Religiöser Grenzgänger
Vor 200 Jahren wurde Abraham Geiger geboren. Er war Vordenker der modernen Islamwissenschaft, Gründer der jüdischen Leben-Jesu Forschung und ein wichtiger jüdischer Reformer. In Berlin wurde zu seinem Geburtstag eine Gedenktafel enthüllt.
Der zweite Hof der Hackeschen Höfe in Berlin - ein Touristenmagnet. Seit dieser Woche erinnert eine Gedenktafel an den jüdischen Jesusforscher, Reformrabbiner, Religionsphilosophen und Orientalisten. Berlins Kulturstaatssekretär André Schmitz bei der Enthüllung:
"Ich glaube uns verbindet, dass wir alle den großen Abraham Geiger ehren wollen, der ja nicht in dieser Stadt geboren wurde, aber hier gestorben ist, die letzten vier Jahre verbracht hat, ich glaube ganz, ganz wichtige Jahre für ihn und auch für diese Stadt."
Hartmut Bomhoff, Autor einer Geiger-Biografie, erklärt Interessierten, was es mit dem Haus in den Hackeschen Höfen auf sich hat:
"Im Vorgängerbau des Gartenhauses hier befand sich die Berliner Wohnung von Abraham Geiger. Er starb hier auch im Oktober 1874 an den Folgen eines Schlaganfalles und feierte hier auch seinen letzten Geburtstag. Wir haben ein kurzen Bericht des jüdischen Romanschriftstellers Auerbach, in dem es heißt: 'In Berlin in der Rosenthaler Straße, wo das lärmende Verkehrsleben hin und her wogt, ist ein großes Haus, Nummer 40, mit weitläufigen Hofgebäuden, in dem man von dem Geräusch da draußen nichts vernimmt.'"
Oft blieb Geiger in seiner Wohnung bis mittags im Morgenmantel, las und studierte. Für andere Vergnügungen hatte der Gelehrte wenig Sinn: Spaziergänge machte er aus Pflichtgefühl wegen der Gesundheit, nicht aus Freude an Wald und Wiesen. Und während seiner Berliner Jahre ging er kein einziges Mal ins Theater.
Wer als Tourist durch Berlins Mitte läuft, wandelt fast zwangsläufig auf Geigers Spuren. Und kann sich davon überzeugen, wie wichtig Geigers Berliner Jahre waren. Ein paar Schritte von den Hackeschen Höfen glitzert heute eine trendige Boutique mit Silberdeko.
"Wir befinden uns hier an einem Neubau an der Spandauer Brücke Nummer acht, mittendrin im neuen Berlin und hier befanden sich die ersten Räume für die Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums, die spätere Hochschule, die 1870 offiziell gegründet wurde und ab 1872 ihren Lehrbetrieb aufnahm und das hier tat, in gemieteten Räumen, mit vier Professoren damals und zehn Studierenden. Ich würde sagen, nur eine Etage mit ein paar Unterrichtsräumen. Und Professor Levi, ein Kollege von Abraham Geiger wohnte hier auch."
Ganz in der Nähe des Hackeschen Marktes befinden sich die theologische Fakultät der Humboldt-Universität, dort werden evangelische Pfarrer und Religionslehrer ausgebildet. Zeitlebens forderte Geiger eine "jüdisch-theologische Fakultät". Doch christliche Theologen bestritten damals rundheraus, dass man das Judentum wissenschaftlich erforschen könne. Sie hielten das Judentum für eine zurückgebliebene Gesetzesreligion. Geiger hätte auch gar nicht Professor an einer öffentlichen Hochschule werden können: Denn dazu war die Taufe notwendig.
Geigers Studenten hatten rabbinischen Unterricht in der "Lehranstalt für Wissenschaft des Judentums" und hörten Vorlesungen an der damaligen Friedrich-Wilhelms-Universität: im Fachgebiet "Altes Testament" bei den christlichen Theologen, bei den Orientalisten oder auch bei den Philosophen.
Auch Geigers Methode wies eine starke Nähe zur Universität auf: Er erforschte die Tora historisch-kritisch. Er ging nicht mehr davon aus, dass sie gottgegeben war, sondern sah sie als Sammlung von Texten, die Menschen zu unterschiedlichen Zeiten geschrieben hatten. Die Besucher wenden sich jetzt nach links, Richtung Oranienburger Straße und laufen auf ein Gebäude zu, das weithin zu sehen ist.
"Wir stehen jetzt hier vor der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße, vielen Besuchern bekannt durch die Goldene Kuppel."
