Religionskritiker: "Wir müssen kritisch hinterfragen"
Von eine großen Tradition des Abstandnehmens von Religionskritik spricht der Philosoph und Publizist Michael Schmidt-Salomon. Er kritisiert, dass viele Menschen aus Berufsgründen gezwungen werden, Mitglieder der Kirchen zu sein und fordert Gläubige auf, religiöse Konzepte anzuzweifeln.
Britta Bürger: Ob Christentum, Judentum oder Islam: Dem Philosophen und Publizisten Michael Schmidt-Salomon geht es nicht um das Hinterfragen einzelner religiöser Standpunkte, ihm geht es um das große Ganze, um eine generelle Religionskritik, die Respektlosigkeit gegenüber religiösen Gefühlen mit einschließt. "Anleitung zum Seligsein" heißt sein neues Buch, in dem Michael Schmidt-Salomon auf die vergangenen 20 Jahre zurückblickt, in denen er hartnäckig Religionskritik übt. Am Nikolaustag hat er für uns in einem Studio in Trier Platz genommen, schönen guten Tag, Herr Schmidt-Salomon!
Michael Schmidt-Salomon: Guten Tag!
Bürger: Wann haben Sie zuletzt einen Nikolausstiefel gefüllt bekommen? Oder gab es für den Religionskritiker schon immer nur eine Rute?
Schmidt-Salomon: Nein! Wir feiern das richtig ordentlich, bei uns gibt es dann viele Süßigkeiten und ich nasche da auch davon.
Bürger: Kein Widerspruch für Sie?
Schmidt-Salomon: Nein. Also, die ganzen Rituale, die heute gepflegt werden, sind weitgehend profanisiert. Die Deutungshoheit der Kirchen über diese Festtage sind weitgehend verschwunden. Und ich habe einen zehnjährigen Sohn, warum sollten konfessionsfreie Kinder darunter leiden, dass sie konfessionsfrei sind?
Bürger: Sie haben Anfang der 90er-Jahre angefangen, sich religionskritisch zu positionieren, zunächst im akademischen Umfeld der Universität Trier. Und damals hat Sie gestört, dass sich viele Wissenschaftler im Bezug auf das Thema Religion auffällig unauffällig positionieren. Hat sich daran mittlerweile etwas geändert? Schließlich bestimmen ja religiöse Konflikte heute große Bereiche der Weltpolitik!
Schmidt-Salomon: Es hat sich in den letzten Jahren etwas geändert. Zwar haben noch viele Akademiker Hemmungen, auch im Bereich der Religion Klartext zu reden, aber seit dem 11. September 2001 kann man schon feststellen, dass auch im akademischen Bereich sich mehr und mehr Philosophen, Soziologen, Psychologen trauen, die Gretchenfrage ernsthaft zu stellen. Denn letztlich geht es ja darum in der Wissenschaft, Wissenschaft versucht, wahre von falschen Sätzen zu unterscheiden. Und das betrifft letztlich auch die Behauptungen, die von religiöser Seite aufgestellt werden.
Bürger: Warum sagen Sie, Wissenschaftler haben Angst? Wovor?
Schmidt-Salomon: Es gibt eine große Tradition des Abstandnehmens von Religionskritik. Also, sehr viele große Gelehrte auch hier in Deutschland mussten ihre akademische Karriere aufgeben, als sie damit begannen, Religionskritik zu betreiben. Das ist etwas, was sicherlich noch in den Köpfen vieler Leute etabliert ist, dass man die Religion nicht mit dem gleichen kritischen Anspruch betrachten darf wie andere beispielsweise politische Ideologien.
Bürger: Sie selbst plädieren offen dafür, keine Rücksicht auf die Verletzung religiöser Gefühle zu nehmen, und haben das in diversen öffentlichen Aktionen auch in die Tat umgesetzt. Wie passt das zusammen mit einem aufklärerischen, humanistischen Gesellschaftsbild, in dem ja eigentlich Toleranz und Respekt die tragenden Säulen sein sollten?
Schmidt-Salomon: Also, man sollte zunächst mal unterscheiden zwischen Toleranz und Respekt, denn Toleranz bedeutet, dass man etwas duldet, was eine Last bedeutet. Dazu muss man aber erst mal wissen, dass es eine Last ist. Also, Toleranz ist erst da gefragt, wo Respekt - das heißt, Anerkennung - in der Form gar nicht gegeben ist. Und es wäre verkehrt, Respekt gewissermaßen als Blankoscheck gegenüber Weltanschauung zu verlangen.
