Religion

"Ein legitimes Anliegen der Muslime"

Kulturanthropologe Werner Schiffauer im Gespräch mit Ulrike Timm |
Bislang bieten vier deutsche Universitäten Islamische Theologie als Studiengang an. Weil die bisher vermittelte Islamlehre nicht authentisch sei, wollen Muslime in Frankfurt eine neue Hochschule gründen. Islam-Experte Werner Schiffauer zeigt Verständnis für den Vorstoß.
Ulrike Timm: Islamische Theologie kann man an vier deutschen Universitäten studieren. In Münster werden Lehrer für den islamischen Religionsunterricht in Deutschland ausgebildet. Diesen Studiengang leitet Mouhanad Khorchide, ein muslimischer Professor, den die islamischen Verbände mit eingesetzt haben und der jetzt trotzdem in der Kritik steht. Er verbreite einen weichgespülten Islam, einen Islam light, so heißt es. Jetzt gründet sich in Frankfurt eine private islamische Hochschule, die sich dem authentischen Islam verschrieben hat. Ist das nun eine Gegenbewegung? Dazu Fragen an den Kulturanthropologen Werner Schiffauer. Er hat sich seit Jahrzehnten einen Namen gemacht als Migrationsforscher und als Kenner islamischer Gemeinschaften in Deutschland. Schönen guten Tag, Herr Schiffauer!
Werner Schiffauer: Guten Tag, Frau Timm!
Timm: Authentischer Islam – das klingt ja, als sei alles bisher nicht echt gewesen. Was soll das sein?
Schiffauer: Ich glaube, man muss wissen, dass es sozusagen eine Gründung arabisch-stämmiger Gemeinden ist. Und hier kann man durchaus das Bedürfnis nach einer arabisch fundierten Islamausbildung ablesen. Ich hab gestern mit Mitgliedern türkischer Gemeinden gesprochen; sie haben den Eindruck, dass viele islamische Gläubige das Gefühl haben, tatsächlich den authentischeren Islam zu vertreten als ihre türkischen Glaubensbrüder.
Timm: Ja, und was ist daran nun authentischer?
Schiffauer: Nun, das ist schwer zu sagen. Vom geplanten Ablauf, und da schaltet sich dieses neue Institut gar nicht so sehr von dem Zentrum für Islamstudien an der Uni Frankfurt, also dem etablierten Zentrum, dem Herr Özsoy vorsteht, authentisch vielleicht höchstens in dem Zug, dass das Arabische einen stärkeren Ort haben soll, dass es auf die arabische Welt orientiert sein soll, vor allem Ägypten – nur das kann ich mir darunter vorstellen.
Timm: Es riecht für viele ein bisschen nach fundamentalistischer Kaderschmiede, und es lässt mich auch stutzen, dass die beiden Hauptfächer, die dort gelehrt werden, Arabische Sprache und Islamisches Recht sind. Arabische Sprache ist für ein fundiertes Koranstudium sicher so sinnvoll wie notwendig, aber ausdrücklich Islamisches Recht statt Islamische Theologie als anderes Hauptfach – da denkt man doch als – da denkt man doch sofort an Scharia und Hand-ab bei Diebstahl. Das kann eigentlich nicht verwundern.
Schiffauer: Das ist eben die reduzierte Version des islamischen Rechts. Das ist schon sehr sinnvoll, dass islamisches Recht im Zentrum einer Theologieausbildung auch in Deutschland steht, und zwar weil die Rechtleitung, die Orientierung am islamischen Recht nun für alle sunnitischen Gläubigen ganz zentral ist. Und wenn man nun Imame für die Gemeinden ausbilden will, muss man diesen Aspekt der islamischen Theologie besonders betonen.
Timm: Wie sehen Sie denn diese Neugründung im Zusammenhang zu den vier Zentren, die es bereits gibt?
