Waffenbesitz in Australien steigt
In den 1990er-Jahren wurden die Waffengesetze in Australien verschärft. Und zwar mit Erfolg: Es gab weniger Tote durch Schusswaffen. Jetzt aber steigt der Waffenbesitz wieder an - vor allem weil das Jagen immer populärer wird.
Samstag früh am Stadtrand von Newcastle, zwei Autostunden nördlich von Sydney. Es ist erst acht Uhr morgens, aber der Parkplatz am Schützenverein ist voll. Drinnen, im Clubhaus, hängt eine Galerie von der Sonne gebleichter, gerahmter Fotos an der Wand: die Schützenkönige der letzten 30 Jahre, mit großkalibrigen Gewehren und noch größeren Hüten. Kaum einer ist unter 50. Draußen an den Schießständen aber nimmt eine neue Generation die Zielscheiben auf's Korn:
"I'm 30." – "I'm 34." – "22." – "26."
Banker Tim Barns und drei seiner Arbeitskollegen kommen jede Woche in den Club. Sie waren noch Kinder, als 1996 ein geistig verwirrter Amokläufer in Port Arthur, Tasmanien, 35 Menschen erschoß. Australiens verheerendste Massenschießerei führte zu drastisch verschärften Waffengesetzen, die Regierung kaufte für Millionen mehr als 700.000 halbautomatische Gewehre zurück. Doch nur in den letzten 18 Monaten wurden allein im Staat New South Wales fast 65.000 neue Waffen registriert. Auch Tims Jagdgewehr.
Die scharfen Waffengesetze der Regierung funktionierten. Im Jahrzehnt vor Port Arthur gab es 100 Todesopfer bei Massenschießereien, seitdem aber ist es zu keiner mehr gekommen. Die Zahl der Selbstmorde durch Schußwaffen fiel dramatisch, das Risiko in Australien erschossen zu werden hat sich halbiert. "Wir sind nicht wie die Amerikaner", meint Tim Barns, "für uns sind Waffen ein Wochenend-Hobby und nicht Teil unseres Alltags".
"Früher waren hier nur ältere Schützen aber durch den Einfluss von Videospielen interessiert sich jetzt auch meine Altersgruppe immer mehr für Waffen. Wir vier sind hier, weil meine Freunde ihren Jagdschein machen wollen. Also warum nicht Samstag früh ein wenig Spaß beim Üben haben?"
85.000 Waffen wurden zuletzt nach Australien eingeführt
Um in Australien eine Waffenlizenz zu bekommen, muss ein Schützenverein nach einem Sicherheitskurs für einen Bewerber bürgen, dann prüft die Polizei Strafregister und Online-Vergangenheit. Es dauert oft Monate, bevor ein Schütze wie Tim sich auch tatsächlich ein Gewehr besorgen kann. Die Auswahl ist enorm. Allein letztes Jahr wurden 85.000 Waffen nach Australien eingeführt.
Schrotflinten und Präzisionsgewehre, Jagdkarabiner und Pistolen jeden Kalibers: Die Waffenkammer des Schützenvereins Newcastle ist Clint Eastwoods Tagtraum. Keine Fenster, überall Gitter, Safes und Sicherheitstüren: Zeugwart Alan Cox ist buchstäblich der Schlüssel dazu, dass die Waffen nicht in falsche Hände geraten. Der Newcastle Gun Club ist einer von 300 in ganz Australien. "Mitglied zu sein", freut sich Vereinspräsident Bob Dixon, "war nie populärer".
"Es kommen viele junge Leute zu uns, weil sie jagen möchten. Im Verein lernen sie das Schießen, dann gehen sie mit ihren Gewehren auf die Jagd. In der Natur nachts ums Lagerfeuer sitzen, tagsüber Gelände-Motorrad fahren und jagen: Das ist ein großartiges Hobby. Letztes Jahr hatten wir 1900 Mitglieder, jetzt sind es schon über 2100 und es werden immer mehr. Das Schießen ist wieder in."
Je mehr Mitglieder Schießclubs in Australien haben, desto mehr Einfluss haben sie auch. Die Vereinsbeiträge und Gebühren für Waffen- und Jagdscheine bringen dem Schützenverband jährlich fast zwölf Millionen Euro. Ein Teil davon wird in politisches Kapital umgemünzt.
