Religion als Event
Als Papst Benedikt XVI. vor einem knappen Jahr Köln besuchte, waren nicht nur mehrere hunderttausend Jugendliche aus aller Welt da, sondern fast jede Minute des Ereignisses wurde auch live übertragen. Anzeichen für einen Aufschwung der Kirche und der Religion sieht der Wiener Theologe Ulrich Körtner in seinem Buch "Wiederkehr der Religion?" dennoch nicht.
Skeptiker, Miesmacher, Neider – was treibt Körtner an?
Ein leichtes Angenervtsein von der Papst-Begeisterung war vielleicht auslösendes Moment – Körtner ist selber evangelischer Theologe, und reagiert leicht befremdet darauf, dass Vertreter der evangelischen Kirche seiner Wahrnehmung nach zu bedenkenlos auf der Welle der religiösen Begeisterung mitschwimmen – auch wenn in deren Zentrum eben das sehr un-evangelische Papsttum steht.
Aber grundsätzliche Bedenken liegen tiefer: Körtner wagt nämlich, Frage zu stellen, die in Kirchenkreisen fast niemand stellt: Ist das wirklich ein Aufschwung für Kirche und Religion, was da in Rom und Köln und Polen geschah? Heißt das, dass der Glauben in die gottlose Welt zurückkommt? Und da sagt Körtner deutlich: nein.
Wie begründet er das?
Erstmal mit Blick auf die nackten Zahlen. Von "Wiederkehr der Religion" oder dem "Megatrend Religion" wird seit ein paar Jahren gesprochen. Also: Religiöses und Sinnfragen hätten neuen Zulauf in der Gesellschaft, Menschen würden jenseits einer immer härter werdenden Beanspruchung durch berufliche Verpflichtungen und Zwänge nach einem Ausgleich im Spirituellen suchen. Deswegen auch schon vor der Papa-Mania: Zulauf für Meditation, Wellness, Klosterurlaube, Pilgerfahrten etc. Körtner setzt gegen diese Interpretation ganz nüchtern religionssoziologische Untersuchungen, die sagen: die Kirchen schrumpfen weiter, immer noch treten erheblich mehr Menschen aus als ein, und die viel beschworene neue Religiosität schlägt sich nirgendwo nieder. Neue Gruppen haben vielleicht ein oder zwei Prozent der Verluste der Kirchen aufgenommen. Also: wenn wirklich mehr Menschen religiös sind, dann tun sie es irgendwo ganz privat.
Daran schließt Körtner eine grundsätzlichere Nachfrage an: nämlich daran, was eigentlich "religiös" ist. Also: ist jedes spirituelle Zucken gleich Religion? Ist jedes Pop- oder Sportevent im Kern ein religiöses Ereignis? Ist jeder, der sich mal fragt, was für einen Sinn sein Leben hat, schon gleich "religiös"? Oder "kulturreligiös" oder "kulturkirchlich" oder was immer der feinen Unterscheidungen da sind. Und Körtner sagt: Wenn man das sagt, dann gibt es in der Tat fast überhaupt keine nichtreligiösen Menschen mehr.
Aber das ist ja eine verbreitete These, dass jeder Mensch im Grunde ein religiöses Wesen sei, selbst wenn ihm das gar nicht direkt bewusst ist?
Dagegen wendet sich Körtner. Mit Recht, finde ich. Das zeigt schon ein Blick in die neuen Bundesländer, wo Menschen inzwischen in der zweiten Generation zeigen, dass sie sehr wohl ohne Religion auskommen und dass man sie sicher zu unrecht über einen Kamm schert, wenn man sie alle zu verborgenen Christen erklärt. Der Anspruch, von außen besser über den religiösen Status eines Menschen Bescheid zu wissen, hat ja durchaus auch was Anrüchiges.
