Im Dienst des Friedens?
Papst Franziskus habe in Kolumbien sicher seinen Anteil am Versöhnungsprozess zwischen Regierung und FARC, so der Politikwissenschaftler Matthias Basedau. Von Veranstaltungen wie dem aktuellen Weltfriedenstreffen der katholischen Gemeinschaft Sant'Egidio in Münster sollte man aber nicht zu viel erwarten.
Anne Françoise Weber: Papst Franziskus schließt heute seine Versöhnungsreise durch Kolumbien ab, und heute Nachmittag beginnt in Münster das Weltfriedenstreffen, das die katholische Gemeinschaft Sant'Egidio ins Leben gerufen hat. Religionen und Frieden, das ist ja eine häufige Verbindung, aber zugleich kennen wir doch genug Beispiele, wo Religionen – wenn nicht der Grund für einen Konflikt – so doch zumindest ein Instrument in der Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Gruppen sind. Können religiöse Akteure überhaupt zum Frieden beitragen, und wenn ja, wie? Durch moralische Appelle, durch gut inszenierte Friedensgebete oder doch am ehesten durch Diplomatie hinter verschlossenen Türen? Über diese Fragen habe ich vor der Sendung mit Matthias Basedau gesprochen. Er ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Hamburg und Lead Research Fellow am GIGA-Institut für Afrika-Studien. Zum Friedensfest lädt also die katholische Gemeinschaft Sant'Egidio ein. Sie wurde als Freiwilligenorganisation 1968 in Rom gegründet und ist dafür bekannt, dass sie immer wieder erfolgreich in bewaffneten Konflikten vermittelt hat, zum Beispiel in Mosambik und in Guatemala. Wie arbeitet denn diese Gemeinschaft? Wie lassen sich diese Erfolge erklären?
Matthias Basedau: Grundsätzlich ist Sant'Egidio aktiv in der Vermittlung in Konflikten, und da handelt Sant'Egidio erstmal natürlich auch so wie andere Vermittler. Das kann erfolgreich sein aus mindestens zwei Gründen: Erstens mal können Vermittler Konfliktparteien zusammenbringen, die sonst bilateral nicht miteinander sprechen würden. Und außerdem kann die Vermittlerrolle sehr erfolgreich sein, wenn eine Gruppe wie Sant'Egidio als neutral und ohne Eigeninteressen wahrgenommen wird. Und dann, wenn die Bedingungen günstig sind, dann kann es eben auch zu erfolgreichen Friedensabkommen kommen, wie Sie sie genannt haben, beispielsweise in Mosambik und in Guatemala oder anderen. Allerdings hängt es natürlich auch sehr von den Konfliktkonstellationen ab. Also, es ist auch kein Patentrezept, einen Vermittler einzuschalten. Manchmal funktioniert das nicht, und das ist auch bei Sant'Egidio der Fall.
Weber: Aber es geht also im Grunde darum, da ein Klima der Begegnung zu schaffen, alle an einen Tisch zu holen. Das kann man religiös machen, das kann man auch genauso gut als Atheist machen. Oder gibt es irgendwie eine besondere Komponente, etwas, was das religiöse erfolgversprechender macht als ein nicht-religiöser Ansatz?
Basedau: Einerseits kann es so sein, dass die religiöse Motivation erstmal dazu führt, dass eine Gruppe als Vermittler auftritt, weil möglicherweise haben Leute, die ethisch oder religiös nicht motiviert sind, das in der Form nicht. Aber es gibt natürlich auch nicht-gläubige Menschen, die Frieden fördern wollen. Und außerdem kann, allerdings unter bestimmten Konstellationen, kann es natürlich auch sein, dass Angehörige von religiösen Gruppen als besonders glaubwürdig und besonders fähig angesehen werden, um in solchen Konflikten zu vermitteln, also auch von den Konfliktparteien. Insofern gibt es da durchaus einen Mehrwert, aber das heißt nicht, dass andere, nicht-religiöse Gruppen da nicht auch aktiv sein können.
Weber: Wenn wir jetzt auf das Beispiel Kolumbien schauen, da scheint der Vatikan ja durchaus eine wichtige Rolle auch gespielt zu haben, um Rebellengruppen und Regierung zu einem Friedensabkommen zu bringen. Liegt es da einfach an der Autorität des Papstes, also Oberhaupt für doch zumindest 80 Prozent der Kolumbianer, die einfach gläubige Katholiken sind?
