Gesine Palmer, geboren 1960 in Schleswig-Holstein, ist Religionsphilosophin. Sie studierte evangelische Theologie, Judaistik und allgemeine Religionsgeschichte in Lüneburg, Hamburg, Jerusalem und Berlin. 2007 gründete sie in Berlin das "Büro für besondere Texte" und arbeitet seither als Autorin, Trauerrednerin und Beraterin. Ihr wiederkehrendes Thema sind Religion, Psychologie und Ethik – im Kleinen der menschlichen Beziehungen wie im Großen der Politik.
Liberale Gläubige, zeigt Euch!
04:41 Minuten
Ob Koran, Christen- oder Judentum – die öffentliche Wahrnehmung wird oft von radikal-konservativen Kräften bestimmt. Das muss sich ändern, meint Theologin Gesine Palmer und fordert liberale Kräfte auf, sich zu Wort zu melden und zusammenzuschließen.
Wenn etwas eigentlich klar ist, aber einfach nicht durchsickern will, fängt es irgendwann richtig an zu nerven. Ein bisschen so geht es mir mit den Religionen und ihren mehr oder weniger konservativen Auslegungen. Sie sind immer gut für Diskussionen, an denen so ziemlich nichts stimmt.
Da sagen die einen: Das Kopftuch symbolisiert die Unterdrückung der Frauen, darum dürfen wir es in Schulen nicht dulden. Für manche muss dann eh der ganze Islam mal weg. Während andere schon in der nüchternen und solidaritätsbereiten Feststellung, dass viele muslimische Frauen das Kopftuch wirklich nicht tragen wollen, ein Zeichen von westlich-arroganter Islamophobie sehen.
Ähnlich ist es mit dem Kreuz im Klassenraum oder im Büro oder am Lehrerinnenhals. Noch einmal verdrehter wird es mit dem Davidsstern, je nachdem, wer ihn wo sieht. Dabei würde die laizistische Regel, einfach alle religiösen Symbole aus der Öffentlichkeit zu verbannen, allen die gleichen Freiheiten und Einschränkungen zumuten.
Da sagen die einen: Das Kopftuch symbolisiert die Unterdrückung der Frauen, darum dürfen wir es in Schulen nicht dulden. Für manche muss dann eh der ganze Islam mal weg. Während andere schon in der nüchternen und solidaritätsbereiten Feststellung, dass viele muslimische Frauen das Kopftuch wirklich nicht tragen wollen, ein Zeichen von westlich-arroganter Islamophobie sehen.
Ähnlich ist es mit dem Kreuz im Klassenraum oder im Büro oder am Lehrerinnenhals. Noch einmal verdrehter wird es mit dem Davidsstern, je nachdem, wer ihn wo sieht. Dabei würde die laizistische Regel, einfach alle religiösen Symbole aus der Öffentlichkeit zu verbannen, allen die gleichen Freiheiten und Einschränkungen zumuten.
Laizismus lässt Radikalität gedeihen
In der Realität zeigt sich jedoch allenthalben, dass sie nicht ohne spezifische Diskriminierungsgefühle und übrigens auch selten ohne Häme gegen diese oder jene Religion wirklich angewendet werden kann.
Dass ausgerechnet in den traditionell laizistischen Staaten, Frankreich und Türkei, die eher radikalen Varianten des Islamismus recht gut gedeihen, ist bekannt – und hat einen einfachen Grund: Der konsequente Laizismus wird den liberal-religiösen Geistern nicht gerecht, die gesellschaftliche Gegensätze mitunter ziemlich ausdauernd abfangen. Diese möchten ihre Religion nicht leugnen, sondern sich lieber unaufdringlich zu erkennen geben. Denn ihnen ist gerade ihr Glaube eine zentrale Triebfeder für ihr tolerantes Engagement.