Das zeigt sich aber auch, wenn man mal wie Körtner die ganz einfache Frage stellt, welche Folgen denn dieses angebliche neue Interesse fürs Religiöse hat. Da, so sagt Körtner es, zeigt sich: im Alltagsleben und bei der Herausbildung von Werten ist von dieser religiösen Erweckung wenig bis nichts zu spüren. Auch beim Weltjugendtag wurden Kondome benutzt, auch in der Warteschlange vorm Sarg von Johannes Paul II. der "Da Vinci Code" gelesen. Und die Medien wären sicher nicht so freundlich gegenüber dem Papst, wenn sie ihm ernsthafte verändernde Macht zuschreiben würden – so wie sie es mit manchen religiösen Führern in der islamischen Welt tun.
Also: die Religion, die da angeblich wiederkehrt, ist eine zahn- und folgenlose Religion – eine, die Ulrich Körtner auf jeden Fall nicht will.
Was für Konsequenzen zieht er dann aus seiner Diagnose?
Da hat Körtner auch kein Patentrezept. Vielleicht ein bisschen unbefriedigend. Auf jeden Fall gibt er Hinweise. So zum Beispiel mit der Warnung an Theologen und Kirchenleute, sich nicht vom Zauber der Begeisterung blenden zu lassen. Also nicht zu versuchen, jetzt noch mehr Megaevents zu kreieren, um auf der Welle der Begeisterung mitzusurfen. Das, so Körtner, wäre die Selbstentleerung des Christentums zu einer vagen religiösen Empfindsamkeit, die vergeht wie der Hauch eines ätherischen Duftlämpchens und weder sprachfähig ist noch in Konflikten zum Beispiel mit dem Islam bestehen kann.
Und Körtner empfiehlt den Rückgriff auf Dietrich Bonhoeffer, an dessen 100. Geburtstag in diesem Jahr ja umfangreich erinnert wurde. Bonhoeffer hat sehr konsequent darüber nachgedacht, wie die Religionslosigkeit der Moderne als theologische Aufgabe zu verstehen ist. Diese Aufgabe besteht immer noch, so Körtner – die Begeisterung für die anachronistisch-postmodernen Männer in Rom hat sie nicht gelöst, sondern nur die möglichen Konsequenzen ein wenig verzögert.
Ulrich H.J. Körtner: Wiederkehr der Religion? Das Christentum zwischen neuer Spiritualität und Gottvergessenheit
Gütersloher Verlagshaus 2006
176 Seiten, 16,95 Euro
Ein leichtes Angenervtsein von der Papst-Begeisterung war vielleicht auslösendes Moment – Körtner ist selber evangelischer Theologe, und reagiert leicht befremdet darauf, dass Vertreter der evangelischen Kirche seiner Wahrnehmung nach zu bedenkenlos auf der Welle der religiösen Begeisterung mitschwimmen – auch wenn in deren Zentrum eben das sehr un-evangelische Papsttum steht.
Aber grundsätzliche Bedenken liegen tiefer: Körtner wagt nämlich, Frage zu stellen, die in Kirchenkreisen fast niemand stellt: Ist das wirklich ein Aufschwung für Kirche und Religion, was da in Rom und Köln und Polen geschah? Heißt das, dass der Glauben in die gottlose Welt zurückkommt? Und da sagt Körtner deutlich: nein.
Wie begründet er das?
Erstmal mit Blick auf die nackten Zahlen. Von "Wiederkehr der Religion" oder dem "Megatrend Religion" wird seit ein paar Jahren gesprochen. Also: Religiöses und Sinnfragen hätten neuen Zulauf in der Gesellschaft, Menschen würden jenseits einer immer härter werdenden Beanspruchung durch berufliche Verpflichtungen und Zwänge nach einem Ausgleich im Spirituellen suchen. Deswegen auch schon vor der Papa-Mania: Zulauf für Meditation, Wellness, Klosterurlaube, Pilgerfahrten etc. Körtner setzt gegen diese Interpretation ganz nüchtern religionssoziologische Untersuchungen, die sagen: die Kirchen schrumpfen weiter, immer noch treten erheblich mehr Menschen aus als ein, und die viel beschworene neue Religiosität schlägt sich nirgendwo nieder. Neue Gruppen haben vielleicht ein oder zwei Prozent der Verluste der Kirchen aufgenommen. Also: wenn wirklich mehr Menschen religiös sind, dann tun sie es irgendwo ganz privat.
