Religion und Toleranz

Werkzeug gegen den Machbarkeitswahn

Zu sehen sind Kinder, die in einer Kupfermine arbeiten. Sie stehen bis zu den Knien im Schlamm.
Kinderarbeiter in der Republik Kongo © AFP / Gwenn Dubourthoumieu
Von Knut Berner · 05.12.2014
Gemeinsam mit Vertretern der Weltreligionen hat sich Papst Franziskus in einer Initiative für den Kampf gegen die moderne Sklaverei ausgesprochen. Nach Einschätzung des Theologen Knut Berner auch religionsgeschichtlich ein konsequenter Schritt.
Es gehört zu den beliebten rhetorischen Strategien, dass jemand sich selber als aufgeklärt und modern bezeichnet, seine Gegner hingegen als rückständig und vormodern. Nur zu gerne wird in gegenwärtigen Debatten von den nicht immer gebildeten Verächtern der Religion der uralte Vorwurf wiederholt: Religion ist anti-aufklärerisch.
Nichts scheint offensichtlicher, blickt man auf krude Terrorgruppen, die mit zerstörerischen Mitteln einen Gottesstaat errichten möchten, auf die Missachtung von Frauenrechten im Namen des Islam oder auf Heiligsprechungen und Priesterzölibat.
Jedoch: Aufklärung ist ein zentrales Anliegen in den monotheistischen Religionen.
Schon im Alten Testament wird herausgestellt, die Gläubigen sollen sich nicht an irgendwelche selbstgemachten Götter hängen, sondern dem einen befreienden Gott anhängen und seine Transzendenz wahren, indem sie sich von ihm kein Bild machen.
Damit wird die Selbstkritik der Religionen befürwortet, Gottes Wesen ist nicht zu verwechseln mit menschlichen Gottesvorstellungen. Das zielt auch gegen moderne Götter, die pseudoreligiösen Verabsolutierungen von Nationalismus, Gesundheit, Fitness und Kapitalismus. Obama oder Putin sind ebenso wenig Heilsbringer wie Heidi Klum oder vergötterte Fussballspieler, von denen so manche vermeintlich Aufgeklärte erlösende Worte oder Tore erwarten.
Absage an einen Mythos
Insbesondere der Protestantismus hat sich der Aufklärung verschrieben, indem er die Bedeutung des Individuums unterstreicht und im Sinne Immanuel Kants auf Befreiung des Menschen aus selbstverschuldeter Unmündigkeit abzielt.
In der Reformationszeit wurde klar verneint, dass es zwischen Gott und Mensch vermittelnder klerikaler Instanzen wie Priester oder Päpste bedarf. Durch die Bibelübersetzung wurde jeder und jede in die Lage versetzt, selber zu lesen, über die Schrift nachzudenken und urteilsfähig zu werden in Sachen des Glaubens.
Mit der Aufklärung teilt der Protestantismus auch die Absage an den Mythos, dem zufolge allein das empirisch Zugängliche Überzeugungskraft hat:
Freiheit etwa ist nicht theoretisch beweisbar, da immer Bedingungen gefunden werden können, die Menschen determinieren. Dennoch unterstellen wir diese Freiheit im alltäglichen Leben, sonst müssten sofort alle Verurteilten aus dem Gefängnis entlassen werden.
Klarheit über die Fehlbarkeit und die Begrenztheit des Menschen
Religion ist kein einheitliches Phänomen und es gibt Fehlformen, weshalb Kritik da angebracht ist, wo aus autoritär-intoleranten Glaubensüberzeugungen eine Bevormundung Andersdenkender oder sogar ein Recht auf destruktive Handlungen abgeleitet werden.
Aufklärung dient der Entzauberung der Welt, sie hat allerdings auch eine Kehrseite, die von den Philosophen Horkheimer und Adorno benannt wurde: Der aufgeklärte Mensch herrscht zwar über die entgötterte Welt, entfremdet sich aber von ihr, wenn alle Dinge versachlicht werden und nur noch unter dem Aspekt der Beherrschbarkeit erscheinen.
Religion in ihrer besten Ausprägung widersetzt sich dem Machbarkeitswahn, indem sie an die Fehlbarkeit und Begrenztheit des Menschen erinnert. Und daran, dass er als Individuum von Gott dazu befreit ist, Ungewissheiten aushalten zu können und keine letzten Antworten auf Lebensprobleme geben zu müssen.
Selber denken, das Programm der Aufklärung, wird von Religion dann unterstützt, wenn sie dazu anleitet, Ideologien kritisch zu betrachten und vom ersten Gebot her falsche Herrschaftsansprüche zu entzaubern. Weil Unmündigkeit bequem und Utopie-resistent ist, bleibt dies eine weltliche und religiöse Herausforderung.
Knut Berner, geboren 1964 in Wuppertal, studierte evangelische Theologie in Bonn und Heidelberg. Anschließend wurde er in Wuppertal zum Pfarrer ausgebildet, promovierte und habilitierte sich an der Ruhr-Universität Bochum. Knut Berner ist stellvertretender Leiter des Evangelischen Studienwerks Villigst. Außerdem lehrt er als Professor Systematische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum.
Knut Berner, Professor für Systematische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum.
Knut Berner, Professor für Systematische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum.© privat
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