Dass ausgerechnet in den traditionell laizistischen Staaten, Frankreich und Türkei, die eher radikalen Varianten des Islamismus recht gut gedeihen, ist bekannt – und hat einen einfachen Grund: Der konsequente Laizismus wird den liberal-religiösen Geistern nicht gerecht, die gesellschaftliche Gegensätze mitunter ziemlich ausdauernd abfangen. Diese möchten ihre Religion nicht leugnen, sondern sich lieber unaufdringlich zu erkennen geben. Denn ihnen ist gerade ihr Glaube eine zentrale Triebfeder für ihr tolerantes Engagement.
Religiöse, radikale Männerbünde
Insbesondere in Gesellschaften, in denen sich die Gegensätze zwischen religiösen und säkularen Bevölkerungsgruppen hart aneinanderstoßen (dazu gehört die israelische ebenso wie einige der moderneren muslimischen Gesellschaften), sagen ziemlich viele ziemlich vernünftige Leute seit langem sehr deutlich, dass die Grenzen weder zwischen den Religionen selbst noch auch zwischen den aufgeklärten und den religiösen Menschen verlaufen. Die Grenzen verlaufen vielmehr zwischen den radikal-konservativ denkenden und den liberal denkenden Menschen – egal ob Muslime, Christen oder Juden.
Den radikalen Mörder von Jitzchak Rabin interessierte nicht, dass Rabin an denselben Gott glaubte wie er. Ihn störte, dass er nicht ausschließlich genug die jüdischen Ansprüche auf das Land vertrat. Den Mörder von Martin Luther King interessierte nicht, ob der Pastor christlich war wie er, sondern dass er für Menschen seiner Hautfarbe demokratische Rechte forderte. Und islamistische Attentäter pflegen sich auch nicht um die hohe Zahl von muslimischen Opfern ihrer Anschläge zu kümmern.
Gewaltaffine, religiös-reaktionäre Kreise gibt es in allen Religionen. Man baut keine Verschwörungstheorie, wenn man von einer "Internationale der religiösen Reaktion" spricht, in der autoritär tickende Männerbünde einander nach außen bekriegen, nach innen aber in vielem sehr ähnlich sind: frauenfeindlich, homophob, fremdenfeindlich und unerbittlich gegenüber Apostaten. In multireligiösen Gesellschaften scheinen Symbole der Religionszugehörigkeit dementsprechend oftmals zu sagen: Ich gehöre zu diesem oder jenem gläubigen Männerbund. Damit arbeiten sie in der Tat der "religiös-reaktionären Internationale" in die Hände.
Wir brauchen ein Symbol der liberalen Glaubensauffassung
Wie wäre es nun, wenn wir eine andere "Internationale der liberalen religiösen Auslegung" dagegen setzten? Wie wäre es, wenn jemand, der an Christus glaubt und das gern durch ein um den Hals getragenes Kreuz zeigen möchte, ein L daneben hängt, an dem Gesprächspartnerinnen und -partner erkennen können: Hier drückt jemand seine liberale Auffassung des Glaubens aus? Der Gestaltung eines L für alle Religionen und ihre äußerlichen Symbole sind kaum Grenzen gesetzt.
Aber wo es auftaucht, könnten sich die, die auch innerhalb ihrer jeweiligen Religion für die Rechte der anderen, der Andersglaubenden, der Andersliebenden, der Anderslesenden, der Andersdenkenden eintreten, leichter gegenseitig erkennen. Vor Missbrauch wäre dieses kleine multireligiöse Zusatzsymbol langfristig sicher so wenig geschützt wie andere Symbole auch. Aber es wäre ein Anfang.
Aber wo es auftaucht, könnten sich die, die auch innerhalb ihrer jeweiligen Religion für die Rechte der anderen, der Andersglaubenden, der Andersliebenden, der Anderslesenden, der Andersdenkenden eintreten, leichter gegenseitig erkennen. Vor Missbrauch wäre dieses kleine multireligiöse Zusatzsymbol langfristig sicher so wenig geschützt wie andere Symbole auch. Aber es wäre ein Anfang.