Uwe Bork, geboren 1951 im niedersächsischen Verden (Aller), studierte an der Universität Göttingen Soziologie, Wirtschafts- und Sozialpolitik, Verfassungsgeschichte, Pädagogik und Publizistik. Bork arbeitete als freier Journalist für verschiedene Zeitungen, Zeitschriften und ARD-Anstalten. Seit 1998 leitet er die Stuttgarter Fernsehredaktion "Religion, Kirche und Gesellschaft" des SWR. Für seine Arbeiten wurde er mit dem Caritas-Journalistenpreis sowie zweimal mit dem Deutschen Journalistenpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet.
Pfingstliche Feuerzungen wären hilfreich
Die angebliche Renaissance von Religionen spürt der Publizist Uwe Bork nicht. Eher schon vermisst er religiöse Bildung gepaart mit Vernunft, die beide als Korrektiv von Naivität oder Machbarkeitswahn hilfreich sein könnten.
Also, wenn Sie mich fragen: Nachhaltig geht anders. Da sandte der christliche Herrgott einst spektakulär Feuerzungen aus dem Himmel herab, die sich über den Jüngern seines Sohnes niederließen, so dass alle "mit dem Heiligen Geist erfüllt wurden und begannen, in fremden Sprachen zu reden."
Nach der Apostelgeschichte ließ er damit jene Geburtsstunde der Kirche schlagen, die uns Heutigen unter "Pfingsten" bekannt ist. Wenn – und da kommt eben die fehlende Nachhaltigkeit ins Spiel – wenn, ja, wenn Pfingsten uns Heutigen denn überhaupt noch ein Begriff ist.
Mit Pfingsten weiß der Abendländer nichts anzufangen
Da weder in großem Maßstab Geschenke verteilt werden, noch hinter jedem zweiten Busch bunte Eier zu entdecken sind, ist das Fest weitgehend zu einem Intellektuellen-Event geworden, mit dem die Mehrheit der christlichen Abendländler nichts mehr anzufangen weiß. Seien wir ehrlich: Für die meisten von uns ist ein arbeitsfreier Tag heute doch wesentlich wichtiger als ein paar feurige Zungen vor zweitausend Jahren.
Und das ist eben die Crux: Das Wissen über Religion ist gering geworden in unseren Breiten, nicht nur, was Flammen vom Himmel angeht. Dem widerspricht auch nicht, dass Parteien in ganz Europa sich augenscheinlich aufgerufen fühlen, ein vermeintlich christliches Abendland gegen ebenso vermeintliche Angriffe aus einem nicht-christlichen Morgenland zu verteidigen.
Ich vermute, dass sogar unter den selbsternannten Patrioten, die unter den sechs Buchstaben der Anti-Islamisierung Woche für Woche auf die Straße gehen, die Zahl religiöser Analphabeten sehr groß ist. Dass etwa ausgerechnet in der Pegida-Geburtsstadt Dresden der Anteil der evangelischen Christen zwischen 1949 und 1989 von 85% auf nur noch 22% zurückging, spricht zumindest nicht für übergroßes Engagement in Fragen des Glaubens.
Renaissance der Religion scheitert am Wissen
Auch auf der anderen Seite, bei denen, die sich statt auf die Bibel auf den Koran berufen, scheint es mit der Kenntnis des eigenen heiligen Buches häufig nicht so sehr weit her zu sein.
Die Essenz eines Glaubens geht nun einmal verloren, wenn sie in erster Linie auf Speise- oder Bekleidungsvorschriften reduziert wird. Und sie liegt schon gar nicht in der widerwärtigen Praxis, Menschen zu köpfen, zu erschießen oder wahllos ins Jenseits zu bomben.
Allen Parolen zum Trotz: Von einer Renaissance der Religionen zu reden, dafür gibt es gegenwärtig keinen Anlass. Jedenfalls dann nicht, wenn man Glauben als eine Anschauung unserer Welt betrachtet, die ernsthaft nach einem Sinn des Lebens fragt, der jenseits des Erfahrbaren liegt. Doch diese Wissbegier scheint weitgehend erloschen zu sein.
Für die einen sind Religionen zu einer Art frommer Wellness-Lieferanten geworden, die ohne große Ansprüche an das Denken vor allem den Körper bedienen, für die anderen bieten sie ein fundamentales Regelwerk, das ebenfalls kein selbständiges Denken mehr verlangt. Nur, dass sich mit ihm zum – auch ökonomischen - Wohl Weniger zusätzlich ganze Völker knechten lassen.
Glaube und Vernunft böten sich als Korrektiv an
Und dennoch: Glaube und Vernunft, Ratio und Religion, das widerspricht sich nicht. Im Gegenteil: Der Glaube bedarf geradezu der Vernunft als Korrektiv gegen Naivität und Missbrauch. Die Wissenschaft andererseits könnte durch den Gedanken an die Möglichkeit eines Jenseits vor krudem Machbarkeitswahn bewahrt werden.
Eine Renaissance von Religionen, die das selbständige Denken befördern und nicht einschränken, eine solche Renaissance - wenn es sie denn gäbe - könnte insofern durchaus positiv wirken.
Glauben heißt nicht wissen. Das stimmt schon. Glauben heißt aber eben auch noch lange nicht, den eigenen Verstand an der Tür von Kirchen, Moscheen oder Synagogen abzugeben. Wo ihn dann Gottes kleine oder große Krieger nur allzu gern wieder einsammeln. Und bei denen haben die pfingstlichen Feuerzungen wohl kaum je gezündet.