Heiliges Land und säkularer Staat
Hierzulande spielt Religion meist eine untergeordnete Rolle, in weiten Teilen gar keine mehr. Ganz anders in Israel. Zwar beobachtet man auch dort eine Säkularisierung, im heiligen Land sind die Menschen aber deutlich frommer.
Ein Bild von Israel: Die Altstadt von Jerusalem. Im Schatten von Klagemauer, Felsendom und Grabeskirche wetteifern orthodoxe Juden mit Schläfenlocken und schwarzen Hüten, christliche Mönche und Priester unterschiedlichster Konfessionen und Muslime in ihrer Frömmigkeit.
Ein anderes Bild: Auch am Shabbat räkeln sich Bikini-Schönheiten am Strand von Tel-Aviv. In den Strandbars genießen Touristen wie Einheimische gleichermaßen Schinken und Shrimps – nach den traditionellen jüdischen Speisegesetzen unkoshere Lebensmittel. Zwischen diesen Polen bewege sich das religiöse Leben in Israel, schreibt der Historiker Michael Brenner von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Der Spezialist für jüdisches Leben im 20. Jahrhundert hat eine neue Studie über die Rolle der Religion in Israel geschrieben und ihr den Titel "eine gespaltene Gesellschaft" gegeben.
"Etwa 75 Prozent der israelischen Bevölkerung sind Juden. Gut die Hälfte von ihnen bezeichnet sich als säkular, ein knappes Viertel als traditionell, und ein weiteres Viertel als orthodox bis ultra-orthodox, von superzionistisch bis antizionistisch, von orientalisch bis europäisch geprägt aufgesplittert. Die arabische Bevölkerung macht ein knappes Viertel der Gesamtbevölkerung des Staates Israel aus. Etwa 84 Prozent von ihnen sind Muslime, darunter auch verschiedene Beduinengruppen, jeweils 8 Prozent der nichtjüdischen Bevölkerung sind Drusen oder Christen. Letztere gehören unter anderem den griechisch orthodoxen, syrisch orthodoxen, römisch-katholischen, protestantischen, melkitischen, armenischen, koptischen und abessinischen Kirchen an."
"Israel ist eine sehr polarisierte Gesellschaft, das würde, glaube ich, niemand in Israel bestreiten. Und zwar nicht nur zwischen Religiösen und Säkularen, sondern auch zwischen dem politisch rechten, politisch linken Lager, man kann dann auch noch sagen, zwischen denen, die aus Europa eingewandert sind und denen, die aus orientalischen, meistens arabischen Ländern eingewandert sind."
Von der palästinensischen Minderheitsgesellschaft gar nicht zu reden. Das Vakuum, das laut Brenner derzeit in der jüdisch-israelischen Mitte entsteht, verdeutlicht er mit einer Anekdote. Es geht um einen Mazzebäcker, der für das Pessach-Fest das ungesäuerte Brot bäckt:
"Ich verliere jedes Jahr zwei Prozent meiner Kunden. Ein Prozent verliere ich an die vor allem in Tel Aviv beheimateten, sehr säkularen Juden, die während des Pessach-Festes kein ungesäuertes Brot mehr essen, sondern ganz normales Brot, was früher sehr selten war, auch unter den nicht so religiösen. Aber ein anderes Prozent verliere ich eben an die ganz Orthodoxen, die sagen, meine Mazze ist nicht kosher genug. Die gehen nur in die Super-Ultra-Orthodoxen Viertel und holen sich die besondere Mazze, die sogenannte Schmure-Mazze."