Zu Geigers Zeit war die "Neue Synagoge" wirklich neu: Vier Jahre vor seinem Amtsantritt wurde sie erbaut. Und sie strahlt jüdisches Selbstbewusstsein aus: Bis heute konkurriert ihre Kuppel in der Silhouette der Stadt mit der Kuppel des Doms.
"Hier trat Geiger seine Rabbinertätigkeit an im Januar 1870, hielt eine erste Predigt. Und von dieser Predigt und vom Gottesdienst weiß man, dass sich die liberalen Beter der Neuen Synagoge vor Freude umarmten, weil sie so einen begnadeten Prediger unter sich hatten, während orthodoxe Beter auf der Straße verweilten zum Zeichen des Protestes und der Trauer Psalmen lasen, was eben ein typisch jüdischer Trauerbrauch ist. Und wir haben eine Notiz aus der Allgemeinen Zeitung des Judentumes. Darin heißt es: 'Das große Gebäude der Neuen Synagoge war gedrängt voll wie sonst nur an den hohen Feiertagen. Der Redner sprach anderthalb Stunden sehr beredt und mit Wärme.'"
Man steht noch lange vor dem Gebäude mit der Kuppel und denkt darüber nach, was das für Zeiten waren, als Juden in Deutschland solch riesige Gotteshäuser füllen konnten. Als sie hofften, endlich gleichberechtigte Bürger sein zu können und kaum jemand an eine Katastrophe dachte. Und man denkt an die Klänge, die in dem riesigen Synagogenraum zu hören waren.
Während in traditionellen Synagogen keine Musikinstrumente gespielt wurden und sich Frauen beim Singen eher zurückhalten mussten, gab es bei Rabbiner Geiger in der Oranienburger Straße eine Orgel und einen gemischten Chor. Was dort angestimmt wurde, klang so ähnlich wie Kirchenmusik. Dirigent war der Komponist Louis Lewandowski, der die jüdische Liturgie maßgeblich geprägt hat.
Ein Teil aus dem wichtigsten jüdischen Gebet ist die Kedduscha – die Heiligung des Gottesnamens. Geiger übersetzte die Kedduscha ins Deutsche, Louis Lewandowski vertonte sie. Eine historische Aufnahme aus dem Jahr 1928.
Chor: "Aus jeglichem Munde erschallet der Ruf
zum Lobe des Ew'gen, der alles erschuf
Aus jeglichem Munde erschallet der Ruf
zum Lobe des Ew'gen, der alles erschuf
Aus jeglichem Munde erschallet der Ruf
zum Lobe des Ew'gen, der alles erschuf"
"Ich glaube uns verbindet, dass wir alle den großen Abraham Geiger ehren wollen, der ja nicht in dieser Stadt geboren wurde, aber hier gestorben ist, die letzten vier Jahre verbracht hat, ich glaube ganz, ganz wichtige Jahre für ihn und auch für diese Stadt."
Hartmut Bomhoff, Autor einer Geiger-Biografie, erklärt Interessierten, was es mit dem Haus in den Hackeschen Höfen auf sich hat:
"Im Vorgängerbau des Gartenhauses hier befand sich die Berliner Wohnung von Abraham Geiger. Er starb hier auch im Oktober 1874 an den Folgen eines Schlaganfalles und feierte hier auch seinen letzten Geburtstag. Wir haben ein kurzen Bericht des jüdischen Romanschriftstellers Auerbach, in dem es heißt: 'In Berlin in der Rosenthaler Straße, wo das lärmende Verkehrsleben hin und her wogt, ist ein großes Haus, Nummer 40, mit weitläufigen Hofgebäuden, in dem man von dem Geräusch da draußen nichts vernimmt.'"
Oft blieb Geiger in seiner Wohnung bis mittags im Morgenmantel, las und studierte. Für andere Vergnügungen hatte der Gelehrte wenig Sinn: Spaziergänge machte er aus Pflichtgefühl wegen der Gesundheit, nicht aus Freude an Wald und Wiesen. Und während seiner Berliner Jahre ging er kein einziges Mal ins Theater.
Wer als Tourist durch Berlins Mitte läuft, wandelt fast zwangsläufig auf Geigers Spuren. Und kann sich davon überzeugen, wie wichtig Geigers Berliner Jahre waren. Ein paar Schritte von den Hackeschen Höfen glitzert heute eine trendige Boutique mit Silberdeko.
