Religion und Politik unter dem Sternenbanner

Seit 1630 eine Flotte von englischen Schiffen mit puritanischen Flüchtlingen Amerika erreichte, hat sich die Sicht als "God's Own Country" durchgesetzt. Der Einfluss der Religionen auf die Gesellschaft und die Politik umfasst längst alle 50 Staaten der USA. In zwölf Reportagen lässt der FAZ-Autor Matthias Rüb die vielfältigen Glaubensrichtungen Revue passieren. Und manchmal will es scheinen, als ließe er sich anstecken von der meist positiven Ausstrahlung seiner Gesprächspartner.
Wenn in den 60er, 70er Jahren über die Rolle der Religion in den USA gesprochen wurde, dann griff man gerne auf die Metapher des "Bible Belt" zurück, eines religiösen "Gürtels" von Evangelikalen, dere Einfluss sich vor allem im Süden der USA festmachen ließ und der sich von Texas bis Florida, im Nordosten bis nach Kansas, erstreckte.

Von solch einem "Korridor" ist in Matthias Rübs Untersuchung "Gott regiert Amerika" kein einziges Mal die Rede. Völlig zu Recht, denn der Einfluss der Religionen auf die Gesellschaft und die Politik umfaßt längst alle 50 Staaten der USA , von Alabama bis Wyoming, von Alaska bis Maine - wobei die protestantischen Kirchen im ganzen Land immer noch dominieren, aber schon längst im scharfen Wettbewerb mit anderen Religionen stehen.

In zwölf Reportagen lässt Matthias Rüb die vielfältigen Glaubensrichtungen in den USA Revue passieren. Meist gibt es einen "Aufhänger", einen aktuellen Anlass, der den FAZ-Reporter an den Ort des Geschehens lockt.

Die erste Reise führt ihn nach Charlotte, North Carolina. Dort erfuhr der wohl bekannteste Gottesmann Amerikas, Billy Graham, eine Ehre, die sonst nur Ex-Präsidenten vorbehalten ist: Am Fuß der Blue Ridge Mountains wurde im Frühjahr 2007 eine Billy Graham-Bibliothek eröffnet. Eine Mischung aus Museum und Kirchengebäude, gewidmet dem "lebendigen Kreuzzug" des Baptisten-Pastors, der auch in Deutschland seine Anhänger fand und dessen militanter und gerade so eloquenter Antikommunismus sich unter anderem in der Bezeichnung "Maschinengewehr Gottes" niederschlug.

Wie hoch Grahams tatsächlicher politischer Einfluß reicht, ist auch für Rüb nicht leicht festzumachen. Immerhin gab es mehrere durch die Teilnehmer selbst dokumentierte Treffen der Familie Bush und der Familie Graham, die zu einer persönlichen Bekehrung des Präsidenten führte. Billy Graham, so Bush, sei vor allem verantwortlich, dass er sich von Stund an als "born again Christian" bezeichnen konnte.

Ein reichhaltiges religiöses Leben stellt Matthias Rüb vor. Und manchmal will es scheinen, als ließe er sich anstecken von der meist positiven Ausstrahlung seiner Gesprächspartner. "You can´t argue with success" heißt ein bekanntes amerikanisches Sprichwort, und auch bei Rüb ist - bei aller sonstigen europäisch-kritischen Distanz - zu spüren, dass er beeindruckt ist von den überraschenden Erfolgen so mancher Glaubensrichtung. Und der Erfolg läßt sich messen an den Mitgliedern, die gewonnen werden.

"Im Ostküsten-Schtetl" ist seine Reportage über eine Kleinstadt im Norden des Bundesstaates New York überschrieben. Dort leben ausschließlich chassidische Juden, die singend Gott preisen und überhaupt dem freudvollen Leben nicht abhold sind - die Durchschnittsgröße einer Familie beträgt 5,8 Personen.

Auf der anderen Seite des Kontinents, in Utah, beim Besuch der riesigen Halle der Mormonenkirche in Salt Lake City, zitiert Matthias Rüb nicht unbeeindruckt die Zahlen: Im Jahre 2005 gewann die Kirche 800 Konvertiten pro Tag, das ergibt weltweit einen Mitgliederzuwachs von 300.000 Seelen. Zitat: "Ein spektakulärer Erfolg." Daneben verblassen die auch von Rüb als eher "hanebüchen" eingeschätzten historischen Erzählungen aus dem Buch Mormon und die Rigidität, der sich die - ebenfalls äußerst erfolgreichen - Studenten der Brigham Young Universität unterwerfen müssen.

Lange Zeit galt die Maxime, dass der Sieg der Moderne einhergehen würde mit einer immer weiter sich verbreitenden Säkularisierung der Gesellschaft. Wenn dies auch - cum grano salis - auf Europa zutrifft, so stellen die USA doch ein Gegenbild dar. Zunehmender Gottesglaube innerhalb einer demokratischen, aufgeklärten Gesellschaft scheint für Amerika kein Paradox zu sein.

Und die Angebote sind vielfältig - und machen sich gegenseitig Konkurrenz. Louis Farrakhan bietet allen Schwarzen, die sich von den gemäßigten Baptisten nicht mehr vertreten sehen, ein radikales Glaubensbekenntnis an, gerade so wie Obamas langjähriger Pastor. Die Katholische Kirche ist gespalten, zeigt zwei unterschiedliche Glaubensrichtungen: im Nordosten eine "liberale" Kirche, für die "abortion", Abtreibung, und "same-sex marriages" nicht länger mehr als Anathema gelten. Zum anderen im Südwesten, in Arizona und New Mexico und vor allem auch in Kalifornien existieren durch Latino-Immigranten bestimmte Gemeinden, die andere Werte als ihre Ostküstenglaubensbrüder hochhalten und deren Art der Heiligenverehrung wiederum so manchen Bischof aus Boston zum Grübeln bringt.

Daneben die Megakirchen, die den neuesten Trend verkörpern. Sie sind, so Rüb, zum Teil von aufgeschlossenen Pastoren bestimmt und graben fundamentalistischen Eiferern schon an manchem Ort das Wasser ab.

Auf der Jagd nach Stimmen für die Präsidentschaftswahl am 4. November tarieren die beiden Parteien und ihre Kandidaten genau aus, wen es wie lohnt anzusprechen. Und neben der ethnischen Herkunft und dem sozialien Status wird für eine Wahlentscheidung die Religionszugehörigkeit, die eigene und die der Kandidaten, auch weiterhin von enormer Wichtigkeit sein.

Rezensiert von Maximilian Preisler

Matthias Rüb: Gott regiert Amerika. Religion und Politik in den USA
Zsolnay-Verlag 2008
240 Seiten, 14,90 Euro