Übersichtliche Verhältnisse in Deutschland
Im Vergleich zu Israel herrschen in Deutschland übersichtliche Verhältnisse. Auch wenn gegenwärtig populistische Gruppen volksverhetzend von einer Islamisierung der Gesellschaft sprechen, die Zahlen zeigen eine stark christlich dominierte Gesellschaft: Etwa 30 Prozent der Bevölkerung gehören der evangelischen Kirche an, bei den Katholiken sind es ebenfalls etwa 30 Prozent. Als wie gläubig sich die Christen verstehen, ist äußerlich nicht erkennbar. Anders als Muslime oder Juden müssen sie sich nicht an religiöse Kleidungs- oder Speisegesetze halten. Die Zahl der Muslime liegt bei etwa 5 Prozent. Alle übrigen Religionsgemeinschaften bilden etwa 1 Prozent der Bevölkerung, dazu zählen 270.000 Buddhisten und 200.000 Juden. Wobei die Bindung an die christlichen Kirchen flächendeckend zurückgehe, sagt Thies Gundlach, Vizepräsident des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche Deutschlands:
"Die Säkularisierungswelle geht vom Nordosten nach Südwesten. Das heißt die geringsten Beteiligungszahlen sind in Mecklenburg, auch in Schleswig-Holstein, im Norden gehen die Zahlen zurück. Das tun sie im Süden, in Bayern und Baden-Württemberg. auch, aber eben viel langsamer und später... Das ist auch ein Problem, dass wir in den eigenen Traditionsbindungskräften nachlassen, dass die Institutionen insgesamt ihre Krise haben."
Ostdeutschland gilt als einer der säkularsten Landstriche weltweit, Berlin als Hauptstadt des Atheismus. Obwohl der Staat Kirchensteuern eintreibt und viele Bereiche unserer Gesellschaft kirchlich unterfüttert sind.
"Es gibt drei große Bereiche: Das eine ist die Bildung und Ausbildung – also Religionsunterricht an den Schulen. Dann gibt es den zweiten, großen Bereich der Diakonie, der sozialen Unterstützung, auch da haben die Kirchen einen sehr großen Teil der Aufgaben übernommen, und den dritten Teil in der allgemeinen öffentlichen Diskussion über das, was Werte sind, was zu einer Demokratie gehört, an Mitverantwortung, Selbstverantwortung... "
Evangelische Diakonie und katholische Caritas etwa beschäftigen, Ehrenamtliche Helfer eingerechnet, gemeinsam mehr als zwei Million Menschen. Trotzdem bleibt die Religion hierzulande meistens im Hintergrund. Ganz anders in Israel. Das liegt auch daran, dass sich trotz säkularer Lebenspraxis ungleich mehr Menschen mit dem Judentum identifizieren. Laut Religionsmonitor fühlen sich drei Viertel aller Befragten dem Judentum zugehörig, schreibt Steffen Hagemann, Politikwissenschaftler an der TU Kaiserslautern. Er hat den zweiten Teil einer Religionsstudie für die Bertelsmann-Stiftung verfasst. Sie trägt den Titel "Kulturkampf in Israel? Jüdische Identitäten und religionspolitische Konfliktfelder."
"Die hohe Relevanz der Religion für die soziale Identität der Israelis und ihre starke Präsenz in Gesellschaft und Staat bei gleichzeitig weitgehend säkularer Lebensführung hebt Israel von anderen untersuchten Ländern ab."
45 Prozent in Israel finden, dass Religion Recht hat
Auffällig weit verbreitet sei auch die Vorstellung von der Exklusivität der eigenen Religion:
"45 Prozent der Befragten (in Israel S.O.) sind der Ansicht, dass nur die eigene Religion Recht hat und 33 Prozent meinen, dass nur die eigene Religion zum Heil führt. In Deutschland stimmen hingegen nur 15 Prozent einem dogmatischen Relgionsverständnis zu... eine deutliche Mehrheit von 67 Prozent stimmt hingegen der Aussage zu, dass jede Religion einen wahren Kern habe."
Ähnlichkeiten finden sich hingegen beim Bedrohungsempfinden durch den Islam. So schätzen sich laut Religionsmonitor etwa 85 Prozent aller Befragten in Deutschland als offen für andere Religionen ein, 57 Prozent sehen aber den Islam als Bedrohung für ihr Land. Über regionale Unterschiede ist in den letzten Wochen im Zuge der Pegida-Demonstrationen ausgiebig berichtet worden. In Israel ist die Angst vor dem Islam noch viel größer:
"Gut drei Viertel der Bevölkerung nehmen den Islam als Bedrohung wahr, 60 Prozent konstatieren eine fundamentale Differenz zwischen der westlichen Welt und dem Islam."
