Martin Tulaszewski / Klaus Hock / Thomas Klie (Herausgeber): Was Heilung bringt - Krankheitsdeutung zwischen Religion, Medizin und Heilkunde
transcript-Verlag 2020
218 Seiten, 34,99 Euro
Der neue Glaube an die Ganzheitlichkeit
16:09 Minuten
Auch da, wo es ganz weltlich zugeht, blühen spirituelle Angebote von Yoga bis Geistheilen. Zum Beispiel im eigentlich unfrommen Mecklenburg-Vorpommern: Welche Formen religiöse Rituale dort annehmen, hat Religionswissenschaftler Klaus Hock untersucht.
Kirsten Dietrich: Uralt, erhaben, ehrwürdig und fern von jedem Wandel – so erscheinen Religionen oft von außen, und so will auch das religiöse Personal seine Religion gerne sehen. Dabei mag sich eine Religion noch so erhaben geben, sie unterliegt doch auch immer dem Wandel. Ein Beispiel haben wir gerade gehört: Voodoo, das ein ganz neues Äußeres bekam, als die Gläubigen als Sklaven und Sklavinnen verschleppt wurden. Religion heißt also Wandel – das war im 16. Jahrhundert so, und das ist auch heute so.
Das ist erstaunlicherweise auch dann so, wenn es scheinbar gar keine Religion gibt, denn dann greifen oft ganz säkulare, weltliche Menschen religiöse Formen und religiöse Sprache auf und formen daraus ganz eigene Rituale. So nach dem Motto: Ich glaub da ja eigentlich nicht dran, und Religion ist das wirklich nicht, aber es wirkt. Seien das Chakren, berauschende Lianentränke, Geistheilen oder Yoga.
Ich wollte mehr wissen darüber, was diese Veränderungen und neuen Rituale antreibt und habe einen Gesprächspartner gefunden, der sich genau damit beschäftigt: religiöse Praktiken, die sich neue Orte suchen und in ganz neuen Zusammenhängen auftauchen. Klaus Hock ist Religionswissenschaftler an der Universität Rostock. Er hat in einem Forschungsprojekt unter dem Titel "Märkte des Besonderen" untersucht, welche Formen religiöse Rituale in einer ganz weltlichen Umgebung annehmen. Und zwar, Herr Hock, haben Sie solche neuen Formen des Religiösen an einem Ort gesucht, der jetzt erst mal gar nicht wie ein Quell neuer Rituale klingt und schon gar nicht exotisch, nämlich in Mecklenburg-Vorpommern. Was haben Sie da gefunden?
Klaus Hock: Eigentlich eine ganze Menge. Schönen Tag und herzlichen Dank, dass ich hier auch ein bisschen berichten darf von unserem Forschungsprojekt. Wir haben sehr viel gefunden, also eigentlich alles auf niederschwelliger Ebene, Qigong, Yogakurse, Zen-Meditation bis hin zu ayurvedischer Ernährung, aber dann auch Reiki, Branja, schamanistische Heilungsangebote, also wir haben das gesamte Feld vorgefunden. Es ist mitnichten so, wie man vielleicht denken könnte: Mecklenburg-Vorpommern, postsozialistisch, postprotestantisch, da gibt es nichts, das ist Tabula rasa. Das hat nie gestimmt, und es hat sich natürlich noch vervielfältigt in den letzten Jahren und Jahrzehnten, vor allem nach der Wende.
Religiöse Angebote vermischen sich
Dietrich: Das sind jetzt alles Sachen, die gar nicht so ganz neu sind, also Yoga zum Beispiel oder Qigong.
Hock: Ich denke, das Angebot hat sich weiter ausdifferenziert, und es gibt viele Mischungen. Es gibt nicht mehr diese Reinkultur, sodass man sagen könnte, es wird hier eine bestimmte alternative Heilungstechnik angeboten, sondern es ist sehr stark durchmischt. Das, würde ich sagen, hat sich verändert. Und natürlich haben sich auch die Kommunikationsformen verändert. Also der Umgang miteinander, wie komme ich an die Leute. Da spielen natürlich die neuen Medien eine große Rolle, das Internet, Vernetzungsstrukturen und so weiter und so fort.