"Ein Recht, sich in der freien Natur mit Fleisch zu versorgen"
"Egal, ob man mit einem Gewehr oder mit einem Bogen jagt oder mit einem Speer Wildschweine stechen geht: Es ist das Recht jedes Australiers, sich in der freien Natur mit Fleisch zu versorgen. Diese Dinge sollten weder eingeschränkt noch von irgendjemandem kontrolliert werden."
Der Abgeordnete Robert Borsak steht auf der Spendenliste des Schützenverban-des ganz oben. Denn als Chef der Jäger- und Fischerpartei im Parlament von New South Wales verspricht er 20.000 registrierten Jägern im Staat das, was sie am meisten wollen: ungehinderten Zugang zu Waffen und ungehinderten Zugang zu Gebieten, in denen sie damit schießen können.
Borsak ist 61, gelernter Buchhalter, ultra-konservativ und stramm rechts. Ein Waffennarr, der glaubt, dass – in den richtigen Händen – halbautomatische Sturmgewehre auch Gutes tun können. Und Borsak ist Jäger - Großwildjäger. Zu Hause, in seinem Trophäenzimmer, hängen 50 ausgestopfte Tierköpfe. In Alaska hat Borsak vor Jahren einen Braunbären geschossen, 2005 in Zimbabwe einen Elefanten. Jetzt aber hat er noch größeres im Visier. Getarnt als Arten- und Naturschützer dürfen Jäger bald das, was bisher in New South Wales tabu war: eingeschleppte Tiere in Nationalparks und Naturreservaten schießen.
"Dies ist die Gelegenheit eine Freiwilligenarmee zu mobilisieren, eine private Spezialeinheit. Sie werden alles Ungeziefer in den Parks erlegen. Diese Leute lieben die Jagd und werden den Job jetzt auch auf öffentlichem Land erledigen."
Das grüne Licht, Hobbyschützen in Nationalparks zuzulassen, ist das Ergebnis eines politischen Deals, der mit "grün" nicht das Geringste zu tun hat. Um den Energiesektor in New South Wales privatisieren zu können, brauchten die regierenden Konservativen Borsaks Stimme – und bekamen sie. Im Gegenzug darf ab Herbst in 860 Naturparks und -reservaten geschossen und gejagt werden.
"Diese Entscheidung wird uns allen noch leidtun. Stellen sie sich vor, ein Kind wird von einem Schützen mit einem großkalibrigen Gewehr getroffen. Und von wegen Naturschutz: Professionelle Jäger schießen in einem Park über ein Wochenende aus dem Helikopter 1200 Wildschweine. Eine Truppe Amateure in Tarnwesten erlegen vielleicht zehn oder zwölf – wenn sie Glück haben."
Laxe Sicherheitschecks - ein Schuss nach hinten
Unterwegs auf der Farm von Schafzüchter Jim Pirie. Sein Stück Land grenzt direkt an den Kosciuszko-Nationalpark. Wer künftig dort jagen will, der braucht eine Lizenz – einen sogenannten R-Schein. Bei genauerem Hinsehen ist der aber nichts weiter als ein schriftlicher Theorietest, ob man auch wirklich mit einem Gewehr umgehen kann, prüft niemand. Nicht nur Jim Pirie, auch seine Nachbarn, halten die laxen Sicherheitschecks für einen Schuss nach hinten.
In der Küche seines Farmhauses zeigt Richard Gill auf ein fingernagelgroßes, kreisrundes Loch in der Holzwand. Das Überbleibsel einer Gewehrkugel, die den Freund seiner Tochter vor Wochen nur um Zentimeter verfehlte. Seitdem führt Richards Frau Ripper, den Familienhund, nur noch in einer grell-orangenen Sicherheitsweste Gassi. Die verirrte Kugel kam aus dem Nationalpark nebenan. Wahrscheinlich abgefeuert von einem Schützen, der dort illegal gejagt hat. Bald ist das Schießen im Park offiziell erlaubt. Richard Gill fragt sich nicht ob etwas passieren wird, sondern nur wann.
"Diese Hobbyjäger haben weder die Erfahrung noch das nötige Können, trotzdem verwenden sie großkalibrige Gewehre. Sie tun alles, nur um etwas totzuschießen. Wir haben niemand darum gebeten, schädliche Tiere für uns zu jagen. Wir bevorzugen die Methode, die sich über Jahrzehnte bewährt hat."
Die Methode, die sich seit Jahrzehnten in der Gegend bewährt hat, heißt Boots und ist ein professioneller Jäger und Fallensteller. Eine Ein-Mann-Schädlings-bekämpfung, die Tabak kaut und Tierspuren lesen kann wie andere Zeitung.