"Der Papst hat natürlich eine gewisse Autorität"
Basedau: Ja, das ist sicherlich ein Punkt in diesem Zusammenhang. Praktisch alle oder die große Mehrheit der Kolumbianer und Kolumbianerinnen sind Katholiken, und der Papst hat natürlich eine gewisse Autorität. Aber das hat natürlich auch den Einfluss, dass es auch keine Konflikte zwischen Religionsgruppen gibt, sodass eine allgemeine, gemeinsame Autorität anerkannt wird. Ich muss allerdings auch ein bisschen Wasser in den Wein schütten, auch wenn ich jetzt kein großer Experte für Kolumbien bin: Auch die Katholiken sind in Bezug auf die Friedensabkommen gespalten, denn diese Abkommen muten auch den Opfern zu, dass sie ein gewisses Maß oder sogar ein vielleicht relativ höheres Maß an Straflosigkeit für die Täter akzeptieren müssen.
Weber: Diese Straflosigkeit zu akzeptieren könnte man ja auch mit dem gut christlichen Wort "Vergebung" etikettieren und vielleicht sagen, ja, die Kirche oder der Papst kann die Leute eher zu Vergebung aufrufen, als das jetzt jemand könnte, der keine religiöse Autorität hat.
Basedau: Ja, das ist vielleicht ein spezifisch religiöses Momentum oder eine spezifisch christliche Idee der Vergebung und der Versöhnung. Allerdings bedeutet das natürlich immer noch eine Zumutung für die Opfer, die dazu aufgefordert werden, zu vergeben. Wenn sie es können, ist es natürlich gut, und wenn sie überzeugt werden können durch einen Papst, der genau das ja versucht, wenn er sich mit Opferverbänden trifft. Aber inwieweit das erfolgreich ist, ist natürlich die andere Frage.
Weber: Sie haben ja sehr viele Konflikte sich angeschaut und die Rolle von religiösen Akteuren darin. Kann man denn so Konstellationen ausmachen, wann werden religiöse Akteure eher zu Konfliktparteien, und wann können sie eher als Vermittler eintreten? Hat das mit der Religion zu tun? Es gibt ja Leute, die sagen, im Christentum ist der Friede viel mehr angelegt als in anderen Religionen, oder hat das vielmehr mit politischen, ethnischen und sonstigen Voraussetzungen zu tun?
Basedau: Es gibt eine Reihe von Elementen in diesen Zusammenhängen, die die Analyse ein bisschen erschweren. Erstens mal ist die Rolle von Religionen und die Dimension von Religionen ambivalent. Es kann zu Frieden führen, es kann zu Gewalt führen. Und es gibt religiöse Bedingungen, und es gibt nicht-religiöse Bedingungen, die sozusagen die Entscheidung darüber treffen, ob es in die eine oder in die andere Richtung geht. Dazu kommt noch, dass religiöse Gemeinschaften oder auch religiöse Eliten ja keine monolithischen Blöcke sind, sondern also auch aus unterschiedlichen Personen bestehen, und dass es in einem Konflikt durchaus sein kann, dass manche sich eher für Frieden einsetzen und manche eher für Krieg einsetzen. Es gibt dann noch die Frage, ist Religion eher friedensförderlich, oder ist es eher konfliktförderlich.
Ich meine, diese Entweder-Oder-Logik führt eigentlich in die Irre. Denn es geht um die Bedingungen, die in die eine oder die andere Richtung führen, und nicht die Idee, dass es entweder so oder anders ist. Also das wird oft angeführt, dass die Religion lediglich instrumentalisiert wird für die Gewalt. Das heißt aber eigentlich, dass es ein Teil der kausalen Logik ist, auch wenn möglicherweise nicht der entscheidende. Aber jenseits dieser akademischen Diskussionen muss man auch sagen, dass wir so viel positives Wissen über, welche Faktoren tatsächlich in die eine oder andere Richtung führen, vielleicht gar nicht verfügen. Es gibt aber vielleicht ein paar, die man hier nennen könnte. Eine Bedingung, die problematisch ist, ist, wenn die Konfliktlinien entlang religiöser Linien verlaufen, und wenn gleichzeitig noch andere Unterschiede zwischen den Konfliktparteien bestehen, also in ethnischer, politischer oder auch ökonomischer Form.