Dietrich: Inwiefern verändert das Internet diese Praktiken?
Hock: Na ja, indem ich mir Spezialisten suche. Da habe ich natürlich die Möglichkeit, nicht nur vom Hörensagen etwas zu finden, sondern da kann ich auch surfen und stoße dann auf entsprechende Angebote.
Dietrich: Das heißt, ich kann mir das maßgeschneidert zusammenstellen, an wen ich mich wende...
Hock: Genau.
Dietrich: ...und muss nicht mehr ausprobieren, ob derjenige oder diejenige wirklich das richtige für mich ist.
Hock: Ja, genau. Also ausprobiert wird natürlich trotzdem, das ist klar. Und nach wie vor spielen andere Dinge eine wichtige Rolle, nämlich Hinweise, also Ketten von Empfehlungen. Das war Thema bei einem unserer Projekte, diese Ketten von Empfehlungen. Die bilden Vertrauen. Das ist ganz wichtig, dass ich jemandem vertrauen kann, und da wird sehr viel mit Empfehlungen gearbeitet. Also das spielt auch eine Rolle. Aber der Zugriff ist natürlich viel leichter jetzt zu ermöglichen, als das früher der Fall war.
Mecklenburg-Vorpommern – keine religiöse Wüste
Dietrich: Wie sind Sie überhaupt dazu gekommen, genau auf diesen Nahbereich Ihrer Universität, also in dem Fall Mecklenburg-Vorpommern, einfach mal da zu gucken, was es da gibt?
Hock: Tja, eigentlich war das eher zufällig. Ich hatte mir überlegt, gerade weil Mecklenburg-Vorpommern nicht dieses religionslose Land ist, wo alles Tabula rasa ist – das konnte man sehr bald erkennen –, dass wir eine Art religious mapping, eine Kartierung des Religiösen, machen. Das gibt es ja in vielen Ländern und Städten, dass eine Bestandsaufnahme gemacht wird, was eigentlich da ist an verschiedenen religiösen Dingen. Mein Kollege hatte dann gesagt, ja, ist interessant, aber nicht interessant genug, lass uns doch eher gucken nach bestimmten Hybridformen: wo sich vielleicht Religionsaffines, Religionsanaloges finden lässt, lass uns da doch mal reingucken.
Dietrich: Also das heißt, nicht die reine Lehre, was als Religion auch schon wirklich gefasst ist, wie Christentum, Islam, Buddhismus, sondern wirklich in die Zwischenbereiche reinzuschauen.
Hock: Genau, in die Zwischenbereiche, auch die, die sich vielleicht gar nicht selbst unbedingt primär als religiös bezeichnen.
Dietrich: Vieles von dem, was Sie da jetzt beschrieben haben, könnte man ja eigentlich auch einfach unter Homöopathie oder Alternativmedizin fassen, oder?
Hock: Ja, nur den medizinaffinen Bereich natürlich. Alternativmedizin ist ja der breiteste Bereich, da gehört die Homöopathie als ein Teil dazu. Alternativmedizin war für uns ein wichtiger Bereich, weil er eigentlich alles umfasst. Auch Bereiche, die mit ins Spirituelle gehen, die aber durchaus auch durch Zusammenarbeit mit traditioneller Medizin, mit der Schulmedizin, sich als Teil eines medizinischen Feldes verstehen. Häufig wird das auch nicht als Gegenüber gesehen.
In der Alternativmedizin spielen Rituale eine wichtige Rolle
Dietrich: Sind diese Phänomene, die Sie da beobachtet haben, die Sie auf Ihrer Landkarte aufgetragen haben, irgendwie miteinander verwandt? Also könnte man sagen, es gibt da so eine Art Heilungsbewegung, eine Art spirituelle Bewegung? Also gibt es da irgendeinen gemeinsamen Nenner?
