Kein Gott neben Kim
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In Nordkorea wird die freie Glaubensausübung massiv unterdrückt. An die Stelle der Religionen trat das Juche, eine Staatsideologie. Geflohene Nordkoreaner berichten über Verfolgung und Folter.
"In der Verfassung des Landes steht, jeder Nordkoreaner könne seine Religion frei wählen", sagt der amerikanische Missionar Kenneth Bae. "Aber die Realität sieht ganz anders aus: Es gibt nur die Juche-Ideologie und die Verehrung der politischen Führer. Und das haben die Nordkoreaner internalisiert." Bae selbst saß in Nordkorea für zwei Jahre im Gefängnis. Nur durch intensive Bemühungen der amerikanischen Regierung kam der Christ 2014 vorzeitig frei. Ursprünglich lautete das Urteil auf 15 Jahre Zwangsarbeit.
Keine Angst vor Atomwaffen – aber vor Missionaren
"Als ich mich in Nordkorea aufhielt, habe ich einige der Menschen dort dazu ermuntert zu beten", erklärt Bae. "Daraufhin klagte man mich an, ich wolle die Regierung stürzen. Ich habe gefragt: Wie soll das möglich sein? Einzig durch die Verehrung Gottes, nur durch Beten? - Zuerst haben wir einen Christen, dann hundert und schließlich zehntausend Christen, das war ihre Antwort. Sie fürchten sich nicht vor Atomwaffen. Aber wenn Missionare kommen und ihren Glauben verbreiten, dann ist das Juche in Gefahr. Deshalb kann die Führung keine andere Religion tolerieren."
Seit Mitte der 1950er-Jahre ist Juche die Staatsideologie im kommunistischen Nordkorea. Die von Staatsgründer Kim Il-sung entworfene Ideologie bestimmt seitdem das spirituelle wie das weltliche Leben des Landes. Mit dem Juche entstand auch ein Personenkult um den Staatsgründer und seinen Sohn Kim Jong-il. Überall in der Öffentlichkeit sieht man Bilder der beiden. Auch in Privathaushalten hängen ihre Porträts. In Juche-Schreinen werden die verstorbenen Staatsführer wie Heilige verehrt.
Tempel und Kirche als Museen einer überholten Kultur
"Vor einhundert Jahren galt Pjöngjang als das Jerusalem des Fernen Ostens", sagt Kenneth Bae. "In der Stadt gab es unzählige Kirchen, im ganzen Land waren es über dreitausend. In keiner anderen asiatischen Metropole lebten damals mehr Christen als in Pjöngjang. Das hat sich seit der Machtübernahme durch die Kommunisten nachhaltig verändert. Heute existieren nur noch zwei Kirchen in Pjöngjang – und beide unterliegen der staatlichen Kontrolle."
Fast alle Tempel und Kirchen sind mittlerweile geschlossen, einige hat man in Museen verwandelt. Das Regime hat die Gebäude zu Denkmälern einer überholten Kultur erklärt. "Nordkoreaner, die sich als Christen oder Buddhisten zu erkennen geben, begehen ein Schwerverbrechen", sagt Bae. "Sie landen im Gefängnis, manche werden sogar hingerichtet. Und nicht nur der Einzelne, sondern die ganze Familie wird ausgelöscht. Ein Exempel wird statuiert. Niemand soll es wagen, sich zu einer Religion zu bekennen. Wer es dennoch öffentlich tut, der ist eines Tages einfach verschwunden."
Kim Il-sung als einziger Gott
Ji Song Ho ist der Vorsitzende einer Menschenrechtsorganisation, die sich um nordkoreanische Flüchtlinge kümmert. "Ausnahmslos alle Religionen werden in Nordkorea unterdrückt", sagt Ji. "Ich hatte schon mal einen Fluchtversuch unternommen und war dann einige Zeit in China gewesen, wo ich in Kontakt mit Christen und ihren religiösen Überzeugungen kam. Nachdem man mich in China aufgegriffen und nach Nordkorea zurückgebracht hatte, hielt ich insgeheim an diesem Glauben fest. Zugleich tat ich nach außen hin weiter so, als gäbe es für mich nur einen Gott: Kim Il-sung."
Als wieder einmal eine schwere Hungersnot in Nordkorea drohte und bereits einige seiner Nachbarn gestorben waren, flüchtete auch der 30-jährige Jang Chon. Die Flucht nach Südkorea gelang ihm allerdings erst im zweiten Anlauf. "Bei meinen ersten Fluchtversuch habe ich mir gesagt: Wenn ich es schaffe, prima - wenn nicht, auch okay", erinnert sich Jang. "Aber als man mich geschnappt hat und ich verhört wurde, musste ich die dunkle Seite Nordkoreas kennenlernen. Ich wurde gefoltert. Und da wurde mir klar, dass ich in Nordkorea nicht mehr leben konnte."
Flucht in den Süden: "Man schaut hier auf uns herab"
Obwohl Nord- und Südkoreaner dieselbe Sprache sprechen, erkennt man die Flüchtlinge an ihrem typischen Dialekt. "Man schaut hier auf uns herab", sagt der Student Han Yong. "Deshalb ziehen es viele der aus dem Norden stammenden Studenten vor, ihre Herkunft zu verschweigen. Um nicht aufzufliegen, nehmen viele an einigen Uni-Aktivitäten erst gar nicht erst teil. Und immer wieder gibt es Journalisten, die Flüchtlinge aus Nordkorea als schlechte Menschen darstellen."
Auch sein Studienkollege Kim Kon Un kennt die Schwierigkeiten, die Nordkoreaner hier im Süden haben. Aber in einem Punkt gibt es für ihn keinen Zweifel: "Zurück nach Nordkorea? Auf gar keinen Fall! Und meine Eltern hassen Nordkorea. In mein Heimatland zurückzukehren, das wäre so, als würde ich mir mein eigenes Grab schaufeln."