Wir müssen kritisch hinterfragen, ist das, was da jemand behauptet, tatsächlich sinnvoll, ist es menschenfreundlich, steht es tatsächlich in einer guten Relation zu den Menschenrechten, zu denen sich die Menschheit nach einem hartnäckigen Kampf durchgerungen hat, oder eben nicht? Und es kann nicht sein, dass wir religiöse Gefühle unter Denkmalschutz stellen im doppelten Sinne des Wortes, dass man nicht darüber nachdenken darf, was Religion so an Weltanschauungsangeboten und auch politischen Konzepten anbieten. Tatsächlich ...
Bürger: ... aber der Begriff Verletzung impliziert ja, dass Sie noch einen Schritt weitergehen: Die Verletzung religiöser Gefühle verbessere die Denkfähigkeit, schreiben Sie. Warum?
Schmidt-Salomon: Ja. Es ist so, dass die Aufklärung seit jeher religiöse Gefühle verletzt hat. Und das liegt daran, dass sehr religiöse Menschen davon ausgehen, dass ihre Vorstellungen heilig, das heißt, unantastbar sind. Und wenn man unantastbare Vorstellungen antastet mit dem kritischen Instrument der Vernunft, dann führt das sehr häufig zu solchen Verletzungen, auch wenn das der Kritiker möglicherweise gar nicht intendiert hat.
Und deswegen muss man sich wehren gegen diese Vorstellung, dass man religiöse Konzepte nicht genau so kritisch infrage stellen darf wie alles andere auch, was Menschen geschaffen haben. Denn letztlich sind alle Religionen menschliche Produkte. Und insofern sind sie fehleranfällig. Religionen sind so etwas wie kulturelle Zeitmaschinen, die längst überholte Vorstellungen vergangener Zeiten in die Jetztzeit transportieren. Und das führt in einer modernen, offenen Gesellschaft sehr häufig zu sehr schwierigen und sehr problematischen Konflikten.
Bürger: Der Philosoph und Publizist Michael Schmidt-Salomon ist zu Gast im Deutschlandradio Kultur, in seinem Buch zieht er eine persönliche Bilanz seiner Auseinandersetzung mit Religionskritik der vergangenen 20 Jahre. Kämpfen religiöse Eiferer und Religionskritiker mittlerweile tatsächlich mit härteren Bandagen oder sieht das nur so aus, weil sich die Kritiker mittlerweile mehr Medienpräsenz erkämpft haben?
Schmidt-Salomon: Ich denke, dass die Religionskritiker etwas mehr wahrgenommen werden. Das ist ein Phänomen der letzten vier, fünf, sechs Jahre vielleicht. Ich kann aber nicht sehen, dass auf der Seite der Religionskritiker tatsächlich so etwas wie Militanz vorherrscht. Wir kämpfen vielleicht mit den Mitteln der Satire wie auch Karikaturisten, für deren Freiheit wir eintreten müssen. Aber es ist mir nie irgendwie unter die Ohren gekommen, dass ein Religionskritiker oder religionskritische Menschen religiöse Menschen angegriffen hätten.
Es ist genau umgekehrt. Seitdem ich Religionskritik mache, habe ich Dutzende von Morddrohungen bekommen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand, der meine Bücher gelesen hat, die ja sehr stark mit dem Mittel des Humors auch arbeiten, dass diese Menschen jemals einen religiösen Menschen unter Druck gesetzt hätten. Also, es ist nicht so, dass hier gewissermaßen zwei Seiten mit den gleichen Mitteln arbeiten: Wir arbeiten mit dem Instrument des Humors, damit hat auch schon Voltaire gearbeitet, damit haben die Aufklärer stets gearbeitet, damit hat Heinrich Heine natürlich auch gearbeitet.
Wir bedrohen Menschen nicht, wir haben auch keine Ideologie, die sagt, dafür, was du da tust, wirst du ewig im Höllenfeuer braten. Was wir sagen, ist, denkt doch einfach mal darüber nach, was ihr da behauptet, das passt so überhaupt nicht zusammen mit dem, was wir mittlerweile über die Welt wissen.