"Wir befinden uns hier an einem Neubau an der Spandauer Brücke Nummer acht, mittendrin im neuen Berlin und hier befanden sich die ersten Räume für die Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums, die spätere Hochschule, die 1870 offiziell gegründet wurde und ab 1872 ihren Lehrbetrieb aufnahm und das hier tat, in gemieteten Räumen, mit vier Professoren damals und zehn Studierenden. Ich würde sagen, nur eine Etage mit ein paar Unterrichtsräumen. Und Professor Levi, ein Kollege von Abraham Geiger wohnte hier auch."
Ganz in der Nähe des Hackeschen Marktes befinden sich die theologische Fakultät der Humboldt-Universität, dort werden evangelische Pfarrer und Religionslehrer ausgebildet. Zeitlebens forderte Geiger eine "jüdisch-theologische Fakultät". Doch christliche Theologen bestritten damals rundheraus, dass man das Judentum wissenschaftlich erforschen könne. Sie hielten das Judentum für eine zurückgebliebene Gesetzesreligion. Geiger hätte auch gar nicht Professor an einer öffentlichen Hochschule werden können: Denn dazu war die Taufe notwendig.
Geigers Studenten hatten rabbinischen Unterricht in der "Lehranstalt für Wissenschaft des Judentums" und hörten Vorlesungen an der damaligen Friedrich-Wilhelms-Universität: im Fachgebiet "Altes Testament" bei den christlichen Theologen, bei den Orientalisten oder auch bei den Philosophen.
Auch Geigers Methode wies eine starke Nähe zur Universität auf: Er erforschte die Tora historisch-kritisch. Er ging nicht mehr davon aus, dass sie gottgegeben war, sondern sah sie als Sammlung von Texten, die Menschen zu unterschiedlichen Zeiten geschrieben hatten. Die Besucher wenden sich jetzt nach links, Richtung Oranienburger Straße und laufen auf ein Gebäude zu, das weithin zu sehen ist.
"Wir stehen jetzt hier vor der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße, vielen Besuchern bekannt durch die Goldene Kuppel."
Zu Geigers Zeit war die "Neue Synagoge" wirklich neu: Vier Jahre vor seinem Amtsantritt wurde sie erbaut. Und sie strahlt jüdisches Selbstbewusstsein aus: Bis heute konkurriert ihre Kuppel in der Silhouette der Stadt mit der Kuppel des Doms.
"Hier trat Geiger seine Rabbinertätigkeit an im Januar 1870, hielt eine erste Predigt. Und von dieser Predigt und vom Gottesdienst weiß man, dass sich die liberalen Beter der Neuen Synagoge vor Freude umarmten, weil sie so einen begnadeten Prediger unter sich hatten, während orthodoxe Beter auf der Straße verweilten zum Zeichen des Protestes und der Trauer Psalmen lasen, was eben ein typisch jüdischer Trauerbrauch ist. Und wir haben eine Notiz aus der Allgemeinen Zeitung des Judentumes. Darin heißt es: 'Das große Gebäude der Neuen Synagoge war gedrängt voll wie sonst nur an den hohen Feiertagen. Der Redner sprach anderthalb Stunden sehr beredt und mit Wärme.'"
Man steht noch lange vor dem Gebäude mit der Kuppel und denkt darüber nach, was das für Zeiten waren, als Juden in Deutschland solch riesige Gotteshäuser füllen konnten. Als sie hofften, endlich gleichberechtigte Bürger sein zu können und kaum jemand an eine Katastrophe dachte. Und man denkt an die Klänge, die in dem riesigen Synagogenraum zu hören waren.
Während in traditionellen Synagogen keine Musikinstrumente gespielt wurden und sich Frauen beim Singen eher zurückhalten mussten, gab es bei Rabbiner Geiger in der Oranienburger Straße eine Orgel und einen gemischten Chor. Was dort angestimmt wurde, klang so ähnlich wie Kirchenmusik. Dirigent war der Komponist Louis Lewandowski, der die jüdische Liturgie maßgeblich geprägt hat.
Ein Teil aus dem wichtigsten jüdischen Gebet ist die Kedduscha – die Heiligung des Gottesnamens. Geiger übersetzte die Kedduscha ins Deutsche, Louis Lewandowski vertonte sie. Eine historische Aufnahme aus dem Jahr 1928.
Chor: "Aus jeglichem Munde erschallet der Ruf
zum Lobe des Ew'gen, der alles erschuf
Aus jeglichem Munde erschallet der Ruf
zum Lobe des Ew'gen, der alles erschuf
Aus jeglichem Munde erschallet der Ruf
zum Lobe des Ew'gen, der alles erschuf"