Hock: Schwierig. Der ist schwierig zu bestimmen. Also, wir haben zwei Dinge, die mir einfallen, immer wieder gefunden, und zwar, dass in diesen Bereichen der Alternativmedizin, die in den von uns so bezeichneten religionshybriden Bereich reinreichen, Riten eine wichtige Rolle spielen. Also Ritualisierungen innerhalb der Behandlung spielen eine große Rolle, das wäre das eine. Das andere, auf was wir immer wieder stoßen, vor allem bei den Anbietern, ist die Suche nach dem höheren Selbst. Also wir haben es mit einer Art Ermächtigung zu tun, die diese Heiler oder Heilerinnen haben, die, ich würde sagen, ein gemeinsames Element darstellen, aber wir können diese Phänomene nicht eindeutig in ein Kästchen stecken. Dazu sind die viel zu unterschiedlich und viel zu weit aufgefächert.
Dietrich: Das finde ich wirklich spannend, wenn Sie sagen, Rituale sind wichtig. Also es ist wichtig, dass man etwas gemeinsam tut, also dass man nicht nur mit einem Rezept nach Hause geht oder nicht nur irgendwo einfach sitzt und sich irgendetwas anhört.
Hock: Ja, es geht also um mehr als um eine Behandlung. Es geht um mehr als eine mechanische Reparatur. Darin spiegelt sich auch die Unzufriedenheit vermutlich mit traditionellen, also schulmedizinischen Heilmethoden, dass die sehr häufig doch wahrgenommen werden als etwas, was eher ein Reparaturbetrieb ist. Bei den alternativmedizinischen Ansätzen wird die jeweiligen Krankheit als Symptom für etwas Größeres gesehen. Man muss also woanders ansetzen. Der Ansatz ist also auf einer anderen Ebene, könnte man sagen. Das bedeutet nicht, dass man unbedingt Schulmedizin ablehnt – man kann die durchaus mit aufnehmen, ich sehe da in vielen Bereichen überhaupt keine Konkurrenz oder keine Spannung, sondern das wird durchaus als ergänzend wahrgenommen. Aber es ist mehr, es geht darüber hinaus.
Keine Unzufriedenheit mit Religion
Dietrich: Spiegelt sich da auch eine Unzufriedenheit mit religiösen Institutionen wider und deren Ritualangebot?
Hock: Wenn Sie jetzt von der Medizin her kommen, spielt das wahrscheinlich keine Rolle. Ich denke, das steht zumindest nicht im Vordergrund. Also die Religionen haben ja auch eine Beziehung zur Heilung durch den Begriff Heil – also das Heilsverständnis ist ja in vielen Religionen sehr prominent. Aber ich kann jetzt in unserem Material nicht unbedingt eine Unzufriedenheit mit religiösen Angeboten erkennen, weil die spielen gar nicht so eine Rolle. Also davon kommen die Leute in der Regel nicht her.
Dietrich: Diese ganzen Dinge, Geistheilen, Channeling, Energiearbeit – ich würde da ja fürs Verstehen eher erst mal das alte Label Esoterik draufkleben, als eine Grenzwissenschaft für eingeweihte Personen. Sie haben einen Begriff, den haben Sie jetzt eben auch schon mal verwendet, des Religionshybriden. Was ist das für ein Begriff, warum verwenden Sie den – Religionshybrid? Was heißt das?
Hock: Vielleicht noch mal umgekehrt, weshalb wir esoterisch nicht verwenden. Der Begriff der Esoterik, der hat mindestens drei Bedeutungszusammenhänge. Im akademischen Bereich, in der Religionswissenschaft, werden damit bestimmte religiöse Phänomene zusammengefasst und betrachtet. Im eher historisch-kulturwissenschaftlichen Bereich fokussiert man sich stärker auf die westliche Traditionsgeschichte, der europäischen, abendländischen Traditionsgeschichte in diesem Zusammenhang. Im alltäglichen Bereich aber ist es sehr negativ konnotiert. Also esoterisch ist irgendwie was Seltsames. Das ist negativ besetzt, und das wollten wir vermeiden.