Schiffauer: Wie gesagt, das ist eine Konkurrenzveranstaltung wahrscheinlich zu dem Frankfurter Zentrum, das übrigens von Herrn Özsoy, das von den anderen Verbänden durchaus unterstützt wird. Möglicherweise eine, das wird nicht gesagt, eine explizite Kritik an der Universität Münster und an Herrn Khorchide, dem man ja auch vorwirft, dass er eben keine Ausbildung im islamischen Recht hat.
Timm: Nun heißt es, die doch islamistische und vom Verfassungsschutz auch beobachtete Gemeinschaft Milli Görüs hätte da zumindest ihre Finger, ihren Einfluss drin. Ist da was dran?
Streit um Vermittlung der Barmherzigkeit
Schiffauer: Das ist eine Fehlmeldung. Ich habe gestern mit der Leitung der Milli Görüs gesprochen, die waren ganz überrascht von dem Hinweis. Nein, die haben nichts damit zu tun, das kommt eher aus dem Bereich des Zentralrats, die Milli Görüs ist im Islamrat organisiert, und aus den arabischen Gemeinden.
Timm: Nun haben Sie aber selber von einer Konkurrenzveranstaltung gesprochen zu den bestehenden Instituten, die es gibt. Worum geht es denn eigentlich? Um den Koran und wie man ihn liest, oder doch auch um Macht?
Schiffauer: Es gibt ja sozusagen Netzwerke. Es gibt dieses Château-Chinon in Frankreich, das ist ein Ausbildungszentrum, das sich sehr stark an die Muslimbruderschaft anlehnt. Und hier gibt es ein Netzwerk von Institutionen, und es scheint ganz banal so zu sein, dass Finanzierung möglich war eines privat ausgerichteten Instituts, das dann das trägt. Um da eine Verwechslung zu widerlegen: Es handelt sich explizit nicht um eine salafitische Ausrichtung. Die Muslimbruderschaft hat explizit – steht im Augenblick in einer deutlichen Auseinandersetzung mit dem Salafismus, ist in sich selbst plural organisiert. Man kann also von der Verbindung zur Muslimbruderschaft noch relativ wenig lesen.
Timm: Nun hat man den Münsteraner Professor Khorchide, der ja einen sehr liberalen und einen sehr barmherzigen Islam glaubt und vertritt, vonseiten der stimmstarken Salafisten schon als Ungläubigen bezeichnet, was eine große und auch eine gefährliche Einschätzung ist. Warum muss man dann eine andere Hochschule dagegensetzen? Oder was bedeutet dieser Streit für Sie?
Schiffauer: Also, diese Auseinandersetzung von Salafiten und Khorchide hat nichts zu tun mit diesem neuen Institut. Dieses neue Institut ist eher an der Muslimbruderschaft organisiert, die sich ebenfalls als Kritiker der Salafis sehen. Khorchide ist einfach deshalb umstritten, weil er in seinen Interpretationen sich eben nicht von einer Exegese des Rechts leiten lässt, sondern – wie soll ich sagen – eine relativ freie Interpretation des Koran vornimmt, so wie er ihn liest. Und es ist – die verschiedenen Kritiker haben gar nichts gegen eine Betonung der Barmherzigkeit im Islam, das ist überhaupt nicht der Punkt. Der Punkt ist, wie es gemacht wird. Und daran stoßen sich.
Timm: Was ja erstaunt und auch verwirrt, ist, dass Khorchide in Münster mit Zustimmung der islamischen Verbände in sein Amt gekommen ist und jetzt Prügel bezieht. Er bildet Lehrer für den islamischen Religionsunterricht aus, prägt also das Verständnis, das sich junge Muslime vom Islam machen, ganz entscheidend mit. Und insofern wirkt da eine neu entstehende Hochschule schon wie ein sehr demonstratives Gegengewicht, wie eine Auseinandersetzung über die Deutungshoheit, wer nun wirklich das Richtige glaubt. Ist das ein falscher Eindruck?
