Warten auf den großen Regen
Das Niedrigwasser im Rhein führt zu Lieferengpässen und finanziellen Einbußen. Im Hafen Köln-Deutz sind die Auswirkungen besonders deutlich zu spüren. Aber der Pegeltiefstand bringt auch ein paar verborgene Schätze zum Vorschein.
"Ich bin auf'm Schiff geboren, ich hab mein Leben lang Schiff gefahren. Und seitdem haben wir jedes Jahr Adventwasser gehabt. Wenn es dies Jahr nicht kommt, dann kann man sagen, weil ich bin ja inzwischen 69, dann ist wirklich etwas grundlegend geändert."
Antonin Dubbelmann ist Kapitän des Flusskreuzfahrtschiffs Rhein-Melodie. Ein Binnenschiffer wie er im Buche steht. Mit Seemannspulli und Knubbelnase. Das Rekord-Niedrigwasser im Rhein – in Köln seit Wochen bei nur 80 Zentimetern – stellt Dubbelmann vor Herausforderungen. Die Rhein-Melodie liegt seither im Deutzer Hafen auf Grund. "Aber das macht dem Schiff nichts aus, man kann nur nicht wegfahren."
Probleme für den Lieferverkehr
Dubbelmann ist entspannt. Es sind keine Weihnachtsfahrten geplant. Und er hat sich mit dem niedrigen Rheinpegel abgefunden. Viel mehr Sorgen macht er sich um seine Kollegen vom Lieferverkehr und um die Auswirkungen für die Industrie.
"Zum Beispiel die GKM, das ist ein Großkraftwerk in Mannheim. Kohle zu wenig und Kühlwasser zu wenig. Und das sind Probleme, wo die nicht drauf ausgerichtet sind. Für kurze Zeit kann man das. Aber jetzt ist das langfristig. Die ganze Struktur muss neu überdacht werden und darauf reagiert werden."
Einbußen um die 50 Millionen Euro
Die Lieferengpässe sind spürbar. Die BASF in Ludwigshafen kann nur von wenigen Flachbodenschiffen angefahren werden, die nur einen Bruchteil der Transportmenge befördern. Einbußen um die 50 Millionen Euro führen bei dem Chemiekonzern zu Ideen wie Unterwasserpipelines oder Schleusen. Aber: "Die werden nicht gebaut, weil die Grünen wegen der Umwelt was dagegen halten. Also ich sehe keine Möglichkeit, dass das je passiert. Dann tun die lieber keine Schifffahrt mehr, dann wäre das Ende von der Schifffahrt."
Zum Erliegen gekommen ist in vielen Orten zumindest schon mal der Fährbetrieb. Mit sichtlichen Folgen: Stau auf der Leverkusener Brücke. Die Fahrt ins 18 Kilometer entfernte Hittorf dauert nun 40 Minuten. Hier steht Thanh Minh Nguyen auf einer Fähre, die nicht ablegen kann. "Das ist natürlich schlimm für uns, wir können nicht fahren, aber auch doof für unsere Kunden. Niedrigwasserstand seit vier Monaten, das habe ich seit 20 Jahren nicht erlebt."
Umdenken erforderlich
Nguyen weiß: Hier bei Leverkusen gibt es den Fährbetrieb schon seit 500 Jahren. Den wird es wohl auch weiter geben, aber das erfordert ein Umdenken: "Wir müssen uns an das Klima anpassen und nicht umgekehrt. Von der Politik kann ich nicht viel erwarten. Wir müssen uns an den Wasserstand anpassen und zum Beispiel unsere Rampen weiter hin zum Rhein rausbauen, damit wir auch bei niedrigen Wasserstand anfahren können."
Bis das geschieht, muss aber noch eine Menge Wasser den Rhein runterlaufen. Und in der Zwischenzeit? "Wir rechnen damit, dass wir noch zehn Tage oder zwei Wochen hier liegen bleiben müssen." Auch wenn es zuletzt in Köln kräftig regnete. Doch: "Da müsste es schon am Bodensee anfangen, über Maxau und dann runter zu uns."