Religionshybride als Suchbegriff
Wir haben den Begriff der Religionshybriden oder des Religionshybriden als Suchbegriff übernommen, wobei man fairerweise sagen muss, wir haben den nicht erfunden. Der wird anderswo auch schon verwendet. Wir haben dann aber gefunden, der passt eigentlich genau als Suchbegriff. Es ist kein Begriff, der uns als Definition dient oder als Schublade, in die man was reinsteckt. Sondern das ist ein Suchbegriff, der gerade deshalb so hilfreich ist, weil er die Übergänge beschreibt und uns dabei hilft, genau zu suchen: wo können wir eigentlich von religiösen Bezügen reden, wo ist es nicht der Fall. Also das heißt, die Problematik des Religionsbegriffs selbst wird durch den Suchbegriff Religionshybride in unsere Arbeit mit reingenommen.
Dietrich: Das heißt, Religionshybrid ist eine Mischform, es ist eine Weiterentwicklung, es ist etwas, was im Zwischenbereich steht oder in Randbereichen von dem, was man gemeinhin als religiös bezeichnet.
Hock: Genau, es ist ein Suchbegriff, der uns hilft, genau diesen Übergangsbereich auszuloten, und zwar ohne zu sagen, hier ist das Religiöse und da ist das Nichtreligiöse als klare Grenzziehung, ohne jetzt aber auch alles unter dem Religiösen zu subsumieren. Das ist immer eine große Gefahr, dass man Religion unterstellt, wo sie vielleicht gar nicht da ist.
Dietrich: Sie haben sich ja als Wissenschaftler auch damit beschäftigt, wie sich der Islam, also eine ganz etablierte klare Religion, verändert hat, als er in verschiedenen afrikanischen Staaten mit deren eigenen Traditionen und auch Religionen praktiziert wurde. Ist das vergleichbar von der Grundstruktur her mit dem, was Sie jetzt untersucht haben?
Hock: Jein. Also ich würde nicht den Begriff der Religionshybride darauf anwenden. Jede Religion ist natürlich in gewisser Weise insofern hybrid, als dass sie Veränderungen durchmacht. Synthetisierungen, Ausgrenzungen und so weiter und so fort. Das gilt für alle Religionen, die dann verschiedene Formen ausbilden, und das gilt nicht nur für den Islam, sondern für das Christentum, für alles. Also da haben wir immer wieder Wandlungsformen und neue Formen. Wenn ich etwa nach Niger schaue, da haben wir so ein Phänomen, eine neue Bewegung, die sich als Chrislam bezeichnet und versucht, eine bewusste Synthese von islamischen und christlichen Traditionen herzustellen. Also das, würde ich sagen, gehört immer schon zur Religionsgeschichte.
Davon würde ich unterscheiden unseren Begriff, wie gesagt, Suchbegriff oder auch heuristischen Begriff der Religionshybride, den wir eigentlich verwendet haben in einem Kontext, der Prozesse der Säkularisierung, Prozesse der Delegitimierung traditioneller Religionsformen wichtig geworden ist. Also von daher würde ich den nicht so allgemein anwenden wollen, den Begriff des Religionshybriden.
Echte Spiritualität oder Geschäftsidee?
Dietrich: Das heißt, der Begriff des Religionshybriden beschäftigt sich mehr damit, dass die nichtreligiöse Welt das Gegenüber ist für die Entwicklung und bleibt nicht innerhalb einer Religion und spürt den Veränderungen nach in der Religion.
Hock: Genau, das ist uns wichtig, dieser Grenzbereich von der Religion und Nichtreligion, also das Andere von Religion. Was ist eigentlich das Andere von Religion, das ist das, was uns eigentlich interessiert hat, dieser Übergangsbereich.
Dietrich: Wie kann man denn eigentlich unterscheiden, ob bei jemandem einfach eine clevere Geschäftsidee dahintersteckt, wenn er etwas macht, oder ob da wirklich diese Suche nach Spirituellem, nach Höherem, nach dem höheren Selbst, wie Sie das vorhin genannt haben, dahintersteht?
