Religion und Revolution

Christen in Ägypten fühlen sich befreit

Nadia El Karsheh im Gespräch mit Kirsten Dietrich |
Die Deutsche Evangelische Gemeinde in Kairo feiert ihr 150-jähriges Bestehen. Nadia El Karsheh ist Pfarrerin dort. Im Interview erzählt sie, warum sie trotz der instabilen politischen Lage in Ägypten einen Traumjob gefunden hat.
Kirsten Dietrich: Die Lage in Ägypten ist unübersichtlich. Wieder einmal, wie schon oft in den letzten drei Jahren, seit der sogenannte Arabische Frühling auch in Ägypten Wurzeln schlug und Demonstranten die Absetzung von Präsident Mubarak forderten. Seitdem hat es viele Hoffnungen in dem Land am Nil gegeben, aber auch viele Enttäuschungen.
Das Land hat eine kurze Regierungszeit der islamistischen Muslimbrüder unter Mohammed Mursi gesehen, immer wieder Gewalt gegen Christen, das Wiedererstarken des Heeres und auch des Terrors, vor allem auf der Halbinsel Sinai. In der letzten Woche schließlich trat die Regierung zurück, eine neue bildete sich prompt und bis Mitte April muss eigentlich ein neuer Staatspräsident gewählt werden. Als aussichtsreichster Kandidat für das Amt gilt Armeechef Abdel Fattah al-Sisi. Instabile Zeiten also in Ägypten!
Es geht aber auch beständig! 150 Jahre des Bestehens, dieses Jubiläum feiert die Deutschsprachige Evangelische Gemeinde in Kairo und ganz Ägypten an diesem Wochenende. Ich habe vor der Sendung mit Nadia El Karsheh gesprochen, sie ist Pfarrerin der Gemeinde, gemeinsam mit ihrem Mann. Und ich wollte wissen, mit welcher Stimmung die Gemeinde in dieses Jubiläum geht!
Nadia El Karsheh: Na ja, wir sind erst mal natürlich sehr froh, dass wir dieses Jubiläum feiern können, 150 Jahre evangelisch in Kairo, das ist schon ein Grund zum Feiern und das werden wir auch tun. Natürlich sehen wir mit Sorge und auch mit Aufmerksamkeit auf die Situation hier. Nun ist das Kabinett auch noch zurückgetreten, ein paar Tage später gibt es dann ein neues Kabinett, das ist schon alles undurchsichtig.
Aber wir müssen sagen, dass die Stimmung insgesamt hier in der Bevölkerung eher optimistisch-positiv ist, gerade was unsere christlichen Geschwister auch hier anbelangt. Die sind alle fast komplett hinter Sisi. Und insofern sehen die das selber hier gar nicht so dramatisch, wie wir das vielleicht mit westlichen Augen tun. Wir sind, ehrlich gesagt, kritisch und auch skeptisch, was die Zukunft so bringen wird, aber hier, bei unseren christlichen Geschwistern, sehen wir eher große Erleichterung.
Dietrich: Da kommen wir bestimmt noch mal auf die Situation unter Christen in Ägypten drauf zurück. Ich würde gern erst mal zu Beginn des Gesprächs wissen, was sich dahinter eigentlich versteckt, was das für eine Gemeinde ist. Die Deutschsprachige Evangelische Gemeinde in Kairo und ganz Ägypten …
El Karsheh: Richtig.
Dietrich: Was ist das für eine Gemeinde?
El Karsheh: Das ist eine Gemeinde, wir wirklich sehr bunt gemischt ist, bestehend aus Deutschen, Österreichern, auch ein paar Schweizern, die einfach hier in Kairo, aber auch in anderen Orten, eben Hurghada, Alexandria eine Heimat gefunden haben oder die als Expats, wie man so schön sagt, auf Zeit hier sind. Ja, wir sind gar nicht mal so viele offizielle Gemeindeglieder, wir sind im Moment, glaube ich, so gut 80.
Dietrich: Das ist ja eine kleine Gemeinde.