Bürger: Sie haben eben angesprochen, Sie haben ein Dutzend Morddrohungen erhalten. In was für einem Kontext war das, worauf bezogen die sich?
Schmidt-Salomon: Sie bezogen sich auf religionskritische Veröffentlichungen, zum Teil auf Aktionen, die ich gemacht habe, die eher künstlerischer Art waren. Häufig kamen sie aus einem sehr konservativ-christlichen Bereich, ich wurde sehr häufig als "Judensau" beschimpft, was wahrscheinlich daher rührt, dass mein Name jüdisch klingt. In der letzten Zeit kam es aber auch verstärkt auch von muslimischer Seite, weil im iranischen Fernsehen behauptet wurde, ich sei ein Agent des Mossad, der die Muslime und Exmuslime aufhetzt gegen traditionelle Vorstellungen des Islam.
Bürger: 2007, schreiben Sie jetzt in Ihrem aktuellen Buch, habe die religionskritische Szene in Deutschland ihren Durchbruch gefeiert. Der "Spiegel" titelte damals auch vom "Kreuzzug der Atheisten". Und Sie selbst waren für die Medien der Ansprechpartner, wenn man eine religionskritische Stimme gesucht hat. Ist das, was Sie seit Jahren vertreten, aber nicht im Grunde auch eine Art Mission, ein gewisser Dogmatismus?
Schmidt-Salomon: Ich bin ein dogmatischer Undogmatiker. Ich gehe davon aus, dass wir falsche Ideen sterben lassen müssen, bevor Menschen für falsche Ideen sterben müssen. Wenn Sie das als Mission betrachten, meinetwegen. Ich will natürlich Menschen überzeugen, das ist klar. Und ich sehe es auch nicht prinzipiell als problematisch an, dass religiöse Menschen andere Menschen überzeugen wollen mit ihren Vorstellungen. Das scheint mir nicht das Problem zu sein.
Das Problem ist a) die Wahl der Mittel und b) scheint es mir so zu sein, dass sehr viele sehr fromme Menschen nicht hinreichend darüber nachdenken, welche Konsequenzen ihr Glaube hat und inwieweit ihr Glaube tatsächlich begründet sein kann. Denn tatsächlich stimmen viele Erkenntnisse, die wir mittlerweile über die Welt gewonnen haben, nicht mit dem überein, was die Religionen uns zu glauben abverlangen.
Bürger: Warum war das für Sie überhaupt wichtig, sich mit anderen konfessionsfreien Menschen zu organisieren? Sie haben eben auch gesagt, Sie wollen Menschen überzeugen. Reicht das nicht, dass jeder für sich selbst entscheidet, dass man kritischen Abstand hält zu kirchlichen Institutionen und zu religiösen Vertretern? Warum braucht man dafür neue Weltanschauungsinstitutionen?
Schmidt-Salomon: Ja, zum einen wäre es natürlich toll, wenn jeder Mensch das frei entscheiden könnte. Aber leider ist das in Deutschland nicht so. Viele Menschen sind allein aus Berufsgründen gezwungen, Mitglieder der Kirchen zu sein. Diakonie und Caritas sind die größten nicht-staatlichen Arbeitgeber Europas und wenn Sie ein konfessionsfreier Pädagoge, Mediziner, Krankenpfleger oder Erzieherin sind, dann kann es passieren, dass der freundliche Berater beim Arbeitsamt Ihnen sagt, Sie sollten in die Kirche eintreten, um eine Stelle zu bekommen.
Das heißt, wir haben leider noch nicht diese Religionsfreiheit auch im negativen Sinn, dass man frei von Religion sein kann. Wir haben auf unserer Lohnsteuerkarte unsere Konfession eingetragen, obwohl in der Verfassung steht, dass niemand gezwungen ist, sein religiöses und weltanschauliches Bekenntnis zu offenbaren. Das sind alles Dinge - und ich könnte hier jetzt stundenlang drüber erzählen -, die auch in Deutschland noch nicht gewährleistet sind. Wir haben noch nicht wirklich die Trennung von Staat und Kirche, obwohl wir in einer der säkularsten Gesellschaften aller Zeiten leben.
In Deutschland gibt es mehr konfessionsfreie Menschen als Katholiken. Und diese Menschen werden aber politisch und medial noch nicht wahrgenommen. Die Kirchen genießen ungeheure Privilegien und es sieht im Moment so aus, als würden diese Privilegien auch noch ausgedehnt werden auf muslimische Gemeinschaften. Und das wird zu einer religiösen Gettoisierung dieser Gesellschaft führen und nicht dazu, dass wir die offene Gesellschaft, die Demokratie, die Menschenrechte weiter entwickeln können.