"Und dann gibt es natürlich noch die nicht-religiösen Faktoren"
Weber: Beispiel Nordirland.
Basedau: Ja, Nordirland ist so ein Beispiel. Es gibt dann noch sozusagen die ideelle Dimension, und da ist natürlich problematisch, wenn anstatt von Toleranz gegenüber anderen Religionen, wenn anstatt von Gewaltverzicht eben andere theologische Inhalte vertreten werden. Und dann gibt es natürlich noch die nicht-religiösen Faktoren, und da geht es eigentlich um alle Faktoren, die ansonsten auch zu Konflikten führen. Und problematisch ist eben, wenn sich konfliktive Bedingungen im nicht-religiösen Bereich mit religiösen verknüpfen. Insofern ist es auch schwierig zu sagen, wegen der Komplexität des Zusammenhangs, wie es genau ist. Aber wie gesagt, es gibt ein paar Ansätze.
Weber: Wenn wir jetzt schauen, wo religiöse Akteure tatsächlich zum Frieden beitragen, tun sie das eher durch Prävention, also Erziehung zu Toleranz, zum Frieden, oder gibt es eben auch eine besondere Fähigkeit zur Deeskalation in laufenden Konflikten?
Basedau: Beides ist möglich. Erstens mal, die Prävention ist, glaube ich, sehr wichtig, und ich glaube auch, dass die friedenstiftende Rolle von Religion hauptsächlich durch die Prävention erfolgt, und zwar in einer Form, die uns oft gar nicht so bewusst ist oder die wir gar nicht so sehen, weswegen wir auch mehr achtgeben auf die Konflikte oder den Terrorismus, der daraus entsteht. Einerseits mehr Erziehung zum Frieden, das heißt, zum Gewaltverzicht, und andererseits Toleranz gegenüber anderen Religionsgemeinschaften. Diese Dinge können schon sehr helfen, dass solche Konflikte erst überhaupt nicht entstehen.
Was jetzt den anderen Aspekt betrifft, nämlich die Deeskalation von Konflikten, so hängt es ein bisschen von den Bedingungen ab: Wenn die Konflikte zwischen religiösen Gruppen oder um religiöse Streitpunkte gehen, dann kann es auch schwierig sein, dass religiöse Akteure zur Deeskalation beitragen, weil sie vielleicht als Konfliktparteien wahrgenommen werden und deswegen vielleicht schlechter deeskalieren können. Sie können aber natürlich auch, und sollten auch natürlich auf Radikale einwirken und ganz klar machen, dass bestimmte Auslegungen, also Gewaltrechtfertigung durch die Religion, dass das einfach nicht mit dem Glauben vereinbar ist. Das hängt natürlich auch von ihrer Autorität ab, also von ihrer moralischen Autorität, und die ist ja in dem einen oder anderen Kontext mehr oder weniger gegeben.
Weber: Und es hängt wahrscheinlich auch davon ab, ob diese religiösen Akteure von außen kommen wie der Vatikan, oder ob das jetzt im Land verwurzelte Gruppierungen sind?
Basedau: Ja, das ist ein richtiger Punkt. Das kann aber natürlich in beide Richtungen gehen. Ich meine, es gibt ja auch Kritik gegenüber dem Vatikan aus dem einen oder anderen Grund. Und es kann natürlich auch Kritik geben gegenüber lokalen Akteuren. Aber manchmal sind die lokalen Akteure natürlich auch näher dran und haben vielleicht eine besondere Legitimation, weil sie sich in besonderer Form verdient gemacht haben, oder eben umgekehrt. Da würde ich auch sagen, es hängt ein bisschen von den Bedingungen ab. Unter Umständen, wenn die Rolle umstritten ist, kann der Einsatz von außen sehr günstig sein. Wenn die Akteure besonders legitimiert sind im Inneren, dann kann es auch sinnvoll sein, dass sie dort arbeiten.