Israel wurde von seinen arabischen Nachbarn allerdings auch wiederholt kriegerisch angegriffen: 1948, 1967 und 1973. Zudem war das Land überhaupt erst nach einer verfolgungsreichen Geschichte in der Diaspora und der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs entstanden – nach der beinahe vollständigen Auslöschung der europäischen Judenheit. Deshalb setzen Hagemann und Brenner die aktuellen Zahlen des Religionsmonitors auch in einen historischen Bezug und erklären die unterschiedlichen Facetten und die Wandlung des Begriffs "jüdisch".
"Es ist sicherlich so, dass der staatsbildende Zionismus sich als eine säkulare Bewegung verstanden hat, die gerade das Ziel hatte, eine religiöse Konzeption des Judentums in eine nationale zu verwandeln. Judentum sollte nicht mehr bedeuten: Religiöse Gemeinschaften, sondern eine jüdische Nation. Und diese Nation sollte ihr Selbstbestimmungsrecht verwirklichen, einen Nationalstaat gründen. Und wenn Herzl vom "Judenstaat" spricht, dann hat er einen modernen säkularen Staat im Sinn gehabt und keinen religiösen Staat."
Als David Ben-Gurion am 14. Mai 1948 im Museum von Tel-Aviv die Unabhängigkeit des Staates Israel proklamierte, schwebte ihm ebenfalls ein säkularer Staat vor, sagt Historiker Brenner:
"David Ben Gurion war Sozialist, er war jemand, für den Religion einen gewissen symbolischen Stellenwert hatte, aber der ganz stark davon ausging - so wie damals die Mehrheit der Zionisten eher sozialistisch oder sozialdemokratisch gesinnt waren - dass eine kleine Minderheit in diesem Staat Israel religiös orthodox sein würden. Und für ihn wie für die anderen Staatsgründer war es eigentlich gar nicht vorstellbar, dass die Religiösen einmal einen relativ großen Prozentanteil an der Bevölkerung ausmachen. Insofern waren die Zugständnisse, die Ben-Gurion, der Staatsgründer, den Religiösen machte, symbolischer Natur, vor allem zu verstehen nach dem Holocaust, um zu sagen: Wir können diese Gruppe, die das Judentum über Jahrhunderte aufrecht gehalten hat, nicht ausschließen."
Das orthodoxe Oberrabbinat entscheidet, wer Jude ist und wer nicht
Zugeständnisse – das bedeutet bis heute: Das orthodoxe Oberrabbinat entscheidet, wer Jude ist und wer nicht. Es hat ein Monopol auf Eheschließungen und Scheidungen. Wichtig war auch der Umgang mit den bei Staatsgründung etwa 400 Jeschiwa-Studenten. Diese frommen Juden mussten keinen Militärdienst ableisten und konnten sich auf staatliche Kosten zeitlebens dem Thora-Studium widmen. Heute sind es einige Zehntausend. Entscheidend für das Verhältnis von Politik und Religion war der Sechstagekrieg 1967, in dessen Folge Israel Judäa und Samaria besetzte und damit auch Zugang zu den religiösen Stätten erhielt. Steffen Hagemann:
"Mit dieser Wiederverbindung zu den religiösen Stätten hat der religiöse Zionismus – oder eben eine der dann immer bedeutsamer werdenden Strömungen des religiösen Zionismus - die Bedeutung des Territoriums und die Wiederverbindung mit den religiösen Stätten ins Zentrum ihrer Theologie gerückt. Aus diesem religiösen Zionismus hat sich dann auch der Kern der religiösen Siedlerbewegung gebildet, die nach 1967 dann in die besetzten Gebiete gezogen ist, dort Siedlungen gegründet hat und heute vor allem jene Siedlungen bewohnt, die östlich von der Trennmauer, dem Sperrzaun liegen, die also so angelegt sind, dass sie versuchen, das gesamte Westjordanland zu besetzen und eine Rückgabe dieser Gebiete zu verunmöglichen."
Wie sehr diese Entwicklung die israelische Gesellschaft spaltete, zeigte sich spätestens bei der Ermordung von Premierminister Jizhak Rabin auf einer Friedenskundgebung in Tel Aviv am 4. November 1995. Historiker Brenner schreibt:
"Der Mörder war ein religiöser Jude orientalischer Herkunft und dem äußersten rechten politischen Spektrum zuzuordnen, das Opfer war ein aschkenasischer Jude und Teil der politischen Linken. Hier spiegeln sich drei Hauptkonfliktlinien der israelischen Gesellschaft in einer Tat wider."
