Religiöse Spätentwickler

Von Dieter Wulf |
Die in New York lebende Fotografin Angelika Rinnhofer hat Menschen Porträtiert, die erst als Erwachsene von ihren jüdischen Wurzeln erfahren haben. Bei manchen hat die Erkenntnis wenig geändert. Bei anderen aber hat sie das Leben umgekrempelt.
"Da war ich ungefähr 22 und in 'nem Gespräch mit meinem Bruder - ich weiß gar nicht mehr, worum es ging - sagte er plötzlich: Na ja, wir sind ja jüdisch. Und da hab' ich gesagt: Hä, wie? Ja wusstest Du das nicht? Sach' ich: Nee. Wusste ich nicht!"

… erzählt Katharina Palm über den Moment vor über 20 Jahren, als sie plötzlich von ihrer jüdischen Biografie erfuhr. Religion hatte in ihrer Familie in der DDR bis dahin überhaupt keine Rolle gespielt.

"Merkwürdigerweise erinnerte ich mich dann aber in der Rückschau an Dinge wie eine Chanukkia, die bei uns stand. Da standen aber meine Geburtstagskerzen immer drauf, die habe ich auch immer noch. So einzelne kleine Bilder tauchen plötzlich auf, die für mich aber keinen Zusammenhang zu irgendwas hatten."

Ihre Mutter wurde 1938 im heutigen Schlesien geboren. Was während und nach dem Krieg geschah, wie Mutter und Großmutter den Krieg überlebten, darüber wurde in der Familie nie geredet.

"Man weiß es nicht. Es ist eine dieser vielen dunklen Geschichten, wo die Betroffenen den Mantel des Schweigens drüber breiten."

Dass die eigene jüdische Identität auch nach dem Krieg verschleiert und verschwiegen wurde, dass sei kein Einzelfall, meint die heute in New York lebende Fotografin Angelika Rinnhofer. Erst durch ihren amerikanischen jüdischen Ehemann entdeckte sie jüdische Elemente in der deutschen Alltagskultur:

"Ich hab' zum Fenster rausgeschaut und hab' gesagt, heute ist mal wieder Schisematuckel-Wetter und dann hat er mich gefragt, warum spricht du jiddisch? Auch in der Küche habe ich zum Beispiel im Essen sehr viele Dinge wieder entdeckt, die ich von meiner Großmutter gekannt hab'."

Und dann erzählte ihr ein Bekannter aus Nürnberg über jüdische Verwandte, von denen er jahrzehntelang nichts gewusst hatte.

"Kurz nachdem ich nach New York kam, hab' ich einen Jiddisch-Kurs gemacht und dann sagte er zu mir, ja apropos, da muss ich dir was erzählen und hat mir dann eben erzählt, dass er erfahren hat, dass sein Großvater ein Admiral war unter Hitler. Das wusste er auch schon vorher. Aber er wusste nicht, dass er jüdische Verwandte hatte."

Daraus entstand die Idee einer Fotodokumentation von Menschen, die, so wie Katharina Palm, erst als Erwachsene von ihrer jüdischen Biografie erfuhren:

"Ich nehme die Geschichten auf, wie und wann die Person von der jüdischen Vergangenheit erfahren hat und ob sich das das Leben für sie verändert hat, ob das den Sinn der Identität verändert hat, ob die Person weiß, warum das geheim gehalten worden ist. Das sind so die rein grundsätzlichen Fragen, die ich stelle. Das Resultat stelle ich mir als Buch vor mit den Schwarz-Weiß-Fotos und Zitaten aus den Gesprächen."

Bei diesen Interviews, meint Angelika Rinnhofer, werde deutlich, dass die meisten ihre jüdische Herkunft offenbar irgendwie ahnten. So, wie auch Claudia Stein:

"Ich hab' es mit dem christlichen Glauben nie hingekriegt und hab' gedacht, na ja, vielleicht kapier ich das ja irgendwann, so wie man ja auch Mathe versteht. Ich hatte immer das Gefühl, alle verstehen das und alle glauben daran und ich hab' mich nicht getraut zu sagen, dass das bei mir nicht so ist."

Schon Jahre bevor sie erfuhr, dass sie von Geburt an jüdisch ist, dachte sie daran, zum Judentum zu konvertieren. Insofern war sie gar nicht so überrascht, als sie schließlich von ihrer jüdischen Biografie erfuhr. Was der Grund für dieses Familientabu war, weiß sie jedoch bis heute nicht:

"Meine Mutter ist vor anderthalb Jahren gestorben und es war sehr schwierig mit ihr über dieses Thema zu reden. Dieses Thema Judentum da war so 'ne Starre. Das war wirklich so, da konnte sie kaum drauf antworten. Das löste schon fast so 'nen Schock aus oder so, wenn man darüber reden wollte und wir haben das auch leider bis zu ihrem Tod auch nie geklärt."

Die Reaktion, wie die von ihr Porträtierten mit dieser Erfahrung umgegangen sind, sei ganz unterschiedlich meint Angelika Rinnhofer. Bei manchen habe sich mit dem Judentum wenig geändert, bei anderen aber habe es das Leben völlig umgekrempelt.

Katharina Palm, hat ihre Kinder in einen jüdischen Kindergarten gegeben und darüber dann auch für sich den Zugang zur jüdischen Kultur bekommen. Der jüdische Frauenverband WIZO, betont sie, sei heute ein Teil ihrer Familie. Claudia Stein war in den letzten Jahren so häufig in Tel Aviv, dass sie jetzt sogar einen Reiseführer über die Stadt geschrieben hat. Vielleicht wird sie bald auch ganz nach Israel ziehen.