Weber: In der deutschen Außenpolitik hat man ja nun auch die Religion entdeckt. Das Auswärtige Amt hat ein eigenes Projekt zur Friedensverantwortung der Religionen gestartet. Da gab es eine große Konferenz. Und Ziel ist eigentlich, die Teilnehmer zu Netzwerken zu verbinden, die sich über die Welt spannen, und wo eben so ein interreligiöser Dialog und eine religiöse Verantwortung für gemeinsamen Frieden gefördert wird. Halten Sie das für erfolgversprechend? Und braucht es da so etwas wie das Auswärtige Amt dazu, oder passiert das im Grunde schon längst in irgendwelchen interreligiösen Dialogforen?
"Man predigt ein bisschen zu den bereits Bekehrten"
Basedau: Erstens mal ist es natürlich kein Ansatz, den man irgendwie verurteilen sollte, denn dahinter steckt eine gute Intention, und es gibt auch die Möglichkeit, dass aus diesen interreligiösen Dialogen etwas hervorgebracht wird, das eine positive Wirkung hat. Aber es ist natürlich so, dass es schon zahlreiche interreligiöse Initiativen gibt, und wir haben einen Datensatz erstellt zu interreligiösen Dialogen und Netzwerken weltweit, und da gibt es zahlreiche in vielen Ländern. Da muss man natürlich gucken, wie die genau arbeiten, denn allein die Tatsache, dass Menschen miteinander sprechen, heißt natürlich noch nicht, dass das auch erfolgreich ist oder besonders erfolgreich ist. Dazu kommt noch, dass die Teilnehmer an solchen interreligiösen Dialogen und Netzwerken – und das gilt auch natürlich für die Initiative des Auswärtigen Amtes –, dass das die Leute sind, die eigentlich schon gar nicht mehr überzeugt werden müssen. Das heißt, man predigt ein bisschen zu den bereits Bekehrten.
Das heißt, die Leute, die eigentlich besonders problematisch sind, die sind da in der Regel nicht mit dabei. Das heißt aber nicht, dass es sinnlos ist. Zwei Punkte vielleicht hier: Das eine ist, es gibt eben diese präventive Wirkung, die später im Effekt nicht so sichtbar ist, aber trotzdem oder vielleicht besonders wichtig ist deshalb. Und zweitens, glaube ich, das betrifft besonders die Initiative des Auswärtigen Amtes, ich glaube, diese Verantwortung der Religionen muss auch ganz klar gemacht werden. Und dazu gehört auch, dass man das Konfliktpotenzial anerkennt, das in Religionen enthalten ist. Also die tendenzielle Intoleranz gegenüber anderen Religionsgemeinschaften oder auch die Möglichkeit, mit religiösen Texten hier und da Gewalt zu rechtfertigen. Oft wird von religiösen Vertretern in Konflikten, die so eine religiöse Tönung haben, wenn ich das mal so nennen darf, wird oft negiert, dass es überhaupt was mit Religion zu tun hat. Und ich glaube, man muss schon anerkennen, dass es diese Möglichkeit gibt. Das heißt nicht, dass solche Konflikte notwendigerweise in essentieller Weise nur religiös sind – solche Konflikte gibt es nicht, Konflikte haben immer mehrere Ursachen –, aber es gibt eben auch diesen Beitrag. Und ich glaube, darin liegt auch eine Chance, dass man sagt, okay, es hat auch mit Religion zu tun, und in diesem Fall müssen wir sozusagen besonders ein Gegengift entwickeln, das dem entgegenwirkt.
Weber: Das Weltfriedenstreffen jetzt in Münster und Osnabrück, fällt das nicht auch unter diese Kategorie: Wir predigen zu den bereits Bekehrten – zwar hochkarätig und wieder Vertreter aller möglicher Religionen, und auch Angela Merkel ist dabei. Aber trägt so etwas tatsächlich zum Weltfrieden bei?
Basedau: Sie deuten es ja schon an: Es ist Predigen zu den Bekehrten. Ich denke nicht, dass es schadet, und ich glaube, es geht davon auch eine präventive Wirkung aus. Was wir aber nicht erwarten sollten, sind Wunder. Also mit anderen Worten: Die Wirkung ist begrenzt, aber es ist ein guter Ansatz.
Weber: Vielen Dank, Matthias Basedau, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Hamburg und Lead Research Fellow am GIGA-Institut für Afrika-Studien.
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