Sophie Pornschlegel ist Politikwissenschaftlerin und arbeitet als Projektleiterin und Analystin beim European Policy Centre, einem Brüsseler Think Tank. Dort beschäftigt sie sich u.a. mit Europapolitik, europäischer Zivilgesellschaft, politischer Teilhabe und Demokratie in Europa. Zuvor war Sie für in Berlin bei der Denkfabrik "Das Progressive Zentrum" tätig.
Von guten Geistern verlassen
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Rechtspopulisten in ganz Europa instrumentalisieren Religion für ihre Zwecke. Demokratisch gesinnte Kräfte müssen gegen die politische Vereinnahmung der Religion aktiv werden, fordert Politikwissenschaftlerin Sophie Pornschlegel.
In den modernen Staaten Europas galt lange Zeit die Säkularisierungsvermutung: Religion würde nach und nach an Bedeutung verlieren im öffentlichen Raum, und somit auch die Beziehungen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften. Das hat dazu geführt, dass Politik sich immer weniger mit Religion beschäftigt hat – man ging von einem "Rückzug des Religiösen ins Private" aus. Aus diesem Grund wurde das Thema lange Zeit politisch vernachlässigt.
Doch diese These hat sich als falsch erwiesen: Es gibt keine automatische Entwicklung der Säkularisierung. Die Gefahr des religiösen Fundamentalismus in Europa ist aufgrund der Säkularisierung nicht verschwunden – man denke an die Terrorattacken in Frankreich, aber auch an den Nordirland-Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten, der mit dem Brexit wieder zu eskalieren droht.
Religionspolitik wieder ernst nehmen
Es sollte deshalb ein Umdenken geben: Religionspolitik muss wieder ernst genommen werden, denn Religionsgemeinschaften bleiben trotz Säkularisierung wichtige gesellschaftliche Akteure. Der neutrale Staat hat mehr denn je die Aufgabe, die Rahmenbedingungen sicherzustellen, die eine friedliche Koexistenz ermöglichen: zwischen den verschiedenen Religionsgemeinschaften, zwischen Konfessionslosen und Religiösen und den nicht-religiösen und zwischen der Kirche und dem Staat.
Insbesondere in multireligiösen und multikulturellen Staaten, in denen wir leben, sind neue Konfliktfelder entstanden, die im politischen Raum besprochen werden müssen. Die Herausforderungen betreffen den Religionsunterricht in Schulen, religiöse Symbole in der Öffentlichkeit und die Frage nach der Gleichbehandlung von Religionsgemeinschaften. Das erfordert politischen Dialog und einen Aushandlungsprozess – und deshalb auch ein politisches Feld, in dem man sich mit solchen Fragen beschäftigt.
Insbesondere aufgrund der wachsenden Bedeutung des Islams in Europa sollte Religionspolitik als Politikfeld viel ernster genommen werden. Da der Islam eine andere interne Organisationsstruktur aufweist als christliche Religionen, müssen die westlichen Demokratien ein neues Verhältnis zu dieser Religionsgemeinschaft finden. Erste Schritte in diese Richtung wurden bereits mit der Deutschen Islam Konferenz gemacht, doch sie sind noch lange nicht ausreichend. Stattdessen formiert sich rechtspopulistischer Widerstand, der das Thema Religion für sich vereinnahmt – und den Islam unter den allgemeinen Verdacht des Terrors stellt.
Kaum Interesse für Religion
Angesichts der wachsenden Gefahr einer Instrumentalisierung der Religion durch die Rechten ist es an der Zeit, dass demokratisch gesinnte Kräfte sich mit dem Thema beschäftigen. In Deutschland zeigen CDU und SPD, die sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene dominieren, kaum Interesse für das Thema und beschränken sich auf allgemeine Aussagen – als gäbe es keine grundlegenden religionspolitischen Herausforderungen.
Doch die Gestaltungsmacht des Staates muss wieder in Anspruch genommen werden – um die fragile Religionsfreiheit in Europa zu verteidigen, sowie die Trennung von Kirche und Staat. Schließlich geht es um nichts Geringeres als darum: gewalttägige Auseinandersetzungen aufgrund von Glaubensverschiedenheiten zu verhindern – und damit den Frieden in Europa zu wahren.