Bürger: Michael Schmidt-Salomon, danke Ihnen fürs Gespräch!
Schmidt-Salomon: Gern geschehen!
Bürger: Das neue Buch, "Anleitung zum Seligsein", ist im Alibri-Verlag erschienen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Leben ohne moralisches Schuldprinzip
Wenn Moral religiös wird
Glaubensfragen
Michael Schmidt-Salomon: Guten Tag!
Bürger: Wann haben Sie zuletzt einen Nikolausstiefel gefüllt bekommen? Oder gab es für den Religionskritiker schon immer nur eine Rute?
Schmidt-Salomon: Nein! Wir feiern das richtig ordentlich, bei uns gibt es dann viele Süßigkeiten und ich nasche da auch davon.
Bürger: Kein Widerspruch für Sie?
Schmidt-Salomon: Nein. Also, die ganzen Rituale, die heute gepflegt werden, sind weitgehend profanisiert. Die Deutungshoheit der Kirchen über diese Festtage sind weitgehend verschwunden. Und ich habe einen zehnjährigen Sohn, warum sollten konfessionsfreie Kinder darunter leiden, dass sie konfessionsfrei sind?
Bürger: Sie haben Anfang der 90er-Jahre angefangen, sich religionskritisch zu positionieren, zunächst im akademischen Umfeld der Universität Trier. Und damals hat Sie gestört, dass sich viele Wissenschaftler im Bezug auf das Thema Religion auffällig unauffällig positionieren. Hat sich daran mittlerweile etwas geändert? Schließlich bestimmen ja religiöse Konflikte heute große Bereiche der Weltpolitik!
Schmidt-Salomon: Es hat sich in den letzten Jahren etwas geändert. Zwar haben noch viele Akademiker Hemmungen, auch im Bereich der Religion Klartext zu reden, aber seit dem 11. September 2001 kann man schon feststellen, dass auch im akademischen Bereich sich mehr und mehr Philosophen, Soziologen, Psychologen trauen, die Gretchenfrage ernsthaft zu stellen. Denn letztlich geht es ja darum in der Wissenschaft, Wissenschaft versucht, wahre von falschen Sätzen zu unterscheiden. Und das betrifft letztlich auch die Behauptungen, die von religiöser Seite aufgestellt werden.
Bürger: Warum sagen Sie, Wissenschaftler haben Angst? Wovor?
Schmidt-Salomon: Es gibt eine große Tradition des Abstandnehmens von Religionskritik. Also, sehr viele große Gelehrte auch hier in Deutschland mussten ihre akademische Karriere aufgeben, als sie damit begannen, Religionskritik zu betreiben. Das ist etwas, was sicherlich noch in den Köpfen vieler Leute etabliert ist, dass man die Religion nicht mit dem gleichen kritischen Anspruch betrachten darf wie andere beispielsweise politische Ideologien.
Bürger: Sie selbst plädieren offen dafür, keine Rücksicht auf die Verletzung religiöser Gefühle zu nehmen, und haben das in diversen öffentlichen Aktionen auch in die Tat umgesetzt. Wie passt das zusammen mit einem aufklärerischen, humanistischen Gesellschaftsbild, in dem ja eigentlich Toleranz und Respekt die tragenden Säulen sein sollten?
Schmidt-Salomon: Also, man sollte zunächst mal unterscheiden zwischen Toleranz und Respekt, denn Toleranz bedeutet, dass man etwas duldet, was eine Last bedeutet. Dazu muss man aber erst mal wissen, dass es eine Last ist. Also, Toleranz ist erst da gefragt, wo Respekt - das heißt, Anerkennung - in der Form gar nicht gegeben ist. Und es wäre verkehrt, Respekt gewissermaßen als Blankoscheck gegenüber Weltanschauung zu verlangen.
Wir müssen kritisch hinterfragen, ist das, was da jemand behauptet, tatsächlich sinnvoll, ist es menschenfreundlich, steht es tatsächlich in einer guten Relation zu den Menschenrechten, zu denen sich die Menschheit nach einem hartnäckigen Kampf durchgerungen hat, oder eben nicht? Und es kann nicht sein, dass wir religiöse Gefühle unter Denkmalschutz stellen im doppelten Sinne des Wortes, dass man nicht darüber nachdenken darf, was Religion so an Weltanschauungsangeboten und auch politischen Konzepten anbieten. Tatsächlich ...