Angesichts dieser engen Verwobenheit von Religion, nationalen Ansprüchen und Politik wird ein weiterer Unterschied zwischen der deutschen und der israelischen Gesellschaft kaum verwundern. Zwar liegt die Zustimmung zur Demokratie in beiden Ländern bei über 80 Prozent der Befragten, doch wünschen sich in Israel besonders religiöse und dogmatisch ausgerichtete Israelis eine starke religiöse Prägung der Politiker:
"44 Prozent der Religiösen halten nur gläubige Politiker für geeignet und 39 Prozent fordern einen religiösen Einfluss auf die Politik."
Mehr Einfluss der Politik auf die Religion?
"Es gibt religiöse Parteien zum Beispiel, verschiedenster Couleur, die in Israel antreten. Unter den Ultraorthodoxen gab es auch mehrere Parteien, die im israelischen Parlament vertreten waren. Dann gab es unter den Siedlern religiös geprägte Parteien, gibt es auch, gar nicht so schwach, im jetzigen Parlament. Und dann gibt es unter den Juden, die aus arabischen Ländern eingewandert sind, gibt es auch noch einmal eine eigene Partei, die Schas-Partei, die eine besondere orientalisch-jüdische Religiosität verkörpert.... Diese Parteien stellen etwas ganz anderes dar als die CDU/CSU in Deutschland, die natürlich das C im Namen hat und sicherlich auch christliche Werte vertritt, aber keine religiösen Forderungen in den Vordergrund stellt, wie es die religiösen Parteien in Israel tun, die im übrigen auch keinen Status dieser Volkspartei haben wie die CDU sondern eher, zumindest momentan noch, kleine Parteien darstellen."
Hierzulande bemüht sich die CDU/CSU um breite Integration der Bevölkerung – der ehemalige Präsident Christian Wulff, aber auch die Kanzlerin schließen muslimische Bürger ausdrücklich mit ein. In Israel unterminieren radikale, religiöse Splitterparteien den Zusammenhalt der Gesellschaft, ganz abgesehen davon, dass Teile der Ultraorthodoxie auch heute noch den Staat als "nicht von Gott gegeben" ablehnen.
"Diese zunehmende Trennung ist durchaus ein Warnsignal für die israelische Gesellschaft, weil es bedeutet, dass in den Milieus es durchaus zu sich radikalisierenden Tendenzen kommen kann. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch die Bestrebung nach mehr Integration. Also die Wehrdienstreform in Israel, die zum Ziel hat, dass auch Ultraorthodoxe den Armeedienst leisten müssen, hat im Kern nicht das primäre Ziel, dass tatsächlich die ganzen Jeshiwa-Schüler in die Armee gehen. Sondern das primäre Ziel ist, dass es zu einer Integration in die Gesellschaft kommt."
Sahra Stroumsa hat vor allem den historischen Islam erforscht, interessiert sich aber als interdisziplinäre Religionswissenschaftlerin und Israelin für die religiösen Veränderungen ihres Landes. So sieht sie Nuancen, die mit Instrumentarien wie dem Religionsmonitor kaum zu erfassen sind. Etwa die Veränderungen im orthodoxen und ultraorthodoxen Milieu: So gebe es an dessen Rändern viele, die aus der Enge der Gemeinschaft ausbrechen würden, wenn sie es denn könnten:
"Wenn ein Kind, eine junger Mann oder eine junge Frau ausgehen wollen, haben Sie dafür überhaupt keine Voraussetzungen: Ihr Hebräisch ist nicht sehr gut, besonders das der Männer. Sie sprechen kein Englisch, sie haben nicht gelernt, wie man einen Scheck unterschreibt. Oft sprechen Sie Jiddish oder ein sehr sonderbares Hebräisch, weil sie nicht die moderne Alltagssprache gelernt haben. Sie haben keinerlei Grundfähigkeiten, um in der modernen Welt zu bestehen."
Teile der Ultraorthoxie, so Stroumsa, begännen sich nach außen zu öffnen. Sie berichtet von einem Programm der Hebräischen Universität Jerusalem: Junge Orthodoxe und Ultraorthodoxe werden hier mit Zustimmung ihrer Rabbiner zu Medizinern, Juristen und Psychologen ausgebildet:
"Das ist nicht nur, weil in der säkularen Bevölkerung eine feindliche Haltung besteht – die gibt es wirklich – sondern die Leute sehen selbst, dass es für ihre Gemeinschaft gefährlich ist. Die Explosion kann von innen kommen und sie sehen, dass sie so nicht weiter machen können und etwas ändern müssen."
