Religion, Wahrheit und Macht
Wenn die christliche Religion in der Zukunft mehr sein will als nur ein Bestandteil von Events wie Hochzeiten, Taufen oder Konfirmationen, dann stellt sich die Frage, welche Bedingungen notwendig sind, um Religion vom Rand in die Mitte der Gesellschaft zu rücken und ihr wieder einen Platz in aktuellen Diskussionen einzuräumen. Richard Rorty geht bei seinen Überlegungen von der Geschichte der Religion aus, Gianni Vattimo beschäftigt sich mit der Neudefinition von Begriffen wie Wahrheit und Macht.
"Ich werde immer religiöser und entwickle, was viele Menschen einen Glauben an Gott nennen würden, aber ich bin mir nicht sicher, ob der Begriff Glaube das, was ich meine, richtig beschreibt."
So argumentiert der Philosoph Richard Rorty. Seiner Ansicht nach, wird Glaube meistens mit Wörtern wie Gefühl, Verstehen oder Intuition in Zusammenhang gebracht und gehört in unserer Kultur weitestgehend in den privaten Bereich. Rorty interessiert sich weniger für subjektives Erleben. Ihm geht es in seinen Schriften darum, die Geschichte der christlichen Religion zu erkunden, um herauszufinden, wieso diese im Laufe der Jahrhunderte an Einfluss verloren hat.
"Der im 18. und 19. Jahrhundert ausgetragene Kampf zwischen Religion und Wissenschaft war ein Wettstreit zwischen Institutionen, die beide die kulturelle Vormachtstellung beanspruchten."
Durchgesetzt hat sich damals die Wissenschaft. Denn wissenschaftliche Thesen lassen sich beweisen. Wer aber kann die Existenz eines Gottes bezeugen? Im Zeitalter der Aufklärung zählte das Sichtbare, das Messbare. Alles, was nicht objektiv nachweisbar war, wurde in den Bereich des Privaten gedrängt.
Es ist vor allem jenes Denken in Gegensätzen, das Rorty verwirft. Mit der Unterscheidung zwischen Schein und Wirklichkeit komme man heute nicht mehr weit und habe keine gute Grundlage zur Teilnahme an den Diskussionen der Gegenwart. Rorty fordert, sich von den Wahrnehmungen und Fragen vergangener Jahrhunderte zu lösen und nach einer neuen Basis zu suchen.
"(...) kann die Religion ihre Rolle (...) wieder aufnehmen, kann sie erneut neben Wissenschaft und Politik ihren Platz in der modernen Welt einnehmen, ohne länger nach dem Absoluten zu streben?"
Das Absolute, Wahrheit, Macht. Dies sind Begriffe, mit denen sich der italienische Philosoph Gianni Vattimo auseinandersetzt. Vattimo hat eine Philosophie entwickelt, die er Schwaches Denken nennt. Gemeint ist damit, dass er große Begriffe in ihren Bedeutungen schwächt. Zwar verwendet er Wörter wie Wahrheit oder Macht gelegentlich in seinen Essays, aber sie erhalten bei ihm keinen höheren Stellenwert als andere, modernere Wörter.
"Diese neue, schwache Weise des Denkens eröffnet nicht nur alternative Perspektiven, sie rettet auch die Tradition. Das Verhältnis zwischen dem Gläubigen und Gott begreift sie nicht als eines der Macht, sondern als ein sanfteres Verhältnis, in dem Gott seine ganze Macht dem Menschen überträgt."
Vattimo verwirft den Gedanken, dass es etwas außerhalb der Welt gäbe, an dem sich die Menschen zu messen hätten. Nicht der Glaube an einen allmächtigen Gott sei entscheidend, sondern der Glaube an die Möglichkeit menschlicher Fähigkeiten. Vattimo plädiert dafür, die Geschichte der Religion zu akzeptieren, aber gleichzeitig geht es in seiner Philosophie des schwachen Denkens darum, Wörter aus der Religionsgeschichte neu zu definieren, ihnen der aktuellen Zeit angepasste Bedeutungen zu geben. Sie sollen so der Erfahrung heutiger Realität entsprechen.
"Am Ende besteht das Ziel nicht mehr in der Erkenntnis der Wahrheit, sondern in einem Gespräch, in dem man mit jedem Argument gleichermaßen berechtigt ist, ohne Rückgriff auf irgendeine Autorität um Zustimmung zu werben."
An die Stelle von Macht hat Vattimo andere Werte gesetzt. Denn Religion soll nicht von Angst, Gewalt oder Aberglaube korrumpiert werden. Für ihn gibt es weder eine allgemeingültige Wahrheit noch objektive Tatsachen. Das Ziel von Religion ist nach Vattimos Auffassung der Dialog. Wörter wie Hören, Zuhören, Erfahrung prägen seine Schriften. Dabei macht er auch klar, dass dieses neue Denken noch nicht in den Institutionen angekommen ist.