Bürger: ... aber der Begriff Verletzung impliziert ja, dass Sie noch einen Schritt weitergehen: Die Verletzung religiöser Gefühle verbessere die Denkfähigkeit, schreiben Sie. Warum?
Schmidt-Salomon: Ja. Es ist so, dass die Aufklärung seit jeher religiöse Gefühle verletzt hat. Und das liegt daran, dass sehr religiöse Menschen davon ausgehen, dass ihre Vorstellungen heilig, das heißt, unantastbar sind. Und wenn man unantastbare Vorstellungen antastet mit dem kritischen Instrument der Vernunft, dann führt das sehr häufig zu solchen Verletzungen, auch wenn das der Kritiker möglicherweise gar nicht intendiert hat.
Und deswegen muss man sich wehren gegen diese Vorstellung, dass man religiöse Konzepte nicht genau so kritisch infrage stellen darf wie alles andere auch, was Menschen geschaffen haben. Denn letztlich sind alle Religionen menschliche Produkte. Und insofern sind sie fehleranfällig. Religionen sind so etwas wie kulturelle Zeitmaschinen, die längst überholte Vorstellungen vergangener Zeiten in die Jetztzeit transportieren. Und das führt in einer modernen, offenen Gesellschaft sehr häufig zu sehr schwierigen und sehr problematischen Konflikten.
Bürger: Der Philosoph und Publizist Michael Schmidt-Salomon ist zu Gast im Deutschlandradio Kultur, in seinem Buch zieht er eine persönliche Bilanz seiner Auseinandersetzung mit Religionskritik der vergangenen 20 Jahre. Kämpfen religiöse Eiferer und Religionskritiker mittlerweile tatsächlich mit härteren Bandagen oder sieht das nur so aus, weil sich die Kritiker mittlerweile mehr Medienpräsenz erkämpft haben?
Schmidt-Salomon: Ich denke, dass die Religionskritiker etwas mehr wahrgenommen werden. Das ist ein Phänomen der letzten vier, fünf, sechs Jahre vielleicht. Ich kann aber nicht sehen, dass auf der Seite der Religionskritiker tatsächlich so etwas wie Militanz vorherrscht. Wir kämpfen vielleicht mit den Mitteln der Satire wie auch Karikaturisten, für deren Freiheit wir eintreten müssen. Aber es ist mir nie irgendwie unter die Ohren gekommen, dass ein Religionskritiker oder religionskritische Menschen religiöse Menschen angegriffen hätten.
Es ist genau umgekehrt. Seitdem ich Religionskritik mache, habe ich Dutzende von Morddrohungen bekommen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand, der meine Bücher gelesen hat, die ja sehr stark mit dem Mittel des Humors auch arbeiten, dass diese Menschen jemals einen religiösen Menschen unter Druck gesetzt hätten. Also, es ist nicht so, dass hier gewissermaßen zwei Seiten mit den gleichen Mitteln arbeiten: Wir arbeiten mit dem Instrument des Humors, damit hat auch schon Voltaire gearbeitet, damit haben die Aufklärer stets gearbeitet, damit hat Heinrich Heine natürlich auch gearbeitet.
Wir bedrohen Menschen nicht, wir haben auch keine Ideologie, die sagt, dafür, was du da tust, wirst du ewig im Höllenfeuer braten. Was wir sagen, ist, denkt doch einfach mal darüber nach, was ihr da behauptet, das passt so überhaupt nicht zusammen mit dem, was wir mittlerweile über die Welt wissen.
Bürger: Sie haben eben angesprochen, Sie haben ein Dutzend Morddrohungen erhalten. In was für einem Kontext war das, worauf bezogen die sich?
Schmidt-Salomon: Sie bezogen sich auf religionskritische Veröffentlichungen, zum Teil auf Aktionen, die ich gemacht habe, die eher künstlerischer Art waren. Häufig kamen sie aus einem sehr konservativ-christlichen Bereich, ich wurde sehr häufig als "Judensau" beschimpft, was wahrscheinlich daher rührt, dass mein Name jüdisch klingt. In der letzten Zeit kam es aber auch verstärkt auch von muslimischer Seite, weil im iranischen Fernsehen behauptet wurde, ich sei ein Agent des Mossad, der die Muslime und Exmuslime aufhetzt gegen traditionelle Vorstellungen des Islam.
