Otfried Höffe: "Ist Gott demokratisch? Zum Verhältnis von Demokratie und Religion"
Hirzel-Verlag, Stuttgrart 2022
232 Seiten, 24 Euro
Friederike Müller-Friemauth und Rainer Kühn: „Diesseits. Säkulare Religion für eine neue Welt“
Edition Konturen, Wien 2022
320 Seiten, 28 Euro
Religion und Gesellschaft
Die Paulskirche in Frankfurt am Main: Ein Ort, der für die Berührungspunkte von Religion und Demokratie steht, die der Philosoph Otfried Höffe in seinem Buch hervorhebt. © picture alliance / Friedel Gierth / Friedel Gierth
Zusammenhalt durch Glauben?
44:58 Minuten
Mit dem zwiespältigen Verhältnis von Religion und Gemeinwesen beschäftigen sich zwei neue Bücher. Die These der Autoren: Religionen können Gesellschaften bereichern und ihre Zukunft sichern – auch ohne Bezug auf ein Jenseits.
Religion kann Bindungskräfte aktivieren, darin sind sich der Philosoph Otfried Höffe und das Politologen-Paar Friederike Müller-Friemauth und Rainer Kühn einig. Zwar ist ihnen das Potenzial für Fanatismus und Intoleranz bewusst, das Glaubensgebäuden innewohnt. Dennoch machen Höffe und Müller-Friemauth im Gespräch auf der Frankfurter Buchmesse deutlich: Religionen können unter bestimmten Bedingungen Gesellschaften bereichern und ihre Zukunft sichern.
Demokratie und Religion: zwiespältiges Verhältnis
Der Philosoph Otfried Höffe erklärt in seinem Buch „Ist Gott demokratisch? Zum Verhältnis von Demokratie und Religion“, dass geschichtlich kein linearer Prozess von einer absoluten Dominanz der Religion zur Rationalisierung und Säkularisierung von Gemeinwesen stattgefunden hat. Vielmehr findet er religionsfreie Begründungen für die gute Organisation menschlichen Zusammenlebens in verschiedenen Epochen, selbst bei dem einflussreichen Kirchenlehrer Thomas von Aquin.
Höffe zeigt zugleich, wie Religion bis heute auch Gesellschaften und Staatsformen des sogenannten Westens prägt. Die Demokratie heiße das Potenzial der Religionen willkommen, „sowohl die Angebote, Gott und die Welt zu deuten – sofern die Deutungen nicht demokratie- oder wissenschaftsfeindlich sind – als auch die Fähigkeit, angesichts menschlichen Leids Trost zu spenden und Halt zu verleihen sowie auf eine unsichere Zukunft in Hoffnung zu blicken".
Religiöse Absolutheitsansprüche und demokratische Grundsätze geraten dennoch punktuell in Konflikt. Auch wenn kein grundsätzliches Dilemma bestehe, so Höffe, bleibe das Verhältnis zwischen Religion und Demokratie „störanfällig“.
Heil im Diesseits suchen
Friederike Müller-Friemauth und Rainer Kühn wollen mit ihrem Buch zu einem ganz grundsätzlichen Schritt anregen: Nicht nur ein Umdenken, sondern auch ein „Umglauben“ sei nötig. Und zwar mit einem radikalen Bezug auf das Diesseits und auf die menschliche Abkunft: „Unser künftiges Heil liegt darin, dass wir spirituell umstellen, nämlich von Transzendenz auf Introszendenz; so lautet der säkulare Vorschlag.“
Nach Meinung der Zukunftsforscher soll die menschliche Vernunft – die bislang in westlicher Denktradition unsere Wirklichkeitswahrnehmung und unser Wirken auf die Welt geprägt hat – sich mit einem größeren Bewusstsein und evolutionären Prozessen verbinden; auch die Entwicklung künstlicher Intelligenz zählt hierzu.
Inspirieren lassen sich Müller-Friemauth und Kühn von buddhistischen und anderen asiatischen Traditionen, in deren Kern die Verbundenheit, aber auch das Leid aller Existenz stehen: „Genauer interessiert uns die Verbindung von Logos – Wort-Vernunft-Geist, auch Wissenschaft – und dem spezifisch asiatischen Zugriff auf Geist, dem ein schwer artikulierbarer, kosmischer, unteilbarer Einheitsglaube zugrunde liegt. Westler könnten auch sagen: eine besondere Kraft der Evolution.“