Thanh Minh Nguyen und seine Mannschaft nutzen die Wartezeit für Reparaturen. "Wir heben den Schottel und reparieren den Propeller, Streicharbeit, Malarbeit, Entrosten und Elektrizitäten gucken wir auch nach." Die Fährmänner bringen eine Lichterkette für Weihnachten an – in freudiger Erwartung des Adventwassers. So versucht die rheinische Frohnatur das Beste aus dem Niedrigpegel zu machen.
Schrotträder sammeln dank Niedrigwasser
Ulrich Vielhauer und seine Kollegen vom Yachtklub KAMC haben sich einen Ersatzsport gesucht: "Also dieses Fahrrad rollt schlecht, ist ziemlich zugerostet." Nein, die drei Männer in Warnwesten und Arbeitskleidung sind nicht auf Drahtesel umgestiegen. Sie angeln Schrotträder aus dem Rhein. Das geht jetzt besser, da der Fluss so flach ist.
"Der Schrott, der immer hier im Verborgenen lag, war ja auch negativ für unsere Schrauben an unseren Schiffen. Wenn wir dem nähergekommen wären, hätte der schon auch einen Schaden bedeuten können an unseren Schiff. Aber trotz alledem, bei all dem Tourismus hier am Rhein ist das ein schlechtes Bild für unsere Stadt, wenn man da auf so eine Müllkippe guckt."
Bei der letzten Rhein-Entrümpelungsaktionen der Yacht-Sportler hatte Vielhauer mit schwerem Geschütz aus seinem Forstbetrieb aufgewartet: "Also, ich hatte unentgeltlich einen Traktor mit einem Ladekran zur Verfügung gestellt, wo wir dann auch große Mengen bergen konnten an Schrott und Einkaufswagen und Fahrrädern und Bauzäune und was wir alles rausgezogen haben."
Spannendster Fund: Einbruchsbeute
Ulrich Vielhauer holt aus. Wirft seinen Fanghaken. Und zieht ein Fahrrad aus dem Rhein. Die Speichen sind voller Schlick und Algen. Der Lenker sieht jedoch noch aus wie neu. Von ihrem spannendsten Fund, weiß Hermann-Josef Fratz zu berichten: "Also das Spannendste, was wir gefunden haben beim zweiten Termin, war 'ne Aktentasche und als sie am Haken war, merkten wir auch schon, dass sie schwer ist und da hab ich direkt gesagt: Da ist 'ne Leiche drin. Und alle guckten, alle kamen auch und ich dachte nur, hoffentlich war das nur ein Scherz von mir. Und als dann die wirklich schwere Tasche hochkam und wir die geöffnet haben, war da Einbruchswerkzeug drin, also 'ne Axt und ein Hammer, aber das war schon sehr alt und verfiel in sich. Es gab dann auch Nachfragen, ob wir das zur Kripo gegeben hätten." Ja und die Beute war dann auch noch in der Tasche: drei Flachbildschirme aus der Urzeit.
Hoffnung auf Regen
Sorgen, dass das diesjährige Niedrigwasser zu denken geben sollte, dass der Klimawandel zur ewigen Ebbe in deutschen Flüssen führt, macht sich Vielhauer nicht: "1544 glaub ich war's, das war ein ähnlich trockenes Jahr wie dieses, da gab es auch diese phänomenale Weinernte. Also wie man sieht, kehrt es immer wieder ein, aber Gott sei dank selten."
Das Niedrigwasser am Rhein bleibt weiterhin ein Problem. Aber, wenn die nun prognostizierten Tiefdruckgebiete kommen, nicht allzu lange. Und immerhin haben jetzt ein paar Jugendliche, die an den Schrottanglern vorbeigelaufen sind, neue alte Skateboards. Frisch aus dem Rhein.