büro, Geschäft, nacheinander und gleichzeitig. Von der Nutzungstrennung der Nachkriegszeit zurück zur traditionellen Nutzungsmischung.
Der Schwede Johannes Tovatt hat den Plan mit einer Ringstraße entworfen, mit Seitensträßchen und Innenhöfen. In der Seestadt am Rand von Wien versuchen sie, die traditionelle Innenstadt nachzubauen. Der Eingang zu dem, was eine Stadt werden soll, ist eine staubige Schotterfläche. Von hier aus blickt man in eine Straßenschlucht, rechts, links, sechsstöckige Gebäude in grau, weiß und Ocker.
Die Seele des Großstädters
Für wen bauen sie hier? Für die Seele des Großstädters, jaja, ich weiß. Aber anders als sonst habe ich das Gefühl, hier haben sie etwas verstanden. Anders als in den Trabantenstädten der 70er, anders als in den toten Stadterweiterungen der vergangenen Jahre. Was hier entsteht, fühlt sich an wie ein kleines bisschen Stadt.
Die Straßen sind auffallend eng, geschwungen, verwinkelt, immer wieder versperren Gebäude die freie Sicht auf das Ende der Straße. Dieser Ort wirkt kompakt und dicht. Der öffentliche Raum, reduziert auf ein Minimum.
Nutz: "Man muss sich auch auf die Orte beschränken, wo man sagt, da will ich wirklich öffentlichen Raum haben. Also sprich, dass wir eine Konzentration auf wenige Flächen haben."
Wenige Flächen, auf die sich die Menschen begeben müssen, um von A nach B zu kommen. Das Leben wird kanalisiert, es soll zurück auf die Straße. Es soll sich tummeln zwischen den Geschäften und Cafés in der Erdgeschoßzone. Die Erdgeschosse haben sie hier extra hoch gebaut: vier Meter, eine Vorschrift für die Bauherren, damit Aspern nicht zur Schlafstadt wird.
Nutz: "Erdgeschosszone ist natürlich ein Thema, über das ich sehr gerne spreche, weil wir da sehr stolz sind auf die Lösung, die wir gefunden haben. Wir haben immer ganz klar gesagt: Wir sind Anhänger der zentralen Geschäftsstraße. Wenn man das jetzt sagt, dann wird man üblicherweise als Planer belächelt, weil alle Leute lieber in die Shoppingcenter gehen und die Erdgeschosszonen leer stehen und das funktioniert ja nicht. Das Center-Management, wie man es in Shoppingcentern findet, ist ja eigentlich eine sehr gute Sache."
Jetzt managt die Spar European Shopping die Einkaufsstraße und soll dort für einen erfolgreichen Geschäfte-Mix sorgen. Ein Shoppingcenter unter freiem Himmel – ist das die Rettung der Stadt? Tom Sieverts:
"Also ich rede, wenn von Erdgeschoßzonen, nicht in erster Linie von Handel. Ich spreche in erster Linie von diesen Werkstätten der Zivilgesellschaft, der Clubs und so weiter. Von denen wir noch überhaupt nicht wissen, ob sie sich entwickeln. Die Erdgeschosse, ohne die zivile Kultur, politische Organisationen, die Zivilgesellschaft selbst, bleiben die leer. Aber sie sind ein Angebot. Und ohne dieses Angebot könnte sich gar nichts entwickeln."
Es wird darauf ankommen, wie sehr sich die Menschen mit ihrem Stadtteil identifizieren. Eine Bürgerbeteiligung bei der Planung gibt es kaum - wie auch, man weiß ja noch gar nicht, wer hier einmal wohnen wird. Mit Zwischennutzungen in der noch ungebauten Stadt, mit Bürgerzentren, Kunstaktionen und gemeinsamen Gärten wollen die Planer in München wie in Wien die ersten Bewohner, die "Pioniere", wie sie sie nennen, zusammenbringen und eine Stadtgemeinschaft aufbauen. Und wenn es schiefgeht? Wenn das urbane Leben ausbleibt, irgendwann mal, in 20 Jahren?
Die 21-jährige Daniela Barak schleppt gerade Möbel in ihre neue Genossenschaftswohnung, 54 Quadratmeter, mit Balkon, in einem dieser Wohnkomplexe mit Schwimmbad auf dem Dach. Vielleicht wird sie es sein, die in ein paar Jahrzehnten einen Journalisten durch Aspern führt und über ihre Trabantenstadt erzählt - so wie Edith Schroth in Langwasser.