Schiffauer: Ich würde es anders sehen, ich würde da die Rolle der deutschen Politik viel stärker sehen. Die deutsche Politik, vor allem das Innenministerium versucht massiven Einfluss auf die Besetzung der Lehrstühle zu nehmen und versucht, bei der Besetzung der Lehrstühle einen Islam, den sie als verfassungskonform empfinden, durchzusetzen. Dabei spielt auch der Verfassungsschutz eine erhebliche Rolle. Diese Art Besetzungspolitik lässt bei vielen Muslimen den Eindruck aufkommen, dass sich hier der Staat in ein Feld einmischt, das ihn eigentlich nichts angeht, nämlich die innere Ausgestaltung der islamischen Lehre. Und das ist, das musste früher oder später zu Reaktionen führen, und ich habe den Eindruck, dieses neue Institut in Frankfurt könnte man durchaus in dieser Hinsicht lesen.
Timm: Wir bewegen uns aber schon in einem merkwürdigen hell- bis dunkelgrauen Schattenfeld. Sie sagen, Milli Görüs, die vom Verfassungsschutz beobachtete islamistische Gemeinschaft habe mit dieser Neugründung nichts zu tun.
Schiffauer: Richtig.
Kaum eine Chance auf staatliche Anerkennung
Timm: Gleichzeitig, authentischer Islam, Angriffe auf einen liberalen Professor in Münster – da hat man ja schon die Sorge, dass in einer Gesellschaft, in der Religionsfreiheit auch ein hohes Gut ist, da doch ein extremistischer Einfluss an Stärke gewinnt.
Schiffauer: Das ist falsch. Die Milli Görüs beispielsweise bejaht den bereits existierenden Lehrstuhl an der Frankfurter Universität, der von Herrn Özsoy vertreten wird und der sich in seiner Religionsorientierung an der als liberal geltenden Ankaraner Schule orientiert. Das ist auch die Schule, die die Milli Görüs selber trägt. Es geht letztendlich um eine saubere Rechtswissenschaft aus islamischer Perspektive, und weniger um die inhaltliche Perspektive. Wenn man etwa mit einer sorgfältigen Argumentation, wie es die Ankaraner Schule vornimmt, der Rechtsauslegung kommt, hat niemand etwas dagegen.
Timm: Was glauben Sie, wird diese Schule staatlich anerkannt werden oder nicht? Denn für eine offizielle Universitätsgründung muss man ja erst noch eine Weile vor sich hin unterrichten, ein gutes halbes Jahr, und dann muss man sich auch genehmigen lassen. Welche Chancen geben Sie dieser Schule?
Schiffauer: Bei der jetzigen deutschen Politik kaum eine.
Timm: Und das bedauern Sie, hör ich ein bisschen raus?
Schiffauer: Na ja, ich finde es prinzipiell ein legitimes Anliegen der Muslime, sich selbst zu organisieren, wie die Katholiken oder die Juden auch. Und ich finde es sehr problematisch, dass die deutsche Politik in Verstoßung gegen Verfassungsgrundsätze, gegenüber dem Islam eine andere Politik fährt als gegenüber dem Katholizismus, den Protestanten und dem Judentum. Insofern wäre ich für Gleichbehandlung. Und man würde dann auch viel Druck rausnehmen, denn nach meinen Beobachtungen gibt es innerhalb der islamischen Gemeinden sehr heterogene und lebendige Strömungen, und ich hab bereits die Orientierung an der Ankaraner Schule erwähnt. Das ist zum Beispiel etwas, was durchaus in die deutsche Landschaft passen würde und was durchaus auch von unten kommt.
Timm: Der Kulturanthropologe Werner Schiffauer mit seiner Meinung über eine private Hochschule, die sich in Frankfurt neu gründet und die den authentischen Islam unterrichten will. Herr Schiffauer, vielen Dank fürs Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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