"Die Aufgabe der Zukunft wird sein, die Kirche davon zu überzeugen, dass Nächstenliebe an die Stelle von Disziplin treten muss."
Sowohl Gianni Vattimo als auch Richard Rorty fordern, neue Ideen zur Religion aus der Realität der Gegenwart abzuleiten. Beide arbeiten aber auch mit Wörtern aus der Bibel, die sie in neue Zusammenhänge setzen. Nächstenliebe ist eins der Wörter, das beide Philosophen durchaus noch zeitgemäß finden.
"Die bedeutende Rolle von Begriffen wie Kommunikation, Globalisierung, Dialog, Konsens, Interpretation, Demokratie und Nächstenliebe in unserer gegenwärtigen Kultur ist kein Zufall, sondern zeigt eine Bewegung des modernen Denkens dahingehend an, Wahrheit eher als Nächstenliebe denn als Objektivität zu begreifen."
Vattimo wie auch Rorty fordern, dass Religion mehr sein müsse als die Befriedigung emotionaler Bedürfnisse. Sie wollen der Religion wieder einen größeren Platz in der Welt einräumen, damit diese zu wichtigen Fragen wie Emanzipation oder Bioethik in zeitgemäßer Form Stellung nehmen kann. Deshalb fordern sie einen Glauben ohne Verbote und ohne ein Bild von Gott. Nur so könne die christliche Religion in einen sinnvollen Dialog mit anderen Weltreligionen treten.
Rorty geht sogar noch einen Schritt weiter als Vattimo und entwirft am Ende seiner Abhandlung eine weit in die Ferne reichende Zukunftshoffnung:
"Mein Gefühl für das Heilige, soweit ich eines habe, ist an die Hoffnung geknüpft, dass eines Tages, vielleicht schon in diesem oder im nächsten Jahrtausend, meine fernen Nachfahren in einer globalen Zivilisation leben werden, in der Liebe so ziemlich das einzige Gesetz ist. In einer solchen Gesellschaft wäre die Kommunikation herrschaftsfrei, Klassen und Kasten wären unbekannt, Hierarchien zweckmäßige Einrichtungen auf Zeit, und Macht läge allein in der Verfügungsgewalt einer frei übereinkommenden, belesenen und gebildeten Wählerschaft."
Besprochen von Ute-Christine Krupp
Richard Rorty/Gianni Vattimo: Die Zukunft der Religion
Herausgegeben von Santiago Zabala
Übersetzt von Michael Adrian und Nora Fröhder
Verlag der Weltreligionen, Frankfurt 2009
114 Seiten, 10 Euro
So argumentiert der Philosoph Richard Rorty. Seiner Ansicht nach, wird Glaube meistens mit Wörtern wie Gefühl, Verstehen oder Intuition in Zusammenhang gebracht und gehört in unserer Kultur weitestgehend in den privaten Bereich. Rorty interessiert sich weniger für subjektives Erleben. Ihm geht es in seinen Schriften darum, die Geschichte der christlichen Religion zu erkunden, um herauszufinden, wieso diese im Laufe der Jahrhunderte an Einfluss verloren hat.
"Der im 18. und 19. Jahrhundert ausgetragene Kampf zwischen Religion und Wissenschaft war ein Wettstreit zwischen Institutionen, die beide die kulturelle Vormachtstellung beanspruchten."
Durchgesetzt hat sich damals die Wissenschaft. Denn wissenschaftliche Thesen lassen sich beweisen. Wer aber kann die Existenz eines Gottes bezeugen? Im Zeitalter der Aufklärung zählte das Sichtbare, das Messbare. Alles, was nicht objektiv nachweisbar war, wurde in den Bereich des Privaten gedrängt.
Es ist vor allem jenes Denken in Gegensätzen, das Rorty verwirft. Mit der Unterscheidung zwischen Schein und Wirklichkeit komme man heute nicht mehr weit und habe keine gute Grundlage zur Teilnahme an den Diskussionen der Gegenwart. Rorty fordert, sich von den Wahrnehmungen und Fragen vergangener Jahrhunderte zu lösen und nach einer neuen Basis zu suchen.
"(...) kann die Religion ihre Rolle (...) wieder aufnehmen, kann sie erneut neben Wissenschaft und Politik ihren Platz in der modernen Welt einnehmen, ohne länger nach dem Absoluten zu streben?"