Daran schließt Körtner eine grundsätzlichere Nachfrage an: nämlich daran, was eigentlich "religiös" ist. Also: ist jedes spirituelle Zucken gleich Religion? Ist jedes Pop- oder Sportevent im Kern ein religiöses Ereignis? Ist jeder, der sich mal fragt, was für einen Sinn sein Leben hat, schon gleich "religiös"? Oder "kulturreligiös" oder "kulturkirchlich" oder was immer der feinen Unterscheidungen da sind. Und Körtner sagt: Wenn man das sagt, dann gibt es in der Tat fast überhaupt keine nichtreligiösen Menschen mehr.
Aber das ist ja eine verbreitete These, dass jeder Mensch im Grunde ein religiöses Wesen sei, selbst wenn ihm das gar nicht direkt bewusst ist?
Dagegen wendet sich Körtner. Mit Recht, finde ich. Das zeigt schon ein Blick in die neuen Bundesländer, wo Menschen inzwischen in der zweiten Generation zeigen, dass sie sehr wohl ohne Religion auskommen und dass man sie sicher zu unrecht über einen Kamm schert, wenn man sie alle zu verborgenen Christen erklärt. Der Anspruch, von außen besser über den religiösen Status eines Menschen Bescheid zu wissen, hat ja durchaus auch was Anrüchiges.
Das zeigt sich aber auch, wenn man mal wie Körtner die ganz einfache Frage stellt, welche Folgen denn dieses angebliche neue Interesse fürs Religiöse hat. Da, so sagt Körtner es, zeigt sich: im Alltagsleben und bei der Herausbildung von Werten ist von dieser religiösen Erweckung wenig bis nichts zu spüren. Auch beim Weltjugendtag wurden Kondome benutzt, auch in der Warteschlange vorm Sarg von Johannes Paul II. der "Da Vinci Code" gelesen. Und die Medien wären sicher nicht so freundlich gegenüber dem Papst, wenn sie ihm ernsthafte verändernde Macht zuschreiben würden – so wie sie es mit manchen religiösen Führern in der islamischen Welt tun.
Also: die Religion, die da angeblich wiederkehrt, ist eine zahn- und folgenlose Religion – eine, die Ulrich Körtner auf jeden Fall nicht will.
Was für Konsequenzen zieht er dann aus seiner Diagnose?
Da hat Körtner auch kein Patentrezept. Vielleicht ein bisschen unbefriedigend. Auf jeden Fall gibt er Hinweise. So zum Beispiel mit der Warnung an Theologen und Kirchenleute, sich nicht vom Zauber der Begeisterung blenden zu lassen. Also nicht zu versuchen, jetzt noch mehr Megaevents zu kreieren, um auf der Welle der Begeisterung mitzusurfen. Das, so Körtner, wäre die Selbstentleerung des Christentums zu einer vagen religiösen Empfindsamkeit, die vergeht wie der Hauch eines ätherischen Duftlämpchens und weder sprachfähig ist noch in Konflikten zum Beispiel mit dem Islam bestehen kann.
Und Körtner empfiehlt den Rückgriff auf Dietrich Bonhoeffer, an dessen 100. Geburtstag in diesem Jahr ja umfangreich erinnert wurde. Bonhoeffer hat sehr konsequent darüber nachgedacht, wie die Religionslosigkeit der Moderne als theologische Aufgabe zu verstehen ist. Diese Aufgabe besteht immer noch, so Körtner – die Begeisterung für die anachronistisch-postmodernen Männer in Rom hat sie nicht gelöst, sondern nur die möglichen Konsequenzen ein wenig verzögert.
Ulrich H.J. Körtner: Wiederkehr der Religion? Das Christentum zwischen neuer Spiritualität und Gottvergessenheit
Gütersloher Verlagshaus 2006
176 Seiten, 16,95 Euro