Gott liebt sogar die Taliban
Innerhalb von Flüchtlingsunterkünften gibt es Konflikte zwischen den Geflüchteten, auch aus religiösen Motiven. Das Deutsche Institut für Menschenrechte lehnt eine separate Unterbringung nur aufgrund der Religionszugehörigkeit ab - obwohl es gewaltsame Auseinandersetzungen geben kann.
"Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn in den Tod gab."
Taufunterricht in der altlutherischen Dreieinigkeitskirche in Berlin-Steglitz. Die selbständige Gemeinde gehört einer konservativen Strömung des deutschen Protestantismus an. Mehr als 200 Frauen und Männer sitzen dicht gedrängt auf den Holzbänken. Es ist warm und stickig. Pfarrer Gottfried Martens steht vor der Kanzel, erklärt, wofür das Christentum steht. Ein Dolmetscher übersetzt, denn fast alle Teilnehmer stammen aus dem Iran oder Afghanistan.
"Gott liebt die Welt ... Gott liebt auch die Taliban und Herrn Ahmadinedschad ... Gemeinde lacht ... so groß ist seine Liebe zu uns. ..."
Viele Taufbewerber müssen für einen Moment lachen. Der 27-jährige Ali aber bleibt still sitzen. Später erzählt der Iraner, dass er vor wenigen Tagen in seiner Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Tempelhof überfallen worden sei. Er habe geschlafen, als ihm nachts jemand ein Messer oder eine spitze Glasscherbe in den Rücken rammte.
"Plötzlich bin ich vor Schmerzen aufgewacht und habe gemerkt, dass ich am Rücken blute. Ich habe noch jemanden wegrennen sehen, aber ich habe ihn nicht erkannt. Ich habe dann vor Schmerzen losgeschrien, die Wachmänner sind zu mir ins Zimmer gekommen und haben die Polizei gerufen. Sie wollten wissen, wer das war, aber ich konnte ja sein Gesicht nicht sehen, nur, dass er ein schwarzes Hemd anhatte und eine braune Hose."
Ali aber glaubt zu wissen, wer ihm die 30 Zentimeter lange Wunde zugefügt hat. In seiner Unterkunft mit etwa 500 Geflüchteten gebe es eine Handvoll muslimischer Männer, die es nicht ertragen würden, dass er zum Christentum konvertieren möchte.
"Sie glauben fest daran, was im Koran steht. Und dort steht eben geschrieben, sollte ein Muslim dem Islam den Rücken zukehren, dann muss er getötet werden. Und wenn sie jemanden wie mich sehen, der als Muslim auch noch zum Christentum konvertieren will, dann wird ihr Hass noch viel größer."
Der 27-Jährige wirkt traumatisiert. Verstohlen wischt er sich immer wieder mit seinem Handrücken über die Augen. In seine Unterkunft traue er sich nicht mehr zurück, sagt er. Auch wenn die Polizei jetzt ermittle. Für Pfarrer Gottfried Martens ist dieser Übergriff nur die Spitze des Eisbergs. Iranische und afghanische Taufbewerber berichteten ihm regelmäßig, dass sie wegen ihrer Religionszugehörigkeit in den Unterkünften beleidigt, bedroht, bedrängt würden. Nicht nur von Bewohnern, auch vom Wachpersonal.
"Seit dem Sommer ist mit der puren Masse der Neuankömmlinge noch einmal eine neue Situation jetzt eingetreten. Dass eben in vielen Fällen in den Heimen die Muslime eine so große Mehrheit sind, dass sie dort ganz selbstverständlich ihre muslimische Gemeinschaft, auch das muslimische Leben etablieren."
Der Pfarrer betont, natürlich verhielten sich nicht alle Muslime so. Fragt man bei den zuständigen Berliner Behörden nach, dann ist das Problem dort nicht bekannt. Martens hat eine Erklärung dafür: Viele Christen würden keine Strafanzeige stellen. Schließlich lebten sie mit ihren Peinigern nach wie vor unter einem Dach. Er plädiert darum für getrennte Unterkünfte.
"Es ist ein Stückweit eine Kapitulation, aber auf der anderen Seite sehe ich, was für Re-Traumatisierungen hier auch einfach stattfinden bei Leuten, die um ihres Glaubens willen geflohen sind und nun vom Regen in die Traufe kommen, nämlich wieder in eine relativ strikte islamische Gemeinschaft gepackt werden."
Wer zum Christentum konvertiert, lebt gefährlich
Das Deutsche Institut für Menschenrechte lehnt eine separate Unterbringung nur aufgrund der Religionszugehörigkeit ab. Dies sei erst notwendig, wenn es einen echten Schutzbedarf gebe. Der effektivste Gewaltschutz aber bestehe darin, Menschen nicht in überfüllten Massenunterkünften unterzubringen, sondern in möglichst wohnungsähnlichen Heimen. Angesichts der momentanen Flüchtlingssituation leichter gesagt als getan.
"Hat keine Papiere gehabt ...was will er? Will er rein, hat er unsere Bänder? Wir sind voll und wenn er keins hat, dann muss er raus."
Matthias Nowak leitet seit zwei Monaten eine Notunterkunft der Malteser mit mehr als 1.000 Flüchtlingen. Um Konflikte zu vermeiden, gibt es strikte Hausregeln. Sie wurden gemeinsam mit Flüchtlingsvertretern entwickelt, einer der ersten Paragraphen lautet: Hier drin gibt es keine Gewalt.
"Das gilt auch für die Frauen übrigens. Also wir haben viele Frauen schon verwarnt, die ihre Kinder einfach mal geschlagen haben. Sie müssen sich gewissen Regeln unterfügen, genauso die Regel: Hier darf jeder seine Religion ausüben und hier wird keiner wegen seiner Religion verfolgt oder gedisst oder gemobbt."
Wer nicht Folge leistet, wird beim ersten Mal verwarnt, beim zweiten Mal fliegt er raus, muss sich eine andere Unterkunft suchen. Pfarrer Gottfried Martens lobt die strikte Vorgehensweise, glaubt aber nicht daran, dass sie geflohenen Konvertiten hilft. Zu stark sei die Ablehnung vieler Muslime, sagt auch Andreas. Seine richtigen Namen möchte der Iraner nicht nennen. Monatelang lebte er mit einem Syrer in einem kleinen Hostel-Zimmer. Ein wirklich netter Typ, sagt Andreas. Trotzdem habe das Thema Islam und Christentum irgendwie immer zwischen ihnen gestanden.
"Nachdem wir uns angefreundet hatten, sprach er mich immer wieder auf das Thema an. Und als er später mitbekommen hat, dass ich jeden Sonntag in die Kirche gehe, hat er wieder gefragt, warum besuchst du einen Gottesdienst? Ich habe ihm geantwortet, warum liest du denn den Koran? Und warum stelle ich dir diese Fragen nicht? Weil es in meiner Religion eben keine Rolle spielt, welchen Glauben ich habe."
Aus diesem Grund sei er auch konvertiert, sagt Andreas. Das Christentum gewähre ihm mehr Freiheiten als der Islam.