El Karsheh: Das ist eine sehr kleine Gemeinde!. Aber die Zahl derer, die sich einfach mit uns verbunden fühlen, die zu unseren Veranstaltungen kommen, die ist doch deutlich größer. Und das sind natürlich auch nicht nur Christen. Aber die offiziell zu uns gehören, sind eben relativ wenige.
Dietrich: Und das ist wahrscheinlich, wenn ich mal zwischenfragen darf, auch so eine Sache von Heimat, oder? Also, welche Rolle spielt die Sprache, welche Rolle spielt der Glaube?
"Die ägyptischen Christen stehen fast komplett hinter Armeechef al-Sisi"
El Karsheh: Richtig, es geht natürlich um die Pflege auch der deutschen Sprache hier, dass Menschen einen Anlaufpunkt haben, an dem sie auch dann Deutsch sprechen können, Deutsch hören können, auch deutsch beten können. Ich glaube, das macht auch einen Unterschied, zum Beispiel das Vaterunser, ob man das in seiner Muttersprache betet oder in einer Fremdsprache. Es geht um kulturelle Angebote, wir haben ein ganz buntes Programm an verschiedensten Themen, Konzerte, Bilder, Installationen in unserer Kirche. Also, das ist auch etwas, was uns ausmacht als Gemeinde. Wir sind natürlich als Gemeinde auch seit mehr als 140 Jahren Trägerin der Deutschen Evangelischen Oberschule hier in Kairo, die einen sehr guten Ruf genießt und wo einfach viele ägyptische Schüler und Schülerinnen eine Heimat gefunden haben, die dadurch auch ganz viel deutsche Kultur mitbekommen und auch mit lernen. Und das Ziel ist einfach, eine wirklich fundierte Ausbildung zu erhalten und dann auch einen Abschluss zu erhalten, nämlich das deutsche Abitur, was sie befähigt, auch in Deutschland direkt dann ins Studium überzugehen.
Dietrich: Diese Schulen haben immer so ein bisschen eine zwiespältige Funktion. Sie sind eine Hilfe, sie sind ein Angebot, sie erweitern auch schulische Angebote. Andererseits ist das schon auch so ein Anziehungspunkt für Eliten und erreicht vielleicht gar nicht die Menschen in dem Land, in dem Sie sind, die so eine Schule am dringendsten nötig haben. Wie sieht die Situation in Kairo aus?
El Karsheh: Ja, das ist richtig. Wir tun mit unserer Schule nichts gegen Analphabetismus hier in diesem Land, also, die Familien, die ihre Kinder zur DEO, wie das Kürzel heißt, schicken können, das sind wirklich Familien, die sonst auch das Geld hätten, einfach ihre Kinder zu beschulen. Das ist auch ein Dilemma, wir würden auch gerne ein Stipendiumssystem aufbauen können, damit wir auch anderen Kindern, auch Kindern, die sonst keine Chance hätten, irgendwie den Zugang ermöglichen könnten. Das Problem ist, wir sind Privatschule und müssen uns finanzieren. Und das ist ein Thema, was uns in Zukunft, denke ich, auch beschäftigen wird.
Was wir aber tun können, ist, eben gerade auch bessergestellte Kinder und Jugendliche, die vielleicht auch in Zukunft Träger der Gesellschaft sind und die in der ägyptischen Gesellschaft wirklich etwas bewegen können, dass wir denen wirklich etwas mit auf den Weg geben durch diese deutsche Ausbildung, durch die Art, wie wir ihnen auch Kritikfähigkeit vermitteln, wie wir ihnen auch in der Schule demokratisches Miteinander-Umgehen beibringen. Ich glaube schon, dass das auch sehr viel für die ägyptische Gesellschaft, auch an Demokratisierung bewirken kann. Und das zeigt sich auch, in der 140-jährigen Geschichte sind so viele auch kritisch denkende Ägypter und Ägypterinnen abgegangen von unserer Schule, die wirklich jetzt auch in sehr verantwortungsvollen Positionen ihre Arbeit tun.
Dietrich: Das heißt, nicht direkte Diakonie, direkte Nächstenliebe leisten sozusagen, direkte Nächstenhilfe leisten, sondern den Gedanken an Diakonie überhaupt erst mal verankern.