Das Absolute, Wahrheit, Macht. Dies sind Begriffe, mit denen sich der italienische Philosoph Gianni Vattimo auseinandersetzt. Vattimo hat eine Philosophie entwickelt, die er Schwaches Denken nennt. Gemeint ist damit, dass er große Begriffe in ihren Bedeutungen schwächt. Zwar verwendet er Wörter wie Wahrheit oder Macht gelegentlich in seinen Essays, aber sie erhalten bei ihm keinen höheren Stellenwert als andere, modernere Wörter.
"Diese neue, schwache Weise des Denkens eröffnet nicht nur alternative Perspektiven, sie rettet auch die Tradition. Das Verhältnis zwischen dem Gläubigen und Gott begreift sie nicht als eines der Macht, sondern als ein sanfteres Verhältnis, in dem Gott seine ganze Macht dem Menschen überträgt."
Vattimo verwirft den Gedanken, dass es etwas außerhalb der Welt gäbe, an dem sich die Menschen zu messen hätten. Nicht der Glaube an einen allmächtigen Gott sei entscheidend, sondern der Glaube an die Möglichkeit menschlicher Fähigkeiten. Vattimo plädiert dafür, die Geschichte der Religion zu akzeptieren, aber gleichzeitig geht es in seiner Philosophie des schwachen Denkens darum, Wörter aus der Religionsgeschichte neu zu definieren, ihnen der aktuellen Zeit angepasste Bedeutungen zu geben. Sie sollen so der Erfahrung heutiger Realität entsprechen.
"Am Ende besteht das Ziel nicht mehr in der Erkenntnis der Wahrheit, sondern in einem Gespräch, in dem man mit jedem Argument gleichermaßen berechtigt ist, ohne Rückgriff auf irgendeine Autorität um Zustimmung zu werben."
An die Stelle von Macht hat Vattimo andere Werte gesetzt. Denn Religion soll nicht von Angst, Gewalt oder Aberglaube korrumpiert werden. Für ihn gibt es weder eine allgemeingültige Wahrheit noch objektive Tatsachen. Das Ziel von Religion ist nach Vattimos Auffassung der Dialog. Wörter wie Hören, Zuhören, Erfahrung prägen seine Schriften. Dabei macht er auch klar, dass dieses neue Denken noch nicht in den Institutionen angekommen ist.
"Die Aufgabe der Zukunft wird sein, die Kirche davon zu überzeugen, dass Nächstenliebe an die Stelle von Disziplin treten muss."
Sowohl Gianni Vattimo als auch Richard Rorty fordern, neue Ideen zur Religion aus der Realität der Gegenwart abzuleiten. Beide arbeiten aber auch mit Wörtern aus der Bibel, die sie in neue Zusammenhänge setzen. Nächstenliebe ist eins der Wörter, das beide Philosophen durchaus noch zeitgemäß finden.
"Die bedeutende Rolle von Begriffen wie Kommunikation, Globalisierung, Dialog, Konsens, Interpretation, Demokratie und Nächstenliebe in unserer gegenwärtigen Kultur ist kein Zufall, sondern zeigt eine Bewegung des modernen Denkens dahingehend an, Wahrheit eher als Nächstenliebe denn als Objektivität zu begreifen."
Vattimo wie auch Rorty fordern, dass Religion mehr sein müsse als die Befriedigung emotionaler Bedürfnisse. Sie wollen der Religion wieder einen größeren Platz in der Welt einräumen, damit diese zu wichtigen Fragen wie Emanzipation oder Bioethik in zeitgemäßer Form Stellung nehmen kann. Deshalb fordern sie einen Glauben ohne Verbote und ohne ein Bild von Gott. Nur so könne die christliche Religion in einen sinnvollen Dialog mit anderen Weltreligionen treten.
Rorty geht sogar noch einen Schritt weiter als Vattimo und entwirft am Ende seiner Abhandlung eine weit in die Ferne reichende Zukunftshoffnung:
"Mein Gefühl für das Heilige, soweit ich eines habe, ist an die Hoffnung geknüpft, dass eines Tages, vielleicht schon in diesem oder im nächsten Jahrtausend, meine fernen Nachfahren in einer globalen Zivilisation leben werden, in der Liebe so ziemlich das einzige Gesetz ist. In einer solchen Gesellschaft wäre die Kommunikation herrschaftsfrei, Klassen und Kasten wären unbekannt, Hierarchien zweckmäßige Einrichtungen auf Zeit, und Macht läge allein in der Verfügungsgewalt einer frei übereinkommenden, belesenen und gebildeten Wählerschaft."
Besprochen von Ute-Christine Krupp
Richard Rorty/Gianni Vattimo: Die Zukunft der Religion
Herausgegeben von Santiago Zabala
Übersetzt von Michael Adrian und Nora Fröhder
Verlag der Weltreligionen, Frankfurt 2009
114 Seiten, 10 Euro