Boots hievt einen sperrigen Drahtkäfig von der Ladefläche seines Pick-Ups. Innen befestigt er einen Köder, dann tarnt er die Falle mit Ästen und Grasbüscheln. Boots fängt Tiere, die in den Nationalparks Australiens einheimische Arten dezimieren: Wilde Hunde und Katzen, Hirsche, Füchse, Kaninchen und Wildschweine. Nur ein paar 100 Meter von der Schaffarm der Gills entfernt ist ihm ein Dingo in die Falle gegangen.
Boots lädt sein Gewehr - und legt an. Mit einem gezielten Schuss in den Kopf tötet er den Dingo. Nach 40 Jahren im Busch weiß Boots, dass eine Kugel aus nächster Nähe die tiergerechteste Methode ist. Unerfahrene Jäger wissen das auch, aber Boots glaubt nicht, daß sie dazu in der Lage sind:
"Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Leute, die sonst etwas völlig anderes machen, hier draußen Tiere so erlegen, dass sie nicht leiden. Trotzdem werden Tausende mit dem Gewehr unterm Arm durch die Wälder trampeln. Wilde Hunde, Hirsche, Füchse und Wildschweine fliehen dann in noch entlegenere Gegenden, in denen es noch schwieriger wird, sie zu fangen."
Früher zog Boots mit zwei Partnern los. Doch seit immer mehr Hobbyjäger in den Wäldern schießen, wurde es ihnen zu gefährlich. Heute arbeitet er alleine. Mountainbiker und Wanderer, Vogelbeobachter, Camper und Naturfreunde: 34 Millionen Menschen besuchen jährlich die Nationalparks in New South Wales. "Bald bekommen sie Gesellschaft", brummt Boots. Ungebetene Gesellschaft.
"Nationalparks wurden eingerichtet, um bedrohte Tierarten und die übrige Flora und Fauna zu schützen. Diese Armee von Hobbyjägern gefährdet all das, was bewahrt werden soll. Das ist ein Verbrechen. Diese Leute wollen nur ein Tier als Trophäe schießen. Mit Schädlingsbekämpfung hat das nichts zu tun."
"Waffenbesitz wird wieder schick"
Zurück im Schützenverein von Newcastle. Hinter dem Maschendrahtzaun grasen gleichgültig ein paar Känguruhs, vor den Schießständen sitzen Familien auf Picknickdecken. Der elfjährige Bailey schießt heute zum ersten Mal mit scharfer Munition. Baileys Eltern, beide begeisterte Jäger, zeigen ihm jeden Handgriff: Wie er das Gewehr laden, entsichern und halten soll, das richtige Anlegen und das Zielen.
Ginge es nach Robert Borsak, dem Chef der Jäger-und Fischereipartei, dann wären Schießen und Waffenkunde längst Teil des Lehrplans an australischen Schulen und das Jagen in allen Nationalparks des Landes erlaubt. "Die iPad- und Facebook-Generation vergisst sonst ihre Wurzeln", behauptet Borsak. Denn in jedem von uns stecke nun einmal ein Killer.
"Wir sind alle Jäger, das tragen wir in unseren Genen. Farmer und sesshafte Stadtbewohner sind wir erst seit 15.000 Jahren. Davor haben wir Tiere erlegt und waren Sammler. Das hat uns am Leben erhalten und uns zu den Kreaturen gemacht, die wir heute sind."
Schießwütige Politiker in den Vorzimmern der Macht, bald bis an die Zähne bewaffnete Gelegenheitsjäger in Nationalparks und mehr Waffen im Umlauf als je zuvor: Australiens Waffengegner sind beunruhigt. "Von amerikanischen Verhältnissen sind wir Lichtjahre entfernt", versichert die Soziologin Rebecca Peters, die 1996 mithalf, den Besitz von allem, was schießt in Australien, schärfer zu regulieren. Aber: Das Comeback der Waffen müsse gestoppt werden – mit politischer Schützenhilfe. Nichts zu unternehmen wäre Russisch Roulette:
"Waffenbesitz wird wieder schick. Der Trend war rückläufig denn Australier, die mit der Zeit gehen, leben überwiegend in Städten und interessieren sich für Fortschrittlicheres. Es ist bedenklich, daß Waffen wieder populär sind. Das ist ein Rückschritt ins Gestern und passt nicht zu einem modernen Australien."