"Wir sind im Moment leider eine schrumpfende Gemeinde"
El Karsheh: Zum Beispiel, genau. Das heißt aber nicht, dass wir als Kirchengemeinde nicht wirklich auch diakonisch arbeiten würden. Wir unterstützen eine Vielzahl von Projekten, auch natürlich an Schulprojekten, die wirklich dann arme Kinder, auch Kinder der Ärmsten erreichen, das ist uns auch ganz wichtig.
Dietrich: Ist das eigentlich eine wachsende Gemeinde oder eine schrumpfende Gemeinde?
El Karsheh: Wir sind im Moment leider eine schrumpfende Gemeinde. Das hängt natürlich sehr eng mit den ganzen politischen Umwandlungen zusammen, die wir in den letzten Jahren miterlebt haben. Das hat schon viele Menschen auch verschreckt, es hat auch Firmen dazu bewogen, ihre Arbeitskräfte abzuziehen oder auch zum Beispiel nur noch Singles zu schicken und nicht, wie früher noch, Familien, die auch das Profil unserer Gemeinde sehr ausgemacht haben. Wir haben auch Schwierigkeiten, an der DEO deutsche Lehrkräfte zu gewinnen, was eigentlich sehr schade ist, weil es schon ein tolles Arbeitsfeld ist. Also, insofern werden natürlich auch die Menschen, die dann zu uns kommen als Gemeindeglieder, weniger.
Dietrich: Das heißt, in Ihrer Gemeinde spiegeln sich direkt die Folgen der Umwandlung in Ägypten seit dem Jahr 2011, seit den Demonstrationen am Tahrir-Platz?
El Karsheh: Das kann an schon auch so sehen, ja. Also, die Abschiede werden noch mehr, als es sowieso normal ist in so einer Auslandsgemeinde. Fluktuation ist natürlich immer so ein Thema in solchen Gemeinden, aber dass wirklich Menschen verstärkt überlegen, können sie hier bleiben, können sie hier weiter arbeiten, oder dass Firmen wirklich ihre Leute zurückziehen, das ist schon ein direkter Spiegel der Situation.
Dietrich: Was hat Sie daran gereizt, genau in diese Gemeinde zu gehen und dort als Pfarrerin zu arbeiten?
El Karsheh: Ja, Kairo ist schon bei aller Schwierigkeit, die diese Stadt auch mit sich bringt, ist schon ein sehr interessantes Zentrum arabischer und islamischer Kultur. Und ich bin Halbaraberin, mein Vater ist christlicher Palästinenser, von daher war es für mich schon immer ein Traum, im arabischsprachigen Ausland leben und arbeiten zu können. Ich habe einen Mann gefunden, der das auch so sieht, und das ist ein großer Glücksfall. Und so haben wir uns, sobald wir konnten, beworben auf diese Stelle und sind prompt genommen worden und sind jetzt seit einem guten Jahr hier tätig und sind immer noch sehr glücklich über diese Entscheidung. Und auch unsere beiden Kinder fühlen sich hier sehr wohl.
Dietrich: Sie haben eben schon die christlichen Mitgeschwister erwähnt. Ägypten ist eigentlich das muslimisch geprägte Land mit der größten christlichen Minderheit, so um die zehn Prozent schätzt man, die Zahlen schwanken ein bisschen. Die meisten von ihnen sind koptische Christen und deren Situation wird ja in der Tat zunehmend prekär. Also, man liest immer wieder, man hört immer wieder von Gemeinden, von Kirchen, die von Ausschreitungen betroffen sind. Wie gehen Sie als Gemeinde damit um, wie weit betrifft Sie das dann überhaupt als deutschsprachige, protestantische Gemeinde?
El Karsheh: Na ja, man muss schon sagen, dass seit der Absetzung von Mursi und den dann folgenden schrecklichen Ausschreitungen und Übergriffen auf christliche Kirchen im ganzen Land, dass es seitdem relativ ruhig geworden ist um die Christen und Christinnen im Land, und dass die sich wirklich befreit fühlen. Ich habe neulich mit einer Christin hier gesprochen und die sagte: Wir sind von einem Teufel befreit worden! Also, so wird es hier doch als große Befreiung und Erleichterung, gar so eine Art Erlösung erlebt.