Daniela Barak: "Ich finde es einfach super. Es ist grün, es ist Stadt, ich bin in 20 Minuten mit der U-Bahn in der Innenstadt, auch in der Arbeit, also dieses ganze Zusammenspiel von Natur und Urbanität ist einfach ein Traum."
Urbanität. Das bedeutet für die junge Geschäftsführungsassistentin vor allem, dass sie schnell in der Innenstadt ist, in der von Wien, nicht in ihrer Seestadt. Hier schätzt Daniela Barak etwas ganz anderes: das grüne Umfeld und die Möglichkeit, Sport zu treiben.
Bewohner sind glücklich in den Trabantenstädten
Daniela Barak in Aspern, Edith Schroth in Langwasser - sie beide sind glücklich in einer Trabantenstadt, die gar keine Stadt sein muss. Viele Bewohner sind glücklich in den Trabantenstädten, das haben Untersuchungen immer wieder gezeigt. Haben wir die Urbanität vielleicht überschätzt?
Sieverts. "Die Frage die ich mir stelle: Inwieweit ist das ein Problem nur für den gebildeten Mittelstand. Die Leute, die da wohnen, werden diese Kritik wahrscheinlich gar nicht äußern. Also das ist auch durchaus möglich, dass da eine Geschmacksverschiebung stattgefunden hat, die das normale Volk, das da wohnt, gar nicht so fürchterlich interessiert. Aber trotzdem macht sich das dann natürlich im Feuilleton, in der veröffentlichten Meinung, spielt das dann eine ganz große Rolle. Und die veröffentlichte Meinung ist da seit drei Jahrzehnten ziemlich einheitlich: Das sind keine städtebaulichen Räume."
Aber sie können es werden, wenn man sie nur lässt. Nürnberg Langwasser hat sich entwickelt - vor allem da, wo es anders geplant war. Der zentrale Platz sollte eigentlich bebaut werden. Dann ging der Bauherr in Konkurs. Heute spielen hier Kinder und alte Herren sitzen um einen Brunnen und tratschen. Städtisches Leben: Wenn es irgendwo ist, dann hier. Auch die Seestadt Aspern wird sich entwickeln - in welche Richtung, das weiß heute noch keiner. Wichtig ist, dass man der Stadt den Freiraum dazu lässt.
Nutz: "Wir haben es jetzt in der ersten Etappe nicht gemacht - aber worüber wir diskutieren, ist, Zahnlücken oder so Baulücken zuzulassen, wo man eben im Nachhinein Quartiere dann noch überformen oder verformen kann."
München Freiham wird sich ebenfalls entwickeln. Die Planer stehen unter großem Erfolgsdruck. Offen sagen sie das selten, aber sie vermitteln das Gefühl: Ihre Stadt darf nicht scheitern. Dafür werden sie bezahlt. Aber welche Stadt war von Anfang an perfekt? Die Trabantenstadt? Die beliebten Quartiere der Gründerzeit? Die mittelalterliche Stadt? Sicher nicht. Christoph Elsässer:
"Man braucht viel Geduld. Es ist unglaublich schwer abzuschätzen, auch für Planer und Investoren, wie attraktiv ein Ort sein wird und sein kann. Das hat mit so vielen Sachen zu tun. Es ist nicht nur die Menge der Menschen, die irgendwo wohnt, es ist die Art der Menschen, die Leute, die da hinziehen, haben die überhaupt ein Interesse daran, zu verweilen, zu bleiben, einkaufen zu gehen, sich wohlzufühlen, oder sind das Menschen, die einfach irgendwo einen Schlafplatz brauchen und eigentlich im Zentrum arbeiten und am Wochenende sowieso nicht da sind. Das sind Dinge, die lassen sich nicht beeinflussen."
Sprecher nachdenklich: Ich bin die Seele des Großstädters. Ich liebe das bunte Treiben in der Stadt, das Leben, die Geschäfte, die Kultur. Werde ich wiederkommen in die Trabantenstadt? Hätten Sie mich vor einer halben Stunde gefragt, ich hätte wohl "nein" gesagt. Jetzt sage ich: Ja, vielleicht, in 100 Jahren, wenn die Stadt ihre Zeit zum Scheitern hatte - und das hier ein angesagtes Altbauviertel ist.