Wer will, muss Kippa tragen können
Nach dem Angriff auf einen Israeli in Berlin fanden diese Woche mehrere Solidaritätskundgebungen statt. Das ist ein Lichtblick, kommentiert Gerald Beyrodt: Weil sich im christlich geprägten Deutschland die Akzeptanz von Vielfalt insgesamt nur zögerlich verbreite.
Ich möchte in einem Land leben, in dem jeder Kippa tragen kann, der das will, auch wenn ich im Alltag keine trage. Jeder soll zeigen können, zu welcher Religionsgemeinschaft er oder sie gehört, oder auch zu welchem Atheistenverband. Religionsfreiheit soll mehr sein als Theorie.
Ich wünsche mir ein Land, in dem Kippa-Tragen nichts Besonderes ist. Und das bedeutet auch: Wo Unterschiedlichkeit nichts Besonderes ist. Neidvoll blicke ich auf große Städte in den USA und Kanada. Wer Kippa trägt, erregt dort keine Aufmerksamkeit. Warum ist Deutschland so weit davon entfernt? Deutschland ist ein christlich geprägtes Land. Da haben die CSU-Politiker schon Recht.
Deutschland ist so christlich, dass man sich Frohe Weihnachten oder Frohe Ostern wünscht, ohne sich zu fragen, ob Jesu Geburt oder Auferstehung für den Adressaten bedeutsam sind. Manche halten Weihnachten sogar für ein säkulares Fest. Und das zeigt, wie selbstverständlich die christliche Prägung für sie ist.
Schwierigkeiten mit der Andersartigkeit
Deutschland atmet aus jeder Pore Christentum, und es verlangt von den anderen, sich anzupassen. So ist es zumindest traditionell. Deutschland tut sich schwer mit Andersartigkeit. Wer andere Feste feiert oder anderes Essen isst, soll keine Extrawurst bekommen. Der Gedanke, dass alle Menschen unterschiedlich sind, verbreitet sich nur zögerlich.
Die anderen bringen angeblich allerlei Schlechtes: Kriminalität, Arbeitslosigkeit, fremde Religionen. Da ist es praktisch, dass sie jetzt auch noch den Antisemitismus bringen sollen – als ob Deutschland den nicht selber hätte.
Wenn es gegen Migranten geht, werden Parteien und Gruppierungen zu Beschützern von Minderheiten, von denen man das vorher nie gedacht hätte. Die CSU trat für Frauen- und Schwulenrechte ein, die die Zuwanderer respektieren müssten. Und die AfD verschickt Pressemitteilungen gegen Antisemitismus und behauptet, der sei importiert. Der Stolz auf eigene Leistungen und deutsche Wertarbeit – hier fehlt er völlig.
Es passt gut, wenn das Schlechte nur von außen kommt. Sicher können auch Migranten antisemitisch sein, und manche von ihnen haben es leider eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Doch soll man deshalb die Forderung nach einer pluralen Gesellschaft aufgeben? Dass sich Juden in einer Gesellschaft wohlfühlen, die nicht plural ist, lässt sich schwer vorstellen. Akzeptanz für andere vermitteln kann nur eine Gesellschaft, die selbst Akzeptanz aufbringt.
Pluralismus muss beschützt werden
Pluralismus muss man erarbeiten und beschützen, nach innen und nach außen. Pluralismus besteht nicht darin, auf israelische Araber mit Gürteln einzuschlagen, und auch nicht in freundlichem Achselzucken. Pluralismus besteht nicht in einer Alles-Egal-Attitüde, sondern muss Grenzen setzen, dort, wo er gefährdet ist. Das ist nicht einfach. Denn das Land ist nicht sehr geübt im Grenzen setzen.
Zudem ist es derzeit bei Europas Populisten beliebt, auf Minderheiten einzuschlagen. Dass sie sich in Deutschland noch nicht offen gegen Juden richten, hat Gründe, die auf der Hand liegen. Doch die CSU hofiert mit Viktor Orbán einen Mann, der mit Antisemitismus Wahlkampf gemacht hat. Alexander Dobrindt gratulierte überschwänglich und nannte ihn "unseren Freund".
Die CSU bringt das Kreuz in Stellung
Grenzen setzen gegen Antisemitismus sieht anders aus. Im Übrigen bringt die CSU wieder das eigene gegen die anderen in Stellung – das Kreuz "als sichtbares Bekenntnis zu den Grundwerten der Rechts- und Gesellschaftsordnung in Bayern und Deutschland", wie der bayerische Ministerpräsident formuliert hat.
Markus Söder wird wissen, dass das Grundgesetz nicht Teil der Bibel ist und dass Religionsfreiheit Verfassungsgrundsatz ist. Doch die implizite Botschaft lautet, man müsse sich gegen alles Fremde verteidigen, das Deutschland und, schlimmer noch, das Bayern überrennt.
Ich trage im Alltag keine jüdische Kopfbedeckung. Aber falls ich in den nächsten Monaten in eine bayerische Behörde komme, werde ich die Kippa aufsetzen.