Hock: Also, es gibt keine Möglichkeit, das mit einem Lackmustest zu machen, und zwar alleine schon deshalb, weil es ja keine Religion oder keine religiöse Praxis umsonst gibt. Die kostet ja was. Selbst wenn ich nicht Geld investiere, dann investiere ich Zeit und Energie, was auch immer. Also diese Grenze, dass etwas nur wirtschaftlich ist oder nur religiös, die gibt es als solche nicht. Von daher muss man im Einzelfall schauen, steckt da eine Geschäftsidee dahinter oder ist es ernstgemeint. Also bei denen, die wir untersucht haben, würde ich mal behaupten, war es im Grunde sicherlich ernstgemeint. Es war nicht so, dass jemand die dicke Kohle damit machen wollte. Kann man auch nicht unterm Strich. Also viele der von uns Interviewten können größtenteils ökonomisch nicht alleine davon leben. Also von daher wäre ich vorsichtig, hier so ein Gegenüber herzunehmen und zu sagen, da steckt jetzt nur eine clevere Geschäftsidee dahinter. Das kann es auch sein, aber ich würde das nicht von vornherein unterstellen.
Die wenigsten suchen religiöse Erfahrungen
Dietrich: Was suchen denn dann die Menschen, die an solchen Angeboten teilnehmen und die aufsuchen – suchen die Religion?
Hock: Manche mögen Religion suchen, für den größten Teil ist es nicht so. Es ist auch so, dass wir eigentlich in allen unseren Projekten immer sehr vorsichtig mit dem Begriff Religion und religiös umgehen mussten, weil der teilweise sehr negativ konnotiert ist, teilweise, nicht immer. Aber wenn man gesagt hat, also wir machen ein Forschungsprojekt über Religionshybride, war dann oftmals schon ein bisschen der Rollladen runtergegangen, weil also viele der Menschen sagen, wir möchten eigentlich nichts mit Religion zu tun haben, wir wollen bestimmte Angebote machen oder wahrnehmen, aber die sind nicht religiös.
Dietrich: Sie haben ja vorhin schon den Begriff des Vertrauens genannt, Sinnsuche, Orientierungssuche, das könnte man ja da vermuten. Ist das auch bewusst der Versuch, aus dem Herkömmlichen herauszukommen und zu so einer Grenzüberschreitung zu kommen?
Hock: Ich denke, teilweise ja. Das muss ja nicht im Großen der Fall sein. Es ist eine Suche nach Ganzheitlichkeit, also sich selbst wahrzunehmen, ganzheitlich, nicht reduzieren auf Einzelaspekte. Dann das Stichwort vom höheren Selbst hatte ich, glaube ich, auch schon erwähnt. Das ist ein Stichwort, das uns in den Interviews bisweilen begegnet ist, also die Suche nach dem Selbst, nach dem höheren Selbst, die spielt eine zentrale Rolle. Das wären so Stichworte. Es ist, glaube ich, nicht so sehr eine Protestbewegung. Es ist auch so, dass viele der Interviewten, zwar von Auseinandersetzungen mit den großen etablierten Monopolträgern, den Kirchen meinetwegen, im Bereich Religion berichten, aber es spielt keine tragende Rolle. Mancher unserer Forschungen, gerade in einem ersten Forschungsprojekt, haben doch interessanterweise gezeigt, dass Leute, die überhaupt nichts mit Religion und schon gar nichts mit Kirche zu tun haben, dass die aber dann plötzlich über Kooperationsprojekte, zum Beispiel in sogenannten Kirchbauvereinen, miteinander in Berührung kommen und alte ideologische Grenzen überhaupt keine Rolle mehr spielen.
Über das Nützlichkeitsdenken hinaus
Dietrich: Das heißt, es ist eher eine Suche nach neuer Gemeinsamkeit, die andere Wurzeln hat als einfach nur ein Kosten-Nutzen-Denken?
Hock: Ja, auf jeden Fall. Also das Kosten-Nutzen-Denken ist das, was abgelehnt wird. Es spielt natürlich dann notwendigerweise eine Rolle – man muss ja irgendwie überleben auch –, aber entscheidend ist doch diese Suche nach Ganzheit, dieses Gefühl, dass die Aufteilung des Menschen in verschiedene Funktionsbereiche unbefriedigend ist, dass man nach diesem Ganzheitlichen sucht, nach dem höheren Selbst sucht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.