Bürger: 2007, schreiben Sie jetzt in Ihrem aktuellen Buch, habe die religionskritische Szene in Deutschland ihren Durchbruch gefeiert. Der "Spiegel" titelte damals auch vom "Kreuzzug der Atheisten". Und Sie selbst waren für die Medien der Ansprechpartner, wenn man eine religionskritische Stimme gesucht hat. Ist das, was Sie seit Jahren vertreten, aber nicht im Grunde auch eine Art Mission, ein gewisser Dogmatismus?
Schmidt-Salomon: Ich bin ein dogmatischer Undogmatiker. Ich gehe davon aus, dass wir falsche Ideen sterben lassen müssen, bevor Menschen für falsche Ideen sterben müssen. Wenn Sie das als Mission betrachten, meinetwegen. Ich will natürlich Menschen überzeugen, das ist klar. Und ich sehe es auch nicht prinzipiell als problematisch an, dass religiöse Menschen andere Menschen überzeugen wollen mit ihren Vorstellungen. Das scheint mir nicht das Problem zu sein.
Das Problem ist a) die Wahl der Mittel und b) scheint es mir so zu sein, dass sehr viele sehr fromme Menschen nicht hinreichend darüber nachdenken, welche Konsequenzen ihr Glaube hat und inwieweit ihr Glaube tatsächlich begründet sein kann. Denn tatsächlich stimmen viele Erkenntnisse, die wir mittlerweile über die Welt gewonnen haben, nicht mit dem überein, was die Religionen uns zu glauben abverlangen.
Bürger: Warum war das für Sie überhaupt wichtig, sich mit anderen konfessionsfreien Menschen zu organisieren? Sie haben eben auch gesagt, Sie wollen Menschen überzeugen. Reicht das nicht, dass jeder für sich selbst entscheidet, dass man kritischen Abstand hält zu kirchlichen Institutionen und zu religiösen Vertretern? Warum braucht man dafür neue Weltanschauungsinstitutionen?
Schmidt-Salomon: Ja, zum einen wäre es natürlich toll, wenn jeder Mensch das frei entscheiden könnte. Aber leider ist das in Deutschland nicht so. Viele Menschen sind allein aus Berufsgründen gezwungen, Mitglieder der Kirchen zu sein. Diakonie und Caritas sind die größten nicht-staatlichen Arbeitgeber Europas und wenn Sie ein konfessionsfreier Pädagoge, Mediziner, Krankenpfleger oder Erzieherin sind, dann kann es passieren, dass der freundliche Berater beim Arbeitsamt Ihnen sagt, Sie sollten in die Kirche eintreten, um eine Stelle zu bekommen.
Das heißt, wir haben leider noch nicht diese Religionsfreiheit auch im negativen Sinn, dass man frei von Religion sein kann. Wir haben auf unserer Lohnsteuerkarte unsere Konfession eingetragen, obwohl in der Verfassung steht, dass niemand gezwungen ist, sein religiöses und weltanschauliches Bekenntnis zu offenbaren. Das sind alles Dinge - und ich könnte hier jetzt stundenlang drüber erzählen -, die auch in Deutschland noch nicht gewährleistet sind. Wir haben noch nicht wirklich die Trennung von Staat und Kirche, obwohl wir in einer der säkularsten Gesellschaften aller Zeiten leben.
In Deutschland gibt es mehr konfessionsfreie Menschen als Katholiken. Und diese Menschen werden aber politisch und medial noch nicht wahrgenommen. Die Kirchen genießen ungeheure Privilegien und es sieht im Moment so aus, als würden diese Privilegien auch noch ausgedehnt werden auf muslimische Gemeinschaften. Und das wird zu einer religiösen Gettoisierung dieser Gesellschaft führen und nicht dazu, dass wir die offene Gesellschaft, die Demokratie, die Menschenrechte weiter entwickeln können.
Bürger: Michael Schmidt-Salomon, danke Ihnen fürs Gespräch!
Schmidt-Salomon: Gern geschehen!
Bürger: Das neue Buch, "Anleitung zum Seligsein", ist im Alibri-Verlag erschienen.
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