Gleichzeitig, das konstatieren auch Hagemann und Brenner, gibt es bei den Säkularen ein wachsendes Interesse, sich Wissen über die religiösen Grundlagen des Judentums anzueignen. – Ein großer Unterschied übrigens zu Deutschland, wo nicht nur die Praxis sondern auch das Wissen über die christliche Religion immer dünner werde, wie Thies Gundlach von der EKD beklagt.
"Die Erfahrung zeigt, dass diejenigen, die kein religiöses Leben in Gestalt einer etablierten Ritualisierung von Gottesdienstbesuch, von Gebet, von Tischgebet, von Abendgebet, von geistlichem Leben auch im sehr distanzierten Sinne, dass das dann verdunstet, dass das aufhört... Das ist die Erfahrung, die wir in vielen Familien machen: Da ist die Enkelgeneration ohne jede Prägung... "
Was diese Ergebnisse für die Zukunft Israels aber auch den israelisch-deutschen Dialog bedeuten? Kirchenmann Gundlach ist optimistisch:
"Ich vermute, dass die Tendenz der Gesellschaft wieder weiter weggeht von den radikalen Orthodoxen und den Frommen, auch wenn es im Augenblick aussieht, als würde es in diese Richtung gehen. Es ist eine zu aufgeklärte Gesellschaft, als dass die da auf Dauer in dieser Ecke bleiben."
Negatives Bild von Deutschland
Der Religionsmonitor hat auch nachgewiesen: Religiöse jüdische Israelis haben ein besonders negatives Bild von Deutschland (Hagemann S. 3). Zwei Drittel der israelischen Gesamtbevölkerung haben allerdings eine positive Meinung über Deutschland, umgekehrt sind es nur 36 Prozent. Michael Brenner:
"Ich glaube, wenn sich diese Entwicklung tatsächlich fortsetzt, dass Israel, wenn man die gesamte Bevölkerung ansieht, eher religiöser wird als Gesellschaft, dann denke ich, wird das schon auch eine gewisse Entfernung in den Beziehungen geben. Entfernung nicht in dem Sinn, dass die politischen Beziehungen schlechter werden, sondern dass man mehr Nachdenken muss, dass es mehr Umstände bedarf, um sich gegenseitig zu verstehen."
Hagemann und Brenner mahnen, die Vielschichtigkeit Israels wahrzunehmen. Gerade wenn Deutschland Israel bei einer Friedenslösung mit den Palästinensern begleiten wolle, dürfe man die Existenzbedingung Israels nicht aus dem Auge verlieren.
"Warum hat diese Frage nach Israel als dem "Jüdischen Staat" eine so große Bedeutung bekommen? Sie hat deshalb eine so große Bedeutung bekommen, weil das Staatsgründungsprojekt Israels noch nicht abgeschlossen ist: also, was ist das Staatsgebiet Israels und was ist das Staatsvolk Israels, ist noch nicht endgültig geklärt.....Das ist natürlich eine Situation, die nicht vergleichbar ist mit der Situation in Europa, weil wir in Europa klare Grenzen haben, beziehungsweise ja inzwischen auch Prozesse der Auflösung von Grenzen. Es sind ganz gegenläufige Konsequenzen, die man in Deutschland und Israel aus der nationalsozialistischen Vergangenheit gelernt hat. Während in Deutschland individuelle Rechte betont werden, ist die Konsequenz in Israel die gewesen, dass es einen eigenen Staat geben muss, der auch in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen..."
"Ich glaube, man muss sich in Deutschland – und das betrifft die westliche Welt, auch Amerika – darauf einstellen, dass Israel kein statischer Staat, keine statische Gesellschaft ist... Aber man kann natürlich auch sagen: Für Israel ist das nicht so wahnsinnig wichtig, wie man sich in 50 Jahren mit Deutschland versteht, das ist weit weg. Wichtiger ist vielleicht, dass man sich mit den arabischen Nachbarn versteht."