Dietrich: Mit solchen harschen Worten reagiert man dort auf die kurze Regierungszeit der Muslimbruderschaft?
El Karsheh: Das ist schon sehr krass. Und ich weiß nicht genau, woran es liegt, ob es wirklich alles so begründet ist oder ob da auch ein großer Teil Propaganda mit im Hintergrund steht, auf jeden Fall ist ein Großteil der Christen und Christinnen im Moment einfach nur hinter Sisi und wahnsinnig erleichtert. Und insofern sagen die jetzt auch: Wir haben keine Angst mehr. Wir haben so viel jetzt erlebt in der Vorzeit und jetzt haben wir alles durchlebt und jetzt haben wir keine Angst mehr. Das muss ich erst mal zur Kenntnis nehmen als ja auch Christin hier im Land, auch wenn ich anderes vielleicht kritischer sehe. Die neue Verfassung sichert ihnen auch Rechte zu, wie sie bisher noch nie zugesichert wurden. Und auch das empfinden sie als großes Geschenk und als großen Erfolg.
Dietrich: Gibt es eine Zusammenarbeit unter den Christen der verschiedenen Konfessionen und Denominationen?
Islamisch-christlicher Religionsunterricht im Tandem
El Karsheh: Ja, es gibt ein ganz schönes Projekt, es gibt einen ökumenischen Mittagstisch im Grunde. Einmal im Monat lädt der Bischof der koptisch-anglikanischen Kirche ein zum Mittagessen und da kommen dann Vertreter von verschiedensten Kirchen aus Kairo, und wir als Auslandsgemeinde sind sogar auch dazu eingeladen, das ist schon sehr interessant. Und dann haben wir den großen Glücksfall, dass uns eine koptisch-evangelische Kirche unter ihre Fittiche genommen hat, nämlich die Presbyterianer, die haben uns als Ehrengäste auf ihrer Nil-Synode fest mit eingeplant. Und da durfte ich neulich zum Beispiel referieren über das Thema Frauenordination, meine Erfahrung als ordinierte Pastorin. Denn diese Kirche ist gerade wirklich im Diskussionsprozess und wird Ende April abstimmen darüber, ob sie Frauen ordinieren wollen oder nicht. Und ich wurde dort gehört. Also, es ist eine sehr enge Zusammenarbeit, sehr schön.
Dietrich: Gibt es eine Zusammenarbeit auch mit den Muslimen, mit Moscheegemeinden oder Ähnlichem?
El Karsheh: Das gibt es auch, also, es gibt das vor allem an der Schule. Da haben wir das großartige Projekt des kooperativen Religionsunterrichts. Das bedeutet so viel, dass die Oberstufenklassen gemeinsam Religionsunterricht haben, und zwar nicht nur interkonfessionellen Unterricht der Christen, sondern eben islamisch-christlichen Religionsunterricht. Das funktioniert so, dass immer ein Tandem unterrichtet und immer ein muslimischer Religionslehrer und ein christlicher Religionslehrer zusammenarbeiten. Dann guckt man eben auf die verschiedenen theologischen Themen von verschiedenen Seiten. Und das ist sehr spannend.
Dietrich: Das ist wahrscheinlich ein Projekt mit Zukunftscharakter, auch für Deutschland!
El Karsheh: Das hoffe ich sehr! Jedenfalls hat es Zukunftscharakter, solange noch Christen hier im Land sind und solange wir dann auch noch wirklich viele Christen auf unserer Schule haben.
Dietrich: Denken Sie, es wird eine Zeit kommen, wo es keine Christen mehr in Ägypten gibt?
El Karsheh: Das denke ich nicht, nein. Das ist eigentlich völlig unmöglich. Also, die Christen gehören hier einfach so fest zur Gesellschaft, die sind Ägypter und Ägypterinnen und fühlen sich auch so. Und die meisten wollen das Land nicht verlassen. Allerdings ist es so, dass viele eben wiederum auch keine andere Möglichkeit sehen, als zum Beispiel nach Kanada oder nach Amerika oder wo auch immer hin auszuwandern. Aber das liegt mehr an der finanziellen, wirtschaftlichen Seite, als dass sie sich besonders bedroht fühlten als Christen.
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